Am Ende des Parteitages der Demokraten hielt Joe Biden seine Nominierungsrede als Präsidentschaftskandidat. Er wählte mythische Bilder: er sei der Mann „des Lichts“, es gelte, in den USA die „Zeit der Finsternis“ zu überwinden. Und alle, die mit ihm sind, seien „die Besten“, während sich die Kräfte „der Dunkelheit“ „auf die Schlechtesten“ stützten. Wahrscheinlich hatten die Redenschreiber vorher gerade Tolkiens „Herr der Ringe“ gesehen und gedacht, so machen wir das auch: Trump als Herr der Finsternis und Biden als „der weiße Ritter“, der das Land und die Welt erlöst. Die mit ihm sind, seien zugleich die „Wiedergeborenen“, sagte Biden, und er werde das Land wieder vereinen.
Dabei haben auch die journalistischen Auswerter in Deutschland nicht gemerkt, dass bei einer solchen märchenhaften Rollenzuweisung nicht die Neu-Vereinigung, sondern die vertiefte Spaltung der Gesellschaft Grundlage des Wahlprogramms ist. Wenn die Welt in Gut und Böse, Licht und Finsternis, göttlichen Auftrag und Welt des Teufels geteilt wird, gehören immer zwei dazu. Donald Trump hat den Ball folgerichtig aufgenommen: die Demokraten seien von „linken Anarchisten“ getrieben, die die Mauer zu Mexiko abreißen, die Polizei unterfinanzieren und jedem Zuwanderer einen Freifahrtschein in die USA geben wollten. Es steht folglich ein harter Wahlkampf bevor, und zwar von beiden Seiten. Dabei sollte auch jetzt nicht vergessen werden: Trump ist das Ergebnis der Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft, die er bereits 2016 vorgefunden hatte, nicht ihr Verursacher.
Zur Außenpolitik hat Biden im Grunde nichts Konzeptionelles gesagt, nur alte ideologische Versatzstücke angerufen, die jedoch klar dechiffriert werden können. Zunächst behauptet er, Trump habe sich Diktatoren unterworfen, „die Zeiten des Herumschmeichelns um Diktatoren“ seien vorbei, der US-Präsident müsse wieder „führen“. Offenbar in erster Linie erneut Regime-Change-Kriege. Das Land dürfe „nie wieder der Gnade Chinas […] ausgeliefert sein“. Das wirft Biden ausgerechnet der US-Regierung vor, die die Beziehungen in den vergangenen Jahren systematisch verschlechtert hat. Das heißt: wird Biden Präsident, werden die Beziehungen zu China noch schlechter, als sie es jetzt bereits sind. Ebenso das Verhältnis zu Russland. Die Behauptung russischer Einmischung in US-Wahlen wird wieder aufgewärmt, jetzt noch verstärkt mit dem Horror von angeblichen „russischen Kopfgeldern“ für das Töten von amerikanischen Soldaten“. Die USA sollten „Verbündeten und Freunden zur Seite“ stehen, er – Biden – werde „immer für unsere Werte der Menschenrechte und der Menschenwürde eintreten“. Das heißt im Klartext, was die Anzettelung und das Führen neuer Schieß- statt „bloß“ Handelskriege im Namen westlichen Wertegeschwafels anbetrifft, sollen die USA offenbar wieder auf das Niveau der Obama-Jahre zurück-erhoben werden: der Kriege wie der Heuchelei.
Eine Blaupause dafür lieferte kürzlich die berüchtigte Victoria Nuland mit einem Beitrag in Foreign Affairs. Zur Erinnerung: Nuland war bis Januar 2017 Unterabteilungsleiterin im Außenministerium der Obama-Administration mit Zuständigkeit für Europa und Eurasien, besonders aufgefallen durch ihre zentrale Rolle beim Regimewechsel in der Ukraine ab 2014. Da passte sie gut zu den Ukraine-Aktivitäten Joe Bidens und seines Sohnes Hunter. Ihr verdanken wir ja bekanntlich auch das Wissen um jene fünf Milliarden US-Dollar, die Wshington bis dahin bereits in die politische Landschaftspflege in der Ukraine investiert hatte. Nuland verkörpert wie kaum jemand sonst die Kontinuität der interventionistischen Linie der Außenpolitik der USA: Sie war unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton Stabschefin des stellvertretenden Außenministers Strobe Talbott, dem republikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney diente sie später als sicherheitspolitische Beraterin, war Repräsentantin der USA bei der NATO und zuletzt in der erwähnten Funktion bei Obama.
