Emanzipatorische Perspektiven in einem zerstörten Land?
Innenpolitisch steht US-Präsident Donald Trump auch aufgrund der Veröffentlichung des Enthüllungsbuches „Größer als das Amt“ von Ex-FBI-Chef James Comey unter Druck. Was liegt da aus seiner Sicht näher als auf dicke Hose zu machen und zur Ablenkung einen Angriff mit 100 „schönen Raketen“ (so Trump auf Twitter) auf vermeintliche Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien zu befehlen. Dabei ist vielen klar, dass es dem Menschenfeind Trump nicht um die Menschen in Syrien geht, die unter Diktatur und Bürgerkrieg leiden. Es geht um eine Machtdemonstration, die im Interesse der mächtigen Waffenindustrie ist.
Ob es den von Trump und seinen Waffengeschwistern Theresa May und Emmanuel Macron als Vorwand benutzten Chemiewaffeneinsatz durch das staatsterroristische Assad-Regime tatsächlich gegeben hat, ist dabei nebensächlich.
„Der Luftangriff auf mutmaßliche Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien war ein Bruch des Völkerrechts. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages“, so tagesschau.de am 20. April 2018.
Das ist Trump egal. Er weiß, dass kein Präsident einer militärischen Supermacht befürchten muss, für Kriegsverbrechen vor den Internationalen Gerichtshof gestellt zu werden. Das Recht des militärisch Stärkeren, das dieser rassistische Präsident verkörpert, steht auf seiner Seite. Das gilt ebenso für geistesverwandte Autokraten, wenn sie denn eine militärische Großmacht repräsentieren. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Wladimir Putin für seine Kriegsverbrechen in Tschetschenien und Recep Tayyip Erdoğan für die blutige Annektion Afrins vor dem Internationalen Gerichtshof landen werden?
Auf das vermeintlich real existierende „Völkerrecht“ kann man eigentlich nur mit Ironie reagieren, wie das Satireportal „Der Postillon“, das auch zeigt, in welch absurde Gewaltspirale man sich bei einer derartigen Argumentation hineinmanövrieren würde. „Der Postillon“ meldete nach dem Raketenangriff unter dem Titel „Vergeltung für völkerrechtswidrige Angriffe auf Syrien: China bombardiert USA, Großbritannien und Frankreich“: „Dieses Verhalten kann Peking nicht ungestraft lassen: Nach den völkerrechtswidrigen Vergeltungsschlägen von USA, Großbritannien und Frankreich gegen Syrien hat das chinesische Militär heute mehrere militärische Ziele in den USA, Großbritannien und Frankreich bombardiert. Dabei gab es mehrere Verletzte in den drei Ländern. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping rechtfertigte heute bei einer Pressekonferenz den zunächst zeitlich begrenzten Angriff: ‚Bei unseren heutigen Präzisionsschlägen gegen Radarstationen, Raketenstellungen und Militärflughäfen der drei Länder geht es vor allem darum, zu zeigen, dass völkerrechtswidrige Angriffe auf andere Staaten Konsequenzen haben.‘“
Die Handlungen des US-Präsidenten können noch so menschenverachtend, absurd und gefährlich sein, wenn er Waffen sprechen lässt, dann zeigen Merkel & Co. „Verständnis“ und deutsche Leitmedien stehen dem Waffenlobbyisten zur Seite. So jubelte Dominic Johnson am 15. April in der taz: „Unter jedem denkbaren Gesichtspunkt, bei dem der Respekt vor Menschenleben eine Rolle spielt, waren die Militärschläge gegen Assads Chemiewaffenprogramm ein voller Erfolg.“
Johnson ist der „Ressortleiter Ausland“ der taz und seit Jahren so eine Art Ober-Kriegstreiber auf dem olivgrünen Deck der Tageszeitung. Seine Kriegspropaganda finde ich ähnlich absurd, wie das, was die Fans von Putin, Erdoğan und anderen Autokraten von sich geben.
Der Anarchist, GWR-Autor und Arzt Dr. med. Michael Wilk hat die kurdischen Gebiete in Syrien u.a. im März 2018 bereist. (1) Er fragt sich, warum wir uns nicht an das halten, was wir wissen, wenn es um die Beurteilung von Regimen und Großmächten geht: „Afrin wurde mit Duldung von Russland durch die Türkei besetzt. Islamistisch-fundamentale Hilfstruppen rückten ein, ohne dass die westliche Welt dem Nato-Partner Türkei dies erschwerte. Deutsche Waffenlieferungen wurden fortgesetzt, obwohl es sich offensichtlich um eine völkerrechtswidrige Aktion handelte. Russland gewährte Luftangriffe und Bombardements, die westliche Welt lieferte die Waffen. Begreift, in Syrien werden die Claims abgesteckt: Russland, Iran und das Assad-Regime, die Türkei und der Westen parzellieren das Land. Die kurdischen KämpferInnen und die Ansätze von Basisdemokratie interessieren niemand und werden verraten, wenn dies nötig erscheint.
Es gibt schon lange keine gute und keine böse Seite mehr, es hat sie nie gegeben. Es ging und geht um Herrschaft und Machterhalt. Für uns kann es nur darum gehen, nach emanzipatorischen Momenten und Ansätzen zu suchen. Diese findet man nicht bei Regierungen, sondern bei Menschen!“
Graswurzelrevolutionär*innen streben Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit für alle Menschen an. Unterstützen wir also die emanzipatorischen Kräfte, zu denen nicht zuletzt alle Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen zählen.
Bernd Drücke
Anmerkung:
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Michael Wilk wird am 26. Mai 2018 ab 20 Uhr in der ESG-Aula (Breul 43) in Münster über seine Erlebnisse in Rojava berichten. Veranstalter: Graswurzelrevolution und Soligruppe „Perspektive Rojava“.
Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 429, Mai 2018, www.graswurzel.net