Im Zuge der Union Renewal-Debatte in den USA werden auch alternative, community-bezogene Organisierungsansätze diskutiert. Maria Asenbaum fragt, ob die so genannten Worker Centers migrantischer ArbeiterInnen einen Beitrag zur Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung leisten können.
Die Gewerkschaften in den USA stehen unter immensen, durch Mitgliederschwund und Machtverlust indizierten, Druck. Derzeit sind nur 12,1% der Beschäftigten im öffentlichen und 7,5% im privaten Sektor gewerkschaftlich organisiert.1 Die Verluste wurden vor allem seit den 1980er Jahren größer2 und führten schließlich 2005 zu einer Spaltung des nationalen Dachverbandes der Gewerkschaften in AFL-CIO und Change to Win3. Dieser Spalt eröffnete den Raum und die Notwendigkeit für Diskussionen über neue Gewerkschaftsmodelle, bekannt unter „Union Renewal Debatte“, sowohl auf gewerkschaftlicher als auch akademischer Seite. Perspektiven hat sich bereits in Ausgabe Nr. 3 mit Aspekten dieser Debatte in Bezug auf die Organizing-Strategie auseinandergesetzt und dabei ein klassenbewusstes Social Movement Unionism (SMU) Konzept ins Zentrum gestellt.4
Gewerkschaft bewegen – aber wie?
Ausgangspunkt sind drei Problemfelder, denen wir, neben der
objektiven Situation, den zunehmenden Verlust gesellschaftlicher
Relevanz traditioneller Gewerkschaften zuschreiben: (1) starre,
undemokratische Strukturen, (2) unscharfer strategischer Fokus bzw. zu
wenig Konfliktbereitschaft und (3) geringe Einbindung von weiblichen
und migrantischen ArbeitnehmerInnen, was auf tradierte Machtstrukturen
und einen zu eng gefassten Klassenbegriff zurückgeführt werden kann.
Einen Rahmen, innerhalb dessen Lösungsansätze für die oben
beschlagworteten Probleme sinnvoll diskutiert werden können, bieten die
Ansätze des Social Movement Unionism.
Dieser entwickelte sich ursprünglich im Zuge der Arbeitskämpfe in
Brasilien und Südafrika in den 1980ern und wurde dann von
amerikanischen AutorInnen im Rahmen der antikapitalistischen Bewegung
Ende der 1990er Jahre als Theoretisierung des Zusammenkommens von
Sozialer Bewegung und Gewerkschaft mit unterschiedlicher Akzentuierung
ausgebaut.5
Das heißt, dass auch SMU kein vollständig ausdiskutiertes Konzept
darstellt. Wir beziehen uns im Folgenden auf eine Interpretation, wie
sie z.B. von Kim Moody (US-amerikanischer Gewerkschaftsaktivist und
ehemaliger Herausgeber der Labor Notes6)
vertreten wird, der betont, dass SMU darauf abzielt, dass
Gewerkschaften zur Sozialen Bewegung werden sollen, ohne sich darin
aufzulösen. Dies resultiert aus einem klassentheoretischen Verständnis
der Transformationsmöglichkeiten der Gesellschaft. Die Eckpfeiler eines
solchen SMU können folgendermaßen zusammengefasst werden:7 (1)
Die Rückbesinnung auf den Klassencharakter der Gewerkschaften als
Interessensorganisationen, (2) Die Bemühungen, Bündnisse mit anderen
gesellschaftlichen Initiativen, Gruppen und sozialen Bewegungen zu
schließen, und (3) Die Demokratisierung der eigenen
Organisationsstrukturen und die Aktivierung der Organisationsbasis.
Vor allem der zweite Punkt wird mit diesem Artikel näher untersucht.
Dabei wird besonders die Verbindung von klassenbasierter und Community-basierter Organisationen in Form der Worker Centers fokussiert.
