Arbeits-Unrecht: Oder die mediale Bearbeitung der anschwellenden Wirtschaftskriminalität

Was ist ein Skandal und was nicht? Über die Macht der selektiven Darstellung

Beachten Sie auch folgende Konferenz: Arbeits-Unrecht in Deutschland, 14. März 2009 in Köln. 

Berichte über eklatante Rechtsbrüche von Topmanagern der führenden Konzerne Deutschlands sind tägliches Medienprodukt geworden. Ein „größter Wirtschaftsskandal der Bundesrepublik“ löst seit einiger Zeit den nächsten ab. Volkswagen, Siemens, Lidl, Telekom. „Durch Korruption, Tricksereien und Wirtschaftskriminalität der nationalen Eliten“ werde die „Staatsform der republikanischen Demokratie herausgefordert“, orakelt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. (1.6.2008) Aber die mediale Bearbeitung zeigt, daß die wenigen „Skandale“, die diesen Rang erhalten, entschärft werden.

Schon daß die Demokratie nur „herausgefordert“ werde, ist eine Beschönigung. Vor allem: Die Verletzung von Arbeits- und Sozialund damit in Zusammenhang stehenden Menschenrechten stellt für die Medien keinen Skandal dar.

Die großen Skandale - neoliberal gewendet

Wirtschaftskriminalität, wenn sie denn in Einzelfällen skandalisiert wird, wird auf das Strafrechtliche reduziert. Hintergründe werden ausgeblendet, ebenso die Folgen für Bürgerinnen und Bürger als Beschäftigte, Konsumenten, Arbeitslose, Steuerzahler. Ebenso ausgeblendet werden entscheidende Mittäter,ohne die das System gar nicht funktionieren würde.

Telekom: Skandal im „volkseigenen Betrieb“

In der Telekom AG gab der damalige Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke, in Abstimmung mit dem Aufsichtsvorsitzenden Klaus Zumwinkel, die Anweisung, „undichte Stellen“ und die „Quelle von Indiskretionen zu suchen und diese abzustellen“. Zu viele Informationen über geplante Entlassungen und Auslagerungen seien vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt. Beauftragte Sicherheitsfirmen (Detekteien) haben dann Telefondaten besonders von Betriebsräten, gewerkschaftlichen Mitgliedern des Aufsichtsrats und Journalisten über Jahre hin gesammelt und ausgewertet, Bewegungsprofile erstellt, Kontostände ausgespäht.

Das ist nun für die Frankfurter Allgemeine Zeitung zwar ein „Skandal“, aber ein ganz besonderer, nämlich ein Skandal „im volkseigenen Betrieb“. Mit dieser süffisanten Anspielung auf die staatlichen Betriebe der ehemaligen DDR legt die Zeitung nahe, daß die Telekom trotz Umwandlung in eine Aktiengesellschaft immer noch viel zu sehr unter staatlichem Einfluß stehe: Der Staat hat noch nicht alle seine Aktien verkauft. Deshalb ist die Telekom immer noch ein „Beamtenladen“, und „noch immer größer als nötig, träger, schwerfälliger“. Auf Betriebsräte und Beschäftigte werde noch zu viel Rücksicht genommen: „Sobald Belegschaft und Betriebsrat murren“, werde von „der Politik“ gebremst. Der Konzern sei „politisch verseucht“, die Macht der Gewerkschaft verdi immer noch „sagenhaft“. („Skandal im volkseigenen Betrieb“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 1.6.2008)

Die Zeitung legt die Schlußfolgerung nahe: Wenn es Betriebsrat und Gewerkschaften nicht mehr gäbe, zumindest nicht mehr als Störfaktoren, dann gäbe es auch kein Problem der Ausspähung mehr. Denn dann würde auch niemand mehr die Öffentlichkeit über geplante Entlassungen informieren wollen. Die Zeitung garniert diese Darstellung mit weiteren Assoziationen an die DDR. Neben dem „volkseigenen Betrieb“ taucht die „Stasi“ auf. Die für die Ausspähung beauftragte Sicherheitsfirma Desa sei „offenbar von einem Ex-Stasimitarbeiter gegründet“ worden. Mit „offenbar“ hält man sich ein Hintertürchen offen, falls das mit der Stasi doch nicht stimmen sollte. Aber man kann es ja schon mal behaupten. Und nicht der Auftraggeber ist der böse Bube, sondern der Beauftragte.

