Viel wurde in den letzten Wochen über Trump geschrieben und spekuliert. Die Nachrichten sind randvoll mit Episoden aus der Soap Opera vom (vermeintlich) unfähigen und dilettantischen Präsidenten und seiner innerlich zerstrittenen Regierungsriege. Die einen bestätigt dies in ihrer Meinung von den voreingenommenen Medien und sie erkennen dann noch nicht einmal mehr einen handfesten Skandal, wenn er offensichtlich zutage liegt; die anderen wiederum fühlen sich in ihrer Meinung zu Trump bestätigt und übersehen, was die Regierung von Trump jenseits aller Tweets, verbaler Fauxpas und offener Lügen eigentlich in den letzten Monaten getan hat.
Es ist daher an der Zeit, sich mit dem realen Wirken der Trump-Regierung auseinanderzusetzen, ihre Außenpolitik im Wechselspiel zur Innenpolitik in den Blick zu nehmen und all dies in die allgemeine Entwicklung der US-Politik der letzten Jahrzehnte einzuordnen.
Dabei gilt es, eine Reihe von zentralen Fragen zu beantworten: Ist der 45. US-Präsident Donald Trump ein Decline-Manager, so wie es nach dem katastrophalen Scheitern der Bush-Administration im Irak und in Afghanistan schon über Obama behauptet wurde? Schätzen der rechtsautoritäre Nationalist und seine konservative Regierung im Gegensatz zu den neoliberalen Universalisten um Obama die Lage der USA und die Gefahr der imperialen Überdehnung womöglich richtig ein? Suchen sie tatsächlich eine ‚Aussöhnung‘ mit Russland? Oder verkörpern Trump, der „Amerika wieder großmachen“ will, und seine Regierung die nationale Hybris, die die USA daran hindert, Hegemonie auszuüben, und sie in militärische Abenteuer bis hin zum atomaren Konflikt mit Nordkorea taumeln lässt, wie der Economist kürzlich auf seinem Titelblatt vermutete? Besteht gar die Gefahr eines unkontrollierten Krieges – womöglich ausgelöst durch einen Trump-Tweet? Und was sagt eigentlich die weltweite Auseinandersetzung rund um Trump über die Art und Weise aus, wie heute im krisengeschüttelten Kapitalismus Herrschaft ausgeübt wird?
Der transnationale Block an der Macht und der neoliberal-imperiale Konsens
Es ist eine Tatsache, dass das Denken über die USA ein Denken über die USA in der Welt bedeutet, denn die Welt, wie wir sie heute kennen, ist ohne die USA nicht zu denken. Ihre Weltpolitik hat die Welt von heute erst geschaffen. So hat es sich der US-amerikanische Staat nach 1945 auf dem Höhepunkt seiner Macht und ausgestattet mit entsprechenden Machtressourcen zur Aufgabe gemacht, den internationalen Kapitalismus zu rekonstruieren und gegen antikapitalistische Umwälzungen in sozialistischer Richtung sowie gegen protektionistische Fragmentierungen des Weltmarktes und Wirtschaftsblockbildungen abzusichern. Hierfür schufen die USA Strukturen internationaler und transnationaler Staatlichkeit wie das Bretton-Woods-System, den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in der internationalen Finanzpolitik, das GATT (heute WTO) in der Welthandelspolitik, das wie die Keimform einer Weltkapitalismusverfassung funktioniert, sowie internationale politische Foren wie die Trilaterale Kommission, den Weltwirtschaftsgipfel von Davos oder die G2-, G7-, G8- und G20-Gipfel. Das politische Ziel bestand darin, weltweit in den im Zuge der Welle von Entkolonisierungen in der Nachkriegszeit immer zahlreicher werdenden Nationalstaaten die gleichen, möglichst uneingeschränkt geltenden Regeln für die freie Entwicklung des Kapitalismus durchzusetzen – uneingeschränkt freilich von den Fesseln der nationalstaatlichen Liberaldemokratien und ihren Prozessen.[1] Dabei profitiert hiervon freilich stets das global dominante und konkurrenzfähigste Kapital in seinem Expansionsdrang am meisten.
