Sieben Fragen und Antworten zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) hat nur acht Paragrafen, ist aber vielen ein Buch mit sieben Siegeln. Die Ampel-Koalition hat sich eine Reform des umstrittenen Gesetzes vorgenommen. Was hat es mit dem WissZeitVG, was mit dessen Reform auf sich? Andreas Keller bringt Licht ins Dunkel und gibt Antworten auf sieben Fragen.
1. Warum und seit wann gibt es das WissZeitVG?
Das WissZeitVG ist 2007 unter dem ersten Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), einer Großen Koalition, in Kraft getreten und wurde 2016 und 2020 novelliert. Bei dem Gesetz handelt es sich um ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft, das Hochschulen und Forschungseinrichtungen weitreichende Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen mit angestellten Wissenschaftler*innen mit Ausnahme von Hochschullehrer*innen an die Hand gibt.1 Diese können vor der Promotion sechs Jahre befristet beschäftigt werden, nach der Promotion weitere sechs, in der Medizin sogar neun Jahre. Die Höchstbefristungsdauer verlängert sich, wenn Wissenschaftler*innen Kinder betreuen, behindert oder chronisch krank sind oder während der Corona-Pandemie beschäftigt waren. Darüber hinaus können jederzeit und praktisch unbegrenzt befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden, wenn ein Beschäftigungsverhältnis überwiegend drittmittelfinanziert ist.
Schon vor dem Inkrafttreten des WissZeitVG existierte ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft, das in den §§57a bis 57f des Hochschulrahmengesetzes (HRG) geregelt war, welches mit der Föderalismusreform 2016 zwar anders als ursprünglich geplant nicht außer Kraft gesetzt wurde, aber seine Bindungswirkung verlor. Beim WissZeitVG handelt es sich nicht um Hochschulrecht, für das seit der Föderalismusreform grundsätzlich die Länder zuständig sind, sondern um Arbeitsrecht, für das der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz besitzt. Das bedeutet, dass die Länder keine Regelungen mehr treffen dürfen, wenn dies der Bund getan hat. Und von dieser Möglichkeit hat er mit dem WissZeitVG und seinen Vorläufern ausgiebig Gebrauch gemacht.2
Sachgrundlose Befristungen
§§57a bis 57f HRG sahen bis 2002 eine formal an Sachgründe geknüpfte Befristung mit einer Höchstbefristungsdauer von nur fünf Jahren vor, ohne eine Unterscheidung von Promotions- und Postdocphase. Allerdings bezog sich diese Obergrenze auf nur einen einzelnen Arbeitgeber. Im Falle eines Arbeitgeberwechsels konnte erneut ein befristeter Arbeitsvertrag mit einer Dauer von bis zu fünf Jahren abgeschlossen werden - eine Zeitvertragskarriere bis zur Rente war möglich. 2002 erfolgte unter dem ersten Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), einer rot-grünen Koalition mit einer Sozialdemokratin, Edelgard Bulmahn, als Bildungs- und Forschungsministerin im Rahmen einer HRG-Novelle der Paradigmenwechsel im Befristungsrecht hin zur sachgrundlosen Befristung mit Höchstbefristungsgrenzen von sechs plus sechs Jahren, der ins WissZeitVG übernommen wurde und dieses bis heute prägt.
§§57a bis 57f HRG waren bereits 1985 unter dem ersten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ins HRG aufgenommen worden. Dem vorausgegangen war der vergebliche Versuch von Bund und Ländern, weitgehende Befristungsmöglichkeiten in den damaligen Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) aufzunehmen, der die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst - Bund, Länder und Kommunen - regelte. Als sich darauf die Gewerkschaften GEW und ÖTV nicht einließen, schlüpfte der Staat von der Rolle des Arbeitgebers in die des Gesetzgebers und nahm die gewünschte Öffnung des Befristungsrechts einseitig durch Bundesgesetz vor, das gleichzeitig per Tarifsperre abweichende tarifvertragliche Regelungen für unzulässig erklärte. Die dagegen 1986 von den Gewerkschaften GEW und ÖTV eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde 1996, also nach zehn Jahren, vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.3
