Max Shachtman

Vor 50 Jahren, am 4. November 1972, starb der US-amerikanische politische Aktivist, Journalist und Schriftsteller Max Shachtman, der in Deutschland leider gar nicht bekannt ist. Er spielte eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Rettungskampagne für Sacco und Vanzetti, wurde als Trotzkist aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und leistete später herausragende Beiträge zur Analyse des amerikanischen Rassismus ebenso wie der damaligen Gegenwart der Sowjetunion.

Max Shachtman, geboren am 10. September 1904 in Warschau, aus einer armen jüdischen Familie stammend, kam im Alter von einem Jahr in die Vereinigten Staaten und wuchs in New York auf. Er unternahm zwei Anläufe, das City College of New York abzuschließen. Seine instabile Gesundheit und wohl auch die Prüfungsangst ließen ihn beide Male scheitern.

Auf dem College kam Shachtman mit marxistischem Gedankengut in Berührung und trat 1923 der Kommunistischen Partei der USA bei. Er wurde Redakteur bei deren Zeitschrift Young Worker in Chicago. Da das geringe Gehalt zum Leben nicht ausreichte, war Shachtman unermüdlich als Übersetzer tätig; er beherrschte Jiddisch, Englisch, Russisch, Deutsch und Französisch.

Shachtman stieg innerhalb des Führungsgremiums der KP der USA rasch auf: 1925 wurde er Kandidat, kurz darauf Mitglied des Zentralkomitees und übernahm die Redaktion des Labor Defender, der Zeitschrift der International Labor Defense, einer Hilfsorganisation für linke politische Gefangene. Mit redaktionellem Geschick verwandelte er den Labor Defender in ein Blatt, dessen innovativer Fotojournalismus (analog zur Berliner Arbeiter-Illustrierten Zeitung) weit über kommunistische Kreise hinaus Beachtung fand. Noch 1925 wurde Shachtman nach Moskau zum Fünften Plenum des Exekutivkomitees der Komintern und zwei Jahre später zum Siebten Plenum der Komintern und der Kommunistischen Jugend-Internationale delegiert. Als Vorsitzender der International Labour Defense setzte er sich an prominenter Stelle, wenngleich vergeblich, für die Freilassung der Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti ein, die 1927 wegen eines angeblichen Raubüberfalls zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Sein Buch über den Prozess fand weithin Beachtung.

Als Anhänger Trotzkis wurde Shachtman 1928 aus der KP der USA ausgeschlossen und gründete mit anderen Trotzkisten die Communist League of America (CLA), deren Zeitung The Militant er herausgab. Zu Jahresbeginn 1930 besuchte er als erster Amerikaner Leo Trotzki in dessen Exil auf der Insel Prinkipo bei Istanbul. Im April nahm Shachtman an der ersten internationalen Konferenz der trotzkistischen Linken Opposition in Paris teil und wurde als Vertreter der CLA in ihr Internationales Büro gewählt. Im Jahr 1933 arbeitete er mehrere Monate als Trotzkis Sekretär in dessen neuem Exilort Barbizon bei Paris. 1934 gab er zusammen mit Farrell Dobbs The Organizer heraus, eine Zeitung, die zur Unterstützung des Streiks der LKW-Fahrer in Minneapolis gegründet wurde.

Im gleichen Jahr schrieb Shachtman eine programmatische Abhandlung: „Communism and the Negro Question". Im Gegensatz zur KP weigerte er sich, die Afroamerikaner als eine separate Nation zu betrachten, und befürwortete den Kampf für ihre Emanzipation innerhalb ethnisch gemischter revolutionärer Organisationen.

Im Jahr 1934 fusionierte die CLA mit der American Workers Party zur Workers Party of the United States unter der gemeinsamen Führung von Abraham Muste und James Cannon. Shachtman wurde erneut die Leitung des Parteiorgans, The New International, übertragen. Er schrieb eine Broschüre über die Moskauer Prozesse und übersetzte mehrere Werke Trotzkis.