Unter der Regie der USA transnationalisierten sich auf diese Weise die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, entstanden mit den multi- und transnationalen Konzernen und ihren Institutionen Ansätze einer transnationalisierten Bourgeoisie, die ihre zunehmende Kohärenz durch Wirtschaftsverflechtungen, internationalisierte Aufsichtsräte, internationale Institutionen und Foren bis hin zu internationalisierte Urlaubsressorts und Eheschließungen der globalen 0,1 Prozent erhalten hat. Als Kapitalfraktion wurde diese transnationalisierte kapitalistische Klasse im internationalen System dominant. Als etwa in der kapitalistischen Großkrise der 1970er Jahre, in der Krise des Fordismus mit einer tiefen Profitklemme und starken Spannungen zwischen globalem Norden und globalem Süden sowie zwischen den westlichen Mächten (USA versus BRD/Japan), wie schon in den zwei vorangegangenen kapitalistischen Großkrisen, der Großen Depression von 1873‒1896 und der Weltwirtschaftskrise von 1929‒1939, ein Rückfall in den Protektionismus drohte, erwiesen sich die von den USA geschaffenen Formen von internationaler und transnationaler Staatlichkeit als robust genug, um eine neuerliche Fragmentierung des kapitalistischen Weltmarktes zu verhindern. Tatsächlich war das Ergebnis dieser Krise eine Vertiefung der Weltmarktintegration.
Die in den Machtblöcken der einzelnen Nationalstaaten dominanten transnationalen Kapitalfraktionen eint ein politischer Konsens. Dieser ist in allen Ländern des ‚Westens‘ partei- und milieuübergreifend. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Realsozialismus und der Schwäche der antikapitalistischen Kräfte in den 1990er Jahren erfasste er auch die aus der Arbeiterbewegung entstandenen sozialdemokratischen Parteien sowie die aus der Neuen Linken hervorgegangenen grün-alternativen Mitte-links-Parteien. Der politische Konsens dieser Kräfte, der in der Sprache der „Alternativlosigkeit“ formuliert wird, lässt sich wie folgt beschreiben: nach innen, das heißt in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, ist die Orientierung neoliberal und marktorientiert; in der Wirtschaftspolitik nach außen ist die wirtschaftspolitische Orientierung transnational und pro „Freihandel“ und in der klassischen Außen- und Sicherheitspolitik wird ein imperial-interventionistischer Ansatz verfochten.
Die Machtübernahme von Mitte-links-Parteien – Clintons New Democrats in den USA, Blairs New Labour in Großbritannien und Schröders rot-grüne Koalition der „neuen Mitte“ in Deutschland –machten diesen Neoliberalismus erst hegemonial. Damals waren ganze elf von 15 Mitgliedsländern der Europäischen Union von solchen Mitte-links-Parteien oder -Koalitionen regiert. Die Widersprüche dieser Hegemonialisierung des Neoliberalismus und seine globale (Finanz-)Krise seit 2007 haben jedoch zu tiefen politischen Rissen geführt. Seit dem Scheitern der grünen Kapitalismusreformen von oben und der globalen austeritätspolitischen Wende vom Sommer 2010[2] lassen sich, begleitet von weltweiten Massenprotesten,[3] zwei auffällige Entwicklungen in den politischen Systemen im ‘Westen’ beobachten: Erstens ‘franst‘ das politische System in einen rechtsautoritären Nationalismus ‘aus’ (US-Präsident Donald Trump, UKIP, Front National, AfD, Schwedendemokraten etc.), der – obwohl er ursprünglich eher marktradikal ausgerichtet war – sich im Zuge des Zustroms neuer Wählerschichten aus der traditionellen Arbeiterklasse mehr oder weniger national-sozial gibt. Zweitens sind auf der linken Seite – mit unterschiedlicher Stärke – neue Kräfte entstanden, die im Rahmen einer neuen Klassenpolitik einen solidarisch-inklusiven Weg aus der Krise ausbuchstabieren (Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélenchon, DIE LINKE, Podemos etc.) oder, wie die im Januar 2015 in Griechenland an die Macht gekommene SYRIZA-Regierung, unter schwierigsten Bedingungen umzusetzen versuchten, bis sie dann durch den außenpolitischen Druck seitens der deutschdominierten Europäischen Union bereits nach einem halben Jahr zum Scheitern gebracht wurden. Die hegemoniale Erosion der neoliberal-imperialen „Mitte“ führt damit zu einer Konstellation mit drei Polen und politischen Alternativprojekten.
