Kinder an die Macht, ein Lehrstück über Klimaschutz und Sparen

 

Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werdet Ihr merken,
dass man Geld nicht essen kann.

Dem Motto – ob nun Weissagung der Cree oder gut getexteter Wahlspruch der US-amerikanischen und westdeutschen Umweltbewegung – ist wieder einige Aktualität zugewachsen …
Zu den bekanntesten Liedern von Herbert Grönemeyer gehört der Song „Kinder an die Macht“. Offenbar sind sie dabei, sich ein Quäntchen derselben zu nehmen – auf dem Wege eines allfreitäglichen Protests für mehr Umweltschutz und qualifiziertere Maßnahmen gegen den Klimawandel. Die Kids meinen also, auf diesem Felde werde von der Regierung zu wenig getan. Ist diese Annahme angesichts vielfältiger Bemühungen nicht ungerecht? Nein, in schöner Regelmäßigkeit verfehlt die Bundesregierung ihre selbst gesteckten Klimaziele. Leidtragende werden diese und die nächsten Generationen sein.
„Generationen“ – war da nicht was? Ja richtig; es ist noch nicht lange her, da triefte es vor Pathos in Regierung und Bundestag. Da wurde die „Gerechtigkeit zwischen den Generationen“ beschworen, vor allem, wenn es um die Staatsfinanzen ging. Der Verzicht auf neue Schulden, verkündete etwa die Kanzlerin in der Haushaltsdebatte 2015, sei „der beste Beitrag zur Generationengerechtigkeit, den wir für die Jungen, die Kinder und Enkel leisten können“. Ein Haushalt „ohne neue Schulden“ signalisiere, dass „wir keine Politik zulasten jüngerer Generationen betreiben“, assistierte beflissen auch Thomas Oppermann, damals SPD-Fraktionschef. Viele Medien tuteten damals in das gleiche Horn: Es sei ruchlos, unseren Nachfahren staatliche Schuldenberge zu hinterlassen, weil die heutigen Regierungen nicht Maß hielten und auf Pump wirtschafteten. Bekanntlich wurde gespart, „bis es quietscht“; was es dann ja auch tat. Bei den Adressaten dieser Politik – also den „Nachfahren“ – traf diese Sparpolitik auf keinerlei Resonanz. Ist ja auch vielleicht wirklich kein sexy Thema; jedenfalls sind keinerlei öffentliche Äußerungen von Kindern bekannt, die sich für oder gegen die Sparpolitik geäußert hätten. Ahnten sie intuitiv, dass sie die Suppe werden auslöffeln müssen? Wahrscheinlich nicht, aber heute ist es evident: Die Kinder bezahlen jetzt schon teuer für den Sparwahn: Durchgängig schnelles Internet, genug Lehrer, moderne Schulen – alles Fehlanzeige.
Kinder ließen sich also nicht fürs Sparen begeistern, jedoch für Umwelt- und Klimaschutz sehr wohl! So setzen sich unter dem Motto #FridaysForFuture nicht nur hierzulande tausende Kinder und Jugendliche bekanntlich seit Wochen für den Klimaschutz ein. Zugegeben – wenn das Sparthema, wie gesagt, nicht sexy war und ist, so ist Schulschwänzen für ein ernsthaftes Anliegen, zumal wenn das Ganze, über Facebook und Twitter gesteuert, auch noch gewissen flashmob-touch hat, allemal „in“ (genug der Anglizismen); ist also höchst jugendgemäß.
Das Vorbild ist die 16 Jahre alte Schwedin Greta Thunberg, die seit Monaten jeden Freitag in Stockholm der Schule fern bleibt, um für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren: „Skolstrejk för Klimatet“. Dieses pausbäckige Mädchen, am Asperg-Syndrom leidend, was ihre Kritiker benennen, sagte in Davos auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum Folgendes: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es.“ Auch dafür wurde sie weltweit gefeiert und – verteufelt, massiv kritisiert und beleidigt; ein höchst interessanter Punkt! Denn wer – zumindest hierzulande – profiliert sich auf ihre Kosten? So der neue CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak: Weil Thunberg die Kohlepolitik der Bundesregierung kritisierte, schrieb er ihr: „Oh, man… kein Wort von Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit. Nur pure Ideologie – Arme Greta!