Alice im Niemandsland

Kluge Frauen haben es schwerer, je länger es Alice Schwarzer gibt, wird
doch Feminismus gemeinhin mit Schwarzerismus übersetzt. Anzunehmen,
Alice Schwarzer vertrete die Rechte der gesamten Frauenschaft oder
agiere in deren Auftrag, ist verwegen. Alice Schwarzer vertrat und vertritt
nur eine kleine Randgruppe, die zudem zum Großteil der Frauen im
ideologischen Widerspruch lebt: Sie verkündet die Ideale der Lesben und
füttert diese mit populistischen Ideologiebausteinen.


Als Reaktion auf gelebten Feminismus, zu dem viel mehr gehört als
EMMA und Alice, ist knallharter Antifeminismus zu erleben, der sich
zwar vor allem gegen Alice Schwarzer richtet, aber alle denkenden
Frauen trifft. Dabei ist Alice Schwarzer eigentlich keine Feministin, sie
betreibt kleinbürgerlichen, latent neoliberalen Lesbianismus, der auch
in feministischen Kreisen als populistisch kritisiert wird.


Ich kenne nur wenige Frauen, die sich von Alice Schwarzers Idealen
vertreten sehen – wahrscheinlich weil sie sich ungern benachteiligt fühlen.
Und seien wir ehrlich: Für jedes Stückchen Patriarchat gibt es mittlerweile
eine Lösung, die es Frauen erlaubt, den Kopf dennoch oben zu
tragen. Leicht ist es nicht, aber wann ist es das schon und für wen?


Alice Schwarzer vertritt in ihrem Buch Der kleine Unterschied die
These, daß alle Frauen die Entjungferung aus Angst vor ihren Partnern
über sich ergehen ließen, daß Heterosexualität mehr Konvention als Lust
und ohnehin nicht biologisch zu rechtfertigen sei und daß alle Frauen
Angst vor ihren Männern hätten und ihnen mißtrauten. Für eine Lesbe
mag eine solche Einstellung konsequent sein; aber logisch ist sie nicht,
begründbar auch nicht und zudem für heterosexuelle Frauen (und Männer)
ein echtes Dilemma. Denn, wenn Frauen den Schwarzerschen Thesen
unkritisch folgten – würde es bedeuten, daß sie keine Kinder mehr
bekommen werden, allein um sich der »Nötigung« durch den Mann zu
entziehen. Für Männer hieße es, ständig in der Gewißheit zu leben, eine
Bedrohung zu sein. Männer wären in diesem Sinne moralisch zu verurteilen,
so etwas bliebe nicht folgenlos.


Aber natürlich wollen die meisten Frauen und Männer Kinder, und
schon allein darum sind sie gezwungen, sich Gedanken über derart populistischen
Unfug zu machen. Heterosexuelle Liebe ist nämlich so übel
nicht, wenn sie nicht mit materieller Abhängigkeit einhergeht und an
tradierten Kleinbürgeridealen klebt. Um diese Verkrustungen zu verhindern,
kann die Frau von heute eigenes Geld verdienen, dann braucht sie
künftig auch keine Ängste mehr zu pflegen, weil sie gern ein Kind will.
Für den Spaß am Sex ist sie ohnehin in Eigenregie zuständig, und Männer haben im allgemeinen auch nichts gegen weibliche Lust. Ein Kinderwunsch
symbolisiert aber keine Unterwerfung, wie auch ein Kopftuch
nicht die Versklavung der muslimischen Frauen bedeutet. Und ein Verzicht
auf derartige Symbole macht noch lange keine Emanzipation. Derartige
Kurzschlüsse sind Unsinn; aber Alice Schwarzer überzieht in dieser
Frage in strahlender Selbstherrlichkeit wie auch ihre Gegner jede
lockere Schraube. Der eine Extremismus bedingt den anderen.


Diese Litaneien sind wenig tiefschürfend und nur minder interessant.
Allerdings wird Desinteresse an lesbianischem Populismus als berechtigte
Kritik gern ignoriert: Was Frauen zu denken, zu sagen und zu fühlen
haben, legen immer noch andere fest – wenn nicht Alice Schwarzer,
dann Männer, indem sie jede emanzipierte Frau zu einer Feministin im
kleinbürgerlich-westdeutschen Sinne, also zur Schwarzeristin erklären.
Nur ging es im Feminismus ursprünglich nicht darum, künstliche Widersprüche
des wiederaufbauberauschten Wohlstandswestens (Beruf
oder Familie?) abzuarbeiten, sondern es wurde den Frauen ein Recht auf
Selbstverwirklichung durch die Mutterschaft zugestanden. Leider hält
diese Begriffsentwirrung Feminismuskritiker nicht davon ab, anzunehmen,
Frauen stünden als Alice Schwarzers ahnunglose Gefolgschaft im
Geschlechterkrieg.


Alice Schwarzer verursacht unter den Männern Hysterie – zu Recht –
und Kritik unter den Frauen – auch zu Recht –; aber die Hysterie der
Männer bewirkt, daß die notwendige Kritik vieler Frauen am Schwarzerismus
nicht publik wird. Alice Schwarzer hat dafür gesorgt, daß »Feministin
« ein Schimpfwort geworden ist. Seitdem sie ihre kleinbürgerlichen
Negationen als feministisch verkauft, ist der Eindruck entstanden,
eine solche Haltung vereine die Frauen und zwar gegen die Männer.


Dem ist aber nicht so. Und auch Feminismus ist definitiv nicht das,
wofür er heute gehalten wird – er hat mit Alice im Wohlstandsland wenig
bis nichts zu tun. Allerdings haben Frauen natürlich auch nur minderschwere
Lust, Männern aus dem Antimann-Trauma zu helfen, wenn
ihnen bei erfolgreicher Kritik am Schwarzerismus die Leibeigenschaft
droht und sie auch noch, unter falscher Flagge gestellt, pausenlos beschimpft
werden. Eine Überwindung des Schwarzerismus wird nur mit
Hilfe der Gegner und Opfer funktionieren, nicht gegen einander.


Leider sind die Opfer des Schwarzerismus, die Männer, äußerst schwer
zu motivieren, sich auf ein Gespräch mit einer »Erzfeindin«, also mit
einer »Feministin«, einzulassen. Die meisten Genderdiskussionen sind
letztlich Pseudodebatten, die sich schwindelerregend um nichts drehen:
Es werden Frauen verurteilt, die angeblich etwas tun, das sie nicht dürfen
sollen, aber nicht einmal wissen, daß sie es wollen. Es wird verbissen
ein Trugschluß bekriegt.

In Anarchokreisen heißt es, wer ein Linker sein will, müsse die DDR aufarbeiten.
Für Frauen kann zur Maxime werden, daß Feminismus bedeutet,
Alice Schwarzer hinter sich zu lassen. Denn Feminismus ist leider
bisher kein Mainstream, Alice Schwarzer hingegen schon, und sie legitimiert
den verbitterten Widerstand ihrer Gegner gegen alles, was sich
Feminismus nennt. Nur der Feminismus kommt dabei etwas zu kurz.