Der Block an der Macht, die transnationalisierte Kapitalfraktion und die Wahl von Trump
Aus der Perspektive der dominanten transnational-imperialen Fraktion im „Block an der Macht“ (Nicos Poulantzas) in den USA war die Wahl von Trump nicht vorgesehen. Schon die Nominierung Trumps zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner war ein Triumph der radikalen rechten Basis in der Partei über das Establishment. Hiernach lief ein großer Teil der ökonomischen, politischen (vor allem außenpolitischen) und Eliten in den bürgerlichen Medien zu Hillary Clinton über, die den neoliberal-imperialen Konsens in besonderer Weise verkörpert und als frühere First Lady und Außenministerin mit engsten Verbindungen zur New Yorker Finanzwelt zu Recht als Establishment-Kandidatin galt.[4] Es war ein Novum, dass selbst die früheren republikanischen Präsidenten und Architekten der zwei Irakkriege, George Bush und George W. Bush, sich weigerten, dem bereits nominierten Trump die Unterstützung auszusprechen. Die frühere First Lady Laura Bush und George W. Bushs Vizepräsident Dick Cheney unterstützten sogar mehr oder weniger offen Clinton, während sich mit Neocons wie Robert Kagan und Max Boot einige der entscheidenden, intellektuellen Vordenker des Irakkriegs und des „Kriegs gegen den Terror“ im außenpolitischen Beraterstab von Clintons Wahlkampfteam wieder. Den Höhepunkt erreichte die Absetzbewegung von der Republikanischen Partei mit einem offenen Brief, in dem sich mehr als 50 namhafte republikanische außenpolitische Berater gegen Trump positionierten und ihn als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ der USA anprangerten.
Der Wahlsieg von Donald Trump entsprach also zunächst nicht dem Interesse der herrschenden Klasse in den USA. Im Gegenteil: Er markierte einen temporären Kontrollverlust. Entscheidend war jedoch aus der Perspektive der ökonomisch und politisch Mächtigen weniger die plebejische Unappetitlichkeit von Trump, der als New Yorker Immobilienkapitalist und Multimilliardär zwar Fleisch von ihrem Fleisch sein mag, aber mit seinem antimuslimischen und antimexikanischen Radau-Rassismus und -Sexismus doch redet wie aus der Gosse. Vielmehr war es Trumps rhetorisches Ausscheren aus ihrem außen- und wirtschaftspolitischen Konsens, der ihn aus ihrer Sicht unwählbar machte und als Gefahr erscheinen ließ. So hatte Trump im Wahlkampf eine Abkehr vom Freihandel angekündigt (Nichtratifizierung der Transpazifischen Partnerschaft und von TTIP, Abschaffung oder Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens, Strafzölle für China, Mexiko und Deutschland mit ihren hohen Leistungsbilanzüberschüssen etc.) sowie einen Bruch mit dem US-amerikanischen Empire (Kritik am gescheiterten „Krieg gegen den Terror“, der die USA – nach Berechnungen der Brown University – mittlerweile 4,79 Billionen US-Dollar gekostet hat, Infragestellung des NATO-Vertrags, rhetorischer Bruch mit Artikel 5, der die Bündnispflicht regelt, etc.).
Es waren dabei diese populären Positionen, die Trump, vor dem Hintergrund der Kapitalismuskrise und getragen von einer massiven Anti-Establishment-Stimmung in den USA im Rahmen einer tiefen Krise der politischen Repräsentation, gegen den Willen der transnationalisierten Kapitalfraktion an die Macht brachte.[5] Im Rennen der zwei unpopulärsten Kandidat*innen, die jemals um das Amt des US-Präsidenten antraten, erlangte er zwar kaum mehr Stimmen als die zuvor Obama unterlegenen republikanischen Kandidaten John McCain (2008) und Mitt Romney (2012) und verlor sogar das, was popular vote genannt wird. Aber die Unbeliebtheit und Mobilisierungsschwäche von Hillary Clinton – die mit allen lauteren und unlauteren Mitteln gegen den überaus beliebten Sozialisten Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidatin von der demokratischen Parteispitze installiert worden war – waren so ausgeprägt, dass Trump mit seiner Botschaft gegen die Eliten, gegen Freihandel und Empire und mit seiner rassistisch-demagogischen Thematisierung der sozialen Frage in den bevölkerungsreichen und damit wahlentscheidenden Wechselwählerstaaten (Wisconsin, Michigan, Ohio, Pennsylvania) des deindustrialisierten und freihandelsverheerten Mittleren Westens erfolgreich sein konnte.
Die Nervosität der Herrschenden nach diesem Kontrollverlust war auch international entsprechend mit Händen zu greifen – gerade in Deutschland, das im Verhältnis zu den USA noch einen größeren Handelsüberschuss aufweist als China und von daher von einem (selektiven) Protektionismus der USA am meisten betroffen wäre. Tatsächlich würde eine solche Politik das deutsche exportorientierte Wirtschafts- und Wachstumsmodell und die politisch-gesellschaftliche Grundlage des „deutschen Krisenkorporatismus“ (Hans-Jürgen Urban) grundsätzlich infrage stellen – insbesondere deshalb, weil Deutschlands austeritätsorientierte EU-Politik die eigenen Absatzmärkte in Südeuropa erheblich geschwächt hat, womit eine deutliche Verschiebung bei der Exportabhängigkeit einherging – weg von Europa in Richtung Übersee, insbesondere China und USA.
