Sie kamen in Frieden und lebten in Lagern

District 9
by
Neill Blomkamp
Published 2009 in
USA/NZL
Neill Blomkamps Spielfilmdebut ist, wie seine Hauptfigur, eine ambivalente Chimäre: zur einen Hälfte gesellschaftskritisch engagiertes Filmexperiment, zur anderen eine recht vorhersehbare Actionstory.
Wir schreiben das Jahr 1982, als über der Skyline von Johannesburg plötzlich ein riesiges Raumschiff auftaucht. Nach drei Monaten des Zuwartens entschließen sich die Menschen in das Innere des Raumschiffs vorzudringen, wo sie eine Million insektoide Aliens in schlechter medizinischer Verfassung vorfinden. Die Extraterrestrischen werden daraufhin evakuiert und in einem interimistischen Notfalllager einquartiert, das von einer undurchsichtigen Firma namens „Multi-National United“ (MNU) betreut wird. Doch dieses Lager namens „District 9“ wird immer mehr zum Slum: Gewalt, Drogenmissbrauch, Prostitution, Waffenhandel, Bevölkerungsexplosion, vor allem aber fortschreitender Rassismus der lokalen (menschlichen) Bevölkerung gegenüber Aliens, die mittlerweile nur mehr als „prawns“ (Garnelen) tituliert werden, veranlassen die Regierung diese in ein neues Lager („District 10“), 240km nordwestlich von Johannesburg zu übersiedeln. Blomkamps Held „Wikus Van De Merwe“ spielt dabei eine entscheidende Rolle – er ist es, der die offiziell als „Eviction“ deklarierte Deportation der 1,8 Mio. Außerirdischen durchführen soll.
Was Blomkamps Film hier auszeichnet, ist sowohl die Form der Erzählung, als auch die Verknüpfung der Themen von Rassismus und der Privatisierung staatlicher Aufgabenfelder.
So erzählt er die gesamte Geschichte fast durchgängig im Stil einer fiktiven Dokumentation, die anhand von Interviews sowie „Originalfilmmaterial“ die Geschehnisse im Zuge der Deportation retrospektiv aufrollt. Diese Passagen sind es auch, die besonders gut funktionieren. Die Verdopplung der Distanz durch den Film im Film streicht so das spezifisch tiefgründige Grauen des Normalen heraus: während in den ExpertInnen-Interviews, vor allem in ihrem Bemühen um Political Correctness, der sublimierte Rassismus öffentlicher Diskurse stets durchschimmert, agieren die Charaktere der offiziellen Behörden im dokumentarischen Originalmaterial offen rassistisch. Dies wird zugleich immer kontrastiert von Copleys Darstellung von Witus, der als Schnauzbart und Pollunder tragender Familienmensch und Schreibtischtäter gerade jene Absurdität – die sprichwörtliche Banalität des Bösen – verkörpert. Selbst bei seinen Kontrollgängen durch District 9 während der Deportationen, bei denen er seine Unbescholtenheit wie einen Schutzschild vor sich her trägt, lässt er die Atmosphäre eines entspannten Familienpicknicks entstehen, das zufällig jemand auf Video festgehalten hatte.
Das Szenario, das so langsam entfaltet wird, folgt dabei weitgehend der immerwährenden Zombiefilmweisheit, nach der zumindest auf den zweiten Blick die Bestialität der Menschen die der Bestien immer übertrifft. So kann das Verhältnis zwischen den Menschen und den Aliens einerseits als eindeutige Parabel auf die Apartheid, andererseits jedoch auch auf die jüngsten Unruhen in den Townships zwischen SüdafrikanerInnen und ImmigrantInnen verstanden werden. Dabei ist die Darstellung von Rassismus bei Weitem besser geglückt, als die theoretische oder inhaltliche Reflektion. Letztere bleibt eben weitgehend bei jener Banalität des Bösen stecken und somit bei deren bloßer Darstellung.
