Von Freiburg nach Bologna

Parallelen von faschistischer und neoliberaler Wissenschaftsorganisation

In Forum Wissenschaft 3/2014 hatten wir unser Augenmerk schwerpunktmäßig auf Fragen der Hochschulautonomie gelegt. Daran anknüpfend wollen wir noch einen Blick darauf werfen, wie sich diese Begrifflichkeiten historisch entwickelt haben. Für die Standortbestimmung der deutschen Universitäten im Nationalsozialismus lohnt sich eine Betrachtung der Antrittsrede Martin Heideggers als Rektor der Universität Freiburg 1933. Micha Brumlik hat diese Rede analysiert und stellt interessante Parallelen fest.

Die aktuellen Debatten um die Umsetzung des sogenannten Bolognaprozesses an den europäischen, damit auch an den deutschen Hochschulen, um Exzellenzcluster, Wettbewerbsfähigkeit und employability schlagen ein weiteres Kapitel in der Jahrhunderte alten Auseinandersetzung um Sinn und Zweck von Institutionen höherer Bildung auf. Sie fand in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt vor etwa dreißig Jahren statt, als es im Rahmen der sogenannten "Finalisierungsdebatte" um die gesellschaftspolitische Frage ging, ob und in welchem Ausmaß die Wissenschaften ihr Tun gesellschaftspolitisch zu verantworten hätten - so, dass ihre Ergebnisse einen nachprüfbaren Beitrag zur Behebung der Miserabilität menschlicher Verhältnisse liefern könnten. Diese damals von "links" angeregte und von konservativer Seite wütend bestrittene Debatte wurde Mitte der 1990er Jahre mit politisch entgegengesetztem Vorzeichen, diesmal von "rechts" wieder aufgenommen - seither geht es weniger um die direkte Verantwortung der Wissenschaften für die Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse als um die Frage ihrer eigenen Wirtschaftlichkeit und ihres Beitrages für die Wirtschaft.

Nichts Neues nach Bologna?

Allerdings: so neu und dem "abendländischen" Wesen der Universität - allerspätestens seit den bildungstheoretischen Entwürfen des deutschen Idealismus - so fremden Umgestaltung des höheren Bildungswesens, so sehr ist doch darauf hinzuweisen, dass die Grundidee "Bologna" keineswegs so neu ist, wie es scheint. Gemeinhin wird - keineswegs zu Unrecht - die nach "Bologna" neu formierte Universität als Ausdruck eines "neoliberalen" politischen Wollens dargestellt, was indes mit der Wirklichkeit dieser Institutionen - jedenfalls in Deutschland - nicht das mindeste zu tun hat.1 Tatsächlich erinnern die nach "Bologna" neu aufgestellten Universitäten eher an Produktionsstätten klassischer sowjetischer Planwirtschaft mit ihren Produktionszielen, ihrer strikten Absage an gleichsam marktwirtschaftliche Formen der Wahl von Fächern und Veranstaltungen, der Vorgabe von "Zeitfenstern" sowie der laufenden bürokratischen Buchführung über den Studienverlauf. Das wird durch die allgegenwärtige Digitalisierung der Bildungsbürokratie allenfalls verdeckt, in Wahrheit jedoch nur weiter verstärkt. Der Sowjetisierung des Studienbetriebs korrespondiert jedoch, und darum soll es hier gehen, in struktureller - auf keinen Fall weltanschaulicher - Hinsicht eine Faschisierung der universitären Leitungsstrukturen. Worum es dabei geht, soll zunächst durch eine ausführliche historische Rückerinnerung plausibel gemacht werden. Diese Leitungsstrukturen folgen freilich einem globalen Trend.

Die US-amerikanische Bildungssoziologie hat die Gefahren und Probleme, die aus der Ökonomisierung der Universitäten resultiert, durchaus zur Kenntnis genommen, setzt aber umso stärker auf starke Führungsstrukturen. So schreibt etwa Derek Bok, der als der fünfundzwanzigste Präsident von Harvard wirkte, in einem abschließenden Kapitel unter dem Titel "The Leadership Question" seines 2013 erschienenen Buches Higher Education in America:

"The system of governance in the United States has also helped to make effective leadership possible. In comparison with most other countries, the greater power given to American University presidents, the longer periods many of them serve, and the fact, that they are chosen by independent boards and not by faculty vote have allowed able leaders to accomplish more in the United States than their foreign counterparts could achieve.[...] It is not surprising, then, that other countries seeking to improve their universities have altered their methods of selecting and empowering presidents to resemble more closely the American Models."2

