Von „tätiger Freundschaft“ – so sagt es die Einleitung – handelt dieses Buch. Das ist – zum Glück! – viel mehr, als der dürre Titel „Technologietransfer“ erwarten lässt. Und es geht auch nicht, wie die Unterzeile verheißt, nur um Wirtschaft und nur um die 1980er Jahre, sondern tatsächlich um die Gesamtheit der 41 Jahre DDR und somit um die beiden Hoch-Zeiten (DDR)deutsch-chinesischer Freundschaft und Zusammenarbeit in den 1950er und 1980er Jahren. Das ist ein Paukenschlag – gerade in diesem Jahr 2023, da eine deutsche Außenministerin im Einklang mit USA- und NATO-Führung auf den Wogen eines schreiend wiedererwachten deutschen Überlegenheitsdünkels einen neuen, Feindschaft und Konfrontation verheißenden „Systemkonflikt“ mit China beschwört.
Verfasser des Paukenschlages ist der Maschinenbauer und Sinologe Dr.-Ing. Konrad Herrmann, der 1990 – im letzten Jahr der DDR – an deren Botschaft in China als Sekretär für Wissenschaft und Technik gearbeitet hat. Gestützt ist seine überaus detailreiche Arbeit auf sorgfältige Literaturauswertung, nicht weniger als 448 Quellenangaben zu Dokumenten und Presseberichten sowie eine Vielzahl persönlicher Gespräche mit Akteurinnen und Akteuren der Beziehungen. Versehen ist sie zudem mit einem ausführlichen Personenverzeichnis sowie Statistiken und einer Chronologie. In der Einleitung findet sich auch der folgende schöne Satz: „Auf der Erfahrung dieser Freundschaft gründet nicht zuletzt der gute Ruf deutscher Erzeugnisse und das Ansehen Deutschlands in China.“
Schon in seiner früheren Veröffentlichung „Von Zementfabriken, Schiffs- und Waggonbau zum Technologietransfer“ (2021) war Herrmann – worauf er hier noch einmal Bezug nimmt – zu dem Ergebnis gekommen, dass „die DDR in den 1950er Jahren nach der Sowjetunion einen spürbaren Beitrag zur Industrialisierung Chinas geleistet“ habe, und zwar angesichts der „großen Hoffnungen“ Chinas nicht selten „bis zur Überforderung“. Mit 39 beziffert Herrmann die in den 1950er Jahren von der DDR in China errichteten „kompletten Industrieanlagen“. In den 1980er Jahren dann – nach der Pause des durch den Bruch zwischen der Sowjetunion und China in den 1960er/1970er Jahren herbeigeführten Bruchs auch zwischen China und der DDR – sei der Beitrag der DDR vor allem wegen derer „eigenen technologischen Rückstände nur noch punktuell“ gegeben gewesen, „zugleich aber lebte die in den 1950er Jahren gegründete Freundschaft wieder auf“.
Wie das geschah, ist im Kapitel 13 zum Schienenfahrzeugbau beispielhaft dargestellt. Dort vor allem habe die DDR mit ihren „über Jahrzehnte hinweg“ realisierten „umfangreichen Lieferungen“ eine „bedeutende Unterstützung“ geleistet; die „vorbildliche […] Durchführung des Technologietransfers bei den Kühlzügen im VEB Waggonbau Dessau“ liefere „auch noch für gegenwärtige Vorhaben eines Technologietransfers eine Blaupause“. Schon 1951 lieferte Dessau Kühlzüge nach China. Als 1955 deren Zahl auf 60 gestiegen war, entschloss man sich zu einer ganz auf China zugeschnittenen Neuentwicklung. In den folgenden Jahrzehnten erhielten 600 chinesische Arbeiter in Dessau eine spezielle Ausbildung. In Wuhan entstand ein Waggonwerk nach Dessauer Vorbild. Auf 2312 summierte sich bis 1989 die Zahl der gelieferten Wagen.