2. Welche Auswirkungen hat das WissZeitVG?
Immer mehr Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten - das sind die Folgen des WissZeitVG, das den Arbeitgebern in der Wissenschaft - Hochschulen und Forschungseinrichtungen - die rechtlichen Instrumente in die Hand gibt, Arbeitsverträge mit Wissenschaftler*innen praktisch sachgrundlos, nahezu unbegrenzt immer wieder zu befristen.
2011 schreckte die erste Evaluation des WissZeitVG die Öffentlichkeit auf.4 Bereits bekannt waren zu diesem Zeitpunkt dank der jährlichen Berichte des Statistischen Bundesamts die hohen Befristungsanteile beim wissenschaftlichen Personal, die ein Jahr nach Inkrafttreten des WissZeitVG 2008 die 80-Prozent-Marke (hauptberufliches wissenschaftliches Personal an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen ohne Professor*innen) durchbrachen und fortan nicht mehr unterschreiten sollten.5
Eine neue und schockierende Information war der hohe Anteil von Zeitverträgen mit extrem kurzen Laufzeiten. Über die Hälfte (53 Prozent) der befristeten Arbeitsverträge mit wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an Hochschulen hatten eine Laufzeit von unter einem Jahr, an Forschungseinrichtungen waren es 50 Prozent.6 Diese Daten waren Rückenwind für die GEW-Kampagne für den "Traumjob Wissenschaft", welche die GEW 2010 mit dem Templiner Manifest gestartet hatte7 und die 2015 in einer bundesweiten Aktionswoche mit über 100 Aktionen an Hochschulstandorten in allen Bundesländern gipfelte.8 Eine der Kernforderungen: eine umfassende Reform des WissZeitVG, die Dauerstellen für Daueraufgaben in Hochschule und Forschung schafft.
3. Was hat die WissZeitVG-Novelle von 2016 gebracht?
Unter dem Druck der GEW-Aktionen verabschiedete der Deutsche Bundestag im Dezember 2015 unter dem dritten Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), einer Großen Koalition, eine Reform des WissZeitVG, die 2016 in Kraft trat und wichtige Impulse der GEW-Kampagne aufgriff. So wurde der Grundsatz der sachgrundlosen Befristung dahingehend eingeschränkt, dass Befristungen der Qualifizierung dienen müssen oder, wie schon zuvor, dem Sachgrund Drittmittelfinanzierung geschuldet sind. Laufzeiten von Qualifizierungsverträgen sollten von nun an "angemessen" sein, die von Drittmittelverträgen sich an den Projektlaufzeiten orientieren. Das wissenschaftsunterstützende Personal wurde komplett aus dem Geltungsbereich des Gesetzes gestrichen, auch im Falle einer Drittmittelfinanzierung können Befristungen von Verwaltungs- oder Labormitarbeiter*innen nicht mehr aufs WissZeitVG gestützt werden.
Dauerstellen für Daueraufgaben!