Community Organizing in den USA
Interessensorganisationen auf Basis so genannter Communities blicken in den USA auf eine lange Tradition zurück.8 Unter Community
ist dabei nicht unbedingt die Gesamtheit der BewohnerInnen eines Ortes
zu verstehen, genauso kann es sich beispielsweise um die black- oder die gay-community
einer Region handeln. Der Organisierungsansatz setzt allerdings eine
geographische Nähe voraus, da es meist um Verbesserungen der
Bedingungen im unmittelbaren Lebensraum geht und Face-to-Face-Meetings
der Betroffenen ein Kernelement des Aufbaus bilden. Abgesehen davon
handelt es sich bei Community Organizing (CO) um einen sehr heterogenen Begriff.
Als Bezugs- und Abstoßpunkt der CO-Debatte im engeren Sinn ist die Alinsky-Schule zu nennen.9 Saul Alinsky (1909-1972) war kritischer Soziologe und begann Ende der 1930er Jahre, AfroamerikanerInnen in den Back Yard Quarters
(Fleischverarbeitungsviertel) Chicagos zu organisieren. Alinsky
arbeitete mit dem zeitgleich neugegründeten Gewerkschaftsbund CIO10
zusammen. In seinen Organisierungsaktivitäten war Alinsky bestrebt,
Bündnisse von zivilgesellschaftlichen (auch religiösen) und
gewerkschaftlichen Organisationen zu schmieden, um die
Lebensbedingungen in den „Slums“ zu verbessern. Politisch wird er
retrospektiv oft als Radikaler bezeichnet. Er betonte die Notwendigkeit
der Selbstorganisation und Misstrauen in den Staat und dessen
Institutionen; langfristig ging es ihm um eine radikale Veränderung der
Machtverhältnisse in der Gesellschaft.11
Alinskys Ideen fanden dann vor allem Ende der 1960er und Anfang der
1970er Jahre neue Resonanz. Die Nachbarschaftsorganisationen wurden als
„revolution in a nutshell“ betrachtet und stellten vor allem während
des Ausklingens der 68er Bewegung eine willkommene Alternative zu den
großen Kämpfen dar. Nicht zuletzt die ökonomischen und politischen
Spielräume dieser Zeit (Social Policy Offensive, War on Poverty) ließen zu, sich Illusionen einer postkapitalistischen Gesellschaft im Kleinen hinzugeben.12
In den 1980ern änderte sich mit der neoliberalen Wende, eingeleitet
durch die Reagan-Ära, der Community-Diskurs. Nicht mehr soziale
Verbesserungen sondern das Wirtschaftwachstum in den Gemeinden stand im
Vordergrund. Community-Development-Organisations wurden eingeführt „[um] das Versagen des Marktes zu korrigieren, Arbeitsplätze und Sozialleistungen bereitzustellen.“13 Community-Strukturen sollen also ausgleichen, was sozialstaatlich gestrichen wurde. Im in den 1980ern populären Asset-Based-Development-CO-Ansatz
wird propagiert, dass Alinsky bezüglich der Selbstorganisation recht
behalten habe, nur ginge es jetzt nicht mehr um einen Kampf um die
Macht in der Gesellschaft, sondern darum, sich auf die vorhandenen
Ressourcen zu konzentrieren.14 So wurden Kinderbetreuungszirkel und Nachbarschaftswachen unter dem Label Communitiy Organizing aufgebaut, was mit der Ursprungsidee nur mehr wenig zu tun hat.
Worker Centers
Ein starkes Community-System mit den dazugehörigen
Organisationen (nach Religion, Ethnie, lokal oder Branchenbezogen) ist,
anders als in Europa, schon sehr lange ein wichtiger Teil der
US-amerikanischen Gesellschaft; eine bestimmte politisch-strategische
Ausrichtung ist damit jedoch noch nicht notwendig verbunden.