Die faschistische Universität: Martin Heideggers "Wissensdienst"

1933 unternahm der Philosoph Martin Heidegger in seiner Freiburger Rektoratsrede3, die je nachdem geistesaristokratischen oder geistesdemokratischen Überlegungen der Berliner Universitätsgründer des neunzehnten Jahrhunderts so zu unterlaufen oder zu überbieten, dass die gleichgeschaltete Universität in den von Heidegger aus ganzem Herzen akzeptierten nationalsozialistischen Staat passt. Die zentralen Passagen seien ausführlicher zitiert:

"Aus der Entschlossenheit der deutschen Studentenschaft, dem deutschen Schicksal in seiner äußersten Not standzuhalten, kommt ein Wille zum Wesen der Universität. Dieser Wille ist ein wahrer Wille, sofern die deutsche Studentenschaft durch das neue Studentenrecht sich selbst unter das Gesetz ihres Wesens stellt und damit dieses Wesen allererst umgrenzt. Sich selbst das Gesetz geben, ist höchste Freiheit. Die vielbesungene ›akademische Freiheit‹ wird aus der deutschen Universität verstoßen; denn diese Freiheit war unecht, weil nur verneinend. Sie bedeutete vorwiegend Unbekümmertheit, Beliebigkeit der Absichten und Neigungen, Ungebundenheit im Tun und Lassen. Der Begriff der Freiheit des deutschen Studenten wird jetzt zu seiner Wahrheit zurückgebracht. Aus ihr entfalten sich künftig Bindung und Dienst der deutschen Studentenschaft."4

Sieht man einmal von der offensichtlichen Lüge ab, dass das vom nationalsozialistischen Studentenbund mitbestimmte, keineswegs allein bestimmte "Studentenrecht" gerade nicht im Rahmen einer freien Entscheidung aller Studenten zustande gekommen ist, sondern unter eindeutigem äußeren Zwang, gelingt es Heidegger hier zunächst durchaus, Anschluss an die philosophische Tradition des Idealismus zu finden, wenn er "wahre" Freiheit als ein sich selbst das Gesetz gebendes Wollen bestimmt. Mit dieser begrifflichen Operation kann Heidegger dann die Autonomie von Universität und Wissenschaft in ihr genaues Gegenteil verdrehen, und alle Wissenschaft dem unterzuordnen, was er für das Schicksal des deutschen Volkes hält:

"Die erste Bindung ist die in die Volksgemeinschaft. Sie verpflichtet zum mittragenden und mithandelnden Teilhaben am Mühen, Trachten und Können aller Stände und Glieder des Volkes. Diese Bindung wird fortan festgemacht und in das studentische Dasein eingewurzelt durch den Arbeitsdienst."5

Die Aussage ist eindeutig: sogar, wenn man gewisse soziale Verpflichtungen von Studenten für sinnvoll hielte, führt doch nichts an der Erkenntnis vorbei, dass das von Heidegger vertretene Konzept eines wissenschaftlichen Studiums nicht mehr einer unbegrenzten, universalistischen, theoretisch orientierten Wahrheitssuche verpflichtet ist, sondern einem praktischen und partikularen Interesse. Das wird an Heideggers Postulat einer zweiten Bindung besonders deutlich:

"Die zweite Bindung ist die an die Ehre und das Geschick der Nation inmitten der anderen Völker. Sie verlangt die in Wissen und Können gesicherte und durch Zucht gestraffte Bereitschaft zum Einsatz bis ins Letzte. Diese Bindung umgreift und durchdringt künftig das ganze studentische Dasein als Wehrdienst."

- womit nichts anderes gemeint ist, als dass wahre Bereitschaft zur Wissenschaft für Heidegger auf nichts anderes hinausläuft als auf die Bereitschaft, für das Volk im Krieg zu sterben - auch hier kann Heidegger an bestimmte Ströme der idealistischen Tradition anknüpfen, vor allem an Fichtes Reden an die deutsche Nation sowie verwandte Schriften. Die hier wenn auch verklausuliert vorgenommene Engführung von Wahrheitssuche und Kriegsbereitschaft heißt aber letzten Endes nichts anderes, als dass die Suche nach der Wahrheit sich in der Suche nach dem Tode im Krieg erfüllt.

