Bitterer Beigeschmack

Koloniale Spuren im globalen Ernährungsregime

Der Handel mit Weizen, Reis und Gewürzen ist so alt wie die Migrationsgeschichte der Menschen. Doch erst seit dem frühen Kolonialismus wurden die körperzehrende Plantagenwirtschaft und der transkontinentale Handel mit Nahrung strategisch zum Zwecke der Machtsicherung eingesetzt. Der Kolonialismus hat das globale Ernährungssystem in seiner jetzigen Form stark geprägt.

Hier in Niumi hat er begonnen, der Export von Arbeitskraft, Salz und Palmöl. Der kleine Küstenort im westafrikanischen Gambia liegt an der Mündung des gleichnamigen Flusses, nicht weit von James Island, wo der Handel mit versklavten Menschen in den Black Atlantik im 16. Jahrhundert einen seiner Anfänge nahm und Tauschgeschäfte mit Gold, Salz, Arbeitskraft und Waffen die Globalisierung einleiteten. Salz galt als lebenswichtiges Gut für die Versorgung der Sklav*innen, die in der Karibik und in spanischen Kolonien auf Plantagen Zuckerrohr schnitten. Als die ersten portugiesischen Sklavenschiffe Afrikaner*innen in die Karibik verschleppten, diente Palmöl als Reiseproviant. Gewonnen wurde es aus der in Westafrika heimischen Ölpalme. Damit begann die globale Reise einer Pflanze, deren kulturgeschichtliche Verbreitung und heutiger agroindustrieller Anbau eng mit der frühen Phase des Kolonialismus verwoben ist.

Auch das Zuckerrohr steht für koloniale (Land-)Wirtschaft: Die Plantagenpflanze, die von versklavten Afrikaner*innen in der Karibik und in Venezuela angebaut wurde, hatte zu dieser Zeit schon eine weite Reise hinter sich: Zuckerrohr stammt aus Neu-Guinea und war bereits vor 8.000 Jahren über den asiatischen Kontinent und die arabische Einflussnahme sowie die Kreuzzüge in den Mittelmeerraum gelangt. Christoph Kolumbus nahm auf seine zweite Reise in die Karibik Stecklinge mit nach Hispaniola, das heutige Haiti. Die dort lebenden Taínos sollten, so der Auftrag der spanischen Krone, über ein Tributsystem dazu gebracht werden, Rohzucker, aber auch Zitrusfrüchte und Gewürze für die spanischen Siedlungen zu produzieren.

In dieser historischen Phase kamen dank des sogenannten Kolumbianischen Austauschs auch Nahrungsprodukte wie Kartoffeln, Tomaten, Kakao und Kürbisse aus der Neuen Welt nach Europa. Da Zucker, damals ein Luxus, in Europa begehrt war, waren alle europäischen Kolonialmächte an den Westindischen Inseln interessiert. Bald schon entwickelte sich die Karibik zum Hauptanbaugebiet für Zuckerrohr. Als die Taínos-Bevölkerung in Haiti wegen des spanischen Tributsystems dezimiert wurde, importierten die europäischen Mächte versklavte Afrikaner*innen, um die Plantagenwirtschaft auszubauen. Europäische Sklavenhändler tauschten an der westafrikanischen Küste Waren wie Gewehre, Alkohol und Stoff gegen die versklavten Menschen und »verkauften« deren Arbeitskraft in die Karibik. Vom Erlös erwarben die Sklavenhändler im atlantischen Dreieckshandel landwirtschaftliche Produkte wie Rohrzucker, Rum, Melasse und Baumwolle.

Indian Corn und syrische Hirse                 

Eine der heute dominanten Weltwirtschaftspflanzen, die Kolumbus von seiner Reise mit nach Spanien brachte, ist der Mais. Schnell erkannten die Spanier*innen den Wert der anpassungsfähigen, schnell wachsenden und früh reifenden Getreidepflanze. Sie versorgte gerade die arme Bevölkerung mit Kohlenhydraten, viele Wochen, bevor Hirse und Weizen geerntet werden konnten. Die Eroberung von Mexiko (Herkunft des Kakao) und Peru (Herkunft der Kartoffel und der Tomate) war noch in vollem Gange, als in Andalusien der Mais bereits in den Hausgärten der Landbevölkerung wuchs. In Norditalien wurde die aus Maisgries gekochte Polenta zur Hauptspeise armer Bauernfamilien.