Seit zwei Jahren wird ausufernd über die 1,4 Milliarden Euro Schmiergeld berichtet, die der Siemens-Konzern während des letzten Jahrzehnts in Dutzenden europäischen und außereuropäischen Staaten verdeckt an Manager und Politiker gezahlt hat, um im Bereich Telekommunikation, Energieanlagen, Medizintechnik u. ä. an Aufträge zu kommen. Im Vordergrund stehen Siemens-Manager bis hinauf in den Vorstand, die sich nun auch vor Gericht verantworten müssen. Die Medien berichten zwar in Nebensätzen auch über alle hochrangigen Mittäter, ohne die das System gar nicht funktionieren würde. Gegen sie richtet sich aber überhaupt keine Kritik. Es wird gar nicht gefragt, warum diese nicht auch angeklagt werden: Das sind die Wirtschaftsprüfer von KPMG; Anwälte, die die fiktiven Beraterverträge verfaßt haben, über die die Bestechungssummen gelaufen sind; Treuhänder in Finanzoasen; deutsche Finanzbehörden, die entgegen dem seit 1999 geltenden Gesetz die Schmiergelder weiter als steuerlich begünstigte Betriebsausgaben anerkannt haben; Banken, die bei der Geldwäsche behilflich waren. Und viele mehr.

Die Rolle der Finanzoasen wie Liechtenstein, Schweiz und Cayman Islands wird zwar erwähnt, aber deren verdeckte Beihilfe-Praktiken werden nicht infrage gestellt. Auch die Rolle von Gerhard Cromme wird nicht hinterfragt, der als Vorsitzender der Regierungskommission „Corporate Governance“ im Aufsichtsrat von Siemens und als Mitglied von dessen Prüfungskommission sowohl sich selbst als auch die Praxis dieser Regierungskommission grundlegend diskreditiert hat. Vor allem blenden Medien das Problem der Bestechung von Betriebsangehörigen aus. Es wird durchaus berichtet, daß die Konzernspitze seit 1974 dem Angestellten Wilhelm Schelsky über Beraterverträge, also verdeckt, zweistellige Millionenbeträge zukommen ließ. Damit wurde die „gelbe“ Gewerkschaft „Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“ (AUB) als vorstandshöriges Gegengewicht gegen die IG Metall aufgebaut. Die AUB wurde so üppig subventioniert, daß sie auch in anderen Unternehmen Betriebsräte plazieren konnte. Die Mitbestimmung nach derzeit geltendem Recht, ohnedies allzu schwach, wurde unterlaufen, Lohnsenkungen und Auslagerungen konnte der Vorstand leichter durchsetzen.

Da im Betriebsverfassungsgesetz die Begünstigung von Betriebsräten und Eingriffe in Betriebsratswahlen unter Strafe stehen, stellte die IG Metall im April 2007 Strafantrag gegen Unbekannt. Dabei blieb es. Bis heute ist unbekannt, was die Staatsanwälte daraus gemacht haben. Und die ansonsten so fleißigen Medien fassen hier nicht nach.

Die Medien blenden auch die volkswirtschaftlichen Schäden aus. Diese sind entgegen dem öffentlich verbreiteten Bild erheblich. Die Medien berichten zwar, daß bei den korruptiv errungenen Aufträgen die Preise zugunsten von Siemens weit über den Marktwert gepusht wurden. Aber es wird mit keinem Wort erwähnt, daß, wenn es sich um öffentliche Auftraggeber handelt, damit die Staatsverschuldung zusätzlich ansteigt; und daß das volkswirtschaftlich verfügbare Auftragsvolumen sich verringert und die Arbeitsplätze, die vielleicht bei Siemens, selbstverständlich nur vorübergehend, geschaffen werden konnten, gesamtwirtschaftlich verloren gehen.