Geistiger Auftrag des Volkes

Erst in seinem dritten Postulat, von dem Heidegger nach dem Krieg sagen sollte, dass die Nennung auf drittem Platz gerade keine Geringschätzung, sondern eine besondere Hochschätzung darstelle, geht er auf so etwas wie wissenschaftliche Betätigung im engeren Sinne ein:

"Die dritte Bindung der Studentenschaft ist die an den geistigen Auftrag des deutschen Volkes. Dies Volk wirkt an seinem Schicksal, indem es seine Geschichte in die Offenbarkeit der Übermacht aller weltbildenden Mächte des menschlichen Daseins hineinstellt und sich seine geistige Welt immer neu erkämpft. So ausgesetzt in die äußerste Fragwürdigkeit des eigenen Daseins, will dies Volk ein geistiges Volk sein. Es fordert von sich und seinen Führern und Hütern die härteste Klarheit des höchsten, weitesten und reichsten Wissens."6

Auch hier steht eine vorgeblich aus freiem Wollen erstrebte Unterordnung wider die konventionell verstandene akademische Freiheit - und auch hier scheint es Heidegger zu gelingen, an die idealistische Tradition anzuschließen und eine Fremdbestimmung durch die Sphäre des Kommerziellen auszuschließen. Auffällig ist, dass sich Heidegger im Folgenden oberflächlich an jene Bestimmung der Fakultäten hält, die schon in Kants Streit der Fakultäten angelegt war:

"Weil der Staatsmann und Lehrer, der Arzt und der Richter, der Pfarrer und der Baumeister das volklich-staatliche Dasein führen und in seinen Grundbezügen zu den weltbildenden Mächten des menschlichen Seins bewachen und scharf halten, deshalb sind diese Berufe und die Erziehung zu ihnen dem Wissensdienst überantwortet. Das Wissen steht nicht im Dienste der Berufe, sondern umgekehrt: die Berufe erwirken und verwalten jenes höchste und wesentliche Wissen des Volkes um sein ganzes Dasein. Aber dieses Wissen ist uns nicht die beruhigte Kenntnisnahme von Wahrheiten und Wesenheiten an sich, sondern die schärfste Gefährdung des Daseins inmitten der Übermacht des Seienden. Die Fragwürdigkeit des Seins überhaupt zwingt dem Volk Arbeit und Kampf ab und zwingt es in seinen Staat, dem die Berufe zugehören."7

Auf den ersten, aber nur den ersten Blick scheint sich Heidegger hier durchaus noch im Rahmen der auch gegen die utilitaristischen, wesentlich dem französischen Bildungswesen zugeschriebenen Pläne zu berufsbildenden höheren Bildungsanstalten und nicht zuletzt auch gegen die Aufklärungsuniversitäten gerichteten idealistischen, auf Zweckfreiheit bzw. Selbstbestimmung des Denkens gerichteten Universitätsentwürfe zu bewegen - ohne jedoch dem eigenen Anspruch, an die Stelle des Denkens in Nützlichkeiten ein Denken der Wahrheit zu setzen, treu bleiben zu können. Denn tatsächlich: weder die Semantik des Kampfes noch die Polemik gegen das beruhigte "zur Kenntnis nehmen von Wahrheiten" kann verdecken, dass die faktischen Wissenschaften mitsamt ihrem universitären Betrieb mit ihrer Wahrheitssuche der völkischen Selbstbehauptung untergeordnet werden. Wo also im klassisch platonischen, theoretisch kontemplativen Wissenschaftsideal die Suche nach der Wahrheit Selbstzweck ist, eine Suche, deren Ergebnisse dann indessen beliebigen praktischen Zwecken zur Verfügung gestellt werden können, geht es im angeblich noch tiefer gründenden existenzialontologischen Wahrheitsbegriff darum, alles der "Selbstbehauptung" eines Volkes zu unterwerfen - einem Ideal also, von dem Heidegger erst nach dem Kriege merken sollte, dass es ganz und gar in der von ihm selbst kritisierten subjektphilosophischen Tradition steht. Auch hier hat Heidegger entgegen seinem Anspruch die idealistische Tradition der preußischen Gründer weniger überwunden, als dass er hinter sie auf einen ihrer Teilaspekte zurückgefallen ist, und sich damit in die angeblich doch zu überwindende wissenschaftsutilitaristische Tradition gestellt hat - mit dem fatalen Ergebnis freilich, dass die Unterordnung in diesem Fall nicht der Verbesserung der menschlichen Angelegenheiten diente, sondern der Zurichtung auf eine mörderische Diktatur.

