Critical Correctness im Buch

in (08.03.2013)

Gibt man bei Amazon „Political Correctness“ ein, listet sich eine Bibliografie des Grauens: Bücher von rechten Vorkämpfern wie Jörg Schönbohm oder Klaus Rainer Röhl agitieren gegen „Tugendwächter“ und „Denkverbote“, ein paar Anleitungen zur politischen Inkorrektheit spielen die Ratgeber-Karte und eine CD von Alfred de Zayas beschäftigt sich mit „Verbrechen an Deutschen“ als angebliche „Tabuthemen der Political Correctness“. So weit, so erwartungsgemäß. Ganz oben auf der Liste steht auch das Buch von Matthias Dusini und Thomas Edlinger. Um einiges klüger, abwägender und informierter als alle anderen Titel, durchforsten die beiden Wiener Autoren Geschichte und Gegenwart von PC-Praktiken. Um den Unterschieden in den von ihnen beschriebenen Phänomenen angemessen Rechnung zu tragen, fehlt Dusini und Edlinger allerdings sowohl das Gespür als auch ein begriffliches Instrumentarium: So werden etwa völlig unbekannte „politisch korrekte“ KünstlerInnen mit Thilo Sarrazin in einem Atemzug als Leute präsentiert, die das Opfersein zum Geschäft machen und als „Wettbewerbsvorteil“ nutzen. Das Schreckgespenst der Rechten, Political Correctness habe inzwischen allgegenwärtig und institutionell verbindliche Maßstäbe durchgesetzt, spukt auch durch Dusinis/Edlingers gesamtes Buch. Die Autoren fühlen sich von Gutmenschen umzingelt, die „Institutionalisierung von PC als verbindlicher Handlungs- und Sprachanleitung“ schreite voran. Ihre vermeintliche Metaperspektive schlägt sie im Zweifel auf die Seite der PC-GegnerInnen. Sind die Anführungszeichen im Titel ihnen anfangs zumindest noch „funktionales Element einer Opferrhetorik, in der die berechtigten Forderungen zu Floskeln moralischer Selbsterhöhung erstarren können“, spannen sie schließlich Victor Klemperer für sich und gegen PC ein: Dieser hatte die Anführungszeichen (zur Herabsetzung von FeindInnen) als integralen Bestandteil nationalsozialistischer Sprachpolitik beschrieben. Eine linke Perspektive – wie sie sich noch in Diedrich Diedrichsens Politische Korrekturen (1996) und W.F.Haugs Politisch richtig oder richtig politisch (1999) findet – gibt es bei Edlinger/ Dusini nicht. Anders als diese nahe legen, zeigt sich in historischer Perspektive gerade die Anti-PC-Kritik als diskursive Strategie, mit der versucht wird, „durch vermeintlich notwendige Tabubrüche revisionistische und antisemitische Positionen öffentlichkeitswirksam im Vergangenheitsdiskurs zu etablieren.“ (Thomas Mittmann) Das ist jedenfalls ein Ergebnis der Studien im Band von Lucian Hölscher. In den soliden historischen Rekonstruktionen wird überhaupt die PC-Debatte nicht von US-amerikanischen Campuspolitiken, sondern ausgehend von der Frage nach einem „angemessenen Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus“ (Gunnar Sandkühler) hergeleitet. Als zwei avancierte Bereiche, in denen PC-Politiken sowohl akademisch als auch aktivistisch beschrieben und betrieben werden, können Intersektionalität und Critical Whiteness Studies gelten. Wie in den Intersektionen (intersection, engl. Kreuzung) verschiedener Zuschreibungen neue Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen entstehen und wie sie im Anschluss an feministische Debatten theoretisiert werden, zeichnet der Band von Helma Lutz u.a. historisch wie auch an Beispielen nach. Identitätskategorien nicht essentialistisch zu verstehen, zugleich aber ihre „Machteffekte“ zu analysieren, bleibt die zentrale Herausforderung. Auch für Critical Whiteness geht es darum, Weißsein als „Norm und als Maßstab“ zu erkennen und zu reflektieren, bevor es möglich sein kann, so Katharina Röggla in ihrer so klaren wie kritischen Einführung, „Weißsein abzuschaffen.“





Matthias Dusini/ Thomas Edlinger: In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness. Berlin 2012 (Suhrkamp).

Lucian Hölscher: Political Correctness: Der sprachpolitische Streit um die nationalsozialistischen Verbrechen. Göttingen 2008 (Wallstein Verlag).

Helma Lutz/ Maria Teresa Herrera Vivar/ Linda Supik (Hg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes. Wiesbaden 2010 (VS Verlag).

Katharina Röggla: Critical Whiteness Studies – und ihre politischen Handlungsmöglichkeiten für Weiße AntirassistInnen. Wien 2012 (Mandelbaum Verlag).


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 28, Frühling 2013, „Critical Correctness“.