Martin Luther King war ein Trekkie

Themenschwerpunkteditorial iz3w 380 (September/Oktober 2020): Science Fiction

»Space – the final frontier.« Den meisten Science-Fiction-Fans dürften diese Worte bekannt vorkommen. Sie erklingen zu Beginn jeder Folge der Fernsehserie »Star Trek«, die in den USA erstmals 1966 ausgestrahlt wurde. Als »Raumschiff Enterprise« flimmerte die Serie ab 1972 in Deutschland über die Bildschirme. Sie erreichte international eine solche Popularität, dass bis heute zahlreiche Nachfolge- und Spin-off-Serien, 13 Kinofilme, dutzende Comics, tausende Fanclubs mit Trekkie-Treffen und Fan-Fiction, sowie zahllose kulturwissenschaftliche Abhandlungen über das Star Trek-Universum entstanden sind.

Dieser Erfolg war am Anfang nicht abzusehen – ganz im Gegenteil. Als Gene Roddenberry seine Idee einer »Sternenreise« Mitte der 1960er Jahre den Produzenten bei NBC vorstellte, zeigten die sich skeptisch. Denn Roddenberrys Zukunftsvision war feministisch und multikulturell ausgerichtet. So bestand die Crew der Enterprise unter anderem aus Leutnant Hikaru Sulu, gespielt vom japanisch-amerikanischen Schauspieler George Hosato Takai, was 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus eine Besonderheit im US-amerikanischen Fernsehen war. Und inmitten des Kalten Krieges arbeitete an Bord des Raumschiffes der russische Navigator Pavel Andreievich Chekov, interpretiert von Walter Koenig. Am außergewöhnlichsten jedoch war die Besetzung der Rolle des Kommunikationsoffiziers mit einer Schwarzen (Oh nein!) Frau (Kreisch!).

Die afro-amerikanische Schauspielerin Nichelle Nichols spielte Leutnant Nyota Penda Uhura, deren Nachname auf Swahili »Freiheit« bedeutet. Und zum ersten Mal in der Fernsehgeschichte wurde eine Schwarze Frau als intelligent, hochqualifiziert, in einer Führungsposition – und nebenbei verdammt gut aussehend – dargestellt. Nichelle Nichols wollte die Serie eigentlich nach der ersten Staffel verlassen, um am Broadway zu arbeiten. Aber dann traf sie auf einen begeisterten Trekkie, der sie überzeugte, weiterzumachen: Dr. Martin Luther King Jr.

King erzählte ihr, dass »Star Trek« die einzige Serie sei, die seine drei Kinder anschauen dürften, und dass Uhura ein Vorbild für Millionen von Schwarzen Mädchen und Frauen sei. »Das erste Mal können Schwarze Menschen im Fernsehen einen Blick in eine bessere Zukunft werfen«, wird er von Nichols zitiert. Als sie meinte, dass sie gerne an seiner Seite für die Bürgerrechtsbewegung marschieren würde, entgegnete er: »No, you don’t understand. You are marching!« Als Leutnant Nyota Uhura.

Und so beschäftigte sich Nichols alias Uhura weiter mit außerirdischen Sprachen, steuerte in Notfällen das Raumschiff, rettete die Crew und wurde in einem der späteren Star Trek-Kinofilme zur kommandierenden Offizierin befördert. Großes Aufsehen erregte der berühmte Kuss zwischen Leutnant Uhura und Captain Kirk (William Shatner) im Jahr 1968, der als erster Kuss im US-Fernsehen zwischen einer Schwarzen und einem Weißen gilt (im britischen Fernsehen hatte es das fast zehn Jahre zuvor bereits gegeben). NBC sorgte sich um die Reaktionen aus den Südstaaten und ordnete an, dass die Szene in verschiedenen Versionen gedreht werden sollte – mit und ohne Kuss. Aber Nichols und Shatner verhunzten mit voller Absicht alle Szenen ohne Kuss, so dass dem Sender keine andere Wahl blieb, als den Knutscher zu senden. Statt der befürchteten Kritik gab es massenhaft Briefe von begeisterten Fans.

Nach dem Ende der Serie 1969 spielte Nichols noch in sechs Kinofilmen als Uhura mit. In den 1980er Jahren wurde sie als Botschafterin von der NASA angestellt. Sie sollte dafür sorgen, dass sich mehr Frauen und People of Colour für das Weltraumprogramm bewerben – was ihr auch gelang. Sie rekrutierte unter anderem Sally Ride, die erste Frau im Weltraum, ebenso den ersten afro-amerikanischen Astronauten, Guion Bluford. Im Alter von 82 Jahren flog Nichols an Bord eines NASA Observationsfluges in Stratosphärenhöhe und auch ein Asteroid ist nach ihr benannt. Als Nichols 2012 im Weißen Haus auf Barack Obama traf, gestand ihr der Präsident der Vereinigten Staaten, als kleiner Junge in sie »verknallt« gewesen zu sein.

Das Star Trek-Universum bietet keine perfekte Utopie, aber die Serie zeigt eindrücklich, dass Science-Fiction (SF) politisch bedeutsam sein kann. SF kann eine Analyse der bestehenden Verhältnisse liefern, wenn aktuelle Entwicklungen in dystopischen Szenarien weitergesponnen werden. Sie kann aber auch Wege hin zu besseren Gesellschaften zeigen. Dem Genre hängt immer noch der Ruf an, überwiegend für weiße, männliche Nerds interessant zu sein. Wie Stark Trek und weitere ältere Beispiele zeigen, hat das noch nie gestimmt und stimmt immer weniger: In unserem Schwerpunkt werfen wir einen Blick auf den emanzipatorischen Gehalt des Genres und erkunden außerdem, welche unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe in Ländern wie Kuba, Nigeria, Indien oder China erdacht werden.

»Lebt lange und in Frieden«

die redaktion