Am Wochenende feiert Nandu, ein Netzwerk für „Tier-Gerechtigkeit", einjähriges Bestehen. utopia sprach mit Martina über Blindstellen von Umweltorganisationen, das vegane Leben, Missionierung und Alttiersammlungen.
utopia: Nandu feiert seinen ersten Geburtstag. Jetzt gibt es also noch eine Gruppe mehr, die sich mit Tierrechten beschäftigt. Gibt es davon nicht schon genug?
Martina: Doch, aber keine ist so wie Nandu. (lacht) Meine Erfahrung zeigt, dass es einerseits linke, basisdemokratische, herrschaftskritische Gruppen gibt. Die sind aber häufig verschlossen und haben einen hohen Anspruch an Leute, die da mitmachen. Außerdem stört mich dieses militante, unsympathische Auftreten in der Öffentlichkeit. Da gibt es dann Demos, da werden die Menschen beim Würstchenstand am Straßenrand als Mörder beschimpft. Das erweckt in der Öffentlichkeit eher Ängste.
Es gibt auch viele Tierfreundinnen und Tierfreunde, die gehen nicht auf solche Demos.
Ja, es gibt viele Tierschutzorganisationen, die versuchen, in der Gesellschaft, wie sie jetzt ist – im Kapitalismus – etwas zu verändern. Aber die hinterfragen das alles überhaupt nicht. Die wollen nur diesen kleinen Teil, nämlich die Tiere, aus den Unterdrückungsverhältnissen befreien. Nach dem Motto: Hauptsache für die Tiere, alles andere ist egal.
Aber das Engagement für Tiere ist doch schon mal etwas.
Natürlich ist das gut und begrüßenswert. Wir aber haben einen radikalen linken und emanzipatorischen Anspruch. Wir wollen nicht nur die Tiere befreien, sondern auch andere Verhältnisse angucken. Wir würden zum Beispiel nicht mit nackten Frauen für ein Leben ohne Pelz werben.
Auf eurer Internetseite steht, dass ihr „insgesamt für Gerechtigkeit, Ökologie, Gewaltfreiheit und den ganzen anderen tollen Kram“ seid. Aber das sind doch eher Themen, die bei euch am Rande vorkommen, oder?
Nein, wir versuchen immer wieder, den Tierbefreiungsgedanken mit anderen Problemen der Gesellschaft zu verknüpfen, zum Beispiel mit Umweltproblemen. Laut Vereinten Nationen ist die Tierhaltung für 18 Prozent der Treibhausgase verantwortlich, die den Klimawandel hervorrufen. Das ist ein enormer Batzen. Mehr als durch den ganzen Transportsektor verursacht wird. Und die meisten Umweltschutzorganisationen kümmern sich da eigentlich gar nicht drum. Dabei kann man heute die Tierhaltung nicht mehr vernachlässigen, wenn man über Klimawandel redet.
Du bist Veganerin, konsumierst also keine Produkte von Tieren. Wehalb?
Zuerst war das eine Sache, die mit Umweltschutz zu tun hatte. Ich habe meinen ökologischen Fußabdruck ausgerechnet. Der zeigt an, wie viele Erden die Menschheit bräuchte, wenn alle Menschen so leben würden wie ich. Das waren bei mir mehr als zwei Erden. Also bin ich den Fragebogen durchgegangen und habe mich gefragt: Wo kann ich einsparen? So bin ich dazu gekommen, keine tierlichen Produkte zu konsumieren.
Ab dem Tag hast du keine Eier mehr gegessen und keine Milch mehr getrunken?
Ich habe die vegane Lebensweise erstmal in meinen Alltag integriert. Aber eine Zeitlang habe ich bei Freundinnen oder Freunden auch noch Kuchen und Kekse mitgegessen, ohne darauf zu achten, ob da Produkte vom Tier drin sind. Erst später, als ich mich mehr mit Veganismus beschäftigt habe, bin ich darauf gekommen, dass eine vegane Lebensweise auch für Tiere eine nette Idee ist und jetzt mache ich das konsequent.
