Auch das „Sturmgeschütz der Demokratie“ beteiligt sich an der Hetzkampagne gegen Geflüchtete
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Der österreichische Politiker Karl Lueger (1844-1910) war von 1897 bis 1910 Wiens Bürgermeister. Kapital und Börse sah der glühende Antisemit als von „Geldjuden“ gelenkt, Juden diffamierte er als „Raubtiere in Menschengestalt“, Migrant:innen bezeichnete er als „Betteljuden“ und kritische Journalist:innen als „Tintenjuden“ (1). Lueger: „Wir in Wien sind Antisemiten, aber zu Mord und Totschlag sind wir gewiss nicht geschaffen. Wenn aber die Juden unser Vaterland bedrohen sollten, dann werden auch wir keine Gnade kennen.“ (2)
Für Adolf Hitler war der Volksverhetzer Lueger prägend und ein Vorbild, von dem er sich das demagogische Mundwerk abgeschaut hat. (3)
Offensichtlich hat sich nicht nur Hitler, sondern auch die Redaktion des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von Luegers Hetze inspirieren lassen!
Auf der Titelseite des Spiegel Nr. 39 vom 23.9.2023 (siehe Abbildung auf dieser Seite) findet sich ein Bild, das einem von Lueger verantworteten Hetzplakat verblüffend ähnlich sieht.
Das antisemitische Lueger-Plakat
Mit dem Plakat von 1901 (siehe Abbildung auf dieser Seite) versuchte der Antisemit Lueger die Bevölkerung Wiens gegen jüdische Flüchtlinge aufzuhetzen. Das Lueger-Poster ist ähnlich aufgemacht wie spätere Karikaturen im NS-Propagandaorgan „Der Stürmer“. Es zeigt eine anonyme Menschenmasse, die sich schlängelnd auf die oben rechts im Bild zu erkennende Stadt Wien zubewegt. Unten sind bärtige Männer zu sehen, die dem antisemitischen Klischee des grimmig dreinschauenden Juden mit Hakennase, Hut und Locken entsprechen. Links oben im Bild findet sich der Text:
„Die Juden geh’n im Gänsemarsch
Was haben sie im Sinn?
So zogen sie übers rothe Meer
Der Wolf, der Fuchs, der Löw, der Beer
Die Juden gehen im Gänsemarsch
Zum Lueger nach Wien“
Das rassistische Spiegel-Cover
Mit der sehr ähnlich gestalteten Titelseite vom 23.9.2023 betreibt der Spiegel Hetze gegen Geflüchtete, ganz in der Tradition Luegers.
Unter dem Titel „Schaffen wir das noch mal? Der deutsche Streit über die Asylpolitik“ reiht sich die Spiegel-Redaktion in die Kampagne ein, die gerade massiv von Neonazis, BILD, AfD und Co. gegen die vermeintliche „Asylantenflut“ betrieben wird. Zu sehen ist auf dem Spiegel-Cover eine anonyme Menschenmasse von schwarzen Männern, die sich in einer Schlange Richtung Horizont bewegt. Die Menschenmenge bewegt sich in diesem Fall nicht nach Wien, sondern nach Lampedusa, was ein entsprechendes Ortsschild oben rechts im Bild zeigen soll. Wie auch das Lueger-Plakat ist auch das neue Spiegel-Titelbild in einem gelb-orangenen Warn-Farbton gehalten.
Rechtsrutsch
Die aktuelle Hetzkampagne gegen Geflüchtete ist so erfolgreich, dass die CDU und zunehmend auch die „Ampelparteien“ in den Chor der Asylrechtsverschärfer:innen einstimmen und eine „Begrenzung“ und Abschaffung der Genfer Flüchtlingskonvention fordern.
Deutschland ist als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs für die Shoah, den Massenmord an Sinti und Roma und den Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Der deutsche Staat hat unter nationalsozialistischer Herrschaft mehr Menschen vernichtet als jeder andere und die Bundesrepublik rühmt sich seit Jahren für ihre „vorbildliche Vergangenheitsbewältigung“. Ausgerechnet hier, im Land der Täter, preschen die Zustimmungswerte für die immer offener neofaschistisch auftretende AfD auf über 20 Prozent. Wir sind heute schon froh, wenn in den östlichen Bundesländern nicht alle Bürgermeisterämter von der braun-blauen Höcke-Partei erobert werden.
Laut Spiegel Nr. 39/2023 finden 84 Prozent der Deutschen, dass „derzeit zu viele Menschen nach Deutschland kommen, um hier einen Asylantrag zu stellen“. Das wirkt absurd auch angesichts des Fachkräftemangels und der Tatsache, dass von Januar bis August 2023 laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lediglich 204.461 Menschen einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben, rund 500.000 weniger als im gleichen Zeitraum 2016.
Die neue „Mitte-Studie“ kommt zu dem Ergebnis, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland stark angestiegen und weiter in die Mitte gerückt sind. Diese Erhebung, die Wissenschaftler:innen der Uni Bielefeld im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre machen, um extrem rechte und demokratiegefährdende Einstellungen in der deutschen Bevölkerung zu beleuchten, basiert auf einer repräsentativen Umfrage.
Menschenfeindliches Denken und Geschichtsrevisionismus werden immer mehr zum Mainstream. So erweckt das Umgehen mit dem antisemitischen Aiwanger-Flugblatt und den in seiner Jugendzeit gezeigten Hitler-Grüßen des stellvertretenden bayrischen Ministerpräsidenten den Eindruck, dass es heute schlimmer ist, sich an die Straße zu kleben und gegen die menschheitsgefährdende Klimapolitik zu demonstrieren als Nazipropaganda zu verbreiten.
Die öffentlich-rechtlichen Medien tragen dazu bei, dass Menschenfeinde wie Höcke und Co. Auftrieb haben. Sie laden die als „Rechtspopulisten“ verharmlosten Neonazis in jede Talkshow ein, wo diese ungehemmt ihr Gift verspritzen können.
So konnte nun AfD-Chefin Alice Weidel zur besten Sendezeit unwidersprochen im ARD-Sommerinterview ihre Naziposition zum besten geben, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht als Befreiung von den Nazis, sondern als „Niederlage Deutschlands“ zu verstehen und deshalb kein Grund zum Feiern sei.
Kein Wunder also, dass sich Teile der Gesellschaft immer weiter nach rechts entwickeln und die CDU und auch die „Ampelparteien“ immer mehr Positionen der AfDer übernehmen.
Nie wieder Faschismus! Wehret den Anfängen, schafft antifaschistische Gegenöffentlichkeit!
Bernd Drücke
PS: Für die Graswurzelrevolution Nr. 483 planen wir einen Anti-AfD- und Antifa-Schwerpunkt.
Anmerkungen:
1) Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Lueger
2) https://magazin.wienmuseum.at/karl-lueger-als-populist-und-antisemit
3) Vgl.: Brigitte Hamann: Hitlers Wien. München 1998, S. 496 f.
[Bildtexte:]
Rassistisches Titelbild des Spiegel 39/2023. Foto: Bernd Drücke
Antisemitisches Plakat von Karl Lueger. Bildquelle: Ashley Passmore (auf X, ehemals Twitter)
Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 482, Oktober 2023, www.graswurzel.net