Die skandalöse Rede, mit der Vizekulturminister Hermann Schäfer - einst Direktor des Bonner Hauses der Geschichte, am 26. August in Weimar für einen Eklat sorgte, hat zu Recht viel Staub aufgewirbe
Ebenso freilich die nachfolgende Frage, wer dafür verantwortlich sei, daß der hochgestellte Regierungsbeamte zwar über Flucht und Vertreibung deutscher Zivilbevölkerung, mit keinem Wort aber über das bei Weimar gelegene KZ Buchenwald und die Verbrechen der Nazis gesprochen hatte - und das am Buchenwald-Abend des Kunstfestes. Während Hermann Schäfer und sein Chef, der neue Kulturstaatsminister Neumann (CDU), sogleich behaupteten, man sei durch Weimarer Kulturgrößen aufs Glatteis geführt worden, wurde dies von Frau Nike Wagner und ihrer Pressesprecherin, Gräfin Castel-Castel, mit Schärfe zurückgewiesen.
Auf andere Zusammenhänge wiesen der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, sowie der im Saal anwesende Präsident des Internationalen Buchenwaldkomitees, Bertrand Herz, hin. Sie vermuteten als Hintergrund der Schäfer-Rede eine beabsichtigte geschichtspolitische Revision durch das Kulturstaatsverwaltung der Bundesregierung, weg von der These über die Singularität des Holocausts und hin zu einem nivellierten Opferbegriff, bei dem die qualitative Differenz zwischen Opfern der Naziverbrechen und deutschen Leidtragenden des Zweiten Weltkrieges eingeebnet werden würde.
Unabhängig davon, wie man die Schäfer-Rede und den durch sie ausgelösten Eklat bewertet, haben diese Vorgänge ein Umfeld, das zu beachten ist. Seit geraumer Zeit halten konservative Politiker an KZ-Gedenkstätten Reden, die zu heftigen Publikumsreaktionen führen. Es stellt sich die Frage, ob es sich dabei nur um die wiedergängerischen Pawlowschen Reflexe rechter Ideologen im angesicht der besonders schwerwiegenden Nazi-Verbrechen, die in Konzentrationslagern begangen wurden, handelt, oder ob mehr dahinter steckt, ein geschichtspolitisches Wendemanöver etwa. Um zu einer Antwort zu kommen, lohnt sich ein Blick fünfzehn Jahre zurück, in die Zeit unmittelbar nach dem Ende der DDR.
Anfang der neunziger Jahre gab es um die ostdeutschen Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen eine bis in die Mitte des Jahrzehnts währende erbitterte Auseinandersetzung um die "richtige" Geschichtserinnerung an diesen Orten. Schon damals konnten schwer konservative Kreise es nicht unterlassen, massive Versuche zu unternehmen, diese Orte in Ausstellungsobjekte einer holzschnittartigen Version der Totalitarismustheorie (Rot gleich Braun) umzumodeln. Dies scheiterte letztlich an scharfer Kritik und Ablehnung im In- und Ausland.
Die Landesregierungen in Thüringen und Brandenburg beriefen damals prominent zusammengesetzte Historikerkommissionen, die sich mit den nach dem Ende der DDR entstandenen Fragen gründlich befaßten. Hinter allem stand schon damals die These von den "zwei (angeblich gleichartigen) Diktaturen der NSDAP und der SED". Vordergründig ging es damals um die Frage der Bewertung der "sowjetischen Internierungslager", die nach der Befreiung der Nazi-KZ an den gleichen Orten eingerichtet worden waren. Diese Nachkriegslager waren in der DDR unzulässigerweise aus dem öffentlichen Geschichtsbild getilgt und tabuisiert worden.
Sowohl in Brandenburg als auch in Thüringen kamen die Fachkommissionen im Rahmen sorgfältiger Abwägungen zu dem Ergebnis, daß die ostdeutschen KZ-Gedenkstätten sich als Illustrationen der umstrittenen "Totalitarismusthese" nicht eigneten. In beiden Kommissionen bestand Einigkeit, daß das bisherige Verschweigen der sowjetischen Internierungslager in der musealen Gestaltung dieser Erinnerungsorte zu überwinden sei. Aber diese Erinnerung sollte gegenüber der Erinnerung an die NS-Verbrechen nachgeordnet sein.