Gekaufte Gewerkschaften - keine Korruption

Die Korruption von Betriebsräten bei Siemens ist kein Einzelfall. Werfen wir einen Blick auf andere: Die PIN Group ist das größte private Brief- und Zustellunternehmen in Deutschland. Die Eigentümer sind „renommierte“ Verlage wie Springer, Holtzbrinck (dem auch die „Die Zeit“ gehört) und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Die Geschäftsgrundlage ist die Beschäftigung von Niedriglöhnern und staatlich subventionierten Hartz IVEmpfängern. Als der Bundestag für diese Branche einen Mindeststundenlohn von 9,80 Euro beschließen wollte, gründeten die Unternehmen unter Führung von PIN bei einem Treff am Genfer Wohnsitz des PIN-Vorstandsvorsitzenden Günter Thiel als Waffe den „Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste“, AGV-NBZ). Und sie gründeten gleichzeitig selbst die dazu passende „Gewerkschaft Neue Brief- und Zustelldienste“, GNBZ).

Ein ehemaliger Manager der Handelskette Tengelmann wurde als Vorsitzender eingesetzt. Über eine „renommierte“ Anwaltskanzlei schleuste PIN 133.000 Euro an die Scheingewerkschaft. Ihre erste größere Aktion bestand darin, verängstigte PIN-Beschäftigte nach Berlin zu karren und sie gegen den geplanten Mindestlohn demonstrieren zu lassen. (Stern 16 / 2008) Ein Skandal wurde daraus nicht. Vielmehr litten die Medien mit dem Vorstandsvorsitzenden des PIN- Hauptaktionärs Springer, Döpfner, der sein Geschäftsmodell nicht habe durchsetzen können.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di stellte Strafanzeige gegen die Vorstandsmitglieder der PIN Group und der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) wegen Bestechung und Bestechlichkeit. Die Staatsanwaltschaft Köln fand jedoch keinen Anfangsverdacht und stellte die Ermittlungen ein: Es gebe zwischen PIN und GNBZ „keinen Austausch von Waren oder gewerblichen Leistungen“, deshalb könne der Tatbestand der Bestechung und Bestechlichkeit auch gar nicht vorliegen. Das war den Medien keine Kommentierung wert.

Kein Skandal: Arbeits-Unrecht

Gerade dort, wo nicht nur die geltenden Eigentümer-Gesetze, sondern auch die ohnehin kaum mehr vorhandenen Arbeits- und die Menschenrechte verletzt werden, sehen die Medien keinen Skandal. 1)

Wer auf seinem Lohn besteht, wird gekündigt.

Frau Janet F. hat von April bis September 2007 bei der Hamburger Reinigungsfirma Peterhoff gearbeitet. Sie hatte einen Vertrag über 20 Wochenstunden, Stundenlohn 7,87 Euro. Damit zahlte die Reinigungsfirma den kümmerlichen Tariflohn nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz.Die geschiedene Mutter zweier Kinder mußte allerdings etwa die doppelte Stundenzahl arbeiten, vielfach nachts. Sie bekam aber nur jeweils 20 Stunden bezahlt. Als sie nach der fünften Lohnabrechnung nachfragte, wann die Überstunden bezahlt werden, kündigte ihr Peterhoff. („Zwei Stunden Arbeit – nur eine wird bezahlt“, Hamburger Abendblatt 19.2.2008).

Janet F. klagte vor dem Arbeitsgericht auf Nachzahlung. Sie bekam recht, Peterhoff mußte 1.393 Euro herausrücken. Ihr Anwalt Rainer Willhoeft wie der Branchensekretär Jörn Förster von der Industriegewerkschaft Bau bestätigen: Die Mehrstunden nicht zu bezahlen ist gängige Praxis bei Reinigungsfirmen. Sie behaupten, daß sie nach Tarif zahlen, sie schließen die Arbeitsverträge auch so ab, aber in Wirklichkeit zahlen sie mithilfe unbezahlter Mehrarbeit nur die Hälfte. Eigentlich ein Wirtschaftsdelikt, fällt aber in die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts und damit aus der Statistik über Wirtschaftsstraftaten.

Arbeitnehmer klagen nur in Ausnahmefällen ihren Lohn ein. Die meisten haben die begründete Angst, daß sie gekündigt werden wie Janet F., wenn sie nachfragen, ob ihnen der vertraglich vereinbarte Lohn ausgezahlt wird. Viele sind Ausländer. Zudem ist ihre rechtliche Stellung sehr schwach, sie haben meist nur befristete Verträge. Sie haben schlechte Aussichten auf einen neuen Job. Die Arbeitgeber dürfen die existenzielle Not gnadenlos ausnutzen.