Eine spezielle Form der Community-Organisation macht derzeit in gewerkschaftlichen und anderen, linken Zusammenhängen von sich reden, die so genannten Worker Centers. Diese sind „community-basierte Institutionen, die Niedriglohn-ArbeiterInnen unterstützen und sie organisieren.“15 Die ersten Worker Centers entstanden in den 1970er Jahren im Zuge der abklingenden 68er Bewegung. Die zweite und dritte Welle neu gegründeter Worker Centers standen in Zusammenhang mit den großen Einwanderungsbewegungen in die USA Anfang der 1990er und nach 2000.16
Vorerst dienten sie als Anlaufstelle für neue MigrantInnen vor allem in
arbeitsrechtlichen Fragen. Heute gibt es etwa 130 bis 160 Worker Centers,
die meisten sind in New York, Los Angeles und Chicago konzentriert,
aber in den letzten Jahren wurden auch immer mehr in den ländlichen
Gegenden des Südens gegründet, wo MigrantInnen in der Agrar- und
Lebensmittelverarbeitungsindustrie tätig sind.17
Dabei sind Ideologie und Praxen vielfältig, meist geht es um
Information, Service und Organisierung für von klassischen
Gewerkschaften häufig vernachlässigte ArbeiterInnen-Communities. Diese
relativ neue Organisationsform unter migrantischen ArbeiterInnen hat
auch im gewerkschaftstheoretischen Feld vermehrt Aufmerksamkeit erregt.
Janice Fine, die von 2003 bis 2005 eine nationale Studie zu
migrantischen Worker Centers leitete, hat folgende gemeinsame Merkmale herausgearbeitet: (1) die meisten Worker Centers
sind auf migrantische oder afroamerikanische Communities eines
bestimmten Ortes (Stadtteil, Nachbarschaft) ausgerichtet; (2)
Ethnizität spielt eine ebenso große Rolle wie Branche oder
Arbeitsplatz, Unterdrückung und Ausbeutung wird häufig auf die
„Migrationsproblematik“ zurückgeführt; (3) innerorganisatorische
Demokratie und die Entwicklung von Leadership-Kompetenz sind
zentrale Strategiemerkmale; (4) Bildung wird als integrativer
Bestandteil von Aufbau und Organisierung gesehen; (5) Bewusstsein für
internationale Zusammenhänge und Solidarität mit ArbeiterInnen aus den
Herkunftsländern ist meist vorhanden; (6) Beratung dreht sich nicht nur
um Probleme am Arbeitsplatz, sondern um Fragen der Migration
(rechtlicher Status etc.); (7) Bündnisse mit anderen Community
Organisationen werden gesucht; (8) meist gibt es wenige, aber dafür
sehr aktive Mitglieder, intensive Mitgliederwerbung wird nicht
betrieben. Die meisten Kampagnen der Worker Centers zielen
eher darauf ab, über das Rechtssystem oder öffentlichen Druck
Konzernleitungen Zugeständnisse abzuringen, als über eine Massenbasis
etwas an den allgemeinen Machtverhältnissen zu ändern.
