Klima der Repression

Statt Kriminalisierung braucht die Klimagerechtigkeitsbewegung Solidarität

„Klima schützen ist kein Verbrechen“, das ist wohl einer der meist gehörten und gelesenen Sätze bei den oft von einem überdimensionierten Polizeiaufgebot begleiteten Demonstrationen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Es gibt gute Gründe dafür, dies immer wieder zu erwähnen, denn etliche AktivistInnen der Bewegung wurden und werden kriminalisiert. Nicht erst seit den bundesweiten Großrazzien gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ am 24. Mai 2023.

 

Eule und Ella

 

Unverhältnismäßige Urteile gegen KlimaaktivistInnen hat es in den letzten Jahren schon viele gegeben. Zwei Beispiele: „Eule“ und „Ella“.

Die Aktivistin „Eule“ aus dem Hambacher Forst ist am 19. März 2019 vorzeitig aus der Haft in Köln-Ossendorf entlassen worden. „Eule“, die ihre Identität bis heute verheimlichen konnte, war drei Wochen zuvor vom Amtsgericht Kerpen wegen angeblicher versuchter schwerer Körperverletzung zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. „Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass die junge Frau bei der Räumung im Hambacher Wald im September 2018 eine Polizistin zu treten versucht hatte – mit gefesselten Armen und Beinen, auf dem Boden liegend, von mindestens zwei Beamten fixiert. Eine zirkusreife Leistung, so es sie gab, die bei den Prozesstagen ZuschauerInnen in den Verhandlungspausen mehrfach (erfolglos) nachzustellen versucht hatten“, so die taz dazu am 16.3.2019. Den widersprüchlichen Zeugenaussagen der Polizei vor Gericht zum Trotz hatte das Gericht unverhältnismäßig geurteilt, was dem Vorsitzenden Richter Peter Königsfeld den Vorwurf der Gesinnungsjustiz einbrachte.

Im Herbst 2020 wurde die Baumbesetzerin „Ella“ bei der Räumung der Protestcamps im Dannenröder Forst festgenommen, dann in der ersten Instanz zu über zwei Jahren Haft verurteilt, in zweiter Instanz zu immer noch 21 Monaten. Sie saß 21 Monate anonym im Knast, bis sie schließlich ihre Identität preisgab und im Mai 2022 freigelassen wurde.

 

Repression 2023

 

Eines der jüngsten Gerichtsurteile gegen KlimaktivistInnen fiel am 9. Mai 2023 vor dem Erkelenzer Amtsgericht (Kreis Heinsberg).

Aus Solidarität mit Timo B. wurde vor dem Gerichtsgebäude von KlimaaktivistInnen eine Mahnwache angemeldet, an der sich ca. 25 TeilnehmerInnen versammelt hatten.

Mara, AktivistIn aus Lützerath, fasste in ihrem Redebeitrag vor dem Amtsgericht Erkelenz ihre Gedanken zusammen:

„In Lützerath und in anderen politischen Aktionen setzen wir uns für eine gerechtere Welt ein und dafür, dass alle Menschen gut leben können. Dafür sind wir immer wieder Angriffen ausgesetzt.

Zum einen aus dem politisch rechten Spektrum, dessen menschenfeindliche Ideologie wir ins Wanken bringen. Zum anderen von Seiten der Regierung und des Staates, weil sie verstanden haben, dass unsere Forderung nach Gerechtigkeit ihre Machtposition bedroht. Der einzige Weg, uns vor diesen Angriffen zu schützen, ist die Verschleierung unserer Identität, beispielsweise durch Vermummung.

Dass ich gerade hier stehen und zu euch sprechen kann, ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie, das Herzstück von Versammlungs- und Redefreiheit.

Wenn ich dabei jedoch meinen Mund und Nase bedecke, ist es eine Straftat.

Ich könnte dafür Post bekommen, indem eine Strafe von 40 Tagessätzen angelegt ist, d.h. ich müsste so viel Geld bezahlen, wie ich an 40 Lohnarbeitstagen verdiene.

Alternativ können die Tagessätze im Knast abgesessen werden.

Falls ich meine Identität nicht angeben möchte, könnte mich die Polizei auch festnehmen, mich stundenlang in viel zu engen Gefangenentransportern festhalten und mir dabei Nahrung, Toilettengang und Kommunikation über meine Gefangennahme verwehren.