Das Hamburger Abendblatt berichtete, daß die so genannte „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ der Zollfahndung auch für die Reinigungsfirmen zuständig ist. Aber bei 1.200 Reinigungsfirmen in Hamburg sind den wenigen Beamten höchstens einige Stichproben möglich. Beim Arbeitgeberverband will man von solchen Praktiken noch nichts gehört haben. „Wir haben in der Branche keine aktuelle Kenntnis von Fällen, bei denen Firmen den Tariflohn umgehen, indem Überstunden nicht vergütet werden“, wird Volker Ogun, der Geschäftsführer der Innung, zitiert. Der Arbeitgeber- Funktionär behauptete das, nachdem das Arbeitsgericht die Firma Peterhoff zur Nachzahlung verurteilt hatte. Doch selbst eine solche halbkritische Bemerkung verkneift sich das Hamburger Abendblatt. Es fragt auch nicht, ob das Vorenthalten von vereinbartem Lohn strafbar sei oder sein sollte. Es fragt nicht, ob das Kündigen aufgrund des Verlangens von vereinbartem Lohn strafbar ist oder seinsollte.

Das mag auch daran liegen, daß es sich nach geltendem Recht wirklich nicht um Straftaten handelt, sondern höchstens um eine „Ordungswidrigkeit“, wie wir sie vom Falschparken kennen. Und wie viele Fälle von noch schlimmerer, geradezu sklavenähnlicher Behandlung eingeschleuster ausländischer Illegaler aus Marokko, Rumänien, Polen, insbesondere auf Großbaustellen, werden von der Zollfahndung aufgedeckt - oder auch nicht - und finden nie den Weg in die Medien, die doch gerade in solchen Fällen die Öffentlichkeit zur Herstellung ihrer Kritikfähigkeit informieren und mobilisieren müßten.

Konkursverwalter fordern Löhne zurück

Immer häufiger verklagen Insolvenzverwalter ehemalige Mitarbeiter auf Rückzahlung bereits gezahlter Löhne. Zum Beispiel hat Eberhard Irrgang, Insolvenzverwalter der Firma „Holz-Nützel“, die Löhne von 120 Arbeitnehmern zurückgefordert, das heißt von der gesamten Belegschaft. Die neue (von der Regierung Schröder/Fischer geschaffene) Insolvenzordnung (vgl. die Paragraphen im Kasten), ermöglicht eine solche Interpretation, wenn die Arbeitnehmer von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ihres Betriebes gewußt haben können. Die Rückforderungen sind dann möglich, wenn der Gläubiger-Ausschuss zustimmt. Wie immer die juristische Interpretation im Einzelfall auch aussieht, die Rückforderungsmöglichkeit schon gezahlter Löhne ist ein weiterer Schritt der deutschen „Reformpolitiker“ vom bisherigen Arbeitsrecht ins neue Arbeits-Unrecht gewesen.

Die Entrechtung der Beschäftigten ist perverserweise damit verbunden, daß sie gleichzeitig zu Mitverantwortlichen im Unternehmen erklärt werden. Auch das ist für die meinungsführenden Medien kein Skandal. Berichtet wird dergleichen gelegentlich z. B. in den der Kürzung ihrer Sendezeiten unterliegenden TV-Politmagazinen wie frontal 21, Mo-nitor u. ä. („Lohnrückforderungen nach Insolvenz“, FAKT 14.1.2008)

Wucherzinsen - ein zusätzliches Kreditangebot

782 Prozent Wucherzinsen? Ist das möglich? Ja, es ist möglich und es ist kein Skandal. In unserer deutschen moralischen Hölle wird sachlich darüber berichtet. Das Parlament des US-Bundesstaates Ohio hat ein Gesetz beschlossen, wonach der jährliche Zins bei „payday loans“ auf 28 Prozent begrenzt wird. Drei Jahre lang haben Verbraucherschützer für dieses Gesetz gekämpft, jetzt freuen sie sich über ihren Erfolg. („Ohio will Zinsen von 390 Prozent verbieten“, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2.6.08).