Die Frage, die sich nach Trumps Wahlsieg im November 2016 stellte, war darum, ob er tatsächlich gegen die dominante transnationalisierte Kapitalfraktion im US-Machtblock einen protektionistisch-antiimperialen Kurswechsel vollziehen würde (können) oder ob es dieser Fraktion gelingen würde, Trump unter Kontrolle zu bringen. Der Kontrollverlust bei den Wahlen hatte drei Szenarien denkbar werden lassen: erstens eine sozial-nationale Faschisierung und ein (rechts-)keynesianischer Kurs, der die soziale Frage von rechts beantworten würde; zweitens die Einhegung Trumps im Klasseninteresse der transnational-imperialen Kapitalfraktion im US-Machtblock bei gleichzeitiger Umsetzung all jener radikalrechten gesellschaftspolitischen Vorhaben, die weniger an den Kerninteressen der ökonomisch und politisch Herrschenden rühren; und drittens eine Entwicklung, die man mit dem deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftler Franz Neumann als Unstaat- bzw. Behemoth-Szenario bezeichnen könnte, das heißt eine Konstellation, in der – bis zur politischen Unregierbarkeit und Lähmung – der Kampf um den Wiedergewinn der Kontrolle zwischen den einzelnen Staatsapparaten, zwischen den Bundesstaaten und der Nationalregierung und auch innerhalb der Regierung ausgefochten wird.
Es ist hier nicht der Ort nachzuzeichnen, welche Indikatoren zunächst auch Szenario eins und drei plausibel machten. Dies gilt insbesondere, weil die Kämpfe um eine Einhegung Trumps auf den verschiedenen Ebenen des vermachteten Staates auch Elemente von Szenario drei im Rahmen dieses Einhegungsszenarios mit sich gebracht haben. Fest steht: Es existiert ein riesengroßer Unterschied zwischen Trumps Wahlkampfrhetorik und seiner realen Politik. Trump betreibt seit sieben Monaten systematisch Betrug an seiner Wählerbasis. Die Einhegung Trumps seitens der neoliberal-imperialen Kräfte im US-Machtblock ist ganz offensichtlich. Sie lässt sich zum einen an der Zusammensetzung seiner Ministerriege und zum anderen an den bislang getroffenen konkreten politischen Entscheidungen und Handlungen der Trump-Regierungen festmachen.
Trump wurde als Anti-Establishment-Politiker gewählt. Die Regierung ist jedoch – addiert man das Privatvermögen ihrer Mitglieder –die reichste in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Sie besteht vor allem aus hochrangigen Vertretern erstens des Wall-Street-Finanzkapitals, das Trump im Wahlkampf noch im Namen der Arbeiterklasse angegriffen hatte (hierzu gehören u.a. Trumps oberster Wirtschaftsberater Gary Cohn, Finanzminister Steven Mnuchin, Handelsminister Wilbur Ross, Trumps außenpolitischer Berater und Schwiegersohn Jared Kushner), zweitens aus Repräsentanten der fossilen Energieindustrie und der Pipeline-Konzerne (Außenminister Rex Tillerson, Innenminister Ryan Zinke, Energieminister Rick Perry, Umweltminister Scott Pruitt) und drittens aus Spitzenpersonal des militärischen bzw. außenpolitischen Machtapparates und der alten Bush-Regierung (Verteidigungsminister James Mattis, Heimatschutzminister und alsbald Stabschef im Weißen Haus John F. Kelly, stellvertretende nationale Sicherheitsberaterin Dina Powell, Arbeitsminister Alex Acosta, Verkehrsministerin Elaine Chao).
Diese reichste Regierung aller Regierungen macht nun – ganz banal – Politik für die Reichen und bedient dabei auch partikulare Kapitalinteressen, insbesondere in der Energie- und Umweltpolitik,[6] und sogar partikularste Kapitalinteressen aus dem unmittelbaren persönlichen und familiären Umfeld von Donald Trump. Die Liste der marktradikalen Reformen ist lang. Sie beinhaltet in erster Linie einen juristisch umstrittenen Zwang zur Deregulierung, einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst mit anschließendem Plan zum systematischen Abbau der öffentlichen Beschäftigung und Infrastruktur, massive Steuersenkungen für das Kapital, inklusive der weiteren Absenkung der Unternehmenssteuer von 35 auf 15 Prozent, sowie einen Haushaltsplan für 2018, der die Kürzung und die ersatzlose Streichung von mehr als 60 (sozial-)politischen Programmen vorsieht.
