Shawq (Sehnsucht)

Die syrische Ramadan-Serie zur Entführung von Razan Zeytouneh

in (26.02.2018)

Syrische Ramadan-Serien umfassen gut dreißig Folgen und sind seit Beginn der 2000er Jahre in der gesamten arabischen Welt beliebt. Längst haben sie den ägyptischen Soaps den Rang abgelaufen. Auch im Krieg wird weiter produziert: regimetreue Serien, die im Land hergestellt werden ebenso wie oppositionelle Werke mit Drehorten im Ausland und Finanzierung aus dem Golf.

Thematisch sind die Produktionen ein Strauß Buntes, eine wachsende Zahl von Serien aber befasst sich neuerdings mit sozialen Aspekten des Krieges. Ghadan Naltaqi (Wir treffen uns Morgen, Drehbuch: Iyad Abu Shamat, Regie: Rami Hanna, 2015) erzählt über syrische Flüchtlinge im Libanon. Für ihren Realismus und die hochwertige Produktion von Abu Dhabi Channel Network in Kooperation mit der syrischen Produktionsfirma Claquet wird die Ramadan-Serie hoch gelobt. Gharabib Soud (Schwarze Krähen, Drehbuch: Abdullah bin Bijad Al Otibi, Regie: Husam Qasim al-Rantiji, Adel Adib, Hussein Shawket, 2017) fokussiert auf die Lage von Frauen im IS und wurde von MBC, dem größten privaten arabischen transnationalen TV-Sender, realisiert. MBC ist im Besitz eines saudischen Medienmoguls und operiert von Dubai aus. Auf Initiative des Senders wurde die dezidierte Anti-IS-Serie mit Unterstützung aus Hollywood und dem US-amerikanischen Außenministerium verwirklicht.(1)

Aus Syrien selbst kommt u. a. das dreißigstündige Drama Shawq (Sehnsucht, Drehbuch: Hazim Suleiman, Regie: Rasha Sharbatji, 2017), dessen Geschichte auf der Entführung der mit internationalen Menschenrechtspreisen dekorierten oppositionellen säkularen Rechtsanwältin Razan Zeytouneh basiert. Tatsächlich wurde Zeytouneh 2013 zusammen mit ihrem Mann Wael Hamada und KollegInnen aus dem von der Armee des Islam regierten Douma entführt. Dorthin hatte sie nach der Entmachtung des Assad-Regimes ihr Büro aus Damaskus verlegt. Bis heute ist der Verbleib der vier MenschenrechtlerInnen ungeklärt, die Opposition bezichtigt das Regime der Entführung, das Regime die Jihadisten.

Shawq beginnt mit einem kurzen Text der besagt, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten basiert, man aber ihren tatsächlichen Verlauf im Krieg nicht kennen kann. In der Serie sind Jihadisten die Entführer von Razan Zeytouneh, deren Filmname Roze (Suzan Najm Aldeen) ist. Ihr Mann lebt fiktional auf freiem Fuß in Damaskus und behält seinen echten Namen Wael (Bassem Yakhour). Dieses Setting ermöglicht dem Drehbuchautor den Blick auf zwei Welten, deren Dichotomie durch das Paar in Frage gestellt wird. In der Serie haben alle Figuren der verzweigten Geschichte eine Funktion, keine von ihnen ist jedoch eindimensional. Auch nicht die Leute vom IS.

Rozes Entführung lenkt den Blick auf den Frauenhandel jihadistischer Gruppen. Im Vergleich mit Loretta Napoleonis solide recherchierten Buch Menschenhändler: Die Schattenwirtschaft des islamistischen Terrorismus (2016) mutet die ebenso gut erkundete Darstellung in Shawq zurückhaltend an. Im Laufe der Serie werden einige Charaktere dieses Erzählstrangs näher beleuchtet. Zunächst geht es um die Akzeptanz von Zeytouneh/Roze durch die Frauen aus Douma, die mit ihr zusammen entführt wurden. Letztere vermuten in Roze eine Spionin, weil sie aus dem vom Regime gehaltenen Damaskus ins jihadistisch befreite Douma gezogen ist und aufgrund ihrer Bildung und städtischen Attitüde als Fremde gilt. Durch ihre Klugheit, ihren Pragmatismus und ihre Warmherzigkeit wird Roze im Laufe der Serie das Vertrauen der Frauen gewinnen. Bassam (Firas Alhalabi), vor dem Krieg Medizinstudent, ist einer der Jihadisten und damit betraut, die Entführten zu bewachen. Er zweifelt an seinem Tun und unterstützt die Frauen bei ihrem (scheiternden) Fluchtversuch. Er wird seine politische Verirrung mit einer schweren Verwundung bezahlen und später staatliche Stellen darin unterstützen, die Frauen zu finden.

