Nicht so gerahmt werden

in (18.09.2020)

„Die Pandemie zeigt uns: Ja, wir sind verwundbar. Vielleicht haben wir zu lange geglaubt, dass wir unverwundbar sind, dass es immer nur schneller, höher, weiter geht. Aber das war ein Irrtum. Die Krise zeigt uns allerdings nicht nur das, sie zeigt uns auch, wie stark wir sind! Worauf wir bauen können!“[1] Wir sind immer schon ins Bild gesetzt. Unsere Rahmung schreitet ständig voran. Als Bevölkerung erleben wir eine Zeitenwende.
Das alles suggeriert die Oster-Ansprache des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier vom 11. April 2020. Von hoher Stelle wird verlautbart: Die Pandemie ist unser Schicksal. Das hier verwendete „Wir“ ist eine Kategorie, die sich dem Ins-Bild-Setzen und Gerahmt-Werden verdankt. Wunsch, Glaube und Behauptung, einem „Wir“ anzugehören, sind gerade in Umbruchzeiten und Ausnahmesituationen zentrale Faktoren der politischen „Orientierung“. Die Krise schafft eine gesteigerte Nachfrage nach selbstversichernden Erzählungen. Und je mehr das Gewohnte zur Disposition gestellt ist, desto größer ist der Drang nach Stabilität in Bildern, die Gemeinschaft verheißen. Dieses Wir freilich ist äußerst volatil, trendet bald in Richtung „Solidarität“, bald in Richtung „Grenzsicherung“.
Framing wird die tendenziöse und damit vermeintlich „orientierende“ Rahmung dessen genannt, was berichtet, erzählt, kolportiert wird: Und zwar durch das Wie des Berichtens, Erzählens, Kolportierens. Über die Methoden (und Fallstricke) des Framing ist in den vergangenen Jahren einiges bekannt geworden. In Deutschland etwa wurde publik, dass sich die ARD, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, von der Autorin eines Buches über „politisches Framing“ beraten und Gutachten schreiben lässt.[2] Durch Reden und Gerede das Denken eines Kollektivs, eines „Wir“, und sei es eines so imaginär-konstruierten wie dem des „Volkes“ oder der „Nation“, zu formen, ist die Mission von „Spin-Doktoren“ und anderen Framing-Expert*innen. Der amerikanische Sprachwissenschaftler und Philosoph George Lakoff untersucht seit den 1970er Jahren die politische Funktion von Metaphern, von Wortbildern. In Büchern wie Metaphors We Live By oder Metaphor and War: The Metaphor System Used to Justify War in the Gulf hat Lakoff die Modellierung politischer Diskurse mit Hilfe metaphorischer Muster (Konservative sehen den Staat als strengen Vater, Liberale als nährende Mutter usw.) erläutert – nicht zuletzt in der Absicht, der US-amerikanischen Rechten ideologiekritisch entgegenzutreten. Bei Lakoff und anderen an der Framing-Analyse interessierten kognitiven Linguisten stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Offenlegung eines „Metaphernsystems“ dieses nicht gerade stärkt. Wird die Praxis des Framing durch die Theorie des Framing nicht weniger außer Kurs als vielmehr, wenn auch kontraintuitiv, ins Recht gesetzt?
Nun ist es sicher nicht von Nachteil zu wissen, welche diskursiven Mechanismen am Werk sind, wenn zum Beispiel das Bild oder der Rahmen eines „Wir“ gefertigt wird, wie dies angesichts einer Pandemie geradezu unumgänglich scheint, aber eben keineswegs zwingend ist, sondern: interessegeleitet. Doch wie verhindert die Erklärung der Wirkungs- und Funktionsweise des „Wir“-Framing, dass sie nur dazu beiträgt, dessen Methoden zu verfeinern? Wie entziehen „wir“ uns dem So-gerahmt-Werden?
Die Antwort lautet wohl oder übel: Indem „wir“ uns noch weiter hineinziehen lassen, uns noch bessere Kenntnisse darüber erarbeiten, wie Sprachbilder Handeln bestimmen und Handeln sich seinerseits Sprachbilder sucht, um darüber Legitimität und Macht zu gewinnen. Der Ausnahmezustand einer Gesundheitskrise, die zur sozialen, politischen, kulturellen, ökonomischen und juristischen Bewährungsprobe wird (weil Gesundheit immer auch sozial, politisch, kulturell, ökonomisch und juristisch ist), ist die ideale Voraussetzung für das Wachstum von Metaphern.
Wie Epidemien mit Metaphern „gerahmt“ werden, hat beispielhaft der Diskurs um AIDS/HIV in den 1980er und 1990er Jahren gezeigt. Hier blühte, wie prominent Susan Sontag demonstriert hat, das gesamte metaphorische Spektrum zwischen „Sünde“, „Plage“/„Seuche““ und „Krieg“. Die Bedrohung durch die Krankheit wurde ebenso wie deren selektive Bekämpfung und die diskriminierend-marginalisierende Beschuldigung der Homosexuellen als Politik von Moral und Denunziation auf der einen und als gleichermaßen machtkritische wie solidarische Ermächtigung von der anderen Seite betrieben.
In einer Untersuchung zu den metaphorischen Strategien der britischen Medien angesichts der SARS-Epidemie im Jahr 2003 stellte sich heraus, dass die Vielfalt und Komplexität der (Sprach-)bilder im Vergleich zu AIDS/HIV und anderen Gesundheitskrisen deutlich eingeschränkt war.[3] „Krieg“ und „Plage/Seuche“ spielten keine größere Rolle mehr im Diskurs. Die Leitmetaphern waren „killer“ und „control“. Ebenso vereinzelt blieben Versuche, die ethnische Karte zu spielen und – wegen des Umstands, dass sich das Virus vor allem in Hong Kong, China und verschiedenen Chinatowns weltweit bemerkbar gemacht hatte – sinophobe Stimmung zu schüren. Weit stärker ausgeprägt war das Bemühen in den Medien, rassistische Reaktionsweisen als solche namhaft zu machen.