„Payday loans“ sind Kleinkredite von im Schnitt 300 US-Dollar, die Laufzeit beträgt zwei Wochen. Solche Kredite werden von Lohnabhängigen aufgenommen.Wenn sie vor Ablauf eines Monats ihren Lohn verbraucht haben, leihen sie sich die 300 Dollar, um bis zum nächsten Monatsanfang zu überleben. Die Kredite heissen „payday loans“, weil sie am „Zahltag“ (payday) fällig werden, am Tag der nächsten Lohnzahlung. Weil damit die finanzielle Misere meist nicht behoben ist, sondern noch schlimmer wird, sind Kettenkredite die Folge. Die Kreditgeber namens „Check‘n go“, „Advance America“ und „Check into Cash“ nehmen Gebühren. Diese betragen zwischen 15 und 30 $ je 100 $ Kredit. Das sind, aufs Jahr gerechnet, zwischen 390 und 782 Prozent. In Ohia waren es „nur“ 15 $. Wenn etwas als Wucherzins zu bezeichnen ist, dann hier.

Selbst aus den grausamsten Zeiten des Alten Testaments sind solche Wucherzinsen nicht bekannt geworden. Dafür mußte der USgeführte Kapitalismus kommen. Und es mußten Kapitalismus-Propheten und fundamentalistische Pro-Amerikanisten kommen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, um solche Wucherzinsen zu rechtfertigen. Sie berichtet cool, daß Kreditbüros dieser Art in den letzten Jahren wie Pilze aus dem kapitalistischen Boden geschossen sind. Allein in Ohio sind es 1.600. Das sind inzwischen mehr als alle Restaurants von McDonalds, Burger King und Wendy‘s zusammen. „Ein Milliardengeschäft“, lobt die Zeitung. In Ohio erklären Politiker, daß solche Bedingungen der Kreditvergabe „räuberisch“ sind. Und deshalb wird es als Erfolg bezeichnet, wenn zumindest jetzt in diesem US-Bundesstaat nach jahrelangen Auseinandersetzungen per Gesetz die Zinsen auf 28 Prozent beschränkt werden. Obwohl man auch das noch als Wucherzins bezeichnen muß, solange man noch nicht jedes Maß verloren hat; das sagt die Zeitung allerdings nicht.

Dagegen sagt uns zum Abschluß das proamerikanistische Fundiblatt der Republik: „Trotz der Entrüstung der Verbraucherschützer halten Fachleute die kurzfristigen Kredite nicht für Teufelszeug“. Die Zeitung zitiert einen „Fachmann“, einen „richtigen Ökonomen“, im Unterschied zu den „Verbraucherschützern“, die nur „moralisch argumentieren und „entrüstet“ sind. Donald Morgan, ausgestattet mit der Autorität der Federal Reserve Bank von New York, erklärt, daß es „keine empirischen Beweise“ dafür gebe, daß sich „die Kreditgeber auf Kosten von Haushalten mit einem unsicheren Einkommen bereichern“ - Wucherzinsen sind nämlich keine Bereicherung. Sondern: „Payday loans stellen insgesamt eine legitime Verbesserung des Kreditangebots dar.“

Ausspähung von Arbeitslosen

Die Kölner Arbeitslosen-Initiative hat aufgedeckt, daß die Sparkasse Köln-Bonn die Kontodaten einer arbeitslosen Frau heimlich an die ARGE (Arbeitsgemeinschaft von Stadtverwaltung und Arbeitsagentur) weitergereicht hat. Die Frau sei „nachträglich über die Datenweitergabe informiert“ worden, berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger. Die Kölner Arbeitslosen-Initiative habe kritisiert, daß die Bank die Daten der ARGE in diesem „Einzelfall“ rechtswidrig und ungeprüft weitergegeben habe. („Ungeprüft Auskünfte gegeben“, Kölner Stadt-Anzeiger 30.5.2008)

Wenn Empfänger von Arbeitslosengeld II ausgespäht und ihre Daten weitergegeben werden, reicht das nicht zu einem Skandal. Darüber hinaus verfälscht und verharmlost der Kölner Stadt-Anzeiger. Die Kölner Arbeitslosen-Initiative spricht keineswegs von einem „Einzelfall“, sondern ausdrücklich von einem „grundsätzlichen Problem“. Es beruhe auf der „Auskunftsverpflichtung Dritter“, die neu in das Sozialgesetzbuch II eingeführt worden sei. Der Datenschutzbeauftragte von NRW habe der Arbeitslosen-Initiative die Rechtswidrigkeit im Verhalten der Stadtsparkasse bestätigt. Die Bestimmung öffne allerdings solchen Praktiken „Tür und Tor“. Das steht aber nur in einer kleinen Zeitung. („Die Kölner Hartz IV-Behörde nahm illegal Einblick in ein Privatkonto“, junge welt 31.5.2008)

