Kaum sichtbar, aber wirksam

Umwälzungen in der deutschen Landwirtschaft

Lange Zeit war die Landwirtschaft der dominante ökonomische Sektor der Gesellschaft. Mit der industriellen Revolution begann sich das zu ändern, aber noch 1950 war ein Viertel der Beschäftigten in der Agrarwirtschaft tätig. Heute liegt der Beschäftigtenanteil inklusive Saisonarbeit und Fischerei bei etwa 2%. Der Beitrag von Horst Luley blickt aus fünf unterschiedlichen Perspektiven auf Veränderungsprozesse in der Landwirtschaft, beleuchtet Hintergründe und empfiehlt vier Bücher sowie eine Studie.

Seit Beginn der Industrialisierung sorgt die Integration der Landwirtschaft in die kapitalistische Marktwirtschaft für permanente Umwälzungen. Nur in der landwirtschaftlichen Urproduktion finden sich heute noch Reste der vorkapitalistischen Produktionsweise.

Die Fremdwahrnehmung: Wie Medien auf die Landwirtschaft blicken

Da nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung persönliche Bezüge zu Landwirten, ihren Betrieben, Familien bzw. Mitarbeitenden hat, sind Bilder über Landwirtschaft heute durch Massenmedien wie Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften sowie digitale Medien geprägt. Sie liefern keine differenzierten Lagebeschreibungen, sondern Geschichten, die Aufmerksamkeit erzeugen und höhere Quoten bringen sollen. Die Storys sind wahlweise historisch-neutral (Schwarzwaldhof vor hundert Jahren) oder genussorientiert-positiv angelegt (Landfrauen kochen). Andererseits greifen sie auch negative Aspekte auf ("Gammelfleisch", Salmonellen in Eiern etc.). Zudem wird oft über Entwicklungen (Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen, hohe Butterpreise) berichtet, die weniger die landwirtschaftliche Urproduktion, sondern die Lebensmittelbranche insgesamt betreffen. Aus Verbrauchersicht produzieren Landwirtschaft und Gartenbau Nahrungsmittel und sind insofern auch für gestiegene Preise (mit)verantwortlich. In ihrem Buch Images der Landwirtschaft stellt Simone Helmle fest: "Nie zuvor war Landwirtschaft so vielfältig wie heute, nie zuvor war sie so unsichtbar wie heute und nie zuvor war sie so weit entfernt vom Alltag der meisten Bürgerinnen und Bürger"1. Images wirken besonders dort, wo eigene Erfahrungen und direkter Kontakt nur eingeschränkt möglich sind. Interessanterweise ist das Image der Landwirtschaft in der Bevölkerung positiv. Andererseits wird Landwirtschaft als etwas Selbstverständliches wahrgenommen: Wie immer schon sieht man draußen Felder, landwirtschaftliche Maschinen, Menschen kaum.

Das von Daniela Münkel und Frank Uekötter herausgegebene Buch Das Bild des Bauern behandelt Selbst- und Fremdwahrnehmungen vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert und bietet eine Längsschnittperspektive. Bauern schreiben kaum über sich (Ausnahme: Matthias Stührwoldt), von ihnen ist sehr wenig erhalten und wenn, dann sind es Zuschreibungen von anderen. Gesine Gerhard macht in ihrem Beitrag deutlich, dass der Begriff "Landwirt" erst vor gut 200 Jahren aufkam, und sich langsam durchgesetzt hat, weil Landwirtschaft immer weniger nur von den Vorfahren übernommen, sondern als wissenschaftlich fundierte Bewirtschaftungsweise erlernbar wurde Aus der mehr als hundert Jahre andauernden Ablösung der persönlichen Verpflichtungen von Bauern gegenüber ihren Grund- und Leibherren (Bauernbefreiung) entstanden schließlich die Landwirte.2

Eigenwahrnehmung als Landwirt, Bauer? Frauen in der Landwirtschaft

Heute wird der Begriff Landwirt benutzt, wenn die unternehmerische Seite und die eigene Qualifikation betont werden sollen. Geht es jedoch um Politik und um den Berufsverband, dann wird von Bauern gesprochen. Hier einige Beispiele: Der Deutsche Bauernverband e.V. als Dachverband von 18 Landesbauernverbänden (DBV) hat sich, obgleich das Unternehmerische stets hervorgehoben wird, bisher nicht umbenannt. In ihm sind 90% aller Landwirte organisiert. Überraschenderweise nennen Menschen, die ihr Einkommen überwiegend außerhalb der Landwirtschaft erarbeiten, ihre Interessenvertretung Deutscher Bundesverband der Landwirte im Nebenberuf e.V. (DBN). Aus dem Bauernbund Brandenburg entstanden 2020 die Freien Bauern.

