Geschichte wird global gemacht

Sie wird geschrieben, glorifiziert oder gedeutet. Nach wie vor dreht sich dabei fast alles um die Nation. Der Nationalstaat ist es, der Gesetze erlässt, Kriege führt und Grenzen sichert....

...Und so bildet er den Rahmen, der mit historischem Material gefüllt wird. Trotz aller Entwicklungen, die unter dem Begriff "Globalisierung" zusammengefasst werden, dominiert immer noch die nationale Geschichtsschreibung. Nationalfeiertage und nationale Gedenktage werden zur Erinnerung an die großen Taten der wichtigsten Landsmänner zelebriert, Denkmäler ehren fast ausschließlich die eigenen "Gefallenen und Opfer der Weltkriege", und Geschichtsbücher lassen sich oft in zwei Abschnitte unterteilen: in den einen über die eigene Nation und in den anderen über den Rest der Welt.
Man muss gar nicht erst DDR- und BRD-Geschichtsbücher miteinander vergleichen, um festzustellen, dass häufig ein und derselbe Sachverhalt oder ein und dieselbe Epoche völlig unterschiedlich bewertet werden. Französische, britische und deutsche Schulbücher stellen die Kriege zwischen den europäischen Staaten grundverschieden dar. Und was in europäischen Kolonialstaaten als Epoche der Entdeckungen gilt, ist für die kolonisierten Länder eine lange Geschichte von Unterdrückung und Ausbeutung.

Aufgrund der Erkenntnis, dass Geschichte nicht "neutral" geschrieben wird, wurde von der Dependenztheorie aus erstmals grundsätzlich die Perspektive gewechselt. Die Entwicklung der Industriestaaten basiere, so die zentrale These der Dependencia, auf der Unterentwicklung der Dritten Welt. Durch Ausbeutung werde Reichtum erst geschaffen. Doch auch diese veränderte Sichtweise hatte ihre Schattenseiten: Die "Unterdrückten" wurden zu bloßen Opfern gemacht und die Geschichte auf eine nicht enden wollende Folge von Unterdrückung und Ausbeutung reduziert. Und die Weltgeschichte blieb eine Geschichte der Nationalstaaten - wenn auch unter neuen Vorzeichen.
Je mehr aber Geschichte im inter- und transnationalen Kontext gemacht wird, je weiter der Prozess der Globalisierung voranschreitet, desto offenkundiger werden die Auslassungen des Blickes durch die nationale Brille. Migration, Handel oder Kommunikation sind Felder, die in einer nationalen Geschichtsschreibung nicht zu fassen sind, weil sie sich zwischen den Grenzen bewegen. Solcherlei Phänomene zu beschreiben und zu analysieren, erfordert gleichzeitig eine "Vogel-" und eine "Ameisenperspektive." Es geht etwa darum, Fluchtursachen und Reisegründe der einzelnen MigrantInnen nachzuvollziehen, um größere Entwicklungen und Tendenzen der Migration begreifen zu können (siehe S. 38). Oder darum, die Erfahrungsberichte afrikanischer SklavInnen in der Karibik mit den Analysen über die ökonomische und politische Bedeutung der Sklaverei für die europäischen Staaten zusammenzubringen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was Sklaverei eigentlich war und welche Folgen mit ihr verbunden sind (S. 34).

Globalgeschichte ist aber mehr als eine Geschichte der "Globalisierung." Sie ergründet nicht nur einzelne Phänomene wie die Geschichte der Ernährung (S. 31) oder die der internationalen Gewerkschaftsbewegung (S. 42), sondern sie erfordert eine grundsätzliche Umorientierung. Nicht abgeschlossene Epochen oder begrenzte Territorien stehen im Mittelpunkt ihres Interesses, sondern gerade das, was außerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen liegt.

In unserem Themenschwerpunkt "Globalgeschichte" geht es um historische Ansätze, die (in Deutschland) erst in jüngster Zeit Fuß gefasst haben. Dass wir diesen Blick über den nationalen Tellerrand hinaus versuchen, ohne AutorInnen aus "dem Süden" aktiv einzubeziehen, ist ein großes Manko. Es liegt sowohl in den bestehenden Strukturen des Wissenschaftsapparates begründet, in dem Forscher aus Afrika oder Lateinamerika nach wie vor unterrepräsentiert sind, als auch in den begrenzten personellen und finanziellen Möglichkeiten der iz3w-Redaktion, die sicherlich vorhandenen AutorInnen oder Quellen ausfindig zu machen oder zu übersetzen. Für Hinweise und Angebote wären wir daher sehr dankbar.

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