Der Stadt-Anzeiger, der gegen jede Erfahrung immer noch über ein „liberales Image“ verfügt und neuerdings den Ex-Bundesminister für Wirtschaft, Wolfgang Clement, in seinen Aufsichtsrat berief, verschweigt eine weitere Tatsache. Die Stadtsparkasse hat nämlich der Frau einen Formbrief geschickt, ohne Unterschrift und Ansprechpartner. Das weist darauf hin, daß es sich auch von Seiten der Bank nicht um einen „Einzelfall“ handelt. Zudem ist in dem Formbrief nicht einfach von „Kontodaten“ die Rede, sondern von „Konten, Salden, Guthaben“. Der Artikel endet unkommentiert mit den Rechtfertigungen der Bank („Wir haben die Pflicht, die Daten weiterzugeben“) und der ARGE („in Einzelfällen erlaubt, Kontodaten ohne Zustimmung abzufragen“).

Kein Skandal II : Spekulation mit Grundnahrungsmitteln

Die Preise für die Grundnahrungsmittel Reis, Getreide, Mais und Soja waren noch nie so hoch wie heute. Im Laufe der letzten Jahre, als sich tatsächliche und angstgeschürte Knappheiten entwickelten, wurden die Preise spekulativ in die Höhe getrieben. In vielen Ländern können sich arme Bevölkerungen noch schlechter ernähren als bisher. Noch mehr Menschen hungern, verhungern. In Haiti wird „Brot“ mithilfe von Sand und Schlamm gebacken.

Die Deutsche Bank etwa wirbt für neue Geldanlagen: Gewinne werden versprochen mit Fonds, die in die knappen Nahrungsmittel investieren. Wer bei wachsender Weltbevölkerung auf steigende Nahrungsmittelpreise setzt, der sei auf der sicheren Seite. Die Spekulation mit dem Hunger von Millionen Menschen und damit auch die weitere Verschärfung des Hungers ist kein Verbrechen, sondern ein cleveres neues Finanzprodukt.

„Aus Sicht der Ökonomen hat die Spekulation wichtige Funktionen. Spekulanten richten ihren Blick in die Zukunft. Sie investieren keinesfalls wahllos. Dafür tragen sie Informationen zusammen. Ungewollt geben sie so Produzenten und Verbrauchern Signale. Die können sich frühzeitig auf ein neues Szenario einstellen“, so belehrt uns zum christlichen Sonntag die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Und so beschließt sie ihr sonntägliches kapitalistisches Tischgebet: „Spekulanten verdienen mit. Und das ist gut so.“ („Die Schuld der Spekulanten“ 1. 6.2008).

Kein Skandal III: Steuerfahnder in die Psychiatrie

„Mehrere gut ausgebildete Steuerfahnder, die mit ihren Vorgesetzten wegen dienstlicher Angelegenheiten über Kreuz lagen, hat die hessische Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU) mit Hilfe psychiatrischer Gutachten zu pensionsberechtigten Ruheständlern gestempelt – teilweise schon im Alter von 36 Jahren.“ Die „dienstlichen Angelegenheiten“ bestanden darin, daß die Steuerfahnder zu einem Team gehörten, das im Jahre 2000 eingesetzt wurde. Es hatte die Aufgabe, der Steuerhinterziehung tausender vermögender Anleger nachzugehen, die mit Hilfe renommierter Banken während der 90er Jahre Vermögen ins Ausland, vorwiegend nach Luxemburg und in die Schweiz, geschleust und die zuvor eingeführte Quellensteuer umgangen hatten.

Das Team führte in Banken und Privathäusern Razzien durch und holte für den Staat Milliardenbeträge an hinterzogenen Steuern zurück. („Beamte: Großzügiger Verzicht“, Der Spiegel 4/2008, S. 50) Doch die Fahnder, die mit der Staatsanwaltschaft Bochum in engem Kontakt standen – dort wurde eine Liste mit deutschen Steuerhinterziehern bearbeitet, die ihre Millionen in Liechtensteinische Stiftungen eingebracht hatten – wurden ausgebremst.