Landwirtschaftliche Unternehmen und ihre politische Vertretung sind eine Männerdomäne. Aber es gibt auch den Deutschen LandFrauenverband e.V. (dlv), der laut Selbstdarstellung die politischen Interessen aller Frauen in ländlichen Regionen und den Berufsstand der Bäuerinnen vertritt. Zu erwähnen ist außerdem der Verband, der die Monopolstellung des DBV in verschiedenen Gremien angreift: Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (ABL), in dem Bauern und Bäuerinnen organisiert sind.

Bei einem Anteil männlicher Betriebsleiter von 88% erlaube ich mir, hier von Landwirten zu sprechen [i]und[/i] zugleich auf die Situation der Frauen in der Landwirtschaft hinzuweisen. Der Anteil weiblicher Betriebsinhaber nimmt leicht zu, bei der Betriebsnachfolge kommen auch Töchter zum Zuge, und es gibt viele Frauen, die z.B. einen Hofladen, eine Käserei als eigenständigen Betrieb leiten. Wer mehr wissen möchte, lese die 2023 abgeschlossene, vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte deutschlandweite Studie "Die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands"3. Über 7.000 Befragte gaben Auskunft. Regionale Unterschiede wurden ebenso berücksichtigt wie unterschiedliche Betriebsformen und Lebensentwürfe. Hier sehe ich einen Bedarf, die Rolle von Frauen in der deutschen Landwirtschaft für die Zeit seit den Bauernkriegen bis heute eingehender zu untersuchen. Das betrifft ihre Stellung im Betrieb, in der Familie, ihr Verständnis von Land- und Hauswirtschaft und ihre Rechte, z.B. im Erbfall.

Der Blick in die Agrarstatistik: Was sie aussagt und was sie verbirgt

Veränderungen in der Landwirtschaft verlaufen schleichend, ungleichzeitig und gehen in statistischen Durchschnittswerten unter. Aber sie beeinflussen die Landwirtschaft als Branche und die Selbstwahrnehmung der Menschen in ihr. Einige Beispiele:

  • Im Jahr 2023 lag der landwirtschaftliche Anteil an der Bruttowertschöpfung in Deutschland bei 0,92%. Die Zahl der Arbeitskräfte sank aufgrund starker Rückgänge bei Familien- und Saisonarbeitskräften auf 876.000, das entspricht knapp 2% aller Erwerbstätigen. Volkswirtschaftlich ist die Landwirtschaft von geringer und abnehmender Bedeutung. Als Wertschöpfungsstufe in der Ernährungswirtschaft jedoch ist sie wichtig, denn sie erzeugt agrarische Rohstoffe, die zu vielen Produkten weiterverarbeitet werden.
  • Die Produktivität in der Landwirtschaft wächst jährlich etwa um 2%. Wo immer möglich werden Arbeitskräfte durch kapitalintensive Technik ersetzt (z.B. Melkroboter, Drohnen); der Trend geht zur Präzisionslandwirtschaft und zur Digitalisierung.
  • Innerhalb der Branche bestehen extreme Unterschiede: Der sogenannte Strukturwandel hin zu größeren Betrieben hält an. Die landwirtschaftliche Nutzfläche je Betrieb steigt, wobei die Zahl der Betriebe unter 100 Hektar (ha) absinkt und über 100 ha zunimmt. Es bestanden 2020 bundesweit rund 38.200 Betriebe, mit mehr als 100 ha. Zusammen bewirtschafteten sie 62% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche. Wir finden sie als Erbe der DDR-Landwirtschaft häufig in den östlichen Bundesländern. Wer über die kollektivierte Land- und die private Hauswirtschaft in der DDR mehr erfahren möchte, lese über den Alltag im sozialistischen Dorf bei Barbara Schier nach.4
  • Für die flächenkleineren Betriebe gilt aber: Die Flächenausstattung sagt nur bedingt etwas über die wirtschaftliche Lage aus. Zum einen, weil Erlöse aus der Tierhaltung (62% aller Betriebe halten Tiere) insgesamt gut die Hälfte der Einnahmen ausmachen. Zum anderen hatten mehr als 50% der landwirtschaftlichen Betriebe 2023 zusätzliche Einkommensquellen erschlossen, wie Erzeugung erneuerbarer Energien, Forstwirtschaft, Direktvermarktung, Lohnarbeiten für andere Betriebe, Pferdehaltung, Landtourismus.
  • Lebensmittel aus Deutschland sind ein Exportschlager: Ein Drittel der Gesamtproduktion der deutschen Landwirtschaft wird exportiert, die Ernährungswirtschaft erlöst jeden dritten Euro im Export. Aber aufgepasst! Weil in der Regel verarbeitete Produkte ausgeführt werden, kommt nur ein kleiner Teil der Erlöse bei den Landwirten an.

