Der postkoloniale
Theoretiker Edward W. Said, Autor der viel zitierten - und nun in neuer
Übersetzung auch wieder auf Deutsch erhältlichen - Studie Orientalismus, hatte sich in seinen Memoiren titelgebend Am
falschen Ort positioniert. Daran,
wie er erfunden und in die Welt gepasst wurde, schrieb er darin, sei „immer
irgendetwas verkehrt" gewesen. Diese Positionierung des Intellektuellen in der
Diaspora ist einer der Stränge, anhand derer Markus Schmitz seine umfangreiche
Arbeit zu Said entwickelt. Kulturkritik ohne Zentrum ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der
Said-Rezeption - die nicht nur insofern einzigartig im deutschsprachigen Raum
ist, als sie die arabische Debatte der „westlichen" gleichrangig behandelt -,
sondern auch ein theoretischer wie politischer Einsatz. Schmitz fragt nach den
„Möglichkeits- bzw. Unmöglichkeitsbedingungen einer dezentrierenden
Kulturkritik." Mit dem Blick auf die „cross-kulturelle Wirkung Saids" stelle
sich auch „die hegemonietheoretische Frage nach den institutionellen
Zentrierungsprozessen." Antworten auf diese Frage gibt Oliver Marchart in Bezug
auf das Kunstfeld. Während die Documenta 11 mit ihrer Rezeption postkolonialer
Theorien und ihrer Gewichtung von Panels und Personal erstmals die
„Dezentrierung des Westens" betrieben habe, lasse sich seitdem eine
„Kanonverschiebung" beobachten, die Marchart einen „dominanzkulturellen
Transformismus" nennt: Eigentlich radikale politische Positionen werden
aufgegriffen, aber - wie durch Roger M. Buergel auf der letzten Documenta - zur
„sinnlichen Erfahrung" herunterinterpretiert und damit entpolitisiert.
Frank-Thorsten Moll gibt einen kurzen und lohnenden Überblick über die Rolle
der postkolonialen Theorie für die D11, bearbeitet das Thema aber bei weitem
nicht so detailliert wie Schmitz oder so politisch pointiert wie Marchart. Auf
„per se widersprüchliches
Terrain" (Moll) wie die Documenta sind postkoloniale Kämpfe schließlich
überhaupt verwiesen. Migrantische Kämpfe beispielsweise, denen sich Manuela
Bojadzijev und Niels Seibert widmen, sind einerseits „grenzenlose Praktiken"
(Bojadzijev), müssen sich andererseits aber an extrem begrenzten und
begrenzenden Gesetzeslagen und Dominanzverhältnissen abarbeiten. Obwohl sie
sich keinesfalls auf Antirassismus beschränkten, machen sie in den gängigen
Chroniken doch eher Leerstellen aus: „vergessene Proteste", die Seibert vor
allem in den Kontext von internationalistischer Mobilisierung und anderen
Protestformen einordnet und die Bojadzijev unter dem schönen Titel Die
windige Internationale zwischen
materialistischer Staatstheorie und dem Ansatz der „Autonomie der Migration"
umkreist. Kämpfe der Migration verändern selbst das, was in der jeweiligen
historischen Situation Rassismus ist, denn dieser ist zu begreifen nicht als
statische Ideologie, sondern „als soziales Verhältnis" (Bojadzijev). Auch die
Sozialwissenschaften, „nach wie vor stark national verankert und geprägt"
(Keim), sind aus diesem Verhältnis nicht auszuklammern. Wiebke Keim diskutiert
die lateinamerikanischen Dependenztheorien und die südafrikanischen Labour
Studies als Angriffe auf die „nordatlantische Dominanz" im wissenschaftlichen
Feld, die als „konterhegemoniale Strömungen" die Hegemonie in Frage gestellt
haben. Soziale Kämpfe, von der kunsfeldinternen Kanonverschiebung über den
wissenschaftlichen Paradigmenwechsel bis zum Vorstadtriot, können schließlich immer
auch als Versuche gelesen werden, sozialen Raum neu zu kartografieren und ihn
damit anders les- und lebbar zu machen - Saids „falschen Ort" zu verzeitlichen,
anzugreifen, umzugestalten.
Manuela Bojadzijev: Die
windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster 2008 (Verlag Westfälisches Dampfboot).
Wiebke Keim: Vermessene
Disziplin. Zum konterhegemonialen Potential afrikanischer und
lateinamerikanischer Soziologien,
Bielefeld 2008 (transcript Verlag).
Frank-Thorsten Moll: Die
Documenta11 und der postkoloniale Diskurs: Kunstausstellungen im Zeitalter von
Globalisierung und Postkolonialismus,
Saarbrücken 2008 (Vdm Verlag Dr. Müller).
Oliver Marchart: Hegemonie
im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der
Biennalisierung, Köln 2008 (Verlag
der Buchhandlung Walther König).
Edward W. Said: Orientalismus, Frankfurt a.M. 2009 (Fischer Verlag).
Markus Schmitz: Kulturkritik
ohne Zentrum. Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation, Bielefeld 2008 (transcript Verlag).