Auf Anweisung von oben mussten sie schon 2001 „einige tausend noch unbearbeitete Fälle abgeben“. Die meisten Steuerfahnder widersetzten sich. Ein Dutzend wurde in andere Ämter versetzt. Mehrere derjenigen, die auf ihrer Aufgabe beharrten, ließ die Landesregierung bzw. die Leitung der Steuerbehörde psychiatrisch untersuchen. Ergebnis: „paranoid-querulatorische Entwicklung“ und „chronische und verfestigte psychische Erkrankung“.

Einer der so in Frühpension geschickten Steuerbeamten ist Rudolf Schmenger. Er bekam trotz fünfmaligen Antrags keine Einsicht in die Geheimakte, die über ihn geführt wurde. Er hätte sich mit Karrieresprung nach oben eine neue Beamtenstelle aussuchen können, außer bei der Steuerfahndung. Er lehnte ab. Er schied aus dem Staatsdienst aus und bekommt nun seine Pension. Er hätte sich damit bequem zur Ruhe setzen können. Doch mit 46 Jahren wollte er sein aktives Berufsleben nicht beenden. Bevor er sich 2008 als Steuerberater niederließ, musste er sich nach Anweisung der Steuerberaterkammer nochmal einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen. Ergebnis: Schmenger ist „gesund, bewusstseinsklar, allseits orientiert, freundlich-zugewandt und kooperativ,“ den Beruf des Steuerberaters könne er „in vollem Umfang ausüben“.

Welche großen Dauer-Skandale konnten doch medial entfacht wurden, als in der Sowjetunion „Systemkritiker“ und „Dissidenten“ mit psychiatrischer Behandlung bedroht wurden! Doch wenn in der Verantwortung einer „christlichen“ deutschen Landesregierung illegal angehäufter Reichtum mithilfe psychiatrischer Zwangsbehandlung geschützt wird, ist das für dieselben Medien kein Skandal.

Kein Skandal IV: Der Neoliberalismus als Arbeits-Unrecht

Man kann die bisher geschilderten Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten mit viel Nachsicht noch als Einzelfälle bezeichnen, auch wenn sie ziemlich häufig sind und die Tendenz zum Allgemeinen haben. Immerhin bestehen noch einige Möglichkeiten der Gegenwehr. Aber die Akteure des neoliberalen Weltbilds, die diese Möglichkeiten in Europa schon weitgehend demontiert haben bzw. weiter demontieren, zeigen in anderen Regionen der Erde, wohin sie wirklich wollen.

EU- und US-Lobby kippt das chinesische Arbeitsgesetz

Der chinesische Volkskongress hatte 2006 ein neues Arbeitsgesetz entworfen. Daran mitgearbeitet hatten als Berater der deutsche Bundesarbeitsrichter Wolfgang Linsenmeier und der gewerkschaftsnahe Arbeitsrechtler Professor Wolfgang Däubler. Der Entwurf enthielt u.a. die Vorschrift, dass jeder Beschäftigte einen Arbeitsvertrag erhalten soll, ansonsten sollte er als unbefristet eingestellt gelten und Kündigungsschutz haben. Leiharbeit sollte auf sechs Monate beschränkt bleiben. Entlassungen von mehr als 50 Beschäftigten sollten nur bei Zustimmung der Gewerkschaft oder lokal gewählter Repräsentanten möglich sein u.ä. Das Mitbestimmungsrecht orientierte sich an der deutschen und schwedischen Gesetzeslage. Dies war für chinesische Verhältnisse radikal.

Die Regierung wollte damit auch die zunehmenden Proteste gegen die unsicheren und miserabel entlohnten Arbeitsplätze entschärfen. Die westliche Unternehmer-Lobby lief Sturm. Der Präsident der Europäischen Handelskammer, der niederländische Bankier Jannsens de Varebekke, droh-te, das Gesetz würde „ausländische Unternehmen zwingen, ihre Investitionen in China zu überdenken.“ Die US-Handelskammer warnte in einem Brief an den Volkskongress, das Gesetz würde sich „negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der Volksrepublik China auswirken“. Daraufhin entschärfte die Regierung das Gesetz.