Auch auf dem afrikanischen Kontinent gedieh der Maisanbau. Die Portugiesen brachten die Körnerpflanze über die Insel Sao Tomé an die Goldküste, von dort aus fand sie Eingang in traditionelle Landbausysteme. In Niumi im heutigen Gambia ist Mais inzwischen eine wichtige Nahrungspflanze, deren Verbreitung über den afrikanischen Kontinent mit dem Sklav*innenhandel und der kolonialen Plantagenwirtschaft in Südamerika einherging. Die Weltreise des Mais, die mit der Hochkultur der Maya begann, lässt sich an seinen Namen ablesen: Europäische Asienreisende bezeichneten den Mais im 17. Jahrhundert als »türkischen Weizen«, in der Türkei hieß er »ägyptisches Korn« und in Ägypten »syrische Hirse«. Inzwischen stellt Mais für die Ernährung von über 900 Millionen Menschen in Afrika und Lateinamerika das wichtigste Grundnahrungsmittel dar. Die weltweite Maisernte liegt vor Reis und Weizen auf Platz eins der Weltgetreidesorten.

Die Kosten der süßen Ware

In Europa erfreuten sich Kolonialwarenläden mit überseeischen Genussmitteln wie Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewürzen und Tee großer Beliebtheit. Noch heute erinnert die Einzelhandelskette Edeka namentlich an ihre kolonialen Ursprünge: an die »Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin« (kurz E. d. K.). Die Speisen der Wohlhabenden wurden durch den Kolonialismus bereichert, während die Mahlzeiten derjenigen, die in ausbeuterischer Landarbeit für die Verfügbarkeit global gehandelter Nahrungsmittel sorgten, an Nährstoffen verarmten. In Italien, aber auch unter den nach Brasilien verschifften Sklav*innen, die Mais als nahezu einzige Hauptnahrungspflanze anbauten, breitete sich die Mangelkrankheit Pellagra aus. Diese ernährungsbedingte Störung wird durch Mangel an Niacin (Vitamin B3) verursacht, etwa wenn die Ernährung nahezu ausschließlich auf Mais basiert und dieser nicht, wie traditionell in Mexiko, alkalisch zubereitet wird.

Der atlantische Dreieckshandel wäre ohne Rohrzucker kaum denkbar gewesen. Die einstige Luxusware Zucker hat aber zudem auch die Ernährungsgewohnheiten der Menschen weltweit stark negativ beeinflusst. Zucker ist heute global verfügbar, 74 Prozent des Zuckers weltweit wird aus Zuckerrohr gewonnen. Rund Dreiviertel davon werden in der Getränke-, Süßwaren- und Backindustrie verarbeitet – für billige, ernährungsphysiologisch minderwertige Lebensmittel, deren Konsum für den Anstieg von Diabetes mitverantwortlich ist. Das Land mit der größten Anbaufläche ist Brasilien mit rund zehn Millionen Hektar, gefolgt von Indien mit rund 4,5 Millionen Hektar. Über die bis heute teils sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen der Zuckerrohrschneider*innen in diesen Ländern wurde vielfach berichtet.

Ähnlich harte, teils sklavenähnliche Arbeitsbedingungen sind heute auch aus dem Anbauwesen weiterer Genussmittel bekannt, die im Zuge kolonialer Landwirtschaft aufgebaut wurden: etwa von Kakao, Palmöl oder Tee. Laut der entwicklungspolitischen NGO INKOTA arbeiten 2020 noch immer rund zwei Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf Kakaoplantagen in Westafrika. Für die Diskriminierung von Frauen in diesem Sektor, die als Kakaopflückerinnen oft nur die Hälfte des für Männer üblichen Lohns verdienen, interessieren sich laut Oxfam die drei weltweit größten Kakao-Verarbeiter Mondelez, Mars and Nestlé nicht.

Doch nicht nur die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen sind mit dieser kolonialen Vergangenheit behaftet. Nahezu das gesamte globale Ernährungssystem und der Anbau von Nahrungspflanzen sowie die politischen Konzepte zur Ernährungssicherung enthalten koloniale Spuren. Sie schlagen sich in multinationalen Agrarhandelspraktiken und internationalen Handelsabkommen nieder. Sie schaffen Ungleichheit, verwehren landlosen Landarbeiter*innen den Zugang zu angemessener Ernährung und produzieren zugleich Berge von »Lebensmittelabfällen«. Laut Welthungerhilfe landen jährlich 1,3 Milliarden Tonnen und damit ein Drittel aller produzierten Lebensmittel auf Abfallbergen.