Dies ist jedoch doppelt unbefriedigend, da dieses Verständnis Rassismus einerseits zwangsläufig als natürlich, unbegreifbar und daher unveränderbar erscheinen und so gleichzeitig auch Lücken in der Storyline entstehen lässt: So bleibt etwa unklar, wovon sich dieser Rassismus nährt, wodurch er befördert wird und wie der soziale Kontext, in den er eingebettet ist, beschaffen ist. Vielleicht mutet man mit diesen Fragen dem Film jedoch auch zuviel zu, weshalb noch einmal auf die exzeptionelle Erzählweise des Films und seine kontextsensible Reflektion über die mediale Repräsentation von Rassismus hingewiesen sei, die in ihren starken Momenten den boshaften Charakter einer Mediensatire annimmt.
An die Darstellung von Rassismus knüpft sich nun aber auch ein zweiter inhaltlicher Schwerpunkt, der erst mit dem Fortschreiten der Geschichte wirklich nachvollziehbar wird. Dabei entpuppt sich das District 9 kontrollierende Unternehmen MNU allmählich als riesiger privater Sicherheitsdienstleister mit angegliederter Waffenproduktion. Letztere zielt darauf ab, die High-Tech-Waffen der Aliens, die nur von diesen verwendet werden können, auch Menschen zugänglich zu machen, was enorme Profite für MNU bedeuten würde. Dass Profitmaximierung sich dabei nur sehr schlecht mit der Aufrechterhaltung oder Herstellung ethischer Standards verträgt, kann dabei als Metanarrativ und eindringliche Warnung des Films betrachtet werden. Der herrschende Rassismus wird für MNU zu einem strategischen Kalkül, das gewaltsame Übergriffe genauso erlaubt wie Deportationen. Denkt man etwa an Firmen wie Blackwater und ihr unbehelligtes Vorgehen im Irak oder auch an die mittlerweile marktwirtschaftlich organisierte „Betreuung“ von Flüchtlingen in den Industriestaaten, muss man konzidieren, dass die Realität das Science-Fiction-Szenario bereits eingeholt hat. MNU schreckt dabei auch nicht vor Experimenten an den Aliens zurück – die Parallelen zu den „medizinischen“ Experimenten der Nazis an „Untermenschen“ sind hier besonders offensichtlich.
Sobald Disctrict 9 in der zweiten Hälfte des Films diese dokumentarische Erzählweise jedoch für eine mit dem Geschehen verschmolzene Kameraführung aufgibt, verliert das gesamte Szenario den Reiz des Besonderen und verkommt zusehends zu einem generischen Actionspektakel. Je mehr die Kamera ins Geschehen eintaucht und je mehr vermeintliche Tiefe die Figuren dadurch erhalten sollen, desto platter und vorhersehbarer gestaltet sich ihr Agieren: Wikus kommt während der Deportation mit einem Mutagen in Berührung und verwandelt sich allmählich in ein Alien, was es ihm auch ermöglicht, ihre Waffen zu benutzen. Dies macht ihn wiederum zum Zielobjekt von MNU, die seine spezielle Fähigkeit nun besonders genau betrachten wollen – unter dem Mikroskop, scheibchenweise. Auf der Flucht vor MNU gerät er an das Alien „Christopher“, der dieses Mutagen hergestellt hat. Sein Ziel ist, dieses als Treibstoff zu nutzen, um eine Raumfähre zu betreiben, um das Mutterschiff erreichen und die Heimreise antreten zu können. Die medizinische Ausrüstung an Bord des Raumschiffs ist auch der Schlüssel zur Bekämpfung Wikus fortschreitender Mutation; das Mutagen allerdings befindet sich im MNU Hauptquartier – gemeinsam schießen und sprengen sich Wikus und Christopher den Weg hin und zurück frei und entwickeln dabei eine tiefe Freundschaft.
So lässt sich letztlich festhalten, dass das außergewöhnliche und reizvolle Szenario von District 9 aufgrund seiner theoretischen Plattheit zu enervierenden Lücken in der Geschichte führt, über die weder die rasanten Verfolgungsjagden und Feuergefechte, noch die kunstvoll animierten explodierenden Körper und Gliedmaßen hinwegtäuschen können. Dies ist in Anbetracht der verheißungsvollen ersten Hälfte umso betrüblicher, als die Hoffnung auf einen gänzlich neuen Science-Fiction-Klassiker letztlich enttäuscht und so ein spannendes Szenario schlussendlich vergeudet wird.