Garment Worker Center Los Angeles
Da diese allgemeinen Beschreibungen der Worker Centers nur
höchst vage bleiben können, soll hier im Detail auf eines der
bekanntesten und erfolgreichsten von ihnen eingegangen werden. Das Garment Worker Center
in Los Angeles (GWC) besteht bereits seit sieben Jahren und unterstützt
Textilarbeiterinnen vor allem aus Süd- und Mittelamerika sowie aus
Asien, bei ihrem Kampf um die Ausbezahlung von Löhnen und für humane
Arbeitsbedingungen.18
Die Forderungen erscheinen auf den ersten Blick moderat, müssen aber in
den Kontext der herrschenden Bedingungen in der US-Bekleidungsindustrie
gesetzt werden. Die Textilbranche ist einer der stärksten
Industriezweige der USA mit einem geschätzten Jahresumsatz von 24
Milliarden Dollar allein in Kalifornien. Etwa ein Viertel aller
Produktionsstätten befindet sich in Los Angeles und Umgebung und
beschäftigt großteils ostasiatische und mittelamerikanische
Arbeiterinnen. Durch die vermehrten Standortverlagerungen der letzten
Jahre steht die US-Produktion unter starkem Konkurrenzdruck, der auf
dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.19 Nach einer Studie des US Department of Labor
zahlen 67 Prozent der Textilfabriken in Kalifornien weniger als den
Mindestlohn, 98 Prozent überschreiten die Maximalarbeitszeit und 80 Mio
US-Dollar an Lohn werden jährlich nicht ausbezahlt.20 Die Studie rechnet allerdings die nicht registrierten Fabriken, in denen echte Sweatshop-Bedingungen
herrschen, noch gar nicht mit ein. Die Arbeitstage dauern hier meist
zehn bis zwölf Stunden in heißer, schmutziger Umgebung, den
ArbeiterInnen ist das Sprechen mit Kolleginnen verboten, regelmäßige
Toilettenpausen gibt es nicht. Versprochen wird Bezahlung pro fertig
gestelltem Stück, doch oft gibt es monatelang gar nichts, die Schecks
sind nicht gedeckt oder die Fabriken werden ohne Vorwarnung
geschlossen. Das sind die Hauptprobleme der Klientel des GWC. Dazu
kommen Angst vor Abschiebung nach der Verschärfung der
Einwanderungsgesetze nach 9/11 und Schwierigkeiten bei der
Verständigung.
Das Garment Worker Center wurde 2001 mit der Unterstützung mehrerer NGOs (namentlich Sweatshop Watch, Asian Pacific American Legal Center, Coalition for Humane Immigrant Rights of Los Angeles und Korean Immigrant Workers Advocates) gegründet. Eigentlich ist es eine Nachfolgeorganisation des von den Textilgewerkschaften UNITE gegründeten Garment Workers Justice Center,
das geschlossen wurde, nachdem die Gewerkschaften ihre
Organisierungsbemühungen aus Mangel an Erfolgsaussichten in der Gegend
aufgegeben hatten. Das GWC steht heute nur in loser Verbindung zu der
Gewerkschaft, und zwar eher in ideeller als in materieller Hinsicht.
Die Mitbegründerin und derzeitige Leiterin des GWC, Kimi Lee, die
selbst aus einer EinwandererInnenfamilie kommt und die Bedingungen in
den Textilfabriken von Kindheit an kennt, beschreibt die Ziele der
Organisation folgendermaßen: „TextilarbeiterInnen im Großraum Los
Angeles zu ermächtigen, mit anderen MigrantInnen im Niedriglohnsektor
und den entrechteten Communities im Kampf für soziale, ökonomische und ökologische Gerechtigkeit solidarisch zusammenzuarbeiten.“21 Das GWC hat ein explizites Organisierungsmodell, wobei der Organizing-Aspekt nicht neben
Service und Bildung steht, sondern als eine Art Überthema die einzelnen
Aktivitäten beeinflusst. Die vier Aktivitätskomponenten sind dabei: Advocacy, Education, Campaigns und Coalitions. Advocacy,
also die rechtliche Vertretung der Forderungen der ArbeiterInnen in
individuellen Fällen, ist eine der wichtigsten Aktivitäten des GWC.
Meistens geht es dabei darum, nicht ausbezahlte Löhne einzufordern, in
selteneren Fällen auch um das illegale Verhalten von ArbeitgeberInnen,
wenn diese gesetzliche Mindestlöhne und Maximalarbeitszeiten vollkommen
ignorieren. Im Durchschnitt verdienen Menschen, die sich an das GWC
wenden 3,28 US-Dollar pro Stunde und arbeiten wöchentlich 52 Stunden.