Einzig und allein in drei Bereichen sieht der Etat für das kommende Jahr Anhebungen vor: 54 Milliarden US-Dollar Mehrausgaben für die Rüstung sowie eine Aufstockung des Etats vom Heimatschutzministerium (sprich: innere Überwachung) und der Kriegsveteranen-Unterstützung. Zudem hat Trump den Kongress um eine Erhöhung der Mittel des Verteidigungsministeriums um 30 Milliarden US-Dollar gebeten. Kurzum: Während im sozialen Bereich und bei der öffentlichen Infrastruktur, auf die die Arbeiterklasse angewiesen ist, die Axt angelegt wird, rüstet die Regierung des Landes mit den weltweit ohnehin mit Abstand höchsten Militärausgaben weiter auf und beschließt, noch einmal zehn Prozent mehr für Kriegsgerät auszugeben. Inzwischen beläuft sich der sogenannte Verteidigungsetat der USA auf 639 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) in etwa dem Dreifachen der Militärausgaben von China (215 Milliarden US-Dollar) und dem Zehnfachen der Militärausgaben von Russland (69,2 Milliarden US-Dollar), mit deren „Bedrohung“ die Steigerung der Ausgaben für Kriegsgerät in fast allen NATO-Staaten begründet wird. Die Rüstungsausgaben aller NATO-Staaten zusammengenommen übersteigen mit offiziell 945,96 Milliarden Euro die chinesischen Rüstungsausgaben im Übrigen um mehr als das Vierfache und die russischen um mehr als das Dreizehnfache.[7] Die Aufrüstungsspirale dreht sich also weiter nach oben und die Frage muss erlaubt sein: Wer bedroht hier eigentlich wen?
Die bisherigen politischen Entscheidungen der Trump-Regierung sprechen damit jedenfalls eine eindeutige Sprache: Wir haben es mit Szenario zwei, einer politischen Einhegung, zu tun. Nach innen radikalisiert die Trump-Regierung das neoliberale Programm. Damit verschärft sie aber zugleich die soziale Krise, die für die Anti-Establishment-Stimmung im Land wesentlich verantwortlich ist und die Trump erst in das Amt des Präsidenten gespült hat. Kaum mit einem Mandat ausgestattet und mit zunehmend geringer werdender innenpolitischer Legitimation versehen,[8] untergräbt Trump im Grunde genommen die Unterstützungsgrundlage seiner eigenen Regierung. Nach außen wiederum setzt die Trump-Regierung auf eine Politik der Stärke, wozu die Drohung mit Nuklearwaffeneinsätzen gehört (etwa gegen Nordkorea, nachdem Trump im Wahlkampf noch betont hatte, sich als Präsident niemals in einen Konflikt auf der koreanischen Halbinsel ziehen lassen zu wollen), und eskaliert die Aufrüstungsspirale.
Inwieweit auch außenpolitisch von einer Einhegung gesprochen werden kann, lässt sich am besten beantworten, wenn wir uns mit der Frage Bruch oder Kontinuität in Bezug auf die Obama- und andere Vorgängerregierungen befassen. Dabei ist es, wie bereits erwähnt, entscheidend, sich nicht von Rhetorik und den vielen hitzigen Auseinandersetzungen in der öffentlichen Debatte um Trumps (Außen-)Politik leiten und blenden zu lassen, sondern die realen politischen Entscheidungen zu betrachten.
Handelspolitisch hat Trump bislang noch wenige protektionistische Ambitionen erkennen lassen, obwohl er im Wahlkampf noch gedroht hatte, Chinas Waren einen Zoll von 45 Prozent aufzuerlegen, NAFTA neu zu verhandeln oder sogar ganz auszusetzen und Mexiko mit Importzöllen zwischen 15 und 35 Prozent zu belasten. Zwar hat Trump wohl auf Drängen seines Wahlkampfberaters und Wahlsiegarchitekten Steve Bannon, der für eine protektionistische Politik steht, gleich zu Beginn tatsächlich die Transpazifische Partnerschaft und das transatlantische Investitionsschutzabkommen (TTIP) für tot erklärt. Im Zuge der schrittweise durchgeführten Regierungsbildung zeigte sich jedoch ganz eindeutig, dass in Trumps Kabinett der freihändlerisch-imperial orientierte Flügel dominant ist. Zwar lässt sich erkennen, dass Trump seit dem Frühling mit einigen Personalentscheidungen und wohl auch auf Drängen von Steve Bannon hier wiederum leicht gegensteuerte. Anzeichen hierfür sind die Ernennung des relativ freihandelskritischen Robert Lightizer zum Handelsbeauftragten der USA, der damit eine Art Korrektiv zum Wall-Street-Investmentbanker und Handelsminister Wilbur Ross bildet. Ähnliches gilt in Bezug auf die Schaffung des Nationalen Handelsrats am 29. April, einer neuen Behörde, die vom protektionistisch ausgerichteten Ökonom Peter Navarro geleitet wird und vor allem dem Schutz der US-Rüstungsindustrie dienen soll. Die schrittweise Entmachtung des Freihandels- und Empire-kritischen Steve Bannon – von seiner Entfernung aus dem Nationalen Sicherheitsrat Anfang April 2017 bis zu seiner endgültigen Entlassung in der zweiten Augusthälfte – sind jedoch klare Anzeichen dafür, dass die neoliberal-imperialen Kräfte in der Trump-Regierung die Oberhand behalten haben.