Führung der Universität in der Gegenwart

Ich halte es für keinen Zufall, dass die gegenwärtige, von "Bologna" her geführte Außensteuerung der Universitäten mit ihren Präsidialverfassungen und ihren grundsätzlich mit Vertretern der Wirtschaft besetzten, noch immer so einflussreichen "Hochschulräten" ebenso wie die nationalsozialistische Universität strukturell und organisatorisch auf einer Entmachtung der einzelnen Professoren zugunsten einer Verlagerung aller Macht auf eingesetzte Präsidenten oder Dekane beruht. Selbstbehauptung des deutschen Volkes hier bzw. Förderung volkswirtschaftlichen Humankapitals scheinen nur um den Preis der Entmachtung der einzelnen Wissenschaftler, d.h. der Professoren möglich zu sein. In organisationsssoziologischen Begriffen: das durchaus in vielen Fällen 1968 zerstörte Modell einer sich selbst geistesaristokratisch steuernden Institution mit einem Rektor als "primus inter pares" an der Spitze ist über das Modell der sich in sich selbst verhakenden "Gruppenuniversität" der 1970er und 80er Jahre zu Beginn des 21. Jahrhunderts bei einem betriebswirtschaftlichen Modell angelangt, bei dem die Universitäten als Betriebe zur Produktion und Vermarktung von Wissen und Humankapital gelten, also Institutionen, die als Produktionsmaschinen einen genau bemessbaren Output zu liefern haben und daher - so die von der Politik, nicht von den Universitäten selbst gesetzten institutionellen Veränderungen - als Betriebe zu organisieren sind. Wo es früher "Rektoren" gab, werden die wesentlichen Entscheidungen heute von "Präsidenten" getroffen, also von Personen, die die Aufgaben eines CEO übernehmen sollen und die dabei von betrieblichen Aufsichtsräten nachempfundenen Gremien unterstützt und kaum kontrolliert werden.

Die besondere Paradoxie der deutschen Situation besteht freilich darin, dass die Universitäten - im Unterschied zu den meisten US-amerikanischen Universitäten - keine Bezahluniversitäten sind, sondern ihre Güter beinahe kostenfrei anbieten. Das ist in den USA anders: dort ist die Produktion und Konsumtion von Bildung zwar den humanistischen, der alten deutschen Universität entnommenen Prinzipien verpflichtet, tatsächlich jedoch ein Gut, das mit Einschränkungen ebenso frei gehandelt wird wie Kraftfahrzeuge, Immobilien oder Textilien. Auch im Jahr 2013 gab der Princeton Review wieder seinen einhundertundfünfzig höhere Bildungsstätten untersuchenden Katalog The best Value Colleges8 heraus, dessen Titelseite durch folgende Aufschriften auffiel: "The 150 Best-Buy Schools and What It Takes to Get In" - eine Überschrift, der dann noch eine genaue Erläuterung folgte:

"Where to get your higher Education at a Great Price: The Top 75 private and 75 public schools - plus 10 TUITION-FREE schools - Insight into each schools selectivity, admissions criteria, and campus facilities - Guidance on how to gain admission."

Im Inneren findet die künftige Kundschaft dann übersichtlich aufbereitete Seiten, in denen von der ethnischen Zusammensetzung der Studenten über die Kosten und die - bei einer möglichen Kreditaufnahme - später zu erwartenden Schulden jedes Detail aufgeführt ist, so dass durch Vergleich der nach individuellen Bedürfnissen optimale Stand- und Lernort gefunden werden kann.

Angesichts dessen scheint es, als ob die neuere und auch die neueste Wissenschaftssoziologie die idealistischen, emphatischen Annahmen über die Motivation von Forschenden, Lehrenden und Studierenden empirisch und motivationspsychologisch nicht mehr übernehmen kann, theoretisch gar scheint die Modellierung des wissenschaftlichen Prozesses (auch an Universitäten) im Sinne eines Prozesses intersubjektiver Wahrheitssuche aus grundlagentheoretischen Überlegungen nicht zustimmungsfähig zu sein.9 Es könnte indes sein, dass diese Form einer gesellschaftstheoretischen, aber subjektlosen Wissenschaftssoziologie Einsichten übersprungen hat, die jedenfalls dem Verdacht, emphatisch und ideologisch das Wissenschaftssystem mit Ansprüchen zu überlasten, die es gar nicht erfüllen kann, nicht ausgesetzt sind. Das kann jetzt - am Ende - nur noch angedeutet werden.

