Der Wert der Kunst im Buch

in (14.03.2022)

Der Wert der Kunst lässt sich nicht auf den Warenwert künstlerischer Arbeiten reduzieren. Sie ist das wert, was wir ihr „an Aufmerksamkeit, also an Lebensenergie und Lebenszeit“ zu spenden bereit sind, schreiben Christian Saehrendt und Stehen T. Kittl in ihrer unterhaltsamen Studie zur Gegenwartskunst. Der symbolische Wert ist schließlich selbst erst die Voraussetzung für den ökonomischen Wert von Kunst, wie schon Pierre Bourdieu betont hatte. Zudem ist er prekär. Es gibt keine ewigen Werte im Kunstfeld, ständig muss an ihnen gearbeitet werden. Deshalb werde „eine jederzeit mögliche Abwertung“ tabuisiert, „weil sonst das Vertrauen in die ‚Währung Kunst‘ erschüttert würde“ (Saehrendt/ Kittl). Dass die Erzeugung von Wert viel mit dem Glauben an ihn zu tun hat, meint auch die Ökonomin Mariana Mazzucato. Wie über den Wert diskutiert wird, wirke sich zudem darauf aus, wie wir uns als ökonomische Akteur*innen verhalten und wie wir ökonomische Leistung messen. Sie nennt das die Performativität des Werts. Zeitdiagnostisch vertritt sie die These, dass Großkonzerne der Pharma- und Computerindustrie weniger Wertschöpfung betreiben als vielmehr Wertabschöpfung. Um die besser zu verstehen, brauche es ein Verständnis des „ungewissen, kollektiven und kumulativen Wesens der Innovation“. Vor dem Hintergrund der kollektiven Wertschöpfung plädiert sie schließlich dafür, staatlicher Politik wieder eine größere regulative Rolle zu erkämpfen. Dass regulative Maßnahmen die Entstehung der Kunstmärkte schon vor jener der modernen Nationalstaaten prägten, zeichnen viele der Beiträge in dem Band von Andreas Tacke nach. Die Handwerksordnungen in den Städten der frühen Neuzeit schufen Regeln, wie etwa Ursula Tiemann herausarbeitet, hinsichtlich der „Preise, [des] Personals, verwendeten Materials und Vertriebs“ und auch „zur Beilegung von Streitigkeiten mit den Käufern“. Die anschließende Autonomisierung der Kunst vom Handwerk seit der Renaissance war alles andere als eine vollständige Befreiung. Märkte blieben stets Regulierungen unterworfen, bis heute existieren künstlerischer und ökonomischer Erfolg oder Misserfolg in einem höchst empfindlichen Wechselverhältnis zueinander. Einerseits kann das „Prozesse der Kunstwerdung“ auslösen, wie die Soziologen Boltanski und Esquerre es für verschiedenste Güter und Ansichten der letzten Jahrzehnte aufgezeigt haben. Andererseits und zugleich bleibt das Verhältnis der Kunst zum Geld aber prekär. Das zeigt etwa die Studie von Franz Schultheis u.a. zur Art Basel. Selbst auf dieser bedeutendsten Kunstmesse der Welt ist der Verkauf darauf angewiesen, sich mit der „Qualität“ der Kunstwerke zu rechtfertigen. Überhaupt geht es gar nicht in erster Linie um „den kommerziellen Geschäftsverkehr“. Kunstmessen dienen immer auch der Kommunikation und der Zurschaustellung von Kulturbeflissenheit. Die „Liebe zur Kunst“ ist das gemeinsame Glaubensbekenntnis eines zwar bürgerlich-akademischen, aber doch ökonomisch recht unterschiedlich situierten Publikums. Anders als mit diesem Credo wäre nicht zu erklären, was das Gros der Besucher*innen eigentlich auf der Messe will. Kaufen jedenfalls nicht. Es sind „höchstens fünf von tausend“ Besucher*innen, die auf der Art Basel überhaupt etwas käuflich erwerben (können). 



Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker, er unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zuletzt erschien von ihm (gemeinsam mit Lea Susemichel) (Hg.) Unbedingte Solidarität (Münster 2021). www.jenspetzkastner.de


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 59, Winter 2021/22, „Der Wert der Kunst“.



Luc Boltanski/ Arnaud Esquerre: Bereicherung. Eine Kritik der Ware. Berlin 2019 (Suhrkamp Verlag).

Mariana Mazzucato: Wie kommt der Wert in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern. Frankfurt am Main/ New York 2019 (Campus Verlag).

Christian Saehrendt/ Stehen T. Kittl: Ist das Kunst oder kann das weg?: Vom wahren Wert der Kunst. Köln 2016 (Dumont Verlag). 

Andreas Tacke (Hg.): Kunstmärkte zwischen Stadt und Hof: Prozesse der Preisbildung in der europäischen Vormoderne. Petersberg 2017 (Michael Imhof Verlag).

Franz Schultheis/ Erwin Single/ Stephan Egger/ Thomas Mazzurana: Kunst und Kapital. Begegnungen auf der Art Basel. Köln 2015 (Verlag der Buchhandlung Walther König).