Es kommt

Der "Kampf gegen den Terrorismus" ist ein Joker, besonders in der US-Außenpolitik von Bush II. Doch ist es in Deutschland dagegen harmlos? Oder ist das scheinbar harmlose Gesicht Politik, ...

... hinter der sich ganz anderes verbirgt? Ursprünglich wurde unter dem Hinweis auf "den Terrorismus" in Deutschland ein Netzwerk aufgebaut, wonach einschlägige Behörden über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überprüfen lassen können, wer in Deutschland ein Konto, ein Wertpapierdepot oder die Verfügungsberechtigung über eine Bankverbindung habe. Dabei können die Ermittler von den Kreditinstituten auch Informationen über Kontostand oder Geldbewegungen anfordern. Und sie bekommen sie offenbar prompt. Da erklärt wurde, das ginge gegen Terroristen, Mafiabanden und andere finstere Gestalten, lehnte sich der deutsche Mensch zurück und war beruhigt: Der Staat schützte ihn.
Im Sommer 2004, just in der Zeit, als das grandiose Hartz-IV-Werk seine praktische Gestalt erhielt, sickerte nun durch, daß nunmehr auch "andere Behörden" Zugriff auf derlei Daten erhalten. Ab Frühjahr 2005 soll allen öffentlichen Stellen, die über "Leistungen" verfügen - also das berühmte Arbeitslosengeld II, Wohngeld oder Bafög - ein "automatisiertes Kontenabfragesystem" zur Verfügung stehen. Während also der Großverdiener weiter beruhigt sein Vermögen auf die Bermudas schaffen kann, wird der Prolet oder der Kleinsparer nun endgültig gläsern. Nichts mehr mit heimlichen Kleinbeträgen auf nicht angegebenen Konten. Der "Sozialschmarotzer" soll endgültig ausgemerzt werden, gemeint allerdings ist der unten, der die paar Pimperlinge noch aufheben wollte, neben ALG II. Da sei nun die deutsche sozialdemokratische Kanzlerschaft vor, schließlich: Ordnung muß sein. Und da fangen wir mal gleich unten an (nur, es reicht nicht bis oben).
Ab 1. April 2005 sollen auch die Finanzämter auf dieses System zurückgreifen können, wegen der "Förderung der Steuerehrlichkeit". Da die Nadelstreifen-Nieten sowieso keine bezahlen, ist wieder klar, wer gemeint ist. "Wer die Arbeitslosigkeit hat, braucht keine Stasi", hatte Heiner Müller dereinst gesagt. Gegen das hier war die auch wirklich ein Haufen armseliger Dilettanten.
Jetzt kommt der nächste Schritt, wieder im "Kampf gegen den Terrorismus ": Am 29. September ließ sich der zehntausendste Vielflieger mit einem maschinenlesbaren Paß und der Iris seiner Augen beim Bundesgrenzschutz registrieren. Wer nach diesem Verfahren als "unbedenklich" eingestuft ist, kann auch in Länder außerhalb der EU künftig ohne Ausweis reisen. Er braucht nur noch in das schwarze Loch zu sehen.
Wieder heißt es, immer mehr Staaten würden im Kampf gegen Terroristen und die organisierte Kriminalität auf "biometrische Erkennungsverfahren " setzen, weil die besonders sicher seien. Die Sicherheitsbehörden sind dann in der Lage, Menschen künftig nach Gesichtsform, Netzhaut und, beziehungsweise oder, Fingerabdruck sicher zu identifizieren. Da jeder Mensch einzig ist, kann er auch fälschungssicher identifiziert werden, vorausgesetzt, man hat die rechten Verfahren. Ab 2005 können diese Daten auf Chips in Ausweisen und Pässen abgespeichert werden. Wieder lehnt sich der deutsche Mensch beruhigt zurück: Der Staat tut etwas für seine Sicherheit.
Tatsächlich? Mit der Irisdiagnose kann der geschulte Arzt den Gesundheitszustand des Betreffenden ziemlich genau diagnostizieren. Man weiß, Lebens- und Krankenversicherungen würden eine Menge Geld für solche Informationen ausgeben. Dann ließe sich genauer das Risiko, Menschen zu versichern, einschätzen, oder, genauer gesagt: Die einen würden überhaupt keine Lebensversicherung bekommen, die anderen müßten für eine Krankenversicherung mehr ausgeben, als sie jetzt bald ALG II erhalten werden. Das unwerte Leben kann sauber ausselektiert werden. Und die Rendite steigt.
Eine andere Variante der Anwendung solcher Daten ist die Kontrolle von Demonstrationen: Mit der Auswertung entsprechender Polizeifilme ließen sich die computergespeicherten "Täter" gut herausfinden. Die Datenbank muß nur groß genug sein. Aber daran kann man ja arbeiten.
Gegenwärtig wird abgewinkt. Das alles sei datenschutzmäßig nicht zulässig. Wer aber entscheidet darüber? Glaubt denn irgendwer, es würde am Ende nicht so gemacht wie mit den Kontenbewegungen (siehe oben)? Big brother is watching you. Und das entsteht jetzt, mitten aus unseren derzeitigen Verhältnissen heraus.

in: Des Blättchens 7. Jahrgang (VII) Berlin, 25. Oktober 2004, Heft 22

aus dem Inhalt:
Paul Oswald: Nachbar Nazi; Jens Knorr: Vergeßt mir meine Traudl nicht; Bernhard Romeike: Es kommt; Herbert Wöltge: Der nackte DDR-Bürger; Ove Lieh: Ich, der Rattenfänger; Lotar Cibis: Ostmichel und Westmichel; Kathrin Singer, Kiew: Vergiftete Atmosphäre; Wladislaw Hedeler, z. Z. Moskau: Gorki-Park; Olaf Brühl: Händel in Rom; Marcus Crome: Pastorale?; Kai Agthe: Das letzte späte Jahr; Peter Bräunlein: Harlem - kriminell; Wolfgang Beutin: Liebe zu Zeiten des Neoliberalismus; Mathias Käther: Schreib das nicht auf, Kisch!; Antworten/Bemerkungen