Terror und Willkür

in (14.09.2007)

Ein Merkmal politischer Justiz ist - bei allen System- und Verfahrensunterschieden in den einzelnen Staaten - der willkürliche Umgang mit den eigenen Gesetzen.

Hier ist über einen solchen Fall aus Atlanta im US-Bundesstaat Georgia zu berichten, wo am 20. August vor dem Berufungsgericht des 11. Circuit Court eine öffentliche Anhörung über die Wiederaufnahme des Prozesses gegen die sogenannten Cuban Five stattfand. Vorausgegangen war ein Prozeß, der der US-Justiz nicht zum Ruhme gereicht. Den Angeklagten brachte er Höchststrafen ein - bis hin zu mehr als doppelt lebenslanger Haft -, die sie nun in verschiedenen Gefängnissen der USA absitzen. Was hatten sie verbrochen?

Die fünf Kubaner wurden am 12. September 1998 verhaftet, wenige Wochen nachdem die kubanische Regierung dem US-Kriminalamt FBI umfangreiches Material über die seit Jahrzehnten von Florida aus gegen Kuba unternommenen Terror- und Interventionsaktivitäten übergeben hatte. Das FBI versprach, gegen diese völkerrechtswidrigen Aktivitäten vorzugehen. Doch anstatt sich der Gangs in Miami anzunehmen, verhafteten die Strafverfolgungsbehörden jene fünf Kubaner - zwei von ihnen US-Staatsangehörige -, die das Material in Florida unter den Exilorganisationen gesammelt und den kubanischen Behörden übermittelt hatten. Die USA stellten sie im November 2000 in Miami vor Gericht, welches sie im Juni 2001 verurteilte. Die Jury fand sie nach nur kurzer Beratung in allen 26 Punkten der Anklage für schuldig, die leichtesten lauteten auf Benutzung falscher Identitäten, die schwersten auf Verschwörung zu Spionage und Mord. Im Dezember 2001 verkündete das Gericht seine Strafen: dreimal lebenslänglich, einmal 15 und einmal 19 Jahre Gefängnis, Gerardo Hernandez wurde sogar zu zweimal lebenslänglich plus 15 Jahre Haft verurteilt.

Der zentrale Vorwurf der Verteidigung, daß gerade Miami wegen seiner bekannt antikubanischen Atmosphäre ein völlig ungeeigneter Ort für ein faires Gerichtsverfahren sei und der Prozeß daher an einem anderen Ort stattfinden müsse, war von dem Gericht unbeachtet geblieben. Als jedoch genau ein Jahr später die US-Regierung als Angeklagte in einem Verfahren mit kubanischem Hintergrund die gleiche Einrede vorbrachte und damit die Verlegung der Gerichtsverhandlung erreichte, entschloß sich die Verteidigung im April 2003 zu einem Wiederaufnahmeantrag. Sie stützte ihn auf die erfolgreiche Einrede der US-Regierung und erwirkte damit eine neue Anhörung, die eine Kammer des Berufungsgerichts in Atlanta für den 10. März 2004 in Miami anberaumte. Die aus einer Richterin und zwei Richtern bestehende Kammer ließ sich nach der Anhörung 16 Monate Zeit und verkündete am 9. August 2005 eine 93 Seiten umfassende Entscheidung, mit der sie die Urteile als unfair und rechtswidrig aufhob und einen neuen Prozeß an einem anderen Ort forderte.

Hilfreich mag auch ein am 25. Mai 2005 veröffentlichtes Gutachten einer "Arbeitsgruppe über willkürliche Haft" der UN-Menschenrechtskommission in Genf gewesen sein. Sie hatte ihre Kritik auf folgende Fakten gestützt: Nach der Verhaftung waren die Gefangenen 17 Monate in Isolationshaft gehalten worden; der Kontakt zu ihren Anwälten und der Zugang zu Beweismitteln war dadurch stark eingeschränkt. Zudem hatte das Gericht alle von den Verhafteten gesammelten Dokumente und Materialien sowie andere Beweismittel nach dem Classified Information Procedures Act (CIPA) als geheim eingestuft und damit dem Zugang der Anwälte großenteils entzogen. Es herrschte ein Klima der Voreingenommenheit und Vorverurteilung gegen die Angeklagten, das keinen fairen Prozeß im Sinne des Artikels 14 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte zuließ.

Die Kammer kam zu dem gleichen Ergebnis. Sie listete all die Gruppen auf (Alpha 66, Brigade 2506, Brother to the Rescue, Independent and Democratic Cuba, Comandos L, Cuban American National Foundation und andere), die seit Jahrzehnten geheime und offene terroristische Operationen gegen Kuba unternommen hatten, und folgerte, "die Annahme, daß diese Gruppen die Juroren derart einschüchtern können, daß es das Urteil ungünstig beeinträchtigt", sei "naheliegend".

Doch die Aufhebung des Urteils von 2001 brachte den Gefangenen keine Hafterleichterung. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein, und dasselbe Berufungsgericht - nun in zwölfköpfiger Besetzung - hob genau ein Jahr später, am 9. August 2006, die Entscheidung ihrer Kammer auf.

Der erneute Wiederaufnahmeantrag der Verteidigung stützt sich auf drei weitere Punkte.