Dann könnte sie mich, weil ich diese Maske trage, sieben Tage ins Gefängnis stecken.

Unter Isolation, Entzug von Schlaf und Beschäftigung und unter Anwendung von physischer Gewalt könnte sie mich nach körperlichen Merkmalen absuchen.

Zur Erinnerung: Freiheitsentzug ist die Höchststrafe, die unser Gesetz vorsieht. Die Mindestanforderungen dabei sind deutlich höher als die beschriebenen Bedingungen.

Das alles sind keine theoretischen Überlegungen, sondern der Grund, warum wir hier sind.

Letztes Jahr baute RWE einen Wall um Lützerath. Das war eine deutliche Vorbereitung auf die Räumung und Abbaggerung Lützeraths, um die größte CO2-Quelle Europas, den Tagebau Garzweiler II im rheinischen Braunkohlerevier, weiter auszubauen.

Eine Gruppe von Menschen, die dagegen protestierte, wurde festgenommen.

Der Vorwurf: Vermummung und damit Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.

[Anmerkung der Autorin: Während der Pandemie nannte sich „diese Straftat“ Maskenpflicht und war eine Auflage bei Demonstrationen.]

Einige dieser Menschen wurden zum gewaltsamen Herauspressen ihrer Identität sieben Tage lang in der unsäglichen GeSa-Haft festgehalten, weil sie ein Stück Stoff im Gesicht hatten.

 

Warum kam es dazu?

 

Protest, der anonym passiert, kann schwer mit Repressionen belegt werden. Ohne Namen und Adresse können keine Beschuldigungen, Straf- und Haftbefehle geschickt und keine Akteneinträge gemacht werden.

Ohne diese Mittel ist Protest schwer zu unterdrücken und zu kontrollieren.

Wie praktisch, dass Anfang letzten Jahres zwei Gesetze in Kraft traten, die anonymen Protest im Prinzip unter Strafe stellen: Das neue Versammlungsgesetz in Verbindung mit dem neuen Polizeigesetz in NRW.

Sie machen den Schutz der Identität zu einem Vorwand, die Herausgabe derselbigen zu erzwingen.

Ist das erfolgreich, kann die Polizei damit weitere „Straftaten“ dieser Person verhindern:

Straftaten, wie z.B. Blockaden bei der Räumung Lützeraths, also sich der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen in den Weg stellen.

Nicht nur an diesem Beispiel spüren wir die immer heftigere Kriminalisierung unserer Bewegung. Es ist verdammt hart, das zu ertragen und weiterzumachen. Es ist unglaublich schmerzhaft, unsere FreundInnen zu sehen, die von der Repression getroffen werden. Und es ist fast unmöglich, keine Angst vor der Macht von Polizei und Staat zu haben.

Aber es zeigt, dass unser Protest wirkt und dass er ein echter Dorn im Auge derer ist, die Geld mit Zerstörung verdienen. Und dass wir in Lützi was geschaffen haben, was groß ist.

Wir sind das Unkraut, das immer wieder kommt. Wir sind der Löwenzahn, der den Asphalt durchbricht. Und wenn die Cops kommen und unsere Blüten abtreten, verteilen sie damit nur die Samen in alle Himmelsrichtungen.

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass sie aufgehen, wachsen und neu blühen!

Und lasst uns der Repression geschlossen, entschlossen und solidarisch entgegen treten!

„Lützi lebt!“

Währenddessen wartete Timo B. im Amtsgericht auf den Prozessbeginn.

Der 23-jährige Student hatte sich an Protestaktionen am 3.8.2022 in Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler II eingebracht, indem er vermummt auf einem Tripod sich der Verwallung Lützeraths durch die RWE Power AG in den Weg stellte. Timo B. wurde infolgedessen geräumt und zur Identitätsfeststellung zum Polizeipräsidium Aachen verbracht.

Darum musste er sich wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und zusätzlich wegen Sachbeschädigung verantworten, da er in der Arrestzelle „Lützi lebt“ in den Lack der Zellentür geritzt haben soll.

Da er seine Personalien verweigerte, wurde er sieben Tage in die Arrestzelle geschlossen.

Die Arrestzellen sind nicht wie eine Gefängniszelle ausgestattet, sondern bestehen nur aus Stahl und Beton, ohne jegliche Einrichtung, für die Notdurft ein Syphon im Boden.