Ein Beispiel für den Konkurrenzkampf um Vermarktungsmonopole der kolonialen Luxusgüter ist die Muskatnuss. Das Ringen um den Handel mit diesem Gewürz, das primär auf den Banda-Inseln angebaut wurde, trug die niederländischen Vereenigde Oostindische Compagnie erst mit den Portugiesen und später den Briten aus. Es gipfelte in der Verwüstung einer ganzen Inselgruppe und der Dezimierung ihrer Bevölkerung. Der Streit über den Aufkauf der Muskaternte verwandelte die zum Molukken-Archipel gehörenden Banda-Inseln in einen Kriegsschauplatz. Die niederländischen Kolonialherren massakrierten die Banda, die sich ihrerseits von den Briten Schutz erhofft hatten – ein Massaker zur Sicherung des niederländischen Monopols beim Muskathandel.

Corned Beef für die Metropole

Mit dem Kolonialismus ging immer ein Wandel in der Ernährung einher, der Kolonisierenden ebenso wie der Kolonisierten. So verschärfte das britisch-imperiale Nahrungsregime den diskriminierenden Zugang zu Nahrung entlang von Klassen- und Geschlechterzugehörigkeit und nach ethnischen Kategorien. In Kenia (British East Africa) zum Beispiel wurden vor allem junge Männer auf die Siedlerfarmen in die fruchtbaren White Highlands gezwungen. Zuvor hatte sich die britische Kolonialverwaltung das Hochland angeeignet und an Siedler*innen aus ganz Europa verkauft. Die lokale Bevölkerung wurde so ihrer fruchtbarsten Gebiete enteignet und in Native Reserves zusammengepfercht. Zeitgleich mechanisierte die britische Kolonialverwaltung die lokalen Anbausysteme (zunächst mit Pflug und Ochsen) und propagierte den Anbau von Mais in Monokulturen statt Sorghum im Mix mit vielfältigen proteinhaltigen Nahrungspflanzen.

Zweifelsohne waren die traditionellen Agroforstsysteme mit harter Feldarbeit verbunden. Das Leben in Kenia war – insbesondere nach der Heuschreckenplage und der verheerenden Hungersnot 1899 – alles andere als eines im Schlaraffenland. Zudem litten die Menschen an massiven Viehverlusten infolge der von italienischen Truppen eingeschleppten indischen Rinderseuche, an der neun von zehn Rinder gestorben waren. Doch die Entscheidungshoheit über das, was produziert, gegessen und gehandelt wurde, hatten die afrikanischen Bauern und Bäuerinnen in der Zeit vor der Siedlerepoche noch selbst inne.

Mit der kolonialen Land- und Viehwirtschaft wurde die lokale Produktion dann komplett auf den Kopf gestellt: Wer Ernten einfahren und verkaufen wollte, musste Landbesitztitel vorweisen und brauchte Geld für Pflug, Ochsen und externe Betriebsmittel wie Saatgut und Dünger. Die Arbeitslast stieg: Die Männer rodeten große Flächen mit dem Pflug und verdingten sich dann als Wanderarbeiter in den White Highlands oder beim Eisenbahnbau, während die händisch zu bewältigende Aussaat, das dreimalige Jäten und die Ernte in Frauenhände fiel.

Während die Nahrungsvielfalt der kolonisierten Landbevölkerung zurückging und Eiweiß und Gemüse knapper wurden, konnten die Briten ihre Importe an Weizen und Rindfleisch aus Übersee erhöhen. Die Brotpreise in London sanken. Die billigen Grundnahrungsmittel für die wachsende Industriearbeiterschaft Londons vermochten deren Protestpotenzial einzudämmen und Lohnkosten gering zu halten. Zugleich entzogen britischer Siedler*innen der lokalen Bevölkerung die Lebensgrundlage, während Kolonialsoldaten und Siedler*innen im Empire mit Corned-Beef-Konserven versorgt wurden.

Der transkontinentale Verkehr mit Grundnahrungsmitteln floss in der Hochphase der Siedlerkolonialzeit von der Peripherie in die europäischen Zentren. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem Zweiten Weltkrieg kehrte sich diese Richtung teilweise stark um. Zahlreiche Kolonialplantagen und die großen Farmen in den USA klagten ab 1929 über enorme Absatzschwierigkeiten. Um die Einkommen der Farmer in den USA zu stabilisieren, wurden Subventionen in die US-amerikanische Landwirtschaft gepumpt – und so die Erträge enorm gesteigert.

Das Kriegsende leitete eine Kaskade an Umbrüchen in der Landwirtschaft und damit im globalen Ernährungsregime ein. Enorme Mengen an Chilesalpeter, die für die Sprengstoffproduktion reserviert worden waren, flossen nun in die Mineraldüngerindustrie. Das Agrarsystem hungerte fortan nach fossiler Energie und Maschinen, um die Erträge zu steigern.