Der Verlust landwirtschaftlicher Existenzen ist für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar: Zuletzt durchschnittlich 2.600 landwirtschaftliche Betriebe pro Jahr - einfach nicht mehr existent. Allenfalls im Dorf wird bemerkt, dass nur noch ein Landwirt übriggeblieben ist. Einfach abends vorbeigehen und einen Liter Milch kaufen, das geht nicht mehr, denn die Zahl der milchviehhaltenden Betriebe hat deutlich abgenommen: Insgesamt hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland halbiert, 2023 waren es noch ca. 255.000. Gut die Hälfte davon wird im Nebenerwerb geführt, so dass es "nur" noch etwa 125.000 Haupterwerbslandwirte gibt.

Kaum sichtbar sind zudem Entwicklungen der innerbetrieblichen Verhältnisse, die Agrarhistoriker nennen es Arbeitsverfassung. In Süddeutschland finden wir häufig Familienbetriebe. In arbeitsintensiven Betriebszweigen, wie dem Wein- und Obstbau, dem Garten- und Gemüsebau werden Saisonarbeiter*innen beschäftigt. In Ostdeutschland (in geringerem Maße in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein) existieren Landwirtschaftsunternehmen, in denen neben der Geschäftsführung einige Mitarbeiter*innen tätig sind. Insgesamt zeigt sich eine starke Differenzierung bei der Arbeitsverfassung in landwirtschaftlichen Betrieben. Kann man den/die Geschäftsführer*in einer Agrar GmbH noch Landwirt oder gar Bauer nennen? Das für diese Begriffe kennzeichnende Merkmal ist hier nicht mehr gegeben: Der Landwirt ist Eigentümer des Betriebes und zugleich sein erster Arbeiter.

Landwirtschaftliche Betriebe sind oft unzugänglich. Spezialisierte Betriebszweige und größere Einheiten führen zu geschlossenen Systemen. In einem Stall mit 4.000 Mastschweinen oder eine Biogasanlage kann man nicht hineinschauen. Nur wenige landwirtschaftliche Betriebe veranstalten Tage der offenen Tür oder betreuen Schulkassen, Praktikant*innen etc.

Der nachhaltigkeitsbezogene Blick

Als Teil der Ernährungswirtschaft und als großer Flächennutzer kommt der Landwirtschaft im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung heute eine große Bedeutung zu. Sie verursacht Umweltprobleme, bietet aber auch Chancen. Gut 50% der Gesamtfläche werden landwirtschaftlich genutzt, womit Umweltbelastungen durch Stickstoffeinträge, Treibhausgasemissionen, Einsatz von Agrarchemikalien, insgesamt hohe Stoffumsätze und Biodiversitätsverluste verbunden sind. Wie die Kulturlandschaft in Deutschland durch Landwirtschaft geschaffen und zugleich belastet wird, ist nachzulesen in dem Buch von Ulrich Hampicke Kulturlandschaft. Äcker, Wiesen, Wälder und ihre Produkte. Ein Lesebuch für Städter5.

Als gemeinschaftlich verursachtes Problem kommt hinzu, dass durch die Erschließung von Gewerbeflächen, den Bau von Siedlungen und Verkehrswegen etc. täglich ca. 75 ha landwirtschaftliche Nutzfläche verloren gehen. Das ist etwas mehr als die Durchschnittsgröße eines landwirtschaftlichen Betriebs von derzeit 63,2 ha.

Auf der Chancenseite ist der ökologische Landbau zu erwähnen. Seit gut 50 Jahren stellt er in Deutschland eine Form der Landbewirtschaftung dar, die viele Anforderungen der Nachhaltigkeit erfüllt. Durch die EU-Öko-Verordnung hat sich ab 1991ein eigenes Marktsegment unter staatlicher Kontrolle etabliert. Aber der Anteil der Öko-Betriebe lag 2023 bei gut 14% und ist damit noch weit entfernt von dem für 2030 vorgegebenen 30%-Ziel. Landwirte verzichten im Rahmen freiwilliger Selbstverpflichtung auf den Einsatz von wasserlöslichen Stickstoffdüngern sowie Pestiziden. Hier bestehen für die Verbraucherschaft viele Chancen, diese umweltfreundliche Form der Landwirtschaft zu unterstützen und zugleich die eigene Ernährung nachhaltiger zu gestalten. Durch die Verbände, in denen ökologisch wirtschaftende Erzeuger zusammengeschlossen sind, haben Landwirte Einfluss auf die Gestaltung der Wertschöpfungsketten vom Saatgut bis zum verzehrfertigen Produkt auf dem Teller. Eine einzigartige Leistung!