Die die Qualifizierungsbefristung betreffenden Gesetzesänderungen blieben aber weitgehend zahnlos, insbesondere weil sie zum Teil mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiteten. So lief die Regelung, dass Befristungen, wenn keine Drittmittelfinanzierung vorliegt, zur Qualifizierung erfolgen müssen, ins Leere, weil der Gesetzgeber auf eine Definition des Qualifizierungsbegriffs verzichtet hatte. Nicht nur eine Promotion, Habilitation oder vergleichbare Postdocqualifizierung, sondern auch die Formulierung eines Forschungsförderantrags, die Vorbereitung einer Lehrveranstaltung oder allgemein die Vertiefung oder Verbreiterung von Kenntnissen und Fähigkeiten wurde von findigen Hochschulkanzler*innen als Qualifizierung angesehen, das WissZeitVG somit weiter als Persilschein für jedwede Befristung angesehen und genutzt. Am 02.02.2022 goutierte schließlich das Bundesarbeitsgericht die weite Auslegung des Qualifizierungsbegriffs des WissZeitVG und trug damit endgültig die im Ergebnis zu bescheidenen Reformambitionen zu Grabe.9
Die Folge: Der Anteil der befristeten Arbeitsverträge von Wissenschaftler*innen blieb unvermindert hoch. Nach der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Auftrag gegebenen und 2022 veröffentlichten Evaluation der WissZeitVG-Novelle sind 84 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an Universitäten und 78 Prozent an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften befristet beschäftigt.10
In Folge des vagen Qualifizierungsbegriffs blieb auch die Vorschrift, dass Laufzeiten von Qualifizierungsverträgen angemessen sein sollen, weitgehend wirkungslos. In ihrer von der GEW veröffentlichten Evaluation der Gesetzesnovelle kam Freya Gassmann bereits 2020 auf Basis einer Analyse von Stellenausschreibungen von Hochschulen zu dem Ergebnis, dass sich die Vertragslaufzeiten in Folge der WissZeitVG-Novelle im Durchschnitt gerade um vier Monate erhöht hatten.11
Ihre Befunde von 2020 wurden durch die offizielle Evaluation des BMBF 2022 nicht nur bestätigt, sondern sogar zugespitzt. Die Laufzeiten der Zeitverträge waren nach dem von Gassmann erfassten vorübergehenden Anstieg sogar wieder auf das Niveau vor 2017 zurückgefallen. Sie liegt nun an Universitäten bei 18 Monaten, an den für Angewandte Wissenschaften bei 15 Monaten. 42 Prozent der Verträge an Universitäten laufen nicht einmal ein Jahr, an den HAW sind es sogar 45 Prozent.12
Damit stand fest: Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt, diese vermochte weder unsachgemäße Befristung noch Kurzzeitbefristungen einzudämmen.
4. Warum ist eine bessere WissZeitVG-Reform überfällig?
Die Ampelkoalition stand nun unter einem besonderen Erwartungsdruck, den Missständen entgegenzuwirken und ihre im Koalitionsvertrag von 2021 gefasste Vereinbarung, durch eine Reform des WissZeitVG "Dauerstellen für Daueraufgaben" zu schaffen, umzusetzen. Die GEW erhöhte im September 2022 mit der Präsentation ihres Dresdner Gesetzentwurfs für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz (WissEntfristG) im Rahmen ihrer 11. Wissenschaftskonferenz in Dresden den Druck weiter.13
Mit dem Dresdner Gesetzentwurf wollte die GEW, so der Anspruch, eine Blaupause für die im Bundestag anstehende Gesetzesnovellierung liefern.
Zentraler Ansatz des GEW-Gesetzentwurfs: Wenn wissenschaftliche Qualifizierung stattfindet und Arbeitsverträge aus diesem Grund befristet werden, muss das Gesetz Rahmenbedingungen festlegen, die eine erfolgreiche Qualifizierung ermöglichen. Dazu gehören Vertragslaufzeiten von in der Regel sechs, mindestens aber vier Jahren und das Recht auf Qualifizierung in der Arbeitszeit. Wenn aber keine Qualifizierung möglich ist, handelt es sich um Daueraufgaben, für die Dauerstellen eingerichtet werden müssen.
Der Dresdner Gesetzentwurf sieht weiter entsprechend des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens die wissenschaftliche Qualifizierung mit der Promotion als abgeschlossen an. In der Postdoc-Phase kann daher zwar eine wissenschaftliche oder künstlerische Entwicklung folgen, für die aber entweder eine Dauerstelle oder ein Zeitvertrag mit verbindlicher Entfristungszusage abgeschlossen werden müssten.