Zusammen mit Cannon unterstützte er 1936 den Beitritt der Workers Party zur Socialist Party of America unter Norman Thomas. Der betrieb jedoch 1937 erfolgreich den Ausschluss der Trotzkisten. Daraufhin wurde Shachtman eine der Führungsfiguren der neuen Socialist Workers Party (SWP). Im März 1938 reiste er mit Cannon nach Mexiko-Stadt, um mit Trotzki das „Übergangsprogramm der Vierten Internationale“ zu erörtern, deren ersten Kongress im September 1938 in Paris er leitete.

Darüber hinaus engagierte er sich – ungewöhnlich für einen Trotzkisten – einerseits in der linkszionistischen Bewegung, andererseits in der Gewerkschaftsbewegung und kritisierte den New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt scharf.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs brach er mit Trotzki und seinem Freund James Cannon. Er weigerte sich, die UdSSR aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes und der Invasion Finnlands zu unterstützen. Hingegen übte Cannon weiterhin „kritische Solidarität“ mit Moskau. Anders als Trotzki (und Cannon), die die Sowjetunion als „degenerierten Arbeiterstaat“ bezeichneten, sah Shachtman sie nun als einen rein imperialistischen Staat mit der Sowjet-Bürokratie als neuer herrschender Klasse. Er bezeichnete die UdSSR als ein Regime des „bürokratischen Kollektivismus“. Im April 1940 wurden die „Shachtmanites“ – dies waren rund vierzig Prozent der Parteimitglieder und die Mehrheit der Mitglieder der Jugendorganisation – aus der SWP ausgeschlossen, was auch ihren Ausschluss aus der Vierten Internationale bedeutete. Anschließend gründete Shachtman die Workers Party (WP), die unter dem neuen Namen Independent Socialist League (ISL) einigen Einfluss in der Gewerkschaftsbewegung erlangte.

Die stalintreue KP der USA agitierte voller Hass gegen diesen trotzkistischen Einfluss unter Gewerkschaftsmitgliedern. Insbesondere Paul Robeson attackierte die Trotzkisten, die ihn bei einem abgebrochenen Konzert im Staat New York 1949 vor gewaltsamen rassistischen Attacken geschützt hatten, als keinen Deut besser als der Ku Klux Klan. Nun sah Shachtman die Kommunisten nicht mehr als vom Stalinismus irregeleitete Klassengenossen, sondern rechnete sie dem Lager des Gegners zu. Sie müssten inner- und außerhalb der Gewerkschaften ebenso wie die radikale Rechte bekämpft werden. Dies brachte Shachtman in engen Kontakt zum schwarzen Bürgerrechtler Bayard Rustin, der sich aus dem gleichen Grund vom Sympathisanten zum militanten Gegner des Sowjetkommunismus gewandelt hatte. Shachtman war auch mit der ehemaligen KPD-Politikerin Ruth Fischer befreundet, die damals die Kommunisten vor dem Ausschuss für unamerikanische Tätigkeit der Verschwörung gegen die Regierung bezichtigte, was Shachtman jedoch nie tat.

Die ISL löste sich 1958 auf, um ihren Mitgliedern den Beitritt zur Socialist Party zu ermöglichen, der Shachtman erneut beitrat. Er verstand sich nun als Sozialdemokrat und befürwortete eine Unterstützung der Demokratischen Partei.

Allmählich aber bewegte er sich nach rechts. Er bezog fragwürdige Positionen gegen Kuba und war auch kein konsequenter Befürworter des US-amerikanischen Rückzugs aus Vietnam (er erinnerte an die Ermordung vietnamesischer Trotzkisten durch Ho Chi Minhs Beauftragte 1945). Shachtman hinterließ einen Sohn, Michael, aus zweiter Ehe. Seine dritte Frau Yetta übereignete seinen Nachlass der New York University. Shachtmans Lebensweg zeigt am Einzelbeispiel das Engagement und die Widersprüchlichkeit der amerikanischen Linken in den Wirren des vorigen Jahrhunderts.