Der Blick auf die Wirtschaftlichkeit

Wodurch wird das Ausscheiden vieler Höfe verursacht? Lässt sich daraus die Wut bei den Bauernprotesten erklären? Landwirte sind Unternehmer. Sie müssen Gewinne erzielen, um ihre Produktionskosten zu decken, ihre eigene Arbeit zu entlohnen und Investitionen zu finanzieren. Sie befinden sich jedoch in einer sehr ungünstigen Marktposition, und ihr Geschäftsmodell ist risikobehaftet. Warum das? Landwirte haben in der Regel begrenzte Mengen an Gütern anzubieten und einige davon sind schnell verderblich. Zudem ist das Angebot nur saisonal vorhanden. Die sogenannten Marktpartner, die Landhändler, die Molkereien, die Fleisch-Verarbeiter sind in der Regel größere Unternehmen, die europa- oder weltweit einkaufen und Mengenschwankungen ausgleichen können. Sie stehen ihrerseits unter hohem Druck der Oligopole aus dem Lebensmittelhandel. Ganz unten in diesen Wertschöpfungsketten steht die landwirtschaftliche Urproduktion. Die Folge für die Landwirte als Erzeuger von agrarischen Rohstoffen ist, dass sie in vielen Fällen nicht einmal die Gestehungskosten für ihre Erzeugnisse decken können. Geschieht das über Jahre hinweg, wird die Substanz verzehrt, ein Acker wird verkauft, der Lebensstandard heruntergefahren bis zur Hofaufgabe. Man muss sich vorstellen, welche Zwangslagen da entstehen, gerade bei Milchviehbetrieben, die noch einen Stall oder die neue Melkanlage abbezahlen müssen: Sie melken, sagen wir, 1.000 Liter täglich und zahlen bei jedem Liter Milch 5-10 Cent drauf. Wer würde das freiwillig tun? Niemand, aber hier besteht keine Freiwilligkeit, es herrscht die blanke Not. Der Milchpreis schwankt, zwar kann er kurzfristig höher sein, aber er deckt die Produktionskosten nicht auf Dauer. Aus Sicht der Betroffenen heißt das: Man hat den Hof einmal ererbt, über Jahre die Herde herangezüchtet, den Stall umgebaut, für die nächste Generation eine Grundlage geschaffen, erzeugt ein gutes Lebensmittel - da will man möglichst nicht aufgeben müssen.

Weitere Aspekte kommen hinzu: Das Produktionsvolumen, gleich ob Weizen oder Milch und Fleisch, ist nur mit einer Verzögerung von Monaten oder Jahren veränderbar. Erst in der nächsten Vegetationsperiode können Landwirte mehr Weizen anbauen, wenn der Preis gut zu werden verspricht. Drei zusätzliche Milchkühe will man nicht teuer zukaufen müssen, sondern aus der eigenen Nachzucht nehmen, was eben dauert. Noch begrenzter ist der landwirtschaftliche Handlungsspielraum beim Boden als Produktionsfaktor. Die Preise für die Pacht zusätzlicher landwirtschaftlicher Nutzflächen sind in den Jahren nach der globalen Finanzkrise stark gestiegen, weil sie z.B. als Kapitalanlage von außerlandwirtschaftlichen Investoren genutzt werden und weil sie als Standorte von Windkraftanlagen, PV-Freiflächen-Anlagen das 20-40-fache einer landwirtschaftlichen Nutzung einbringen. Landwirte konkurrieren um die Pachtung zusätzlicher Nutzflächen aufgrund der niedrigen Deckungsbeiträge aus einer ungünstigen Position heraus. Andererseits können sie bei steigenden Produktionskosten (Kraftstoffe, Maschinen, etc.) und eher sinkenden Erlösen pro Einheit ihr Einkommen nur durch eine Ausweitung der Produktmenge halten. In der Agrarökonomie heißt es: Landwirte sind Mengenanpasser. Zudem ist ihr Geschäftsmodell den Risiken von Witterungsverläufen, Krankheiten etc. ausgesetzt, die zu verringerten Mengen bzw. schlechteren Qualitäten führen können. Diese Risiken trägt alleine der Landwirt als Rohstoffproduzent der ersten Wertschöpfungsstufe.

