Neue deutsche Heimatkunst im Jahre 2007
Wenn man Anfang Mai durch die Straßen des Berliner Stadtteils Kreuzberg schlenderte, blieb manches Mal der Blick an zwei Plakaten hängen...
Wenn man Anfang Mai durch die Straßen des Berliner Stadtteils Kreuzberg schlenderte, blieb manches Mal der Blick an zwei Plakaten hängen: Das eine bewarb mit schwarzen Lettern auf knallgelbem Grund und der Sentenz "Ich kommÂ’ aus Kreuzberg, Du Muschi" Bettina Blümners Dokumentarfilm Prinzessinnenbad. Das andere zeigte, massiv ins Bild gerückt, den finster drein blickenden Rapper Bushido, der sein neues Album Von der Skyline zum Bordstein zurück anzukündigen hatte. Während sich die erstgenannten Plakate großer Beliebtheit erfreuen - mittlerweile sind sogar T-Shirts mit dem Spruch erhältlich -, prangten auf der Musikwerbung manches Mal Überkleber mit der Warnung: "Sexistische Kackscheiße".
Auch wenn diese Denunziation durchaus ihre Berechtigung hat, greift die bloße Tabuisierung der Liedtexte, die auch der Kulturstaatsminister Neumann jüngst forderte, zu kurz. Entgegen der Schreie nach Verbot und Anstand liegt die eigentliche Problematik eben weniger in dem kulturindustriellen Clown, der sich mittels Sexismus und Homophobie als größtmöglicher Macker inszeniert, sondern darin, dass es nicht wenige Jugendliche in den forciert beworbenen Stadtteilen gibt, die sich ihn als role model auserkoren haben.
Alltag und Ideal
Ganz offensichtlich taugt die Musik nicht wenig zur Repräsentation ihrer Lebenswelt, beziehungsweise den Wunschbildern, die diese Welt hervorbringt. Wer tatsächlich verstehen will, welche soziale Wirklichkeit die Affinität der Kids für Bushido und Konsorten hervorbringt und vor allem wie jene von ihnen verarbeitet wird, kommt an einer Betrachtung der Texte nicht vorbei (vgl. iz3w 288). Mit einer oberflächlichen Kampagne, die nicht über den Sexismusvorwurf hinausgeht, gerät erst gar nicht in den Blick, dass jene, welche in ihrem Auftreten so gerne die Puppen tanzen lassen, erstaunlich deckungsgleich mit denen sind, die zwischen Rütlischule und Arbeitsagentur alles mit sich machen lassen müssen. Solch eine Herangehensweise macht die Texte keinen Deut besser, trotzdem lässt sich nur durch ein gewisses Einlassen auf diese "innere" Perspektive eine Kommunikation mit den AdressatInnen herstellen, derer es bis dato komplett ermangelt, und von der eine effektive Änderung der Zustände letzten Endes abhängen wird.
Auf dem neuen Bushido-Album lässt sich nun solch eine besonders gelungene Darstellung von Alltagserfahrung und Idealbildern finden. Der Song "Sonnenbank Flavour" bietet ein atmosphärisches Stimmungsbild der vermeintlichen deutschen Ghettos Neukölln, Kreuzberg oder Tempelhof. Das Lied besteht aus einer Kaskade von Schlagwörtern und Assoziationen der Berliner Straße und der Rap-Szene. Als einzelne unterscheiden sie sich nicht großartig von dem im Rap-Battle so landläufigen Gestus der Kraftmeierei. In der collagenhaften Aneinanderreihung, ähnlich der bekannten Sparkassenwerbung "mein Haus, mein Auto, mein Boot" (bei Bushido heißt es: "Sonnenbank Flavour, BMW Eigentum, meine Clique, meine Gang, meine Jungs, meine Crew"), bekommt das Großsprecherische einen parodistischen Anstrich. Das Auftrumpfen wird auf die Spitze getrieben und damit gleichsam hintertrieben.