Herrmanns Darstellung der Überführung der Kühlzüge nach China ist spannende Reportage. Da ist von den Unterschieden zwischen Schrauben- (DDR) und Mittelpufferkupplungen (Sowjetunion und China) ebenso die Rede wie vom Drehgestellaustausch an der polnisch-sowjetischen Grenze in Brest von 1435 mm Spurweite auf 1524 mm und an der sowjetisch-chinesischen Grenze in Sabaikalsk wieder zurück auf 1435 mm, wofür die Originaldrehgestelle in Brest auf Waggons verladen und zusammen mit den von DDR-Spezialisten betreuten Kühlwagen die 8000 Kilometer dorthin befördert wurden, während im Anschluss die sowjetischen Breitspur-Überführungsdrehgestelle wieder den Weg zurück nach Brest zu gehen hatten. Neben den Kühlzügen absolvierten auch 489 Reisezugwagen und 474 Güterwagen aus der DDR diese Lieferstrecke. China war nach der Sowjetunion der zweitgrößte Abnehmer des DDR-Schienenfahrzeugbaus. Im Jahre 1986 waren in China über 1200 Lokomotiven unterschiedlicher Größe aus dem VEB Lokomotivbau-Elektrotechnische Werte (LEW) „Hans Beimler“ Hennigsdorf im Einsatz. „Damit fuhr etwa jede zehnte LEW-Lok in China.“
Herrmanns Buch ist prall gefüllt mit weiteren detailreichen und informativ bebilderten Schilderungen der Beziehungen einzelner Betriebe, Kombinate und Außenhandelsbetriebe der DDR mit China. Herausgegriffen sei hier noch die 1980 – und damit gleich zu Beginn der im Dezember 1978 eingeleiteten Öffnungspolitik der chinesischen Führung – realisierte Lieferung eines Rechners R 300 vom Kombinat Robotron in Dresden für drei Millionen Schweizer Franken an das Beijinger Autowerk. Es klingt wie aus einer fernen Welt und liegt doch erst 40 Jahre zurück. Man hatte für den Rechner, schreibt Herrmann, „ein zweistöckiges Gebäude errichtet“, um Platz für „mehrere Zentraleinheiten, Drucker, Tabelliermaschine, Lochkarteneinheit usw.“ zu haben. „Das ganze Jahr“ habe „eine umfassende Schulung“ stattgefunden, nacheinander seien „insgesamt vierzig Lehrkräfte aus Leipzig und Dresden“ nach China gereist, „das größte Problem“ seien „fehlende Fachdolmetscher“ gewesen.
Alle Details sind – wie eingangs bereits hervorgehoben – in die politische Gesamtentwicklung eingebettet. Ausführlich behandelt Herrmann etwa den Besuch Erich Honeckers in China im Oktober 1986 als lange angestrebten Höhepunkt eines Prozesses, der im Sommer 1981 mit gegenseitigen Besuchen der Parteifunktionäre Bruno Mahlow und Chen Dexing zur Normalisierung der Beziehungen nach dem erwähnten politischen Bruch eingeleitet worden war, und die mit dieser Reise verbundenen Spannungen im Verhältnis zwischen der DDR und der Sowjetunion. Diese Einbettung ist verdienstvoll, hilfreich und anregend, zuweilen jedoch – etwa im Kapitel 2, in dem es um die 1967 zum Austausch über die Entwicklungen in China ins Leben gerufenen „Interkit“-Konferenzen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten geht – zu wenig differenziert.
Das aber ändert nichts am Paukenschlag, den dieses Buch darstellt als Geschichtsbuch über eine Zeit, von der heute wohl viele meinen, es habe sie gar nicht gegeben.
Konrad Herrmann: Technologietransfer. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik China in den 1980er Jahren, Verlag am Park, Berlin 2023, 386 Seiten, 25,00 Euro.