5. Warum wären die WissZeitVG-Reformpläne der Ampel eine Verschlimmbesserung?
Es dauerte allerdings bis zum März 2024, ehe die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für die Reform des WissZeitVG vorlegen konnte, der im Oktober 2024 vom Bundestag in erster Lesung beraten wurde.14 Dem voraus gegangen waren ein Jahr zuvor Eckpunkte für eine Reform, die nach 51 Stunden heftigem Shitstorm auf Twitter "zurück in die Montagehalle" beordert wurden, so die damalige und inzwischen im Zusammenhang mit der Fördergeldaffäre im BMBF entlassene Staatssekretärin Sabine Döring.15
Stein des Anstoßes war die in den Eckpunkten vorgesehene Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für promovierte Wissenschaftler*innen von sechs auf drei Jahre, die danach im BMBF-Referentenentwurf vom Juni 2023 und im Regierungsentwurf vom März 2024 auf vier Jahre gesetzt wurde.
Da die Verkürzung der Höchstbefristungsdauer nicht mit verbindlichen Vorgaben für eine Enfristungs- oder Anschlusszusage verknüpft werden, sondern schließlich im Regierungsentwurf erst nach Ablauf der vier Jahre als Option in Aussicht gestellt wird, würde die Umsetzung der Reform nicht etwa die Aussichten auf Dauerstellen verbessern, sondern vor allem den Druck auf die Postdocs erhöhen. "Die Vorschläge lindern allenfalls Symptome des Befristungssystems, versprechen aber keine Heilung", urteilte ein Bündnis aus zehn Beschäftigten- und Studierendenvertretungen, darunter die GEW, in einer gemeinsamen Stellungnahme.16
Immerhin sieht der Regierungsentwurf für Promovierende, wie von der GEW vorgeschlagen, eine konkrete Mindestvertragslaufzeit vor.17 Mit drei Jahren greift diese aber angesichts einer durchschnittlichen Promotionsdauer von 5,7 Jahren zu kurz. Die Vorgabe droht außerdem ins Leere zu laufen, solange als Sachgrund für eine Befristung nicht explizit die Promotion benannt wird. Hochschulen und Forschungseinrichtungen könnten ihre Beschäftigten weiter über Jahre befristet beschäftigen und sie am Ende auf die Straße setzen, ohne dass diese auch nur eine Seite an ihrer Doktorarbeit geschrieben haben. Dem könnte der Gesetzgeber nur mit einer Mindestvertragslaufzeit von in der Regel sechs, mindestens aber vier Jahren und einer präzisen Definition des Qualifizierungsbegriffs einen Riegel vorschieben.
Fortschreibung der Tarifsperre
An der umstrittenen Tarifsperre, die Arbeitgebern und Gewerkschaften untersagt, vom Gesetz abweichende Befristungsregelungen per Tarifvertrag auszuhandeln, hält das BMBF in seinem Gesetzentwurf - von halbherzigen Lockerungen abgesehen - fest. Die Tarifpartner sollen nur zu einzelnen Sachverhalten und teilweise innerhalb festgelegter Bandbreiten vom Gesetz abweichende Regelungen treffen können. So soll beispielsweise die Mindestvertragslaufzeit für Postdocs, für die der Regierungsentwurf als Soll-Bestimmung zwei Jahre vorsieht, auf drei Jahre erhöht oder auf ein Jahr reduziert werden können. Eine Erhöhung auf vier Jahre ist ausgeschlossen. Die Mindestvertragslaufzeit für Promovierende von drei Jahren wird erst gar nicht tarifdispositiv gestellt, ebenso wenig der große Aufreger in der ganzen Debatte: die Höchstbefristungsdauer für Postdocs.