Ist das nicht ziemlich anstrengend?
Der Anfang ist immer schwer. Man muss sich reinfinden. Man denkt, das ist kompliziert, rennt durch den Supermarkt und guckt überall auf die Zutatenliste. Aber mit der Zeit kennt man die Produkte, die man problemlos kaufen kann.
In Hannover mag es relativ leicht sein, sich vegan zu ernähren. Aber wie ist es auf dem Land?
Da ist es natürlich schwerer. Aber eigentlich ist es überall möglich, wo es Supermärkte gibt. Soja-Milch und Tofu-Würste gehören ja inzwischen zur Standard-Auswahl.
Gibt’s bei Nandu eigentlich Leute, die nicht vegan leben?
Also in der Orga-Gruppe sind alle Veganerin oder Veganer. Die besteht aber auch nur aus zehn Leuten. Auf unseren Mailinglisten und im E-Mail-Newsletter sind wesentlich mehr Leute, etwa 200. Da führen wir natürlich nicht Buch.
Aber ihr wollt sie zu Veganerinnen und Veganern missionieren?
So würde ich das nicht sagen. Unsere Strategie ist es, den Leuten eine vegane Lebensweise näher zu bringen, indem wir sie ihnen vorleben. Wir können Menschen nur erreichen, wenn wir mit ihnen in Kontakt kommen, mit ihnen reden.
Wenn man immer nur hört, du darfst dies nicht essen, du darfst das nicht essen – dann hat man vielleicht auch keine Lust zu reden?
Wenn Leute so abblocken, dann haben wir etwas falsch gemacht. „Was? Du isst noch Käse? Dann darfst du nicht Mitglied werden.“ Das wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen die Menschen dort abholen, wo sie stehen.
Wie macht ihr das?
Wir versuchen, mit unseren öffentlichen Aktionen Freude und Spaß rüberzubringen. Politisches Engagement ist nicht so langweilig, wie sich das Leute auf der Straße vielleicht vorstellen.
Wie sehen denn eure Aktionen aus?
Wir sind zum Beispiel als Außerirdische verkleidet durch die Stadt gelaufen, sozusagen als Touristen-Gruppe von einem anderen Planeten. Und dann haben wir die Missstände auf diesem Planeten kennengelernt und die Leute befragt: Warum sind die Tiere ihr Leben lang eingesperrt, nur um am Ende aufgegessen zu werden?
Bei einer anderen Aktion haben wir als Außerirdische an die Erdbewohnerinnen furzende Kühe verschenkt, weil wir die auf unseren Planeten nicht mehr haben wollten. Die sorgen mit ihrem Furzen einfach für einen Klimawandel.
Seid ihr ein Außerirdischen-Netzwerk?
Nein, bei unserer letzten Aktion haben wir auch eine Alttiersammlung nachgespielt. Wir haben dort Menschen gebeten, ihre alten, unliebsamen Haustiere abzugeben. Hauptsache das Fell ist in Ordnung. Die Leute waren total geschockt. Wir wollten damit den Widerspruch in der Beziehung von Menschen zu anderen Tieren darstellen: Während Haustiere in die Familie integriert werden, ist es anscheinend ok, wenn Tiere auf Pelzfarmen oder in Schlachthöfen umgebracht werden.
Bei euren Aktionen ist immer viel Witz dabei. Ist das Thema denn nicht zu ernst dafür?
Das Thema ist auf jeden Fall ernst. Wir haben auch mal eine Aktion gemacht vor einer Verladestation, wo die Tiere zum Schlachthof sollten. Das war für uns schon ziemlich hart. Prinzipiell glaub ich aber, dass fast alle politischen Themen so schrecklich und aufwühlend sind, dass es immer schwierig ist, sie mit Freude rüberzubringen. Aber ich glaube, wir können am meisten erreichen, wenn wir die Leute begeistern.
Interview: Felix W.
Martina lebt in Hannover und ist bei Nandu aktiv. Für das Wochenende reist sie nach Berlin zur Nandu-Geburtstagsfeier.
Weitere Infos zu Nandu: www.nandu.net
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