“ Klimawandel „pure Ideologie“? Bemerkenswert, so hebt man bei jungen Wählern Bekanntheit und Unpopularität gleichermaßen. Auch Henryk M. Broder lässt immer gern etwas Licht von hellen Gestirnen auf sich fallen. Erst positioniert er sich gründlich in der Sache: „Ich glaube nicht einmal daran, dass es einen Klimawandel gibt, weil es noch keinen Tag in der Geschichte gegeben hat, an dem sich das Klima nicht gewandelt hätte. Klimawandel ist so neu wie die ewige Abfolge von Winter, Frühjahr, Sommer und Herbst. Neu ist nur, dass das Klima zum Fetisch der Aufgeklärten geworden ist, die weder an Jesus noch an Moses oder Mohammed glauben. Dazu hat bereits der britische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton, der Erfinder von Pater Brown, das Richtige gesagt: ,Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sie glauben allen möglichen Unsinn´.“ Um dann fortzufahren: „Der weltweite Hype um eine 16-jährige Schwedin, die sich für eine Wiedergängerin von Jeanne d’Arc hält, hat das in diesen Tagen wieder bewiesen. […] Ich bin für eine Verschärfung des Tatbestands ,Kindesmissbrauch‘, um auch solche Fälle verfolgen zu können wie den der bereits erwähnten Greta aus Schweden, die von den Klimarettern zur Ikone ihrer Bewegung erkoren wurde.“ Ob für Broder (72) schon Altersmilde in Ansatz gebracht werden sollte? Sanfter im Ausdruck, in der Sache jedoch gleichermaßen bösartig gibt sich der Spiegel-Feuilletonist: „Auch Kinderschauspieler können nicht mehr regelmäßig die Schule besuchen, ließe sich einwenden – andererseits steht da wenigstens eine Karriere in Aussicht. Was ist die Karriere eines Klimaschutzkindes? Später Werbung für Fjällräven? Wenn ich Gretas Vater wäre, würde ich noch mal darüber nachdenken, ob ich meine Tochter nicht dazu anhalten sollte, die Schule zu beenden. Die Leute, die sie heute als Klimaheldin auf die Titelseiten heben, himmeln morgen einen anderen Star an. So ist das leider mit dem Medienhype: Man kann sich auf ihn nicht verlassen“. Ein Trost, als Spiegel-Kolumnist ist man sicher davor, weltweit „gehypt“ zu werden.
Mich irritieren an obigen Ausflüssen zwei Dinge: die ex- oder implizite Leugnung des Klimawandels und das Miesmachen kindlichen respektive jugendlichen politischen Engagements. Ohne hier eine Debatte zur Stichhaltigkeit, zum Für und Wider von Klimaschutzpolitik führen zu wollen, zur anthropologischen Komponente des Klimawandels, können die sich häufenden Klimakatastrophen wohl schwerlich als „Abfolge“ der Jahreszeiten abgetan werden. Die Phänomene, die wir beobachten, sind Physik und nicht irgendetwas, das man ideologisieren kann. Die ökonomischen Auswirkungen der weltweiten Erwärmung sind keine Sache des Glaubens, sondern harte finanzielle Einbußen für die Betroffenen.
Und wenn junge Menschen sich Sorgen um ihre Zukunft machen, sind sie, verdammt noch mal, zumindest ernst zu nehmen! Ein minder begabter Schreiber lässt dann auch wissen: „Ich schiebe hier keine Panik. Es geht hier auch nicht um meine Zukunft (! – St. W.). Ich bin dann, wenn es gut läuft, Mitte siebzig…“ Woher nimmt sich nur diese fehlende Empathie der Jugend gegenüber? Der frustrierte AfD-Wähler erfährt – mir unverständlich – jedenfalls mehr politische Fürsorge.
Ich war der Auffassung, dass unser Bildungssystem Schüler „auf die Übernahme von konstruktiven Rollen als Bürger ihrer Gesellschaft vorbereiten“ sollte, so wenigstens das Deutsche PISA-Konsortium 2000. Obigem folgend, wird im Gegenteil dem politischen Wissen von Schülern keine Beachtung geschenkt, obwohl bereits im Bildungsplan der Grundschule „Demokratie lernen“ als eigenständiger Bereich innerhalb des Fächerverbunds Mensch, Natur und Kultur (ehemals Heimat- und Sachkunde) existiert. Dass allerdings „nicht nur Mathe-, Deutsch- und Fremdsprachenkenntnisse … in ‚Pisa-Peinlichkeit‘ enden (können), sondern auch die Politikkenntnisse“, wird in der allgemeinen Diskussion um das Niveau der Schulleistungen hierzulande nicht wahrgenommen.
„… werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“. Auch nicht „Bezahlbarkeit“.