Von der Jihadisten-Miliz werden die Frauen an den IS verkauft. Dort herrscht eine brutale Gouvernante über sie. Nach und nach stellt sich heraus, dass auch sie ein Entführungsopfer ist und ihre Tochter an einen der höheren IS Funktionäre gegeben wurde. Die Mutter lebt in der trügerischen Hoffnung, durch vorbildliche Grausamkeit ihre Tochter beschützen und vielleicht sogar befreien zu können.

Dass Wael in der Fiktion weiter in Damaskus lebt, ermöglicht zu fragen, wie konsequent oppositionell MenschenrechtsanwältInnen in Syrien sind oder sein können. Haben nicht alle ihre Kontakte ins Militär? Gibt es nicht überall einen Freund in Uniform, der hilft, die MandantInnen aus den überfüllten Knästen zu holen? Ist es nicht menschlich, dass sich daraus mitunter tiefe Freundschaften entwickeln? Und dass der Freund alle Hebel des Regimes in Bewegung setzt, die entführte Geliebte zu finden? Gerade die konsequent menschliche Darstellung Waels und seines sozialen Umfelds in Shawq beraubt ihn jedweder politischen Haltung.

Waels Schwester, Sulaf (Rozina Al Lazkani, die auch in der o.a. Serie Schwarze Krähen mitspielt), verliebt sich in Jamal (Ahmad al-Ahmad), den Besitzer eines Cafés, in dem sie nach der Uni mit ihren Freundinnen Shisha raucht. Jamal hat eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich um Binnenflüchtlinge kümmert und Jihadisten mit Drogen, Benzin und Frauen beliefert. Sein gut laufendes Geschäft hat der Mann aus einfachen Verhältnissen mit dem Verkauf seiner eigenen Schwester begonnen. Vom Staat wird er für seine sozialen Verdienste mit einem Orden bedacht. Als er um Sulafs Hand anhält und die Mutter (Mona Wasef) und Wael zunehmend Verdacht gegen Jamal schöpfen, fragt Wael seinen Kontakt im Militär, ob man den nicht beiseite schaffen könne. Der Staatsbedienstete antwortet, dass das leider nicht gehe, Jamal sei zu vernetzt und zu mächtig.

Die Hauptfigur in Shawq ist Waels Cousine Shawq (Nesreen Tashef), die zu den blassesten Charakteren der Serie gehört. Ihre gewollte Harmlosigkeit macht Shawq zum Kitt der Geschichte. Bei ihr laufen die Erzählstränge zusammen. Sie ist es, die die Sehnsucht nach einem normalen Leben verkörpert. Nachdem aus ominösen Gründen eine schon länger in ihr schlummernde Alzheimerkrankheit ausbricht, bedarf Shawq menschlicher Wärme und Hilfe. Anhand ihrer Krankheit wird gezeigt, dass sozialer Zusammenhalt das Wesentliche im Leben ist.

Die Serie ist so klug geschrieben und befasst sich durchaus dialektisch mit derart interessanten gesellschaftlichen Fragen, dass die Brutalität des Regimes, die Diktatur und Jahrzehnte des Ausnahmezustands völlig aus dem Blick geraten - ohne die Realität des Krieges zu leugnen.

Die wichtigen DarstellerInnen sind alle große Stars des syrischen und oft des arabischen Films und Theaters. Sie bekennen sich samt und sonders zum Regime, mehr oder weniger laut. Shawq wurde im Ramadan 2017 ausgestrahlt und ist in voller Länge und guter technischer Qualität auf Youtube zu sehen. In Pressemitteilungen zu der Serie heißt es, ihr Anliegen sei, das Bild Syriens in dieser schwierigen Zeit im Ausland zu korrigieren. Bostah, das populäre Filmmagazin im syrischen Fernsehen, hat mehrere Berichte über die Dreharbeiten von Shawq gesendet. Hier, auf dem innenpolitischen Feld, wird ein Aspekt betont, auf den die Dramaturgie der Serie ab Folge eins zuläuft, nämlich die nationale Sammlung. Nur wenn alle Figuren komplex und widersprüchlich sind, also auch ihre positiven Seiten haben, sind Vergebung und gesellschaftliche Wiedervereinigung möglich. Das ist die Politik, die das Assad-Regime derzeit fährt: die Menschen zurückzuholen, ihnen ihre politischen Fehler und Verirrungen zu verzeihen und auf ihre Einsicht zu zählen, dass der Aufstand nur Elend gebracht hat. Wer versteht, dass nur das Regime Recht hat und Gutes tut, kann in Zukunft ein normales Leben in Syrien führen. Über allen anderen liegt Schweigen.

(1) Schneider, Cynthia: Can Good Television Beat the Islamic State?, in Foreign Policy, 7.4.2017 http://foreignpolicy.com/2017/04/07/can-good-television-beat-the-islamic-state-mbc/