Erstens: Die kubanische Regierung hatte nach zahlreichen Warnungen an die Behörden der USA ernst gemacht und zwei der drei in ihren Luftraum eindringenden Kleinflugzeuge der Gruppe "Brother to the Rescue" abgeschossen. Vier der Abenteurer starben, während der Organisator und Kopf derartiger Provokationen, der Schweinebucht-Veteran Basulto, vorher abdrehte und sicher wieder in Miami landete. Das Gericht machte Gerardo Hernandez, der offensichtlich über die Flüge unterrichtet war, für den Abschuß durch die Kubaner verantwortlich und verurteilte ihn wegen "Verschwörung zum Mord" zu lebenslanger Haft. Der Tatbestand der Verschwörung verlangt jedoch, daß der Angeklagte von dem geplanten Abschuß zumindest gewußt hat. Das konnte die Regierung nach eigenem Eingeständnis nicht beweisen. Auch die Kammer hatte in der ersten Anhörung 2004 auf das Fehlen von Beweisen hingewiesen. Auf die Überlegung, daß jede Regierung eines souveränen Staates befugt ist, sein Territorium gegen Provokationen und Grenzverletzungen zu schützen - wobei nur die Erwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Abschusses begründen könnte -, verschwendete das Gericht kein Argument .
Zweitens: Gerardo Hernandez wurde auch wegen "Verschwörung zu Spionage" zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt, desgleichen Antonio Guerrero und Antonio Labanino. Eine ungewöhnliche Wertung ihres Handelns, das sich ausschließlich gegen die exilkubanischen Gruppen gerichtet hatte. Dies ist das erste Spionage-Urteil in den USA, in dem kein einziges Geheimdokument US-amerikanischer Regierungsstellen eine Rolle spielt.

Drittens schließlich rügt die Verteidigung "Fehlverhalten des Staatsanwalts" in seinem Schlußplädoyer. Dafür gibt es strenge prozedurale Regeln, die es verbieten, Vorwürfe zu erheben, die über das vorgelegte Beweismaterial hinausgehen. So hatte der Staatsanwalt sich nicht auf den Vorwurf beschränkt, die Angeklagten seien in die USA gekommen, um die Aktivitäten des Terrornetzwerkes gegen Kuba auszuspionieren - was von den Angeklagten eingestanden worden war. Dreimal hatte er ihnen vorgeworfen, daß sie mit der Absicht eingereist seien, die USA zu zerstören. Dieser Vorwurf war neu und ohne Beweisangebot geblieben; er diente offensichtlich dazu, die Jury zum Schluß noch einmal zu beeinflussen.

Verteidigung und Anklage hatten in der Anhörung am 20. August jeweils 30 Minuten Zeit, ihre Argumente vorzutragen. Zwei der Richter stammten noch aus der Kammer, die das Urteil bereits einmal aufgehoben hatte. Der neue, von Präsident Bush ernannte dritte und jüngste Richter scheint allerdings außerordentlich reaktionär zu sein: Selbst die konservative Presse von Atlanta hatte sich gegen seine Bestellung ausgesprochen.

Die Anhörung verlief ohne konkreten Hinweis auf die zu erwartende Entscheidung. Die Tatsache allerdings, dass sie unter starker internationaler Beobachtung aus Lateinamerika und Europa stattfand, eröffnet dem Fall vielleicht den Zugang zu den Medien und damit in die Öffentlichkeit, den er bisher nicht hatte. Günstigstenfalls erwartet die Verteidigung eine 2:1-Entscheidung, die das Urteil noch einmal aufhebt. Dadurch würde jedoch wiederum die Gegenseite auf den Plan gerufen - mit dem schon bekannten Ergebnis. Dann bleibt der Gang zum Obersten Gericht der USA, dem Supreme Court. Während dieses langwierigen Instanzenzuges wird sich an der Situation der Gefangenen nicht viel ändern lassen. Sie werden weiter um ihre Rechte in den Gefängnissen kämpfen müssen.

Der Antiterrorkampf steht in den USA ganz oben auf der Tagesordnung. In ihm hat auch die Justiz ihre Aufgaben. Es kommt nur darauf an, wie man den Terror definiert. In diesem Prozeß werden die fünf Kubaner, die sich unbewaffnet und ohne jeden Kontakt zu internationalen Terrornetzwerken in die exilkubanischen Gruppen eingeschlichen hatten, um deren Aktivitäten gegen Kuba zu entlarven und zu unterbinden, zu Terroristen erklärt. Gemeinhin gelten jedoch gerade diese Aktivitäten - Attentate, Sprengstoffanschläge, Eindringen in den Luftraum und Abwurf von Flugblättern mit dem Aufruf zum Widerstand - als Terror. US-Administration und CIA unterstützen diesen Terror. Sie sind nicht daran interessiert, offene Kriminalität und völkerrechtswidrige Intervention an ihrer Südküste zu unterbinden, solange sie sich gegen Kuba richten. Einer der Terroristen, Luis Posada Carriles, den Kuba unter anderem beschuldigt, eine Passagiermaschine zum Absturz gebracht zu haben und dadurch für den Tod von mehr als 70 Menschen verantwortlich zu sein, wurde kürzlich von der US-Justiz freigesprochen.

Norman Paech gehörte in Atlanta zu den internationalen Beobachtern der Anhörung