zwischen brunft und leichenstein

Prinzessin und Hodenschmerzpatient

Mit dem Sex im Alter ist es wie mit Kneipen-Schlägereien: Kein schöner Anblick, es kommt aber hin und wieder vor und manchmal wird danach der Notarzt gebraucht. Wenn man Ende vierzig ist und „Sex im Alter“ als Glossen-Thema aufgedrückt bekommt, weiß man, dass es auf der Redaktionssitzung recht lustig zugegangen ist. Ich gönne den Kollegen den Spaß. Als ich einer mir flüchtig bekannten, recht jungen Frau nun von meinem Schicksal erzählte, begann sie mir gleich vom Film „Wolke 9“ vorzuschwärmen. Eindringlich, aber behutsam sei dort mit meinem Problem umgegangen worden. Nur die Sexszenen wären eklig gewesen. Muss man überhaupt über Sex schreiben? Ja! Schließlich gibt es auch Kochbücher in unüberschaubarer Zahl. Und um was sonst ginge es denn im Leben, als geradezu ausschließlich um Stoffwechsel und Fortpflanzung? Alles andere hat sich das Menschentier drumrum gebastelt, weil es denken kann und zu viel Zeit hat. Architektur, Ästhetik, Lyrik und Prosa, Musik, Zierfischzucht und Malerei, Hutmode, markierte Wanderwege und Makramee – im Prinzip dreht sich alles ums Ficken und Fressen, ob nun direkt oder indirekt. Einmal lag ich im Krankenhaus, auf der Urologie. Da liegen fast nur alte Männer und da die alle „irgendwas untenrum“ haben, kann man sich vorstellen, dass sowohl auf den Krankenstuben als auch im Schwesternzimmer viel gelacht wird. Wir waren zu viert auf Bude, zwei mit Krebs, eine frisch operierte Hydrozele und ein 75 Jahre alter, ehemaliger Sparkassendirektor namens Herbert mit ungeklärten Hodenschmerzen. Letzterer bezeichnete sich stets mit Oberlausitzer „R“ als „alter Banker“ und wollte in seinem Schmerz jedem von uns mehrmals am Tag Geld schenken. Es war hochanständig von uns Anderen, die angebotenen 50 Euro-Scheine hartnäckig abzulehnen. In seinen schmerzfreien Minuten erzählte Herbert vorzugsweise vom Sex mit der Prinzessin, wie er seine Frau stets nannte. Eines Morgens, nach dem Frühstück, beschrieb er detailliert einen Geschlechtsakt von der Seite, den er, mit Viagra gedopt, an seiner Prinzessin vollzogen hätte. Vor dem Hodenschmerz. „Und dann bin ich okke von dorl Seite rlickwärds innsä eingedrlung und hob sä gefrlogt: „Dudd dirl dos gudd, meine Prlünzässin? Jo, mei Härlborld, dos dudd mirl gudd, hoddsä gesoggt!“ Dabei machte er alle Bewegungen in seinem Krankenbett nach und guckte glücklich, als wir ihm feixend zunickten. Das dicke Ende kam am Nachmittag, als die „Prlünzässin“ zu Besuch eintrudelte. Schon als sie das Zimmer betrat, begannen wir an unseren Lippen zu nagen. Es ist ja oft so, dass alte Männer mit etwas Vermögen eine jüngere Frau an ihrer Seite haben. In Herberts Fall war das nicht so. Ein gebeugtes Großmütterchen mit faltigem, gutmütigem Gesicht schleppte sich an Herberts Bett, grüßte uns im Vorbeischlurfen, bevor sie ans Bett ihres Gatten trat, ihm einen Kuß auf die Stirn gab, das Kopfteil des Bettes höher stellte, um dann zu fragen: Dudd dirl dos gudd, mei Härlborld?“ Schlagartig war alle Beherrschung dahin. Während ich es noch schaffte, mir den Zipfel meines Kissens in den Mund zu stopfen, prustete Krebs Nummer 2 hörbar los, während die frisch operierte Hydrozele vor Lachen und Schmerzen gleichermaßen aufjaulte.

„Donke, dos ihrl nüschd weidorl gesoggt hobbd“ stammelte Herbert, als alles vorbei und die Prinzessin schon auf dem Rückweg in ihr Schloß war und bot uns sogleich wieder Geld an. Zumindest die Hydrozele hätte es sich sauer verdient gehabt.

 

Autoreninfo:

 

Uwe Schaarschmidt befindet sich nicht auf „Wolke 9“, und dos dudd gudd.