Spandau spielte in der Geschichte schon immer eine Sonderrolle. Das hat mit seiner Lage am Wasser zu tun. Die brachte eine Festung mit sich. Die ist hübsch anzusehen, war in der Historie militärisch ziemlich nutzlos, taugte aber trefflich zum Wegschließen unerwünschter Personen. „Ab nach Spandow zur Besserung“, ordnete König Friedrich gerne an. Heute dient sie eher als Unterschlupf verschiedener Fledermausarten. Und sie ist ein treffliches Symbol für die politische Wehrhaftigkeit Spandaus, das sich von Berliner Parteizentralen (Berlin!) nichts, aber auch gar nichts vorschreiben lässt.
Das jüngste Beispiel geschah in der vergangenen Woche. Anstatt sich mit der naheliegenden Frage zu befassen, inwieweit sich die geräumige Festung – sie ist praktischerweise komplett von der Havel umgeben – als zentrale Isolierstation für Spahnsche Hysterieopfer herrichten ließe, beschäftigte sich das dortige Kommunalparlament mit einem Antrag der LINKEN, geboren in wahrhaft spartakistischem Geiste. Die LINKE beantragte nämlich die Erstellung eines Spandauer Reichtumsberichtes – ja, auch wir wollen endlich wissen, wo in Spandau die Knete liegt und die Milliardäre wohnen! –, der es aber nicht bei der Analyse belassen, sondern „… problemlösungsorientiert sollen bezirkliche Maßnahmen für eine sozial gerechtere Verteilung von Reichtum und gesellschaftlichen Wohlstand aufgeführt werden“.
Endlich! Wo liegen die Waffen? Das ist die Revolution! Wenigstens in Spandau bei Berlin. Da möge keiner spotten. Es ist zwar die falsche Jahreszeit, aber auch die Große Sozialistische Oktoberevolution in Russland begann am Wasser, und ein Schiff spielte auch eine Rolle. Schiffe gibt es in Spandau, nur keine richtig großen. Leider sind die Spandauer Brücken nicht hochklappbar. Aber statt eines Panzerkreuzers kann man ja eine Kanone aus dem Depot der Festung auf die Bastion „Königin“ rollen. Die droht Richtung Berlin. Sofort die Gefahr erkannt hatte Thorsten Schatz, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der dortigen CDU: „Die Linke will ein anderes Gesellschaftssystem. ‚Reichtum‘ soll im Bezirk erfasst und umverteilt werden. Das wird die CDU-Fraktion in der BVV Spandau nicht mitmachen!“ Der Mann heißt wirklich Schatz, er ist die „Wacht an der Havel“ sozusagen. Leider verkündete Schatz sein Donnerwort auf Trumpsche Weise über Twitter. Spandau liegt irgendwo zwischen Potsdam und Falkensee. Kann sein, dass da ein Funkloch ist. Jedenfalls war die Wirkung begrenzt.
Sein Fraktionsvorsitzender fand den Vorstoß der Linken nämlich „interessant“, und man brachte eine Änderung ein. Das war nötig wegen der von den Bundes-CDU-Granden verkündeten „Brandmauer nach links und rechts“. Jetzt hieß es, man solle doch der Bezirksverordnetenversammlung den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vorstellen. Möglicherweise fänden sich in dem Anregungen für bezirkliches Handeln. Das könnte ja die „sozial gerechtere Verteilung von Reichtum sein“, schlussfolgerte für sich offenbar die Linksfraktion. Außerdem wäre es doof, den eigenen Antrag abzulehnen, auch wenn mit Ausnahme der Überschrift und der Benennung der einreichenden Fraktion kaum noch etwas davon übrig ist.
Also stimmten nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegel Linke, CDU, FDP und Grüne für den umgemodelten Linken-Antrag. Eine bemerkenswerte Koalition, die sich noch nicht einmal Mike Mohring traute zusammenzurühren. Zum Entsetzen der SPD, deren Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus von Berlin, Raed Saleh, zugleich Kreisvorsitzender in Spandau ist. Salehs politische Verortung ist nur schwer ausmachbar. So richtig zum linken Flügel seiner Partei gehört er nicht, auch wenn er ab und zu dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller das Leben zur Hölle macht. So richtig zu den SPD-Rechten gehört er aber auch nicht. Seitdem er kürzlich einen bundesweit als Satire-Geheimtipp geltenden Auftritt beim rbb-Komödianten Kurt Krömer hatte ist klar, dass Raed Saleh sein eigener Flügel ist. Aber immerhin zeigt er gegen Rechts klare Kante: „Die linke Mitte steht felsenfest gegen die Hetzer und Heuchler von Rechtsaußen.“
Aber jetzt galt es erst einmal, den bolschewistisch-christdemokratischen Angriff auf die Sparkassenkonten der Spandauer Omas und die Villen am Havel-Ufer abzuwehren. Das ging nur, wenn die SPD gemeinsam mit der AfD abstimmte. Was sie dann auch machte. Mit 23:26 ging das Volksfront-Projekt erst einmal baden. Baden ging auch Salehs klare Kante. Sein Felsen war wohl doch nicht so fest. Doch halt, der Tagesspiegel zitiert den lokalen SPD-Fraktionsvorsitzenden mit den unnachahmlichen Worten „Wir stimmen nur für uns ab.“ So ähnlich hatte das kürzlich aus Erfurt auch geklungen. War das Mohring oder Kemmerich? Egal. Die Frage ist, was wird nun mit Raed Saleh? Der sollte eigentlich mit der SPD-Rechten Franziska Giffey das neue Landesspitzenduo der Partei bilden, deren Umfragewerte nach wie vor grottig sind. „Wir müssen darüber nachdenken, eine Alternative zu finden“, meint Lars Rauchfuß. Der ist Kreisvorsitzender in Tempelhof-Schöneberg, der Stammburg Michael Müllers. Saleh hatte 2014 versucht, Müller aus dem Rennen zu kicken, und Müller ist parteiintern wegen seines extrem guten Gedächtnisses gefürchtet … Man wird sehen.
Die Errichtung der Räterepublik Spandau allerdings ist für eine gewisse Zeit erst einmal abgeblasen. Es waren wieder einmal die Ebertisten von der SPD, die das vermasselten. Aber noch ist die Hoffnung nicht gestorben. Vielleicht geht die Neue Berliner Revolutionäre Initiative (NBRI) von Charlottenburg-Wilmersdorf aus? „Ja wir Wilmersdorfer Witwen / verteidigen Berlin“ schmetterten die schon 1986 im Erfolgsmusical „Linie 1“ des GRIPS-Theaters. In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es immerhin seit Dezember 2018 einen bezirklichen Reichtumsbericht. Beantragt hatte den 2017 – nein, nicht die CDU – DIE LINKE! Deren sozialpolitische Sprecherin Frederike-Sophie Gronde-Brunner hatte dazu in der Berliner Woche (Ausgabe Charlottenburg-Wilmersdorf) erklärt: „Wir erwarten, dass der Bezirk nun Schritte einleitet, um der wachsenden Armut im Bezirk entgegenzuwirken.“ Das war im Februar 2019. Wir warten einfach mal weiter. Revolution muss geduldig sein. Irgendwann wird der Bezirk schon was einleiten. Egal was, wenn es nur Schritte sind. „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ …“
Die Hoffnung stirbt zuletzt.