Häufig ist der Wunsch nach rechtlichem Beistand der primäre Grund für
den ersten Kontakt. In der Bildungsstrategie geht es dem GWC um
nützliches Wissen und politisches Bewusstsein, es gibt Workshops zu
Arbeitsrecht, Sprachkurse, Frauengruppen und Berichte von anderen
Arbeitskämpfen. Aber es geht um mehr als praktische Hinweise, erklärt
Kimi Lee in einem Interview: „Wenn die ArbeiterInnen etwas über den
Krieg [im Irak] lernen, hilft ihnen das zwar nicht ihren Gehaltsscheck
zu bekommen, aber es hilft ihnen… rauszugehen und andere Dinge zu tun,
andere Orte zu sehen und neue Leute kennenzulernen… Es sind solche
kleinen Sachen, die helfen Zusammenhalt aufzubauen.”22
Dieser Bildungsaspekt soll auch das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen
stärken und damit zur Demokratisierung und Selbstorganisation des Centers
selbst beitragen. Die Kampagnenarbeit ist meist auf ausgewählte
Geschäftsketten konzentriert. Da in den Betrieben selbst wenig zu holen
ist, wird Druck direkt auf die Verkaufsstätten ausgeübt, die einen
Imageschaden viel mehr fürchten. Beispiele hierfür sind erfolgreiche
Kampagnen gegen Bebe oder Forever 21. Eine Mischung aus Boykott-Aktionen, Medienarbeit und kleinen Pickets direkt vor den Geschäften konnten Druck auf die Firmen ausüben. In dieser Strategie spielt auch das Coalitionbuilding mit anderen Community-Organisationen,
Gewerkschaften und einzelnen Prominenten eine wichtige Rolle. In
welcher Form der Druck aber an die HerstellerInnen weitergegeben wird
und wie diese darauf reagieren ist jedoch schwer zu beeinflussen.
Die Wirkmacht von Organisationen wie dem Garment Worker Center
in Los Angeles soll weiter unten genauer analysiert werden.
Festzuhalten ist, dass es sich hierbei um einen Ort für migrantische
ArbeiterInnen handelt, an dem sie nicht von oben herab behandelt
werden, sondern sich selbst organisieren können, wo sie voneinander
lernen und politisch diskutieren und, vor allem, wo sie sich entlang
ihrer Stellung im Produktionsprozess organisieren. Worker Centers
sind nicht bloß MigrantInnennetzwerke, sondern können als eine
spezifische, mit anderen Dimensionen verquickte, Form des Klassenkampfs
begriffen werden.
Union Renewal und Worker Centers
Bei der Frage nach dem Beitrag von Worker Centers zu einer Revitalisierung der ArbeiterInnenbewegung in den USA muss auch auf das Verhältnis der Centers
zu den Gewerkschaften eingegangen werden. So berechtigt der Einwand
einiger AutorInnen ist, den gewerkschaftlichen Organisationsgrad nicht
mit der Stärke der ArbeiterInnenbewegung gleichzusetzen (Density-Bias)23, so wichtig sind dennoch die Anknüpfungspunkte in Theorie und Praxis. Eine Vereinigung von Worker Centers und den fortschrittlicheren Gewerkschaftsteilen von Change to Win
würde in vielerlei Hinsicht naheliegen. Einerseits ist in diesen Teilen
der Gewerkschaft zumindest theoretisch die Einsicht durchgesickert,
dass die ArbeiterInnenklasse ihr Gesicht verändert hat und dass die
Organisierung migrantischer ArbeitnehmerInnen des Niedriglohnsektors
ein lange vernachlässigter Bereich ist. Vor allem nach den großen
Demonstrationen und Streiks migrantischer ArbeiterInnen am 1. Mai 2006
können die quantitativen und qualitativen Stärken dieser Bewegung nicht
mehr von der Hand gewiesen werden.24 Aber auch für die Worker Centers
selbst wäre eine organisatorische Anbindung an kämpferische Teile der
Gewerkschaftsbewegung vorteilhaft, stoßen doch die meisten von ihnen
mit ihrer Strategie der Konfliktaustragung vor Gericht auf Grenzen, da
das Kapital fast immer am längeren Hebel sitzt. So wurde z.B. in vom
GWC angestrengten Prozessen KlägerInnen insgesamt eine Million Dollar
an unbezahltem Lohn zugesprochen, während jedoch insgesamt 80 Millionen
jährlich nicht bezahlt werden. Selbst von dem offiziell gewonnenen Geld
wird nur ein Bruchteil ausbezahlt, da sich die Firmen durch Konkurse,
Umbenennung, Standortwechsel etc. häufig aus der Affäre ziehen können.