Als halbherzig müssen auch die vorgeschlagenen Änderungen zum Nachteilsausgleich von Wissenschaftler*innen, die Kinder betreuen oder beeinträchtigt sind, bezeichnet werden. Angetreten ist die Ampelkoalition mit dem Versprechen‚ die familien- und behindertenpolitische Komponente für alle verbindlich zu machen. Die Verlängerung befristeter Verträge bei Kinderbetreuung, Behinderung und chronischer Erkrankung auch über die Höchstbefristungsdauer hinaus soll aber, wenn es nach dem Regierungsentwurf geht, wie bisher eine völlig unverbindliche Option bleiben. Ob Wissenschaftler*innen mit Kindern oder Beeinträchtigung einen Nachteilsausgleich für Verzögerungen in der Forschung erhalten, bliebe damit weiter dem willkürlichen Ermessen der Arbeitgeber überlassen.
Grundsätzlich zu begrüßen ist der Versuch einer Gleichstellung von Drittmittelbeschäftigten mit Qualifizierungsbefristung bei dem schon bestehenden Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Elternzeit und Mutterschutz, aber auch Beurlaubungen oder Freistellungen gemäß §2 Absatz 5 WissZeitVG. Kritisch zu beurteilen ist aber der eingeschlagene Weg über einen Vorrang der Qualifizierungsbefristung nach §2 Absatz 1 vor der Drittmittelbefristung nach §2 Absatz 2 WissZeitVG. Diese Option wäre nicht nur nach Ablauf der - verkürzten - Höchstbefristungsdauer schon frühzeitig im Laufe einer Befristungskarriere erschöpft, sie könnte darüber hinaus die 2016 auf Vorschlag der GEW ins Gesetz aufgenommene Verpflichtung zur Orientierung der Befristungsdauer an der Projektlaufzeit unterlaufen.
Fortschritte enthalten die Regelungen für studentische Beschäftigte des BMBF-Gesetzentwurfs. Die vorgesehene Anhebung der Höchstbefristungsdauer von sechs auf acht Jahre würde in vielen Fällen verhindern, dass Studierende ausgerechnet in der Schlussphase des Studiums auf ihren Job an der Hochschule verzichten müssen. Die konzipierte Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr wäre ein erster Schritt gegen extreme Kurzzeitverträge, auch wenn die seit Jahrzehnten klaglos in Berlin praktizierte Regelvertragslaufzeit von zwei Jahren konsequenter wäre.
6. Kann eine WissZeitVG-Reform überhaupt mehr Dauerstellen schaffen?
"Nun werden einige sagen: Na ja, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das schafft ja keine zusätzlichen Stellen. - Ja, das kann es nämlich auch gar nicht," sagte Bundesbildungs- und -forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am 16.10.2024 in der Bundestagsdebatte zur ersten Lesung des Regierungsentwurfs für eine WissZeitVG-Reform.18 Oder Laura Kraft, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), in derselben Debatte: "Ja, es ist mittlerweile eine Binsenweisheit: Das WissZeitVG allein schafft keine Dauerstellen; das ist, glaube ich, auch allen klar."19 Beide Koalitionspolitikerinnen bedienen damit das Narrativ, dass eine WissZeitVG-Reform ja gar keine Dauerstellen schaffen könne. Das Gegenteil ist der Fall. Das nicht reformierte WissZeitVG in der geltenden Fassung stellt den Arbeitgebern eine regelrechte Lizenz zum Befristen aus, die damit Tag für Tag Zeitverträge schaffen, die ohne das WissZeitVG Dauerstellen wären. Eine echte WissZeitVG-Reform würde die Befristungsmöglichkeiten einschränken und zwar keine zusätzlichen Stellen, aber zusätzliche Dauerstellen zu Lasten von Zeitverträgen schaffen.
Gleichwohl ist richtig, dass eine Gesetzesreform dann rund wäre, wenn sie von weiteren politischen Maßnahmen flankiert würde, etwa eine Entfristungsoffensive über ein Bund-Länder-Dauerstellenprogramm, zu dem der Finanzausschuss des Bundestages Ministerin Stark-Watzinger 2023 aufgefordert hatte. Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine WissZeitVG-Reform ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts.