Diese Abkehr von einem nationalistisch-martialischen und stigmatisierenden Framing wurde unter anderem mit den Verflechtungen der Globalisierung und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen und Rücksichtnahmen erklärt. Die internationale Antwort auf die SARS-Epidemie wäre demnach auch Ausweis einer gestiegenen Internationalität der Gesundheitspolitik und ihrer Strategien, etwa bei der Epidemie-Bekämpfung gewesen.
Der Verlauf der SARS-Cov-2-Krise hat nun deutlich gemacht, dass es eine solche, bei aller kriminalistischen und ordnungspolitischen Metaphorik tendenziell auf Ausgleich und Interdependenz, statt auf Polarisierung und Krawall setzende Diskurspolitik inzwischen eher schwerer als leichter hat. Seit dem ersten SARS-Ausbruch ist von einer auch zum damaligen Zeitpunkt bereits brüchig und hinfällig erscheinenden Globalisierung wenig übrig geblieben außer den katastrophalen Symptomen des Klimawandels und der damit verschränkten Grenzenlosigkeit eines tödlichen Infektionsgeschehens. Eine der Folgen: Das „Wir“ ist nun endgültig kein internationales (oder gar internationalistisches) mehr.
Ein Bild der Covid-19-Krise, das diesen Vorgang prägnant zur Darstellung bringt, hat der Washington Post-Fotograf Jabin Botsford gemacht. Botsford brachte sich irgendwie in die Lage, am 19. März 2020, während einer der Pressekonferenzen des amerikanischen Präsidenten, Redner und Rednerpult von hinten zu fotografieren. Unscharf im Vordergrund zu sehen sind das Blau des Anzugärmels, das Weiß der Hemdmanschette und das Rosa der linken Hand, im Mittelgrund und in Nahaufnahme scharf gestellt lässt sich ein großformatiges Ringbuch mit in Klarsichthülle eingelegten Manuskriptblättern – ausgedruckt in lesefreundlicher Großschrift mit etwa fünf Wörtern pro Zeile – erkennen. An einer Stelle war der Text handschriftlich überschrieben worden: anstelle von „Corona virus“ ist „Chinese virus“ zu lesen.
Dass Donald Trump von seinen eigenen Versäumnissen abzulenken versuchte, indem er das Virus als „fremd“ markierte und China verantwortlich für die Pandemie machte, ist gut dokumentiert. Das Foto dokumentiert, wie eine solche Deplatzierung oder Verschiebung durch eine scheinbar geringfügige Intervention in die sprachliche Form vonstatten geht: durch den Willkürakt, der sich in jeder nationalistischen Performanz wiederholt.
In diesem Fall vollzieht sich dieser Akt als die handschriftliche Verdrängung des (mehr oder weniger wissenschaftlichen) Namens des Virus durch ein Attribut, das zugleich eine kategoriale Fehlleistung ist. Der Bezug auf das Bild des Virus, das entfernt an eine Krone (corona) erinnernden Virus (von dessen Hülle die Moleküle des Glykoproteins wie Zacken abstehen), in unzähligen kolorierten 3-D-Visualisierungen verbreitet, wird gelöst. An die Stelle der Metapher der Krone tritt die Verknüpfung eines molekularbiologischen Akteurs mit einer Nationalität und Ethnizität.
Metaphorisches Sprechen kann als Unterbrechung des eingleisigen Voranschreitens des eigenen Gedankens durch fremde Bilder begriffen werden, wie Marie Luise Knott über Hannah Arendts Methode des Verlernens schreibt.[4] Donald Trump hat kein Interesse an einer solchen Destabilisierung des Selbst. Die Heuristik der Metapher, aber auch der metaphysische Schrecken – sie sind ihm so fremd, wie er das Virus als „fremd“ betrachtet. Hier ähnelt er seinem Kollegen, dem britischen Premier Boris Johnson, der nach seiner Genesung von Covid-19 zum Kampf gegen den „invisible mugger“, den „unsichtbaren Straßenräuber“ aufrief und damit seine tiefe Verbundenheit zu einer langen Tradition rassistischer, antimigrantischer und klassistischer Diskurse verriet.[5]
Die Penetration der politischen Sprache mit Bildern des gefährlichen Fremden, die Personalisierung eines molekularbiologischen Infektionsgeschehens – sie gehören zu den eingeübtesten Techniken einer Demagogie des Wir. Wenn politisches Handeln und Sprechen wie selbstverständlich mit militärischen und polizeilichen Operationen gleichgesetzt werden, ist der Ausnahmezustand gegeben. Der Umgang mit Covid-19 bestätigt die Permanenz des Ausnahmezustands auch durch die rasche Karriere von scheinbar Gegensätzliches bedeutenden Metaphern wie Lockdown und Lockerung. So schnell die Abstandsregeln eingeübt wurden, so schnell regte sich Widerstand gegen sie (und alles, was mit ihnen als Einschränkung des gewohnten neoliberalen Daseins assoziiert wurde).
Die Alternativen übersichtlich zu halten, kann als eine Grundregel des Framing gelten. Das Wir einer – immer auch imaginären – universalen Solidargemeinschaft in der Pandemie ist die umfassendste und zugleich schwächste Alternative zu jenem Wir der Einschließung und Ausgrenzung, wie es sich in der willkürlichen Ersetzung von „Corona“ durch „chinese“ äußert. Dafür zu kämpfen, nicht so gerahmt zu werden, bedeutet deshalb auch, Manipulationen der Sprache, wo immer möglich, sichtbar zu machen. Zugleich reicht es nicht aus, zu wissen, wie Framing funktioniert. Dieses Wissen muss zu Praxis werden. Die Erzählung sollte nicht bloß zu eigenen Bedingungen angeeignet und dominiert, sondern auf ganz neue Weise geteilt werden.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Nr. 54, Sommer 2020, „Ausnahmezustand“.

