Editorial
Verheerende Brände, Hunderte Millionen toter Tiere, Hunderttausende Menschen, die evakuiert werden mussten. Aber der australische Premierminister Scott Morrison erklärt im Radio, die Vorstellung, klimapolitische Maßnahmen hätten direkten Einfluss auf die Brände, sei „lächerlich“. Eh klar, mit einem Gesetz löscht man kein Feuer. Was aber in der Aussage des Politikers wohl vor allem zum Ausdruck kommt, ist die Abscheu der Neoliberalen vor Regulierungen der Ökonomie. Neben den sozialen Bewegungen und den Konzepten und Praktiken der Selbstverwaltung sind sie, wie der französische Philosoph Grégoire Chamayou so eindrücklich beschrieben hat, die Todfeinde des autoritären Liberalismus. Markt und Wachstum um jeden Preis, ein starker Staat bloß zum Schutz des Privateigentums und zur Kontrolle der Bevölkerung.
Aber der Wachstumsfetisch ist nicht allein ein ökonomisches Produkt. Größerwerden, mehr anhäufen, weiterkommen, das sind zudem moralische Imperative, die auch die Entwicklung von Kreativität und Künsten begleiten. Neuheit und Weitersein waren die Essentials der Avantgarden. Wachstumsschwierigkeiten werden als Pathologien bekämpft, Verweigerung wird als zersetzender Stillstand und schädliche Stagnation diffamiert. Dabei sind die „Grenzen des Wachstums“ hinlänglich bekannt: Burnouts sind karrierebegleitende Dauerbrenner, während uns der warme Wind der ökologischen Katastrophe alltäglich um die Ohren weht.
Dringlich wie nie erscheint die Infragestellung dieser Dogmen angesichts der Klimakatastrophe. In den letzten Jahren haben sich verschiedene wachstumskritische Bewegungen unter den Begriffen degrowth und Postwachstum formiert, die Mythos und Wirklichkeit des Wachstumswahns angreifen. Zeitgleich gibt es im Kunstfeld mehr und mehr Aufmerksamkeit für ökologische Belange. Manche Museen drucken wegen des Papierverbrauchs keine Flyer mehr, einzelne Bands sagen wegen des Flugdrecks ihre Tourneen ab. Sie folgen damit einerseits vielleicht auch der „Responsibilisierung“ (Chamayou), also der Verlagerung politischer Agenden auf Fragen individueller Moral, die einige Konzernapologeten schon in den 1970er Jahren als Strategie entwarfen, um die Kritik an den ökologischen Folgen ihrer Geschäfte zu kanalisieren. Andererseits, allein auf Strukturen und Regulierungsnotwendigkeiten zu verweisen und individuelle Praxis für irrelevant zu erklären, ist natürlich gerade im kulturellen Feld eine prima Legitimationserzählung, um Biennale-Hopping und Vortragsreisenjetset aufrecht erhalten zu können.
Um den profitgesteuerten Zynismus von Leuten wie Morrison anzuklagen, lässt sich nun leider auch die Geschichte nicht mehr anrufen: Die Anrufung würde der gleichen Logik von Wachstum und Fortschritt folgen, deren Anlass sie war. Die Geschichte wird die Neoliberalen nicht verurteilen. Da müssen schon andere ran. Welche Rolle künstlerische Praktiken und soziale Bewegungen in der Postwachstumsgesellschaft spielen können, diskutiert diese Ausgabe von Bildpunkt.
Vom 29. Mai bis 01. Juni findet in Wien degrowthvienna statt (https://www.degrowthvienna2020.org), die Konferenz zum Thema – und zur weiteren Mobilisierung.
Jens Kastner, koordinierender Redakteur
Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 53, Frühling 2020, "Wachstumsprobleme (degrowth)".