Time/Bank

Informelle Ökonomie im kulturellen Feld

in (10.06.2011)

Time/Bank ist ein Projekt, das ich kürzlich in Zusammenarbeit mit Anton Vidokle begann, mit dem gemeinsam ich das e-flux journal herausgebe. Time/Bank ergab sich aus unserem langjährigen Interesse für Praktiken und Zirkulationsmechanismen der Selbstversorgung (wir haben früher bereits an Projekten wie dem Pawnshop, einer Pfandleihe für Kunst, und dem e-flux Video-Verleih gearbeitet). Unser Anliegen ist nun, aus Time/Bank eine voll funktionsfähige Plattform zu machen, die es Mitgliedern des kulturellen Feldes erlaubt, ihre Fähigkeiten, ihre Zeit und ihr Wissen zu tauschen, ohne auf den Marktwert als Schiedsmechanismus angewiesen zu sein.

Was ist Time/Bank?

Time/Bank ist eine Arzt Hilfsmittel, mit dem eine Community ein Modell alternativer Ökonomie schaffen kann, um ihre Zeit, ihre Güter und ihre Fähigkeiten auszutauschen, anstatt sich Güter und Dienstleistungen durch den Gebrauch von Geld anzueignen. Dieses Tauschkonzept basiert auf der Prämisse, dass jede/r etwas beizutragen hat. So schafft es ein Netzwerk, das unerfüllte Bedürfnisse mit unverbrauchten Ressourcen in Verbindung bringt. Time Bank ist aber kein Tauschhandel. Tauschhandelsökonomien hat es in der Geschichte viele gegeben. Aber die Idee, Zeit als Tauscheinheit zu verwenden, tauchte bereits kurz nach der industriellen Revolution auf.
Die Ursprünge zeitbasierter Währung können einerseits zum US-amerikanischen Anarchisten Josiah Warren und andererseits zum britischen Industriellen und Philanthtropen Robert Owen zurückverfolgt werden: Warren betrieb den Cincinnati Time Store von 1827 bis 1830, und Owen gründete die utopischen Gemeinschaft New Harmony. Während beide Systeme auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit und der Arbeitstheorie des Werts beruhten, war Warrens Währung direkt an Zeit als Arbeit gekoppelt, so dass beispielsweise acht Stunden Arbeit an Schuhreparaturen so viel wert waren wie hundert Pfund Korn, Owens Währung hingegen erhob Arbeit nicht zur direkten Übersetzung des Zeitwerts, sondern hatte einen Aufdruck, der sich etwa auf den „Wert von 10 Stunden"bezog oder für welche Kategorie die Noten auch immer ausgestellt wurden. Dies war für uns in Bezug auf Time/Bank wichtig, weil es uns auf den Gedanken gebracht hat, dass der Wert der Zeit auf der Potenzialität beruht und nicht auf ihrer Nutzung zur Ausführung einer vorgegebenen, vor der Transaktion festgesetzten Aufgabe.

Zeitbanken und Notgeld

Es gab noch weitere Fälle von alternativen Ökonomien in der jüngeren Geschichte, vor allem etwa das Notgeld, das in Deutschland nach der Hyperinflation 1923 aufkam. Notgeld war nicht-offizielles „Geld", das von den Städten, Gemeinden und sogar von privaten Firmen herausgegeben wurde, als offizielle Münzen und Scheine knapp geworden waren. So lange das Notgeld akzeptiert wurde, schadete es niemandem, es fungierte als eine Art von Schuldscheinen. Es war stabiler als richtiges Geld, da sein Wert häufig an materielle Güter wie Gold, Korn oder Fleisch gebunden war. Notgeld wurde absichtlich sehr schön gestaltet, daher sammelten viele Menschen die Scheine und die Schuld wurde nie beglichen. Es wurde auf allen möglichen Materialien gedruckt: Leder, Tuch, Porzellan, Seide und Zinnfolie. Da es kein gesetzliches Zahlungsmittel war, nutzten es nur Leute, die es auch nutzen wollten. Und es übte einen stabilisierenden Einfluss auf die offizielle Währung aus, die ebenfalls nach wie vor genutzt wurde.

Die erste erfolgreiche Zeitbank wurde von Paul Glover in Ithaka, New York, 1991 ins Leben gerufen. Auf der Idee fußend, dass Menschen Zeit tauschen, wurde eine zeitbasierte Währung eingeführt: Die Ithaka Hours wurden selbst von lolaken Geschäften akzeptiert und sind nach wie vor stark im Umlauf (www.ithacahours.com).

