Ein schöner Einstieg in das Thema Ökonomiekritik aus feministischer Perspektive ist Ursula Le Guin’s Satire zur Ökonomie als Wissenschaft und Realitätsmechanismus, hier aus Sicht des außerirdischen Reisenden beim ersten Besuch auf der Erde:
He must not dismiss as ridiculous what was, after all, of tremendous importance here. He tried to read an elementary economics text; it bored him past endurance, it was like listening to somebody interminably recounting a long and stupid dream. He could not force himself to understand how banks functioned and so forth, because all operations of capitalism were as meaningless to him as the rites of a primitive religion, as barbaric, as elaborate, and as unnecessary. In a human sacrifice to deity there might be at least a mistaken and terrible beauty; in the rites of the moneychanger, where greed, laziness, and envy were assumed to move all men’s acts, even the terrible became banal. (Le Guin, 2001 [1974]: 109)
Die Ökonomie und ihre wirtschaftspolitische Anwendung bleibt gleichermaßen Ritus und aufregendes Abenteuer für mutige Männer. Friedrich von Hayek suchte als Wirtschaftswissenschaftler und Begründer des ehrgeizigen Projektes „Neoliberalismus“ 1949 tapfere Männer, um Konquistadoren eines neuen Wirtschaftsparadigmas gleich, die Utopie des Freien Marktes zur Realität zu machen:
We must make the building of a free society once more an intellectual adventure, a deed of courage. What we lack is a liberal Utopia, a programme which seems neither a mere defence of things as they are nor a diluted kind of socialism, but a truly liberal radicalism. We need intellectual leaders […] They must be men who are willing to stick to principles and to fight for their full realization, however remote. […] If we can regain that belief in power of ideas which was the mark of liberalism at its best, the battle is not lost. (Hayek 1949: 26)
Die Helden des Freien Marktes siegten und konnten die Hayek’sche Utopie in den Krisenjahren der 1970er rasch mit dem Ziel der Neuordnung der Wirtschaftspolitik und der weltweiten Machtverhältnisse etablieren, was exemplarisch darstellt, wie machtvoll Utopien sein können und zu Trendbrüchen und wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel führen können. (siehe George: online) Die feministische Ökonomin Marilyn Waring erklärt demgemäß Ökonomie zum Werkzeug der Mächtigen, wobei die Privilegierung unzählbarer Güter gegenüber monetär messbaren Gütern bzw. Werten eine Kernkritik der feministischen Ökonomie ist. (Waring 1988)
Die Stärke der Neoliberalen Vision liegt in der Einfachheit des bewährten Paradigmas der „unsichtbaren Hand“ (Smith 1776) bzw. der Logik des Freien Marktes als Kernthese einer neuen Umverteilungsdoktrin. Viele visionäre Splitter aus dem Bereich der feministischen Utopie zur Neugestaltung ökonomischer Systeme sind interessante Elemente, die als neue Wirtschaftspolitik zu testen wären: z.B. Neukonzeption von Arbeit und Reproduktion, Familie, Bildung, der Umgang mit Rohstoffen, Umwelt und knappen Ressourcen aber auch Konfliktlösung und soziale Organisation, insbesondere seit Charlotte Perkins Gilmans Herland (1915), Marge Piercys Woman on the Edge of Time (1976) oder Joanna Russ The female man (1973). Allen gemeinsam ist die Loslösung von primären Wertvorstellungen der Logik der marktmodellgesteuerten Bepreisung von Gütern, wo teuer ist, was auf dem Markt selten vorkommt und billig ist, was im Überfluss vorhanden ist. Beschäftigung wird völlig neu gedacht, weg vom unliebsamen Lohnerwerb einer karriere- und wettbewerbsgetriebenen Ökonomie.
Abseits dieser vielmals bekannten Forderungen feministischer und kommunitarischer VisionärInnen erscheint die Anlehnung ökonomischer Theorie und utopischer Konzepte an die Grundlagen kontemporärer Erkenntnisse der Physik bzw. an den vorherrschenden Zeitgeist. Einerseits reisten die Helden längst vergangener Utopien (z.B. in Thomas Morus Utopia von 1516) wie die kolonialen Entdecker mit Schiffen zu utopischen Eilanden, flogen modernere Utopisten zu verlassenen Felsplateaus oder gar auf den Mond (z.B. Gilman 1915 oder Jules Verne 1865). Dann die Epoche der Zeitreisen, wo bessere Welten in weit entfernter Zukunft aufzufinden sind (z.B. Piercy 1976), bzw. in Parallelwelten, nur eine Wahrscheinlichkeit entfernt (z.B: Russ 1973). Andererseits entwickelten die Helden der ökonomischen Theorie soziale Modelle, die nicht zufällig immer dem neuesten Trend der Physik folgten – in jeder Epoche wurde das System der Wirtschaft als Maschine beschrieben und Erkenntnisse der Mechanik wurden auf den Erkenntnisbereich der Nationalökonomie übertragen (siehe Ötsch 1993).
Interessant an dieser Anlehnung von utopischer Literatur, Unterhaltungs-Science Fiction aber auch ökonomischer Modellbildung an die Entwicklungen in der Physik ist schließlich die gegenwärtige, umfassende Beschäftigung mit der Wahrscheinlichkeitsproblematik: Die Quantenphysik meint, endlich der Erklärung von unsteter Probabilität mittels Auffindung des „Gottesteilchens“ nahegekommen zu sein; auf den wird Aktenmärkten immer frenetischer mit der Absicherung möglicher inopportuner Wahrscheinlichkeiten auf Lebensmittel-, Rohstoff-, Währungsmärkten gespielt; und die Utopie flüchtet in Parallelwelten von denen aus die Welt vor anderen, bösen Parallelwelten, gerettet werden kann (z.B. Russ 1973). Eine bemerkenswerte Entwicklung, die zu beobachten bleibt.
Literatur:
George, Susan: A Short History of Neo-liberalism. Twenty Years of Elite Economics and Emerging Opportunities for Structural Change. http://www.globalexchange.org/campaigns/econ101/neoliberalism.html
Hayek, Friedrich von (1998 [1949]): The Intellectuals and Socialism (Rediscovered Riches 4), London: Institute of Economic Affairs
Perkins Gilman, Charlotte (1979 [1915]): Herland. www.gutenberg.org.
Piercy, Marge (1997 [1976]): Woman on the Edge of Time. New York: Ballantine Books
Ötsch, Walter (1993) Die mechanistische Metapher in der Theoriegeschichte der Nationalökonomie. AP 9313, JKU Linz.
Russ, Joanna (1973): The female man. London: Beacon Books.
Russ, Joanna (1976): The Adventures of Alyx. Women's Press.
Schönpflug, Karin (2008a): Utopian Visions of Feminist Economics. London: Routledge
Smith, Adam (1904 [1776]): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Methuen and Co.
Waring, Marilyn (1988): If Women Counted. Harper and Row.
Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2012, „Übers Geld reden“.