Tatsächlich lässt sich nicht nur vom Personal, sondern auch von den bisherigen Handlungen der Trump-Regierungen allerdings kaum auf einen (selektiv-)protektionistischen Kurswechsel der USA schließen. Anschuldigungen an China (und Deutschland), diese würden sich unfair verhalten und Währungsmanipulation betreiben, waren schon von der Obama-Administration zu hören gewesen, nachdem diese 2010 auf ihren austeritätspolitischen Kurs mit den Zielen Exportorientierung und Reindustrialisierung umgeschwenkt waren. Unter Obama war es darüber hinaus bereits zum Erlass von vereinzelten Strafzöllen gekommen (wie etwa gegen die chinesische Stahlindustrie). Diese sind von der Trump-Administration bislang nicht systematisch ausgeweitet worden.
Außenpolitische Kurswechsel unter Trump sind zweifellos in Bezug auf Kuba und auch den Iran (siehe zu Iran ausführlich Ali Fathollah-Nejad in dieser Online-Sonderausgabe) zu beobachten, wo die Trump-Administration die vorsichtige Annäherungspolitik von Obama infrage gestellt hat. Ansonsten stehen die Zeichen jedoch – sieht man von den Differenzen zwischen Obamas Soft-Power-Diskurs und Trumps Hard-Power-Rhetorik einmal ab – durchaus auf Kontinuität. So hat Trump mittlerweile auch seine Kritik am „Krieg gegen den Terror“ zurückgenommen. In Bezug auf den Afghanistankrieg spricht er mittlerweile nicht mehr von einem „furchtbaren Fehler“, sondern von einer Notwendigkeit. Von einem Truppenabzug war schon sehr bald nicht mehr die Rede, sondern davon, dass die USA auch unter Trump weiter Soldaten in Afghanistan stationiert haben würden; und Ende August 2017 verkündete die Trump-Regierung – unter dem Jubel der NATO-Partner – dann eine Intensivierung des seit 2001 von den USA und der NATO geführten Krieges. Insgesamt planen mittlerweile 15 Länder eine Aufstockung ihrer Truppenkontingente in Afghanistan.
In Bezug auf Syrien, ist es gleichwohl sehr wahrscheinlich, dass die US-amerikanische Bombardierung eines Flughafens unter Kontrolle der syrischen Regierung von Baschar al-Assad im April 2017 eher symbolischer Natur war. Die mit der Assad-Regierung verbündete russische Seite wurde vorgewarnt und bereits nach kürzester Zeit war der Flughafen wieder in Betrieb. Die Bombardierung mit Tomahawk-Raketen diente womöglich gar dazu, innenpolitisch die Wogen zu glätten, nachdem allen voran das Demokraten-Establishment monatelang versucht hatte, nicht die eigene Austeritätspolitik und die Verschärfung der sozialen Ungleichheit sowie die massive Ausweitung schlecht entlohnter und prekärer Arbeitsverhältnisse unter Krisenpräsident Obama, sondern russische Hacker für die Niederlage von Clinton verantwortlich zu machen(Zur Syrienpolitik siehe ausführlich Miriam Younes in dieser Online-Sonderausgabe).[9]
Was sich allmählich abzeichnet ist, dass die Trump-Regierung offenbar im Kontext abnehmender Machtressourcen der USA die Kräfte auf den Hauptgegner konzentrieren will: China. Dies könnte erreicht werden, indem Trump stärker auf eine kriegspolitische Arbeitsteilung mit den anderen NATO-Staaten drängt. Die Drohung, dass gegebenenfalls Artikel 5 des NATO-Vertrags (Bündnisfall-Artikel) nur Gültigkeit habe, wenn die NATO-Staaten auch die Auflage erfüllen, zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aufzuwenden, kann in diese Richtung gedeutet werden. So ist es vorstellbar, dass sich die von Deutschland dominierte EU demnächst stärker in den Kriegen an den erweiterten EU-Außengrenzen engagieren wird, damit die USA sich auf ihre geopolitische Rolle im pazifischen Raum konzentrieren können. Dies käme jedoch den in den letzten Jahren stark intensivierten Bestrebungen Deutschlands nach „mehr Verantwortung“ durchaus entgegen[10]; und gerade die – von den neoliberal-imperialen Kräften zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen im Gleichklang vorgebrachte Anti-Trump-Rhetorik – dient letztlich diesem Zweck.[11]