Auf dieser Linie wurde die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätten seither betrieben mit dem Ergebnis, daß die aufgeregten Debatten für einige Zeit abklangen. Als Leiter der Gedenkstätte Buchenwald in den Jahren 1991 bis 1994 war ich mit diesen geschichtspolitischen Klärungen direkt konfrontiert. Ich hatte trotz der zeitweiligen Beruhigung immer das Gefühl, daß die gewählten Lösungen in rechtskonservativen Kreisen nur murrend hingenommen worden waren. Anzeichen dafür war das immerwährende Klagen dieser Kreise, die Leidtragenden der sowjetischen Besatzungsherrschaft würden als "Opfer zweiter Klasse" behandelt. Dieser Begriff wird in Milieus der politischen Rechten seit zwei Jahren, spätestens seit Hubertus Knabes unsäglicher Interpretation der Befreiung im Jahre 1945, wieder intensiv und geradezu inflationär verwendet.
Seit einer Tagung der von der Thüringer Landesregierung finanzierten Ettersburg-Stiftung mit Sitz in Weimar mehren sich an den Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen wieder Vorfälle, die an die Vorgänge in den frühen neunziger Jahren erinnern. Im Oktober 2005 fand in Weimar eine pompöse, teure Tagung mit zweihundert überwiegend konservativen Teilnehmern und Referenten statt, die unter dem Thema Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur stand und bei der es - laut einem höchst instruktiven Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 4. November 2005 um einen großangelegten Versuch ging, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts umzuschreiben.
Diese Weimarer Tagung ist der Ausgangspunkt der vielfältigen geschichtspolitischen Konflikte, die dieser Tage wieder ausgebrochen sind. Dem Kenner der Auseinandersetzungen der frühen neunziger Jahre mag es erscheinen, als habe man ein fünfzehn Jahre altes Drehbuch aus dem Archiv geholt.
Den Anfang bildete eine Rede des rechtsradikalen Publizisten Ulrich Schacht in Sachsenhausen, über deren blasphemischen und geschichtsrevisionistischen Inhalte die Berliner Zeitung berichtete. Schacht löste beim Publikum die gleichen Reaktionen aus wie vor wenigen Tagen der neue Vizekulturminister Schäfer bei der Weimarer Kunstfest-Eröffnung. Dazwischen liegt der öffentliche Skandal um die Rede, die Brandenburgs Innenminister Schönbohm (CDU) im April am Tag der Befreiung des KZ Sachsenhausen gehalten hat. Es folgten demagogische Angriffe auf den Gedenkstättenleiter, Günter Morsch, der sich sogar mit juristischen Mitteln wehren mußte.
Nun also Buchenwald, wo es nach Hermann Schäfer nicht um Nazi-Verbrechen, sondern um deutsche Leidtragende alliierter Maßnahmen gehen sollte, bis ein empörtes Publikum diesem Spuk ein Ende setzte. Man kann kaum glauben, daß das alles ohne inneren Zusammenhang sein sollte.
Diese Vorgänge zeigen, daß in den vergangenen fünfzehn Jahren in der Geschichtspolitik weit weniger an Konsens erreicht wurde, als mancher Optimist glaubte. Scheinbar schon erreichte Vereinbarungen werden durch rabiate Reden und Scharfmacherei von rechts erneut gefährdet.
Dem vereinten Deutschland wäre zu wünschen, daß die politische Rechte dieses Landes es lernt, sich aufrichtig mit Nazi-Verbrechen auseinanderzusetzen, ohne sogleich durch schräge Verweise auf Diktaturen eines anderen Typus abzulenken. Und: Der Drang, an KZ-Gedenkstätten Schmähreden gegen Dritte zu halten, sollte nachhaltig gezügelt werden.
in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 18. September 2006, Heft 19
aus dem Inhalt:
Erhard Crome: Freiheitliches; Thomas Hofmann: Schäferspiele in Weimar; Ove Lieh: Naive Zusammenhänge; Heerke Hummel: Ein Geniestreich (I); Uri Avnery, Tel Aviv: Amerikas Rottweiler; Wolfram Adolphi: "Carmen" in Hasses Lada; Klaus Hart, Rio de Janeiro: Bizarrer Wahlkampf; Hannah Lotte Lund: Erprobtes Vakuum; Frank Hanisch: Wünschen Sie einen Gentest?; Mathias Iven: Ein Musiker unter den Dichtern; Kai Agthe: VEB Goethe; Arndt Hopfmann: Je oller, je toller;