Auch das Beschwören der "Realness", das dem Song den Titel verleiht, wirkt gebrochen: Die anderen Rapper werden von dem Deutsch-Tunesier der "künstlichen Bräune" bezichtigt, sie hätten allenfalls "Solarium Flow", was auch als Anspielung auf die Identitätsproblematik vieler migrantischer Jungendlicher zu verstehen ist. Die hohe Sonnenstudiodichte in Neukölln und Kreuzberg erklärt sich nämlich nicht etwa durch die ausgiebige Nutzung quarkhäutiger Schulzes, sondern vor allem durch die Jugendlichen mit arabisch-türkischem Migrationshintergrund, welche die Sonnentempel frequentieren, um auch unter dem grauen Himmel Berlins, trotz aller Diskriminierung, ihre scheinbar "ursprüngliche" gesunde Bräune zu behalten. Spätestens in der Hintergrundmusik des Refrains wird die Härte der Texte - ohnehin die ganze Zeit durch eine melancholische Grundierung unterhöhlt - durch puren Kitsch verfremdet. "Sonnenbank Flavour" wird so zum perfekten machistischen Soundtrack für eine Promenade, den Kottbusser Damm in Kreuzberg hinunter zum Neuköllner Hermannplatz, wo das nach Eigenwerbung größte Sonnenstudio Berlins liegt.
Kreuzberger Inszenierung
An einer anderen Dokumentation Kreuzbergs durch das Medium Film versucht sich die Regisseurin Bettina Blümner mit Prinzessinnenbad. Der Titel spielt auf das große Freibad "Prinzenbad" in dem alternativ geprägten Stadtteil an, in dem sich die Protagonistinnen, die drei 15-jährigen Mädchen Klara, Mina und Tanutscha, im Sommer nach der Schule vergnügen. Das Schwimmbad, welches ansonsten dadurch auffällt, dass in ihm Sicherheitspersonal mit den BademeisterInnen für Hechtsprung und Ordnung sorgt, symbolisiert den Raum zwischen Kindheit und Erwachsensein. Die Mädchen kommen allesamt aus Patchwork-Familien, zwei von ihnen haben keinen deutschen Vater. Die Regisseurin begleitete die Protagonistinnen über zwei Jahre hinweg und zeichnet ein unterhaltsames psychologisches Panorama, in dessen Zentrum die Lebenswelt und die Hoffnungen der durch die zerklüfteten Familien zur Reife gezwungenen Mädchen stehen.
Gleichwohl ist der Film keine blitzsaubere Dokumentation, da die Regisseurin sich für eine reichlich martialische Inszenierung von Kreuzberg entschieden hat und so die Rauheit der Mädchen noch mehr akzentuiert. Auch wenn die Fünfzehnjährigen teilweise bedrückend abgeklärt mit Drogen und Sexualität umgehen, ist dies kein Grund zur Aufregung: Im Grunde betreiben sie, entgegen aller Außenprojektionen auf das gefährliche Kreuzberg, nichts, was nicht auch andere Teenager mitgemacht hätten.
Blümner versucht sich beständig an dem Spagat, einerseits die Hindernisse des harten Lebens ihrer Protagonistinnen in einer monströsen Großstadtumgebung zur schieren Unbezwingbarkeit anwachsen zu lassen, andererseits die sich ihnen stellenden Probleme auch immer wieder zu erden und zu profanisieren. So bringt Klaras Mutter ihre Erziehungsdevise für die Tochter auf dem heißen Pflaster auf den Punkt: "Kein Heroin und nicht schwanger werden", was diese mit verdrehten Augen und dem Wunsch beantwortet, "morgens aufzustehen, und die Eltern sitzen am Frühstückstisch."