7. Wie geht es weiter nach dem Bruch der Ampelkoalition?
Schon vor dem Bruch der Ampel am 06.11.2024 war absehbar, dass die Koalition keine Kraft mehr haben werde, eine echte Reform des WissZeitVG durchzusetzen. Die FDP und ihre Ministerin waren schlicht nicht erpressbar. Sie wollten die Reform eigentlich nie, mussten stets zum Jagen getragen werden und hätten Drohungen von SPD und Grünen, die Reform platzen zu lassen, wenn sie keinen substanziellen Verbesserungen zustimmten, achselzuckend hingenommen.
Festhalten lässt sich somit einerseits, dass das vor drei Jahren im Koalitionsvertrag verankerte Projekt einer WissZeitVG-Reform wie viele andere Vorhaben gescheitert ist. Auf der anderen Seite bleibt insofern Druck im Kessel, als sich die Politik nicht nach einer halbgaren Reform zurücklehnen und die nächste Evaluation nach der übernächsten Bundestagswahl abwarten kann.
Die nächste Bundestagswahl wird wohl spätestens im März 2025 stattfinden und es ist die Aufgabe von Gewerkschaften, BdWi, Mittelbauinitiativen und Beschäftigtenvertretungen, das Thema Zeitverträge und Karrierewege in der Wissenschaft so virulent zu halten, dass es Einzug in die Wahlprogramme der demokratischen Parteien findet.
Anmerkungen
1) Vgl. insgesamt zum WissZeitVG den GEW-Ratgeber Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft mit vollständigem Gesetzestext: https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/gew-ratgeber-befristete-arbeitsvertraege-in-der-wissenschaft.
2) Zur Geschichte und Vorgeschichte des WissZeitVG: Peter Hauck-Scholz 2024: "Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft", in: Andreas Keller / Yasmin Frommont (Hg.): Perspektiven für Hanna, Dauerstellen für Daueraufgaben in der Wissenschaft, Bielefeld: 230-242.
3) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 94: 268 ff.
4) Georg Jongmanns 2011: Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Gesetzesevaluation im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. HIS-Projektbericht März 2011, Hannover.
5) Freya Gassmann 2020: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, Eine erste Evaluation der Novellierung von 2016, Frankfurt a. M.: 53, https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/kritik-an-wisszeitvg-novelle.
6) Georg Jongmanns 2011 (s. Anm. 4): 73.
7) http://www.templiner-manifest.de; vgl. Klemens Himpele / Alexandra Ortmann / Andreas Keller (Hg.) 2011: Traumjob Wissenschaft? Karrierewege in Hochschule und Forschung, Bielefeld.
8) https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/traumjob-wissenschaft-aktionen-in-den-laendern-gestartet.
9) 7 AZR 573/20, https://www.bundesarbeits gericht.de/entscheidung/7-azr-573-20/.
10) Jörn Sommer u. a. 2022: Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2022/abschlussbericht-evaluation-wisszeitvg.pdf: 15 ff., 43 ff.
11) Freya Gassmann 2020 (s. Anm. 5): 131 ff.
12) Jörn Sommer u. a. 2022: Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, Bericht, Berlin, https://interval-berlin. de/wp-content/uploads/2022/06/abschlu ssbericht-evaluation-wisszeitvg.pdf: 61 ff.
13) Andreas Keller / Yasmin Frommont (Hg.) 2024 (s. Anm. 2): 195 ff.
14) Bundestags-Drucksache 20/11559, https://dserver.bundestag.de/btd/20/115/2011 559.pdf.
15) https://x.com/sabinedoering/status/1637 506765108523008.
17) Vgl. die Stellungnahme der GEW zum Regierungsentwurf: https://www.gew.de/file admin/media/sonstige_downloads/hv/Service/Presse/2024/GEW-Stellunnahme-WissZeitVG-Regierungsentwurf-2024-10. pdf.
18) Deutscher Bundestag: Stenografische Berichte, 20. Wahlperiode: 25173C, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20193.pdf# P.25173.
19) Ebd.: 25177B.
Dr. Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).