Aber auch diese Politik von Trump ist keine Kehrtwende. Die China-Politik der USA unter Trump (siehe dazu ausführlich Jan Turowski in dieser Online-Sonderausgabe) ist weniger von Dis- als von Kontinuität gekennzeichnet. Zweifellos sind etwa Trumps rhetorischer Bruch mit der „Ein-China-Politik“ und seine pro-taiwanesischen Signale – wie etwa die Annahme des Gratulationsanrufes aus Taiwan wenige Wochen nach seinem Wahlsieg – in ihrer diplomatischen Unbedarftheit neu. Die USA hatten aber bereits unter der Obama-Regierung im Grunde zeitgleich zur globalen austeritätspolitischen Wende vom Frühjahr/Sommer 2010 (rund um den G20-Gipfel in Toronto) ihren „Schwenk nach Asien“ verkündet. Damit verbunden ist die erklärte Absicht, das 21. Jahrhundert zu „Amerikas pazifischem Jahrhundert“ zu machen, wie es die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton in einem vielbeachteten Aufsatz in Foreign Affairs genannt hat. Seither haben die USA ihre Bemühungen verstärkt, bilaterale Militärabkommen mit den konkurrierenden Anrainerstaaten Chinas auszuhandeln und sich – mit einem Ausbau ihrer Truppenstationierungen von Darwin in Australien bis zur US-Basis in Okinawa in Japan sowie mit regelmäßiger Schlachtschiffpräsenz – als geopolitische Ordnungsmacht im Südchinesischen Meer zu etablieren.[12]
Für die USA als Hegemonialmacht ist China zweifellos die zentrale Herausforderung. Sie ist für die USA dabei historisch ohne Parallele. Die USA haben, wie eingangs beschrieben, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Sorge vor einem Rückfall in die Wirtschaftskrise („Great Depression“) das Projekt des globalen Kapitalismus entwickelt und dieses zunächst im ‚Westen‘ umgesetzt.
Die USA befanden sich jedoch 1945 auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen und politischen Macht. Sie vereinten fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung auf sich, waren die Gläubigernation der ‚Siegermächte‘ Großbritannien und Frankreich sowie militärische Besatzungsmacht in Deutschland, Japan und dann auch (Süd-)Korea. Die Integration gerade der letzten drei, geopolitisch für sie hoch bedeutsamen Länder in die US-dominierte kapitalistische Weltordnung – mithilfe von Wirtschaftshilfen wie dem Marshall-Plan, einseitig vorteilhaften Handelsbeziehungen etc. – war nur vor diesem Hintergrund möglich.
Die Situation ist heute eine völlig andere. Während Deutschland, Japan und (Süd-)Korea verglichen mit den USA eher kleine Länder sind, handelt es sich erstens bei China um einen Staat mit etwa viermal so vielen Menschen wie in den USA. Zweitens ist China nicht militärisch besetzt, sondern im Gegensatz zur Situation der BRD, Japan oder Südkorea in den Nachkriegsjahrzehnten ein vollkommen souveränes Land. Und drittens gelang den USA die Integration damals auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen, politischen und militärischen Macht, während sie heute eigentlich nur noch im militärischen und in Teilen im finanziellen Bereich unangefochtene Weltmacht sind. Ihr Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt hat sich schon seit den 1970er Jahren auf ein Viertel des globalen Bruttoinlandsproduktes verringert und verharrt seither auf diesem Niveau.
Daher ist die zentrale Herausforderung für die USA: Sie müssen verhindern, dass der wirtschaftliche Aufstieg Chinas als Werkstätte der Welt die US-Dominanz in der Weltordnung untergräbt. Die regionalen Integrationsbemühungen Chinas im eurasischen Raum (Shanghai Organization, Asia Cooperation Dialogue, Chiang-Mai-Initiative etc.) werden von den USA deswegen mit Sorge verfolgt. Bereits dieSchon die Regierung von Obama hatte dem größten Konkurrenten darum mit einer Kontinentalblockade gedroht. Die Kombination aus Ressourcenarmut, hohen Wachstumsraten und durch Xi Jinpings Binnenmarktorientierung nur ansatzweise verringerter Exportorientierung macht Chinas Wirtschaftsmodell extrem abhängig vom Ausland und von der Seewegroute Südchinesisches Meer–Straße von Malakka–Persischer Golf, über die rund vier Fünftel des chinesischen Außenhandels abgewickelt werden. Und es ist auch diese Außenabhängigkeit, die China zu seiner geoökonomisch-imperialen Politik – Landgrabbing in Afrika, zahlreiche Handels- und Wirtschaftsabkommen mit südamerikanischen Staaten, die auf Extraktivismus setzen – zwingt. China verfügt seit diesem Jahr nun auch über eine erste Militärbasis auf dem afrikanischen Kontinent (in Dschibuti). Gleichwohl ist es bis heute einer politisch-militärischen Konfrontation mit den USA und dem ‚Westen‘, die es nur verlieren könnte, systematisch aus dem Weg gegangen ist und hat sich auf seine kluge, aber auch viele politische und soziale Verwerfungen produzierende Außenwirtschaftsdiplomatie konzentriert.