Bildung und Demokratie - das amerikanische Ideal

1972 verfasste Talcott Parsons gemeinsam mit Gerald M. Platt eine große Studie über Die amerikanische Universität, in der sie sich an einer ebenso funktionalistischen wie handlungstheoretisch gefassten Analyse des Universitätssystems in den USA versuchen. Im vierten Kapitel der Studie, in der es um die studentische Sozialisation geht, vergleichen Parsons und Platt die Strukturen eines therapeutischen mit denen eines hochschulsozialisatorischen Prozesses. Am Ende dieses Kapitels, in dem sie die sozialisatorische Funktion der Universität im Sinne eines durchaus solidarisch geprägten institutionalisierten Individualismus analysieren, wähnen sie, in diesem Prozess einen Trend zu größerem ethischen Universalismus hin erkennen zu können:

"Es besteht ein Zusammenhang zwischen diesem Trend und dem Gewicht, das die Revolution des Bildungswesens den kognitiven Komponenten beigelegt hat. Verglichen mit früheren Phasen in der Entwicklung der westlichen Gesellschaft hat die Bildungsrevolution kulturelle Interessen gegenüber ökonomischen und politischen Interessen aufgewertet, und kulturelle Organisationsbrennpunkte sind ganz allgemein kosmopolitischer als solche des Sozialsystems oder der Persönlichkeit. Überdies ist im kulturellen System der kognitive Komplex noch der am eindeutigsten universalistische. Dieser Universalismus bietet eine Grundlage für die Nutzung des höheren Bildungswesens als Sozialisationsagentur wie auch als Instrument zur Entwicklung technischen Wissen und dessen kompetenter Anwendung."

Funktionalistische und normative Betrachtungen höherer Bildung in der Institution Universität müssen sich keineswegs widersprechen - im Gegenteil. Dies wird freilich - nimmt man Parsons und Platt ernst - nur dann möglich sein, wenn man die funktionalistische Perspektive handlungs- und das heißt subjektbezogen fasst. Die Philosophin Martha Nussbaum hat dies in ihrem 1997 publizierten Buch Cultivating Humanity. A classical defense of reform in liberal Education11 noch einmal systematisch entfaltet.

Dann erstaunt, dass letzten Endes der vermeintlich so weltfremd emphatische Idealismus der Neugründer der deutschen Universität im achtzehnten Jahrhundert der Entwicklungslogik moderner (Wissens-)Gesellschaften sehr viel näher war als all jene, die die gegen- und wechselseitigen Umweltleistungen von Erziehungs- und Wissenschaftssystem in einer alle Normativität ausklammernden Haltung untersuchen wollen. Sieht man zudem starke Parallelen zwischen sogenannten betriebswirtschaftlichen Steuerungen der Universität, sei es nach US-amerikanischen Vorstellungen, sei es nach Maßgabe der faschistischen Führermodelle im nationalsozialistischen Deutschland, so wird sofort klar, dass das vermeintlich veraltete, im späten achtzehnten Jahrhundert entwickelte und auf den Begriff gebrachte, geistesaristokratische Modell einer Wissenschaftsrepublik inter pares jedenfalls dem Gedanken einer Bildung durch Wissenschaft näher steht als Vorstellungen höherer Bildung, die sie als "Dienst" oder heute eben "Service" an der volkswirtschaftlichen Weiterentwicklung verstehen.

Anmerkungen

1) Vgl. N. Ricken u.a. 2014: Die Idee der Universität - revisited, Wiesbaden; R. Brandt 2011: Wozu noch Universitäten, Hamburg.

2) A.a.O.: 399.

3) Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, durchgesehene Neuauflage des Druckes von 1933, Breslau; Ders.: Das Rektorat 1933/34 - Tatsachen und Gedanken, Erstveröffentlichung einer Niederschrift aus dem Jahre 1945. Herausgegeben von Hermann Heidegger, Frankfurt/Main.

4) Heidegger 1983: 15

5) A.a.O.

6) A.a.O.: 15f.

7) A.a.O.: 16.

8) Random House Inc. New York 2013.

9) N. Luhmann 1990: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/Main: 619f.

10) Parsons/Platt 1990: 298.

11) Cambridge 1997.

Micha Brumlik war bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 2013 Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main; seit Oktober 2013 ist er Seniorprofessor am Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg. Er ist Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik und des Periodikums Babylon - Beiträge zur jüdischen Gegenwart.