Aus diesem und gutem Grund sind diese Arrestzellen im Normalfall lediglich für ein bis zwei Stunden vorgesehen, dies bestätigte auch Richter Meuters.

Ein längerer Einschluss ist unter diesen Umständen psychisch sehr belastend.

Aus dieser Situation heraus entstand auch die Ritzerei in der Zellentür, gab Timo B. vor Gericht zu.

Der Strafbefehl des Gerichtes sah in seinem Fall 50 Tagessätze à 30 Euro vor.

Richter Dr. Stefan Meuters hingegen fand das Strafmaß zu hoch angesetzt.

Das sah Timo B. auch so, der sich bei der Verhandlung selbst verteidigte.

Zur Vermummung argumentierte er, dass aufgrund der zahlreichen JournalistInnen vor Ort er seine Identität vor einer medialen Verfolgung schützen wollte, vor allem vor BloggerInnen aus der rechten Szene, um damit zu vermeiden, in den Fokus möglicher Übergriffe zu geraten.

Richter Meuters Vorschlag, gegen Geldauflage den Strafbefehl zurückzunehmen und 300 Euro an den NABU sowie 200 Euro an das Polizeipräsidium Aachen zur Schadensregulierung zu zahlen, nahmen sowohl Timo B. als auch die Staatsanwaltschaft an.

So war bereits nach zehn Minuten die Verhandlung vorbei.

In diesem Fall für Timo B. zufriedenstellend, auch wenn ein Freispruch angestrebt und wünschenswert gewesen wäre.

Interessanterweise fand nur zwei Tage später, am 11. Mai 2023, beim gleichen Gericht, gleicher Richter und gleiche Staatsanwältin, die nächste Verhandlung zur selben Aktion mit dem gleichen Tatvorwurf statt. Auch am Donnerstag schlug der Richter dasselbe vor, mit dem Unterschied, dass die Staatsanwältin es diesmal nicht akzeptiert hat. Es kommt wohl zu einem neuen Prozesstermin.

Tatsächlich ist in den letzten Monaten ein zunehmend schärferes Maß bei KlimaaktivistInnen der „Letzten Generation“, dafür mildere Urteile z.B. für „Kohlegegner“ zu beobachten.

Das bisher härteste Urteil in diesem Jahr gegen KlimaaktivistInnen wurde im April 2023 vom Amtsgericht Heilbronn gegen Daniel E., Mitglied der „Letzten Generation“, verhängt: fünf Monate Haft! Gegen zwei weitere AktivistInnen, die an der Aktion auch beteiligt waren, jeweils drei und vier Monate.

Sie hatten sich auf die Straße geklebt.

Ans Aufhören denkt er trotzdem nicht: „Mir ist klar, dass die größere Freiheitseinschränkung der Klimawandel ist. Ich weiß, warum ich es mache. Und das Warum ist mir soviel wichtiger.

Wir haben eine halbe Stunde Stau ausgelöst und dafür sollen wir hinter Gittern?“

 

Die Absicht dahinter sei Abschreckung, „um dem gemeinen Volk zu zeigen, dass man das nicht mehr so mit sich machen lassen kann. Spätestens mit Deutschlands Lieblingskind, dem Auto, hört das Verständnis auf“, so eine Passantin an der Mahnwache im lockeren Gespräch.

Doch wie soll an die dringende Notwendigkeit des Klimaschutzes erinnert werden, wenn die Regierung in regelmäßigen Abständen immer wieder beweist, dass sie ihre ohnehin nicht hoch gesteckten Klimaziele keineswegs erfüllen möchte?

Dafür wird die Klimagerechtigkeitsbewegung medial diffamiert und kriminalisiert, alle werden in einen Sack gesteckt und als „Klimakleber“, „Ökoterroristen“ usw. betitelt.

Dabei sind die Aktionsformen vielfältig. Während „Ende Gelände“ auf zivilen Ungehorsam setzt, die MusikerInnen von „Lebenslaute“ musizieren (vgl. S. 28), geht „Fridays for Future“ auf die Straße. Die „Letzte Generation“ hat sich durch Festkleben einen Namen gemacht.

 

Es gibt nicht „DIE“ KlimaaktivistInnen!