Auch wenn Prinzessinnenbad den harmoniesüchtigen ZuschauerInnen oftmals gefällig suggeriert, die Mädchen sehnten sich hinter der harten Schale nur nach der Geborgenheit der Familie, und so ein bekanntes psychologisches Klischee strapaziert, tauchen auch Konflikte auf, welche weniger leicht aufzulösen sind. Hier, wo der Film sich einer strengeren Dokumentation annähert, liegen die wirklichen Stärken des Streifens. Die Realschülerinnen sind gezwungen, sich schon mit 15 Jahren über ihren zukünftigen Job den Kopf zu zerbrechen und wissen alle, dass mit dem Abschluss nicht viel zu holen sein wird. Immer wieder scheint der soziale Hintergrund der Mädchen durch. Die soziale Spaltung wirkt in einer Szene besonders bitter: Während sich Mina gerade noch mit Klara über den zukünftigen Beruf beraten hat, genießt ihr Freund die ihm als Abiturient gestattete Mobilität und verlässt sie für ein Jahr, um vor dem Studium zur Welterkundung nach Südamerika zu fliegen. Was er der völlig geknickten Mina mit der Chuzpe eines Verkäufers schmackhaft zu machen versucht: "Das ist doch auch für Dich eine Chance, neue Leute kennen zu lernen."
Auch der Umgang mit den ausschließlich "türkischen" männlichen Freunden ist interessant. So nennt Klara die männlichen Begleiter konsequent "Kanake", macht aber genauso schnell klar, dass sie mit deutschen Jugendlichen nicht zurecht kommt. Sie, die von vielen der Jungs nicht besonders respektvoll behandelt wird, kokettiert mit dem Rassismus, der eigentlich gar nicht der ihre ist, um immer wieder einen Souveränitätsgewinn zu verbuchen. Dies erlaubt ihr, ihre herablassende Art, die sie allerdings gegen jedermann pflegt, weiter zu kultivieren und so an ihrem Image der abgeklärten Großstadtprinzessin zu feilen. Die Jungs werden tatsächlich so verunsichert, wie Klara es sich wünscht.
Jubelnde KiezlerInnen
Prinzipiell lassen sich die jungen Frauen von den Männern nichts sagen. Sie scheinen um die Position zu wissen, die sie in der Rollenverteilung vieler Jungs einzunehmen hätten ("Jungs haben mich abgehärtet") und nutzen den wenigen damit verbundenen Komfort geschickt aus, während sie den Herabsetzungen, unter anderem durch demonstrative sexuelle Aggressivität, rabiat den Riegel vorschieben. Betonung findet ein selbstbewusstes Bild als Frau, das als postfeministische Anleitung herhalten könnte und sich in der Werbeparole "Ich kommÂ’ aus Kreuzberg, Du Muschi" zuspitzt.
Dass der gesamte Kinosaal in Kreuzberg jubelt, wenn dieser Satz auf der Leinwand fällt, sollte aber nicht über die tiefe Spaltung in dem Stadtteil hinwegtäuschen. Vieles, was das grüne alternative Kreuzberg prägt, wird von den drei Mädchen als Schimpfwort benutzt. Sie zeigen ein sehr feines Gespür für die Erstarrung des alternativen Lebensentwurfs in einer privatistischen Wohlfühlspießigkeit: "therapiert" werden ist der Ausdruck für harmonisierendes Einlullen und: "Ich will erstmal erst mit 30 Kinder, wenn überhaupt, ich will so frei leben, Partys machen, ich will schon so meinen Job haben, mein Geld verdienen,... und ich werde mir nix im Ökoladen kaufen... weil ich Öko scheiße finde."
Die lokalpatriotische Begeisterung für den Film, die vor allem von denen getragen wird, welche von den Mädchen am weitesten entfernt sind, muss skeptisch stimmen. Gerade weil kaum Verbindungen zu den NachbarInnen bestehen, findet eine gewisse Exotisierung statt. Diese Spaltung kennt auch Tanutscha, die dem Filmdreh eigentlich nur zustimmte, weil sie davon ausging, dass das Ergebnis von ihren Bekannten ohnehin niemand zu Gesicht bekommen würde: "Erst dachte ich, das wird irgendwann auf arte laufen, ist egal, sieht sowieso keiner."
Mit den vermuteten ZuschauerInnen wird sie wahrscheinlich sowieso kaum ein Wort sprechen: Sie sind damit beschäftigt, eine Reise nach Südamerika zu planen, oder entwerfen gerade ein Plakat, auf dem "Sexistische Kackscheiße" steht.
Tilman Vogt ist Sänger in den Bands Hackflaysh und Das Singende Mineral und schrieb in iz3w 299 über Herfried Münklers "Imperien".