Und ohne die Gewerkschaft im Rücken ist auch der Aufbau von Kampagnen
eine sehr fordernde Aufgabe und das Fundraising vereinnahmt oft viel zu viele der ohnehin schmalen Kräfte. Auch die größeren Worker Centers haben fast immer weniger als zehn bezahlte MitarbeiterInnen.
Dementsprechend wurden in der gewerkschaftstheoretischen Debatte auch schon verschiedene Modelle der Union-Community-Coalition angedacht.25 In der Praxis allerdings meinen zwar zwei Drittel der Gewerkschaften, mit Community-Organisationen zusammenzuarbeiten, auf Seiten der Worker Centers geben aber nur etwa 14 Prozent an, in engem Kontakt mit Gewerkschaften zu stehen.26 Janice Fine macht hier drei Ebenen aus, die die Probleme in der Zusammenarbeit erklären: Struktur, Kultur und Ideologie.27 Die Strukturen der Gewerkschaft sind rigide und formalisiert, während sie bei den Worker Centers
flexibel sind und die Mitgliedschaft nicht auf finanziellen, sondern
aktivistischen Beiträgen beruht. Innerhalb der Gewerkschaften herrscht
eine Kultur festgefahrener Rituale mit einem Fokus auf weiße, männliche
Arbeiter, welche potentielle Mitglieder mit Migrationshintergrund
abschreckt. Und schließlich ist die unterschiedliche ideologische
Ausrichtung das größte Hindernis: Fine sieht hier die Gewerkschaften
stärker im Staat- und Marktsystem eingebunden, während sie Worker Centers eher zu den Community- bzw. Social Movement-Organisationen zählt.
Dass dieser Spalt aber nicht unüberbrückbar ist, zeigen zwei jüngere Entwicklungen: Ende 2006 trat die New York City Taxi Workers Alliance als erstes Worker Center offiziell der Gewerkschaft bei und im selben Jahr macht die AFL-CIO dem National Day Laborer Organizing Network
ein Kooperationsangebot. Dies zeigt „eine neue Richtung, wie zumindest
ein Teil der organisierten ArbeiterInnenbewegung in den USA sich selbst
sieht.“28
Für die Social Movement Unionism-Debatte
wird deutlich, dass man bei den drei häufig genannten Eckpfeilern,
Demokratie, Klassenstandpunkt und Öffnung zu anderen Organisationen,
nicht einfach an einer Ecke anfangen und hoffen kann, dass der Rest von
selbst passiert. Eine so genannte Öffnung erfordert nicht nur eine
theoretische Redefinition des Klassenbegriffs, sondern muss sich auch
in Strategien und Praxen der Gewerkschaften niederschlagen. Der unter
dem Schlagwort ‚Kultur‘ angesprochene Aspekt eines gewissen Habitus und
einer Fokussierung des weißen, männlichen Teils der ArbeiterInnenklasse
kann nur bearbeitet werden, wenn auch Forderungen zu
MigrantInnenrechten auf die Agenda der Gewerkschaften gesetzt werden
und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen forciert wird. Gerade wenn
progressive Gewerkschaften Bündnisse mit Organisationen sozialer
Bewegungen anstreben, oder wie im SMU-Konzept formuliert selbst zur
Sozialen Bewegung werden wollen, dürfen sie sich nicht nur mit der
Verbesserung der ökonomischen Situation ihrer Mitglieder
auseinandersetzen, sondern müssen politische Forderungen, gerade vor dem Hintergrund der Veränderungen der Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, aufnehmen.
