Joschka lacht am besten

in (19.10.2007)

Ihr Schoßhund stöhnt wild auf, dann schreckliche Stille. Madeleine Albright ruft besorgt über den Atlantik durchs Telefon: "Joschka,

whatÂ’s happening? Are you allright?"

Es ist ein schlimmer Schlag, den Joseph Fischer gerade hat einstecken müssen. Doch der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland läßt sich am 26. Mai 1999 gegenüber seiner vorgesetzten US-Kollegin nichts anmerken, sagt, alles sei "all right", und kann sich, wie er bekennt, "fortan wieder voll und ganz auf die Telefonkonferenz konzentrieren".

Es ist Krieg. Der erste Angriffskrieg seit Hitler, an dem ein deutscher Kanzler und eben dieser Außenminister, der sich gern "Joschka" nennen läßt, maßgebend beteiligt sind.

Es ist der vierundsechzigste Tag des Krieges. Joseph Fischer und die Außenminister Englands, Frankreichs, Italiens wollen unter der Führung der US-Außenministerin Madeleine Albright Bilanz ziehen, und zwar "zeitnah", sie wollen, wie es Joseph Fischer, der die deutsche Hochsprache perfekt beherrscht, exakt formuliert, "möglichst in Echtzeit, d.h. ohne große zeitliche Verzögerung" kommunizieren. Er meint: Sie telefonieren alle miteinander.

Was Joseph Fischer inmitten der Bilanz-Konferenz mit den anderen Außenministern trifft wie ein brutaler Schlag, was ihn derart aufstöhnen läßt, daß sogar Madeleine Albrights Mitgefühl alarmiert wird, das geschieht, als die anderen Vier gerade "einen möglichen Einsatz von Bodentruppen" erörtern. Dabei will sich der deutsche Außenminister jedoch nicht aus dem wirklich wichtigen Weltgeschehen ausklinken.

Und so passiert - in Echtzeit beziehungsweise auf Seite 167 seines neuesten Buches - die Katastrophe auf dem Bildschirm des Fernsehers, den der deutsche Außenminister während der Verhandlungen mit seinen Kollegen stumm weiterlaufen läßt. Joseph Fischer: "Im Spiel in Barcelona war man inzwischen in der Nachspielzeit angekommen, und die Bayern sahen bereits wie stolze Champion-League-Sieger aus, als es in der 91. Minute im Tor der Münchner ganz fürchterlich einschlug. Innerhalb einer weiteren Minute fing sich FC Bayern ein zweites Tor ein, und es war vorbei. 2:1 für Manchester United, Abpfiff, Jubel und bodenlose Enttäuschung. So ist eben Fußball. Als das Ausgleichstor fiel, konnte ich einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken. Darauf herrschte für einige Sekunden völlige Stille. Dann ertönte die sorgenvolle Stimme von Madeleine Albright."

Den Rest kennen wir.

Die Telefonkonferenz erwies sich, obwohl der "fußballerische Leckerbissen", den Joseph Fischer erwartet hatte, verdorben war, schließlich doch noch als großer Erfolg: Vier Tage nach der Niederlage von Barcelona gelingt Joseph Fischer, der mit dem Kampfruf "Nie wieder Auschwitz" in den Krieg gezogen war, zusammen mit seinen Kollegen ein stolzer Sieg (nicht der erste und gewiß nicht der letzte): Die Bomben der Humanitas vernichten die Brücke von Varvarin und mit ihr zehn Feinde - darunter ein vierzehnjähriges Mädchen -, die sich als Zivilisten ausgaben. Vierzehn weitere wurden so nachhaltig verletzt, daß sie bis heute gezeichnet sind. Ja, wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Großzügig gefördert hat diese Rezension von Joschka Fischer: "Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11.September", 404 Seiten, 22,90 EUR der Kiepenheuer & Witsch Verlag, dessen Presseabteilung mich trotz bestehender Bedenken mit diesem Buch "bemustert" hat. Bemustert wurde ich auch mit dem Klappentext: "Die bemerkenswert lebendig erzählten Memoiren Joschka Fischers bieten dem Leser nicht nur einen seltenen Blick hinter die Kulissen deutscher und internationaler Politik - sie sind auch ein unersetzliches zeitgeschichtliches Dokument."