 

Die Klimagerechtigkeitsbewegung besteht aus vielen Zusammenschlüssen, Bürgerinitiativen, Umweltvereinen, Umweltverbänden, und nicht zuletzt aus solidarischen Menschen. Jede Einzelperson definiert ihren persönlichen Aktionslevel und dafür gibt es vielfältige Möglichkeiten.

Auch wenn viele andere KlimaktivistInnen die Aktionen der hierarchisch organisierten „Letzten Generation“ gegen AutofahrerInnen und Kunstwerke kontraproduktiv finden (vgl. GWR 476), weil sie sich nicht gegen RWE und andere Klimakillerkonzerne richten, sondern Leute auf dem Weg zur Arbeit vor den Kopf stoßen, statt sie zu politisieren und abzuholen, so gilt dennoch: „Solidarität für alle AktivistInnen!“

KlimaaktivistInnen erscheinen vielleicht unbequem und nervig, weil sie immer wieder daran erinnern, dass die Menschheit das Gaspedal für den Klimakollaps tritt und nur der Mensch die Handbremse ziehen kann.

Natürlich würde das Einschränkungen bedeuten! Zu unbequem! Darum werden diejenigen, die immer wieder appellieren, dass wir bereits fünf nach zwölf haben, von vielen immer noch belächelt, gehasst oder kriminalisiert. Den Wetterextremen der letzten Jahre, dem steigendem Meeresspiegel durch schmelzende Pole zum Trotz.

Wie unbequem wird es aber erst, wenn die Folgen des Klimawandels nicht mehr nur den globalen Süden betreffen, sondern auch die Industriestaaten, die zu den größten Mitverursachern zählen?

Klimaschutz ist keine Modeerscheinung. Es wird seit Jahrzehnten vor den Folgen der klimaschädlichen Politik gewarnt.

Bereits 1971 meldete sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft zu Wort:

„Geht aber die Industrialisierung und die Bevölkerungsexplosion ungehindert weiter, dann wird spätestens in zwei bis drei Generationen der Punkt erreicht, an dem unvermeidlich irreversible Folgen globalen Ausmaßes eintreten.“

Und ein weiteres Mal 1985: „Um die drohende Klimakatastrophe zu vermeiden, muss bereits jetzt wirkungsvoll damit begonnen werden, die weitere Emission der genannten Spurengase drastisch einzuschränken.

Wenn diese Einschränkungen aufgeschoben werden, bis in vermutlich ein bis zwei Jahrzehnten deutliche Klimaveränderungen sichtbar werden, wird es aller Voraussicht nach bereits zu spät sein.“

Die Voraussagen treffen inzwischen leider zu. Doch zu viele lassen sich durch Videos von Klimawandel-LeugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen in den sozialen Netzwerken füttern. Den reißerischen, überdimensionalen Überschriften der Sensationspresse kann sich kaum jemand entziehen, sie springen PassantInnen regelrecht an und münden in Stammtischparolen.

 

Beispiel Tempolimit

 

In allen europäischen Ländern gilt ein Tempolimit von 100 (Niederlande) bis 130 km/h, Ausnahme Polen (dort gilt max. 140 km/h).

Dabei wäre ein Tempolimit die schnellste und einfachste Umsetzung Richtung Klimaschutz.

Das Thema Klimaschutz löst bei einigen Menschen Gefühle von Rückschritt, Wohlstandsverlust und Einschränkungen aus. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, weiß aber, wie akut die Lage ist.

Weil trotzdem viel zu wenig unternommen wird, um das Erreichen klimatischer Kipppunkte zu verhindern, verzweifeln viele AktivistInnen. Darum gehen Menschen auf die Straße, denken sich Aktionsformen aus, um eine möglichst große öffentliche und mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Das Thema muss ständig präsent sein!

„Es ist kein Hippie-Ding! Es ist so ein Überlebens-Ding! Es ist unsere Generation, die das retten muss, was die letzten Generationen verbockt haben“, erklärt die Aktivistin Lena.

Ob Repressionen sie abschrecken, möchte ich von ihr wissen.

„Nein, vielleicht ein bisschen. Aber noch mehr Angst habe ich vor einer lebensfeindlichen Erde.

Darum engagiere ich mich weiter, weil ich glaube, dass wir noch etwas ändern können“, antwortet sie und zitiert die US-amerikanische Ethnologin Margaret Mead:

„Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann - tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.“

 

Antonia Greco

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 480, Sommer 2023, www.graswurzel.net