„Die Einsprüche der Business Community haben gewirkt“, freute sich die Kanzlei Baker & McKenzie des ehemaligen US-Aussenministers James Baker, die zahlreiche US-Konzerne in China vertritt. Auch die entschärften Bestimmungen passen der West-Lobby nicht, sie hält sich aber wegen der inzwischen entstandenen weltweiten Aufmerksamkeit zurück. In deutschen Medien wird dies nur am Rande berichtet. (ver.di Publik 4/2008)

Irak: Staatlich organisierteWirtschaftsverbrechen

Die US-Regierung unter George W. Bush und die verbündete britische Regierung unter Tony Blair haben den Krieg gegen den Irak mit einer Lüge begründet. Das Regime von Saddam Hussein verfügte weder über die behaupteten „Massenvernichtungswaffen“ noch hatte es Verbindung mit dem „Terrornetzwerk Al Quaida“. Das ist seit Jahren in den USA und in Grossbritannien bekannt, aber auch weltweit.

Die Medien, die anfangs die Lüge regierungsfromm nachgebetet haben, gestehen sie inzwischen ein. Allerdings wird die Lüge nicht als Skandal dargestellt, der Krieg wird fortgeführt, und die Medien verlangen weder die Ablösung der Regierungen noch das Ende des Kriegs. Das liegt darin begründet, dass der Krieg ohnehin aus anderen Gründen geführt wird. Und dies akzeptieren die Medien: Im Irak soll in Reinkultur ein Staat nach neoliberalem Muster vom Nullpunkt an neu aufgebaut werden.

Es geht nicht nur um den langfristigen Zugriff auf das Oel, sondern auch um den Aufbau und dann vor allem um den langfristigen Betrieb der gesamten Infrastruktur an Strassen, Brücken, Wasser, Energie, Kommunikation, Medien, Bildung, Wissenschaft, Parteien, Konsum usw. Ein solcher neoliberaler Retorten-Staat soll zugleich ein militärisch und ideologisch befestigter Vorposten des „Westens“ im widerständigen Nahen Osten und überhaupt im arabischen Raum sein, der zur Umgestaltung ansteht.

Die Gesetze, die von der Besatzungsbehörde ab 2003 verfügt wurden, entsprechen der Wunschliste internationaler Investoren. Sie können irakische Unternehmen vollständig aufkaufen und umkrempeln. Das private US-Beratungsunternehmen Bearing Point hat nicht nur das neue Oel-Gesetz konzipiert, sondern auch die neue Verfassung. Niedriglöhner aus anderen Staaten werden eingestellt, Iraker müssen nicht beschäftigt werden – deren Arbeitslosigkeit ist inzwischen auf 70 Prozent gestiegen.

Irakische Guthaben wurden auf die Besatzungsmacht überschrieben, die daraus lukrative Aufträge vor allem an US-Konzerne vergibt. Selbstbedienung korrupter US-Unternehmen ebenso wie der abhängigen irakischen Verwaltung wird als notwendiger Kollateralschaden beim „Aufbau der Demokratie“ betrachtet. Auch britische und deutsche Unternehmen wie BAE Systems und Rheinmetall AG profitieren davon. Das kostet Millionen Tote, Verletzte, Arbeitslose, Flüchtlinge, Traumatisierte. Es verletzt zudem das internationale Völkerrecht, wonach eine militärische Besatzungsmacht nicht in die ökonomischen Strukturen eingreifen darf.

Es handelt sich somit rechtlich und faktisch um staatlich organisierte Wirtschaftskriminalität auf der höchsten denkbaren Stufe. Die grossen Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, sind Komplizen des Verbrechens. Nur in „underdog“-Medien wird das wahre Geschehen enthüllt. (Vgl. „Baghdad Bonanza – The Top Private Contractors in Iraq and Afghanistan“, Center for Public Integrity, November 2007)

Werner Rügemer in BIG Business Crime Nr. 3/2008

Fußnoten 1)

Vgl. dazu Bodo Zeuner: Arbeitsunrecht. Geschichten über Bürgerrechte im Betrieb. Hamburg 1991

Anmerkung: 2) Der Begriff „Neoliberalismus“ erscheint mir ungeeignet, um die gegenwärtige Phase und Methode des Kapitalismus zu kennzeichnen. Es handelt sich um eine Selbstzuschreibung der Akteure, auch wenn sie mittlerweile in Verruf geraten ist. Ein wissenschaftlicher, analytischer Begriff ist noch zu finden.