Wahlen über Discord

Dossiereditorial iz3w 411 (November/Dezember 2025)

»Nepals Parlament ist gerade auf Discord«, schrieb eine Userin laut New York Times Anfang September auf eben jener Online-Plattform. So wurde die Gaming-Chat-App Discord kurzerhand zur zentralen Diskussions- und Organisierungsplattform einer jungen Protestbewegung, nachdem die nepalesische Regierung innerhalb weniger Tage im Angesicht von Massenprotesten fiel.

Entzündet hatten sich die Proteste an einem Verbot von 26 Social-Media-Plattformen. Zuvor waren kritische Stimmen gegen die Korruption der politischen Elite – insbesondere deren protzende Kinder – online laut geworden. #nepokids wurde nach der Blockade schnell zu einem der zentralen Hashtags auf TikTok, einer Video-Plattform, die nicht vom Bann betroffen war. Schon bald richtete sich der Protest nicht mehr nur gegen die Zensur, die bald aufgehoben wurde, sondern gegen die ausufernde Bereicherung der Eliten. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit ist in Nepal mit rund 20 Prozent sehr hoch. Die Wut entlud sich vor allem in der Hauptstadt Kathmandu und später in den Straßen von immer mehr Städten.

                Am 9. September, eine Woche nach Beginn der Proteste, war Ministerpräsident K. P. Sharma Oli zurückgetreten und das Parlament aufgelöst. Am 12. September stand bereits eine neue Interimspräsidentin fest: Die 73-jährige ehemalige Oberste Richterin Sushila Karki, die sich einen Ruf als Anti-Korruptionskämpferin gemacht hatte. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Tatsächlich hatten zuvor hunderttausende User*innen auf dem Discord-Server »Youth against Corruption« der NGO Hami Nepal (Wir sind Nepal) eine Wahl simuliert. Danach trafen sich die Organisator*innen des Servers mit dem Armeechef, um die mit 69 Prozent der Stimmen gewählte Sushila Karki als Interimspräsidentin vorzuschlagen. Diese Wahl war angesichts 31,1 Millionen Nepales*innen nicht repräsentativ – vielmehr trägt sie die Handschrift der protesttragenden Gen Z. Innerhalb kürzester Zeit stand auch schon ein Termin für die Präsidentschaftswahl im März 2026 fest – und es wurde eine Untersuchungskommission eingerichtet. Bei den Protesten kamen über 70 Menschen durch staatliche Gewalt ums Leben und über 1.300 Personen wurden verletzt. Das ist die Kehrseite der Medaille.

Innerhalb weniger Jahre ist Nepal das dritte Land in Südasien, in dem durch Massenproteste, angeführt durch die Generation Z, die Regierung zu Fall gebracht wurde. Überall zahlten insbesondere junge Menschen einen hohen Preis: In Bangladesch starben über 300 Personen, in Sri Lanka gab es bei den Massenprotesten 2022 mindestens neun Tote und über 250 Verletzte. Auch andernorts sind es zum Großteil junge Menschen, die bei Protesten ihr Leben lassen: In Kenia etwa waren es seit 2024 mindestens 110 Menschen. In der Türkei, Serbien, Indonesien und zuletzt in Marokko und Madagaskar sind es ebenfalls Menschen der Generation Z, die den Kopf hinhalten.

                Was sagt das über die Verhältnisse aus, wenn so viele junge Menschen ihr Leben riskieren? Die Gen Z ist eine krisengebeutelte Generation: Aufgewachsen mit den negativen Konsequenzen neoliberaler Kahlschlagpolitik, Lockdowns und der Klimakrise. Die globale Vernetzung über Social Media zeigt zudem, dass das eigene Leid keine Zwangsläufigkeit ist – und man sich darüber austauschen und den Widerstand andernorts zum Vorbild nehmen kann.

Ist die Gen Z also die neue progressive Protestgeneration? Schließlich ist auch die Neue Rechte bei jungen Menschen stark vertreten. Haben wir es bei den Protestbewegungen überhaupt mit einem zusammenhängenden Phänomen zu tun, das transnational verbindet? Im Editorial der iz3w 405 schreiben wir zum Generationen-Konzept: »Was soll das sein, jung? Junge Menschen sind arm und reich, haben unterschiedliche Geschlechter, gehören verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen an, wählen verschiedene Parteien und so weiter.« Wird die Rolle der Gen Z im vorliegenden Heft und in der medialen Debatte also überbetont? Schließlich bauen die jungen Bewegungen auf Erfahrungen und Strukturen älterer Generationen auf, wie es sich in Kenia zeigt. Ganz einig werden wir uns im iz3w über diese Fragen nicht, denn wie das Beispiel Nepal zeigt, befinden wir uns mittendrin in diesem Phänomen. Kaum jemand hat sich Ende August erträumt, was wenige Tage später in Nepal geschah – wie radikal der Umbruch wirklich ist, wird sich zeigen.

Fest steht, dass die Protestbewegungen, die sich gegen korrupte politische Systeme, gegen soziale Ungleichheit und staatliche Gewalt in Kenia, Serbien, Togo, Bangladesch, Iran, Indonesien, Nepal & Co. wehren, jung sind und unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdienen. Und, dass wir von ihnen lernen können. Oft verbindet sich die Gen Z, nach ihrem Auftakt mit mutigen Protesten, mit ihren Vorgängergenerationen. In Zeiten des aufsteigenden Faschismus sind solche unbeugsamen Proteste ein Hoffnungsschimmer. Sie zeigen, dass auch langjährige autoritäre Systeme die Menschen nicht dauerhaft stillstellen. Wie der 25-jährige nepalesische Aktivist Sangin Khadka gegenüber CBC sagte: »Das ist die Nachricht, die wir in die Welt senden können – nichts ist unmöglich.«