"Juden haben einfach sehr viel Geld"

Über den alltäglichen Antisemitismus

in (31.01.2009)

Auch 64 Jahre nach der Shoah, dem größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, scheint der Antisemitismus noch immer ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft zu sein. So trafen antisemitische Thesen, die den Holocaust relativieren, verharmlosen oder leugnen nach einer Studie von Wilhelm Heitmeyer im Jahre 2008 auf 55-63 Prozent Zustimmung in der deutschen Bevölkerung. Angesichts dieser Ergebnisse empirischer Studien wundert es nicht, dass wir auch in unseren Alltag immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert sind.

So erlebte ich vor kurzem, wie meine Spanisch-Lehrerin behauptete, die Verbrechen an Juden und Jüdinnen seien gar nicht so schlimm gewesen. Diese hätten nur einfach sehr viel Geld und könnten deshalb eine so gute „Opferpolitik" machen. In dem Gespräch ging es eigentlich um ihre Kindheitserfahrungen auf Cuba und den Menschenrechtsverletzungen dort. Selbstverständlich ist jede Menschenrechtsverletzung schlimm und zu verurteilen, aber die Aussage, der Holocaust sei (dagegen) nicht so schlimm gewesen, ist eine eindeutige Relativierung der systematischen und industriellen Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen durch die deutschen Nazis. Zusätzlich bedient sich der zweite Satz, Juden „hätten nur einfach sehr viel Geld" eines der ältesten und beharrlichsten antisemitischen Stereotypen: Das des geldgierigen und reichen Juden. Vorurteile über Juden und ihr Verhältnis zum Geld haben lange historische Wurzeln. Sie wurden von christlichen Würdenträgern im Mittelalter in die Welt gesetzt, immer wieder von Antisemiten in geistlichen, politischen und literarischen Schriften verbreitet und in der Propaganda der deutschen Nationalsozialisten, ebenso wie von Antisemiten auf der ganze Welt aufgegriffen. In einer Diskussion mit der Lehrerin konnte ich ihr nicht klar machen, dass sie mit ihren Aussagen antisemitischen Denkfiguren bedient. Sie war von ihren Vorurteilen felsenfest überzeugt.

Ein paar Wochen vorher war ich mit meinen Mitbewohnern in einem Internetcafé, als uns auffiel, wie ein Mann unaufhörlich antisemitische Parolen in willkürlich ausgesuchte Internet-Foren kopierte. Als wir ihn darauf ansprachen, zeigte sich schnell, von welchen Wahnvorstellungen der Mann getrieben wurde. Im Gespräch entgegnete er: „Die amerikanischen Juden haben Hitler gesteuert, die Juden haben sich selbst umgebracht." Später stellte sich heraus, dass dieser Mann schon bekannt für seine antisemitischen Auswüchse war. Solch unfassbaren, völlig wirren Verschwörungstheorien machen eine direkte argumentative Auseinandersetzung so gut wie unmöglich. Es gibt eine ganze Reihe verrückter Verschwörungstheorien, die behaupten, jüdische Menschen würden im Weltgeschehen die „Fäden ziehen". Am bekanntesten aus dieser Reihe sind wahrscheinlich die „Protokolle der Weisen von Zion". Dieses wahrhaft obskure Pamphlet (Schmähschrift) verbreitet seit Jahrhunderten den Mythos einer jüdischen Weltverschwörung. Nicht nur Hitler glaubte an die „Protokolle", Antisemiten gelten sie bis heute als ernstzunehmendes Dokument und so erfreuen sie sich heute sowohl im Internet als auch in der arabischen Welt noch großer Beliebtheit. 

Am häufigsten begegnet mir der Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt. So wollte mir ein Freund vor kurzem erklären, was Israel mit den Palästinensern mache, sei nichts anderes, als die Nazis mit den Juden gemacht hätten. Solche Vergleiche sind nicht nur inhaltlich völlig absurd, sie gelten auch als antisemitisch. Denn durch Vergleiche der israelischen Palästinenserpolitik mit der Judenverfolgung im Dritten Reich oder allgemein durch Vergleiche der Politik Israels mit der Nazi-Deutschlands werden eindeutig die Taten der Nazis, der Holocaust, verharmlost. Diese Vergleiche sind oft von einer tiefen Schuldabwehr geprägt, die so unbewusst auf Israel projiziert (abgebildet) wird. In der Art und Weise, wie Israel kritisiert wird, kann man oft erkennen, wie es mit dem Antisemitismus steht. Ob Brandanschläge gegen Synagogen und jüdische Einrichtungen in Frankreich oder der Anschlag auf das Haus der Jüdischen Gemeinde in Rostock - auch die jüngste Zuspitzung des Gazakonfliktes nutzen Rechtsradikale und Antisemiten aller Couleur für antisemitische Propaganda und Gewaltaktionen.

»Christoph M (22) ist Student der Sozialwissenschaften und aktiv gegen jeden Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus.

Quellen und Lesetipps: 

Philipp Gessler - Der neue Antisemitismus

Wolfgang Benz - Was ist Antisemitismus

Wilhelm Heitmeyer - Deutsche Zustände (Folge 7)

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