Wir begannen 2009 mit Time/Bank, indem wir eine Gruppe von KünstlerInnen, ArchitektInnen, AktivistInnen, PublizistInnen und DesignerInnen befragten, was ihrer Einschätzung nach die beste Repräsentation für den Tausch von Zeit sein könnte, um daraufhin eine symbolische Währung zu gestalten, die nur durch das gegenseitige Vertrauen innerhalb der kulturellen Community abgesichert ist. Wir waren neugierig, ob sich ein solches Tauschwertzeichen gestalten ließe und wenn ja, wie. Die Time/Bank-Währung wurde in Banknoten von einer halben Stunde, einer Stunde, sechs, zwölf und 24 Stunden herausgegeben.

Parallelökonomien und Time/Bank

Time/Bank ist nach dem Vorbild regulärer Zeitbanken aufgebaut, bei denen diejenigen, die mit ihrer Arbeit teilnehmen, mit Zeit „bezahlt" werden, die von anderen gespendet wurde. Jede Time/Bank-Transaktion erlaubt es Einzelnen, elektronische Dienstleistungen in Time/Bank Hours anzufragen, anzubieten oder zu bezahlen. Wenn ein/e KontoinhaberIn eine Aufgabe erledigt, verdient sie oder er Kreditstunden, die für den späteren Gebrauch gespart, einer anderen Person gespendet oder Tinme/Bank für die Entwicklung kommunaler Projekte gewidmet werden können. Wenn man beispielsweise in Bejing oder Hamburg ist und Hilfe bei der Materialbeschaffung oder die Übersetzung einer Pressemitteilung braucht, kann man die Ressourcen von Time/Bank in Anspruch nehmen, ohne dass Geld den/die BesitzerIn wechselt.
Wir hoffen, über Time/Bank eine intellektuelle Währung und eine parallele Mikroökonomie für die kulturelle Community schaffen zu können - eine Mikroökonomie, die nicht geografisch gebunden ist und die dazu beiträgt, ein Gespür für Reichtum und Wert all des Austausches zu entwickeln, der in unserem Feld vonstatten geht. Dies gilt insbesondere für jene Art des Austausches, der weder gegenständliche noch konzeptuelle Waren hervorbringt. Time/Bank beansprucht ein System zu sein, in dem Zeit das Medium des Tausches ist, mit dem wir soziales Kapital messen und vermehren können. Zeitgeld schafft gegenseitige Beziehungen zwischen Menschen ebenso wie zwischen Menschen und Institutionen, die ehrenamtliche Tätigkeit, Praktika und atypische Beschäftigungen, die wir sonst (ab)leisten, nicht herstellen können.

Informelle Ökonomie

Die Idee einer Kultur, die durch informelle Ökonomie und alternative Kanäle zirkuliert - nicht unbedingt mit dem Ziel, das dominante ökonomische Modell zu ersetzen, sondern eher als eine Art und Weise, sich eine gewisse Autonomie für die Dauer des Austausches zu bewahren -, zielt auf einen Prozess der Generierung symbolischen Einkommens, das von den gesellschaftlichen Institutionen nicht reguliert wird, das aber in einem legalen und sozialen Umfeld operiert, in dem ähnliche Aktivitäten reguliert werden.
Es ist nicht ganz einfach, „informelle Ökonomie" präzise zu definieren. Viele Ansätze nähern sich dem Gegenstand vom Gegenteil her und beschreiben, was informelle Ökonomie nicht ist, nämlich: es ist keine formelle Ökonomie, keine kriminelle Ökonomie (Schwarzmarkt) und keine Sorge-Ökonomie (Haushalt). Die informelle Ökonomie oder der „graue Markt" hat keine universellen Parameter. Sie stellt Situationen her, die den Austausch und die Zirkulation kultureller Produktion forcieren, die bisher noch nicht fest integriert und daher noch nicht mit festgelegtem Wert ausgestattet ist. Wir können unsere eigene Währung auf der Grundlage unseres gegenseitigen Vertrauens bestimmen. Auch wenn solche Situationen nicht sofort (an)erkannt werden und möglicherweise nicht wiederholbar sind (weil es kein einheitliches Modell für sie gibt), ist eine Vielfalt am Werk, ein Abbau an Distanz. Hier und Jetzt.


Aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2011, „Anders Handeln".