Almosen und Gnadenbrot

Zu Ende des Zweiten Weltkrieges erklärten die ersten Kolonien ihre Unabhängigkeit, weitere folgten bald. Als aufstrebende Kolonisatoren, die nach Land und Absatzmärkten hungerten, um Gewinne zu erwirtschaften, konstituierten sich nun Kunstdüngerproduzenten, Saatgutfirmen, Pestizidhersteller und der Landmaschinenbau. 1945 begann Monsanto, Agrarprodukte zu vermarkten. Die BASF fuhr die Düngemittelproduktion hoch. Die Firma Hi-Bred Corn Company (später Pioneer Hi-Bred) propagierte den Einsatz von Hybridmais in der ganzen Welt. Sein Anbau ging mit steigendem Verbrauch an Kunstdüngern, Pflanzenschutzmitteln und mit dem Einsatz von Maschinen einher. Firmengründer Henry Wallace wurde später erst US-Landwirtschafts-, dann US-Handelsminister und schließlich Vizepräsident, womit sein Einfluss auf die Exportstrategie amerikanischer Agrarprodukte wuchs. Das Rockefeller-Programm zugunsten von Weizenanbau in Mexiko und die Ford Foundation hatten mit der Züchtung von Hochertragssorten die Zukunft der Landwirtschaft vorgegeben: finanzintensive Monokulturen auf Basis käuflichen Saatguts statt agrobiologischer Vielfalt in Mischkultur und Bauernhand.

Die ebenfalls 1945 gegründete Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) propagierte die entsprechenden Entwicklungsmodelle für die Welternährung. Der damals hungernde Subkontinent Indien/Bengalen war der erste, der das neue Hybridmais-Rezept verabreicht bekam. Im Zuge der Grünen Revolution wurde das auf fossiler Energie basierende Agrarmodell – immer flankiert von der Rede vom Kampf gegen den Hunger – in die Welt und in die zuvor kolonisierten und heruntergewirtschafteten Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas exportiert. Die Agrarbranche wuchs gemeinsam mit dem Hunger. Politisch lautete die Argumentation in etwa so: Nahrung dient angesichts der Befreiungsbewegungen und der Stellvertreterkämpfe im Kalten Krieg als ökonomische und politische Waffe zur Eindämmung von Welthunger und »Weltkommunismus«.

In den Blechschüsseln der Armen

Bis heute hat die koloniale Geschichte des Nahrungsanbaus konkreten Einfluss auf agrarpolitische Abkommen und damit auf die Nahrungsmittelproduktion. Die Entscheidungen darüber, welche Rezepte gegen den Hunger als wirksam erachtet werden, die Definitionen, was eine angemessene Ernährung ausmacht und die Strategien, wie Ernährungssicherheit zu realisieren ist, basieren historisch auf einer Wissensproduktion, die von kolonialrassistischem Gedankengut mitgeprägt wurde. Lokale Nahrungssysteme wurden darin als »archaisch und unterentwickelt« abgewertet. So wurde neben dem Schwund an biologischer Vielfalt durch die Ausdehnung von Monokulturen, giftigen Pflanzenschutzmitteln und die Dominanz weniger Nahrungspflanzen auch der Reichtum der Wissenssysteme dezimiert.

Hinter dieser zerstörerischen Dynamik stehen die treibenden Kräfte der kapitalistischen Verwertungslogik. Womit der zweite wirkmächtige Mechanismus angesprochen ist, der im kolonialen Konkurrenzkampf unter den Großmächten zur Prägung des heute dominanten Ernährungssystems beigetragen hat: der Kampf um Absatzmärkte. Er brachte den Protektionismus ebenso hervor wie den Freihandel hin zu seinen jetzigen Formen. In der jüngeren Vergangenheit hat dieser Konkurrenzkampf die Enteignung von lokalen Nahrungsproduzent*innen nochmals auf ganzer Linie verstärkt, sei es bei Landnahme, Saatgut, Wissen oder Verarbeitung. Die transnationalen Konzerne auf dem Agrarmarkt sowie die von ihnen finanzierten Agrarforschungsinstitute bestimmen weithin, welche Speisen auf den Lifestyle-Gedecken der Reichen landen – und welche in den Blechschüsseln der Armen.

 

Martina Backes ist Biologin und Mitarbeiterin des iz3w. Eine erheblich längere Fassung dieses Beitrags samt Anmerkungen steht auf www.iz3w.org.