Anmerkungen
1 Stand 2007, Quelle „Bureau of Labor Statistics“ http://www.bls.gov/news.release/union2.nr0.htm
2 Kim Moody, Autor und ehemaliger Herausgeber der Labor Notes, meint den turning point 1980-81 mit dem verlorenen Fluglotsen-Streik (PATCO) auszumachen.
3 AFL-CIO = American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations und CTW = Change to Win Federation.
4 Asenbaum, Maria/ Hädicke Karin: Gewerkschaft bewegen. Perspektiven Nr. 3 (2007).
5
Vgl. z. B. Waterman, Peter: The New Social Unionism: A New Union model
for a New World Order, in: Munck, Ronaldo/ Wateman, Peter (Hg.): Labour
Worldwide in the Era of Globalisation. Alternative Union Models in the
New World Order, London 1999.
6 www.labornotes.org
7
Nach Kim, Susanne: Gewerkschaften zwischen Organisation und Bewegung im
Zeitalter der Globalisierung. Zur Konzeption des „Social Movement
Unionism“. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Hamburg 2004.
8 Fisher, Robert: Let the People Decide: Neighborhood Organizing in America, New York 1994
9 Honey, Cheryll: Community Organizing past present an future. Commorg Papers 2006.
10 Zur Gründung der CIO siehe auch Philipp Probsts Artikel in dieser Ausgabe.
11 Alinsky, Saul: Reveille for Radicals. Vintage Books 1991. (Erstausgabe 1946)
12
Fisher, Robert: Community Organizing – the importance of the historical
context. In: Dennis Keating, Norman Krumholz, Phil Star (eds.):
Revitalizing urban neighbourhoods. University Press of Kansas 1996.
13
“[to] correct the market’s failure to provide jobs and services to the
community”. Marquez, Benjamin: Mexican American Community Development
Corporations and the Limits of Directed Capitalism. Economic
Development Quaterly 7, 3 (1996). Nach Fisher, a.a.O.
14 Honey, a.a.O.
15 Fine, Janice: Worker Center – Organizing communities on the edge of a dream. Ithaca, NY and Washington, DC (2006).
16 Wildcat, 78, Winter 2006/07
17
Die Zahlen variieren hier beträchtlich; nicht alle der als „Worker
Centres“ untersuchten Einrichtungen bezeichnen sich selbst als solche.
Vgl. Fine, a.a.O.
18
Lee, Kimi: Six Years of Workers Organizing in the Fight for Social
& Economic Justice. Bericht zum 6-jährigen Bestehen des GWC.
December 6, 2007.
19
Sullivan, Richard: Organizing Immigrants in America‘s Sweatshops: The
Los Angeles Garment Worker Center. Paper Presented at American
Sociological Association Annual Meeting August 14, 2007.
20 ebd.
21
“to empower garment workers in the greater Los Angeles area and to work
in solidarity with other low-wage immigrant workers and disenfranchised
communities in the struggle for social, economic and environmental
justice”
22
“I mean, you saw last night we had these workers who were learning
about the war and [while] it’s not helping them get a paycheck, it’s
helping them…go to other things and see other places and meet new
people….So there [are] some little things like that that just help to
build a relationship”. Sullivan, a.a.O., S. 20
23 ebd.
24
US-weit demonstrierten am 1. Mai 2006 über eine Millionen Menschen
gegen den die strikten Einwanderungsgesetzte, im ganzen Land wurden
Betriebe und Geschäfte bestreikt.
25
Tattersall, Amanda: From union-community coalitions to community
unionism? A look at the pattern of recent union relationships with
community organisations. In: NSW Community and Unions 2004. Trades
Hall, Victoria 2004.
26
Fine, Janice: A Marriage Made in Heaven? Mismatches and
Misunderstandings between Worker Centres and Unions. British Journal of
Industrial Relations 45 (2007), 337-364.
27 ebd.
28 Moody, a.a.O.