Tom Holert ist Autor in Berlin. 2015 gründete er mit anderen das Harun Farocki Institut (harun-farocki-institut.org).
Zuletzt erschien von ihm Knowledge Beside Itself. Contemporary Art's Epistemic Politics(Sternberg Press 2020).
 

 

[1] Frank-Walter Steinmeier, Fernsehansprache zur Corona-Pandemie: „Wir stehen jetzt an einer Wegscheide“, Schloss Bellevue, 11. April 2020, https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/04/200411-TV-Ansprache-Corona-Ostern.html

[2] Markus Beckedahl, Leonhard Dobusch, „Wir veröffentlichen das Framing-Gutachten der ARD“, netzpolitik.org, 17. Februar 2019, https://netzpolitik.org/2019/wir-veroeffentlichen-das-framing-gutachten-der-ard/

[3] Patrick Wallisa, Brigitte Nerlich, „Disease Metaphors in New Epidemics: the UK Media
Framing of the 2003 SARS Epidemic,“ Social Science & Medicine 60, 2005, S. 2629–2639.

[4] Marie Luise Knott, Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt, erweiterte Neuaufl., Berlin: Matthes & Seitz, 2017, S. 100.

[5] Vgl. David Shariatmadari, „’Invisible Mugger’: How Boris Johnson’s Language Hints at His Thinking, The Guardian, 27. April 2020, https://www.theguardian.com/politics/2020/apr/27/muggers-and-invisible-enemies-how-boris-johnsons-metaphors-reveals-his-thinking(in Policing the Crisis: Mugging, the State, and Law and Order haben Stuart Hall und andere bereits 1978 eine inzwischen legendäre diskursanalytisch-kulturwissenschaftliche Theorie von Staat und Klasse am Beispiel der Verwendung des Wortes  „mugging“ in der öffentlichen Rede geliefert).