Um die Abhängigkeit von natürlichen Bedingungen zu vermeiden, lassen sich manche Produktionsprozesse flächen- und witterungsunabhängig organisieren. Schweine- und Hühnerfleisch wird z.B. in abgeschlossenen Gebäuden erzeugt, wie in einer Fabrikhalle: Rohstoffe wie Futter, Wasser gehen hinein, heraus kommt ein Schlachttier. Aber das geht nur mit massiver Unterstützung durch die Tiermedizin (Risiko von Arzneimittelresistenzen). Zudem entsteht als Nebenprodukt Gülle mit all den damit verbundenen Umweltproblemen. Rechtlich handelt es sich bei diesen Herstellungsverfahren um Gewerbebetriebe, nicht um Landwirtschaft. Aus der traditionellen Landwirtschaft werden seit 200 Jahren immer mehr Teile herausgelöst, in denen sich Renditen sicherer erwirtschaften lassen. Nebenbei: Der französische Soziologe Henri Lefebvre hat unterschieden zwischen der zyklischen Zeit, wie wir sie in der traditionellen, von natürlichen Rhythmen abhängigen Land- und Hauswirtschaft finden, und der linearen Zeit, die industrielle Prozesse kennzeichnet.

Für Landwirte bleibt die riskante, weil von natürlichen Prozessen abhängige, Erzeugung von Agrarrohstoffen und damit der hohe wirtschaftliche Druck. Er wirkt auf die Betriebsleiter, die als Entscheider in der Verantwortung stehen, lange und körperlich anstrengende Arbeiten verrichten, aber wenig Zeit und Kraft haben, strategische Auswege zu erarbeiten.

Aber jetzt kommt noch ein belastender Faktor hinzu: Denn rund ein Drittel des Betriebseinkommens stammt aus Direktzahlungen der EU sowie aus speziellen Förderprogrammen und steuerlichen Begünstigungen (Agrardiesel) der Länder und des Bundes. Weil diese aber jeweils fristgerecht, mit hohem Aufwand jährlich neu beantragt sowie umfassend dokumentiert werden müssen, um negative Sanktionen zu vermeiden, sehen sich viele Landwirte einer zusätzlichen, obrigkeitsstaatlich organisierten Prozedur unterworfen. Durchführungsbestimmungen werden auf den Ebenen Land, Bund und EU erlassen und können sich mit jedem Regierungswechsel, manchmal auch mit der Einführung einer neuen Software, erneut ändern. Die Last trägt der Antragsteller.

Der Blick in die Zukunft

Es gibt Gründe anzunehmen, dass die landwirtschaftliche Urproduktion durch die Folgen der Erderwärmung (Hochwasser, Dürre etc.) sowie Tierseuchen auch bei Erstattung von Schäden durch den Staat noch stärker unter Druck geraten wird. Zudem wird es voraussichtlich in wenigen Jahren möglich sein, Fleisch aus dem Labor (Englisch: Clean Meat) im industriellen Maßstab zu erzeugen. Es sind also neue, sehr weitreichende Umwälzungen im globalen Maßstab zu erwarten.

Anmerkungen

1) Simone Helmle 2011: Images der Landwirtschaft, Weikersheim (für Sozialforscher*innen geeignet).

2) Gesine Gerhard 2012: "Das Bild der Bauern in der modernen Industriegesellschaft. Störenfriede oder Schoßkinder der Industriegesellschaft?", in: Daniela Münkel, Frank Uekötter (Hg.): Das Bild des Bauern. Selbst- und Fremdwahrnehmung vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, Göttingen: 111-130.

3) https://www.bmel.de/DE/themen/laendliche-regionen/ehrenamt/landfrauen-studie.html, Zugriff 30.04.2025.

4) Barbara Schier 2001: Alltagsleben im ›Sozialistischen Dorf‹, Münster.

5) Ulrich Hampicke 2018: Kulturlandschaft. Äcker, Wiesen, Wälder und ihre Produkte. Ein Lesebuch für Städter, Berlin.

Prof. a. D. Dr. Horst Luley, freiberuflicher Berater, Gutachter im Bereich Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, 2006-2021 Professor an der HNE Eberswalde, Fachgebiet "Soziale Prozesse und Regionalentwicklung".