Shitstorm in der Unterhose

Binnenkonjunktur und Liquid-Blödheit

Menschen sind von Geburt an herzlich gern bereit, jeden unbeweisbaren Unfug zu glauben – man muss nur der erste sein, der ihn erzählt. Mein Lieblingsunfug der letzten beiden Jahre ist die Behauptung, man benötige dringend „Neue Formen der Bürgerbeteiligung“ (NFB). Seit die Piraten mit ihrem Genöle den Parteienbetrieb in helle Aufregung versetzen, darf in keinem politischen Statement die Beteuerung fehlen, man wolle sich für den Ausbau der NFB „stark machen“ und man finde die Idee der „Liquid Democracy“ sehr interessant. Wer es noch nicht weiß: „Sehr interessant“ ist in der Politik das Todesurteil für jede Idee, Berufung ist nicht möglich.
Da aber die Mühlen der Politjustiz langsam mahlen, schießen seit geraumer Zeit die Livestreams aus den Touchscreens, dass es nur so seine Art hat. Noch in der letzten Bürgermeisterei werden die Sitzungen mitgeschnitten und umgehend ins Netz gestellt. Als gäbe es kein Morgen mehr, wird gebloggt, getwittert, gedoodelt, geleakt, gewatcht,verlinkt und geshitstormt, aber auch die kleinen und großen Größen der politischen Klasse lassen sich immer öfter dazu herab, in Bürgerversammlungen zum Volke aufzusehen. Die Kanzlerin sogar im Fernsehapparat! Das Dumme ist nur: Es interessiert keine Sau wirklich – und das ist zumindest ein Hoffnungsschimmer am Horizont.
Denn natürlich kann man sich so trefflich wie ewig darüber streiten, ob man besser im Sitzen, im Liegen, im Stehen, beim Laufen oder am Fallschirm schwebend in die Hose kackt. So lange über das WIE diskutiert wird, ist der Inhalt – in diesem Falle Scheiße – völlig egal. „Inhalte überwinden!“ – mit diesem Slogan brachte DIE PARTEI die Diskussion über die NFB auf den Punkt. Ich finde es bemerkenswert, dass die einzige Partei, die bisher vom Hype um die „Piraten“ weitgehend verschont geblieben ist und sich vielmehr stabil durch ein völlig aus den Fugen geratenes Europa schlängelt, die CDU ist. Die CDU ist auch die einzige Partei, welche sich mit ihrer Begeisterung für die NFB merklich zurückhält. Wozu sollte sie sich da auch einmischen? So lange die Piraten mit ihrem Gewäsch von den NFB alle anderen Parteien verrückt machen, haben diese wenigstens keine Zeit, sich mit den Scheiß-Inhalten der Christenunion zu befassen. Angela Merkel hat jene Abenteuerromane gründlich gelesen, in denen fröhliche Freibeuter mit Kaperbriefen ihrer Majestät auf Beutefahrt gingen.
Und es funktioniert. Üble Querulanten, die sich auch daran stören, dass der Nachbar auf dem Balkon furzt, haben nun EDV und NFB entdeckt, dominieren den Diskurs und tippen ihre Boshaftigkeit, ihren Neid, ihr ungesundes Misstrauen, den Frust über ihre geringe Bedeutung – schlicht: ihre ganze Blödheit in die Welt hinaus oder sprengen jeden Bürgertreff. Das, was an Vernünftigem zu sagen wäre und manchmal auch gesagt wird, ertrinkt in einer schriftlichen und akustischen Kakophonie der Dummköpfe. Die Folge dürfte sein, dass auch die an sich gute Idee, Menschen direkt an politischen Entscheidungen zu beteiligen, in einer Welle der Selbstdiffamierung untergeht. Shitstorm happens!
Was aber nun? Man kann ja die Blöden nicht alle erschießen, da die Binnenkonjunktur dies einerseits gar nicht verkraften würde und weil man das andererseits einfach nicht tut. Zumindest sollte man sich darauf besinnen, im Rahmen der alten Formen der Bürgerbeteiligung auf Inhalte zu achten.
 

Dieser Text ist der Ausgabe 14 des Magazins prager frühling entnommen. Die Ausgabe kann hier bestellt werden.