Im Heft Juli/August 2020 von Foreign Affairs hat Nuland einen Text zum Thema: „Wie ein sich selbst vertrauendes Amerika mit Russland umgehen sollte“ publiziert. Das war allerdings nur der Untertitel, der Obertitel lautete: „Putin festnageln“. In der Lageeinschätzung finden sich zunächst alle üblichen Anwürfe an die Adresse Moskaus: Russland habe die Verträge zur Rüstungskontrolle verletzt, neue, destabilisierende Waffensysteme entwickelt, das Völkerrecht gebrochen, die Souveränität Georgiens verletzt, die Krim und einen Teil des Donbass eingenommen und unterstütze Despoten in Libyen, Syrien und Venezuela. Russland nehme zwar an Verhandlungen über Syrien, die Ukraine oder die Rüstungskontrolle teil, nutze die Diplomatie jedoch lediglich dazu, tatsächliche Vereinbarungen zu verhindern. Gemeint sind solche im Sinne der USA. Die US-Politiker hätten das Selbstbewusstsein verloren, das Spiel verändern zu können. Wer auch immer die Präsidentenwahlen in diesem Jahr gewinne, er werde es weiter mit Putin zu tun haben. Mit diesen Wahlen gelte es, die Defensive aufzugeben, die Position der Stärke wiederherzustellen und Vertrauen in die Kraft der „demokratischen Welt“ zu setzen.
Putin habe für seine „Dreistigkeiten“ bisher einen viel zu geringen Preis bezahlt. Washington und seine Verbündeten hätten die „Staatskunst“ des Kalten Krieges vergessen, als der Westen mit dem Wettrüsten Druck auf die Sowjetunion ausübte, zugleich Kooperationen anbot und die Bevölkerung über die „Stimme Amerikas“ und „Radio Free Europe“ direkt ansprach. Auch heute sollte der Westen vor allem die junge Generation Russlands ansprechen und seine Werte verbreiten. Dabei gibt es eine aufschlussreiche Folgerung (zunächst bezogen auf die New START-Verhandlungen): wenn sich die USA und Russland verständigen, sollten sie gemeinsam Druck auf China ausüben.
Das Regime-Change-Konzept in Bezug auf Russland soll also am Ende dazu dienen, Russland auf der westlichen Seite gegen den Hauptfeind China zu positionieren. Und dabei hofft man auf die Zeit nach Putin, auf die nächste Generation.
Eine noch dubiosere Gestalt im Umfeld des „Weißen Ritters“ ist Rosa Brooks. Der Spiegel, Ausgabe 35/2020, präsentierte die Dame als Jura-Professorin und als Kronzeugin für seine Titel-Story, dass Trump auch im Falle seiner Wahlniederlage das Weiße Haus nicht verlassen wolle, ja dass er „aus dem Weißen Haus heraus den Staatstreich plant“, gegebenenfalls unter Einsatz des Militärs. Brooks wörtlich: „Joe Biden kann eine Pressekonferenz einberufen, Trump die 82. Luftlandedivision.“
Die Dame hatte 67 Experten zusammengerufen, von John Podesta, dem Wahlkampfmanager Hilary Clintons 2016, über Matt Bernet, der den Wahlkampf von Al Gore 2000 mitorganisierte, bis zu Bill Kristol, der einst John McCain unterstützte. Kurzum, eine Kollektion ausgewiesener Trump-Gegner. Sie diskutierten, wie weit Trump gehen könne, wenn er mit extra-legalen Mitteln im Oval Office bleiben wolle. Ergebnis: Trump sei eine Gefahr für die Demokratie.
Das allerdings wusste man auch zuvor schon.
Was Der Spiegel seinen zähneklappernden Lesern vorenthielt war dies: Rosa Brooks war unter Obama Beraterin im Pentagon, später im Außenministerium. Sie arbeitete im Open Society Institute von George Soros, ebenfalls ein entschiedener Feind von Donald Trump, und wurde dann Jura-Professorin an der Georgetown Universität. Sie hatte bereits im Januar 2017 in Foreign Affairs einen Artikel veröffentlicht, wie man Trump – immerhin der 2016 rechtmäßig gewählte Präsident – schon vor 2020 loswerden könnte. Dazu zählte sie ein Impeachment-Verfahren (das bei den Demokraten also schon damals geplant wurde, unabhängig davon, unter welchen Vorwänden man es dann später inszenierte), eine Amtsentfernung über das 25. Amendment der Verfassung wegen Amtsunfähigkeit sowie einen Militärputsch – vulgo Staatstreich.
Nun also warnt diese Analytikerin vor einem möglichen Putsch seitens Trump, die einen solchen gegen Trump vor vier Jahren als ein Mittel der Wahl empfohlen hatte. Da macht sich der Bock also quasi selbst zum Gärtner.
Solche Anhänger hat er, der „weiße Ritter“.