So oder so: Die chinesische Außenabhängigkeit ermöglicht es den USA indes, China mit ihrer eigenen militärischen Präsenz in Ostasien mit dem Untergang zu drohen. Die Botschaft lautet letztlich: Wir können Euer Land ökonomisch abwürgen und den ethnisch-bürgerkriegsähnlichen Zerfall eures Landes vorantreiben, wenn es dann zu Verteilungskonflikten zwischen den wirtschaftlich erheblich ungleichen Provinzen und Ethnien kommen sollte und die sozialen Bedürfnisse der mehr als 200 Millionen Wanderarbeiter*innen nicht mehr befriedigt werden können. Die Chinapolitik der USA zielt damit auf eine Einbindung Chinas durch Eindämmung ab.
Chinas 900 Milliarden Euro teure „neue Seidenstraße“ ist entsprechend wiederum auch als ein Vehikel zu verstehen, mit dem das „Reich der Mitte“ einer drohenden Kontinentalblockade über den Landweg zu entgehen versucht. Gleichwohl unterhalten die USA – von Afghanistan über Zentralasien bis zum Kaukasus und den Vorderen Orient – hier ein Netz von Militärbasen, das allerdings politisch durchaus fragil ist.
Die Herausforderung, die China für die USA darstellt, kann – neben den vorhandenen, guten Geschäftsbeziehungen von Teilen der Trump-Administration (inklusive Außenminister Rex Tillerson) zu Russland – auch als ein zentraler Grund angesehen werden, warum die USA zwar die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten sowie einige Maßnahmen gegen die “nicht-faktenbasierte“, russische Auslandspropaganda ergriffen und eben auch in Syrien symbolisch gegen Russland operiert und Stärke demonstriert haben, warum aber zugleich die aktuelle Regierung den Konflikt mit Russland vorerst nicht verschärft (siehe dazu auch Erhard Crome in dieser Online-Sonderausgabe). Denkbar ist, wie bereits angemerkt, dass nach den diversen Kriegsdesastern im Mittleren Osten in den USA unter Trump der Zustand der eigenen Staatsmachtressourcen realistischer eingeschätzt wird als zuvor und dass jenseits einer neuen Aufgaben- und Lastenverteilung im NATO-Bündnis auf eine relative Aussöhnung oder zumindest auf ein temporäres Einfrieren des Konflikts mit Russland gesetzt wird, um somit den mit China verbundenen Herausforderungen besser gerecht werden zu können. Faktisch käme ein solcher Ansatz einer Inversion der Nixon’schen Asienpolitik von 1972 gleich. Damals söhnten sich die USA mit China aus, um ihre Kräfte auf die Vernichtung der Sowjetunion zu konzentrieren, die unter US-Präsident Ronald Reagan schließlich mit dem von ihm forcierten Rüstungswettlauf totgerüstet wurden.
Seine aggressive Haltung gegenüber China jedenfalls kann Trump zweifellos gut und glaubwürdig vertreten. Dabei ist sie auch ein nützliches Herrschaftsmittel. Mit seiner antichinesischen Rhetorik vermag Trump China (und Mexiko, Deutschland und Japan) auch für die soziale und politische Krise im Inland verantwortlich machen, die ihn zusammen mit der in den USA stark ausgeprägten Anti-Freihandels und Anti-Establishment-Stimmung überhaupt erst ins Amt gebracht hat. Es steht nämlich außer Zweifel, dass Trumps gegen die Gewerkschaften und Interessen der Arbeiterklasse gerichtete prokapitalistische Wirtschaftspolitik die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, den weiteren Rückgang der Reallöhne und die nochmalige Verschärfung der sozialen Ungleichheit seit Beginn der Krise nicht eindämmen wird. Im Gegenteil: Seine Politik wird diese Krise weiter verschärfen. Entsprechend ist das erfolgreiche Ablenken von den wahren Krisenursachen, indem das Ausland – China, Mexiko oder die „bad Germans“ (Donald Trump) – zu Sündenböcken erklärt werden, auch eine Voraussetzung für die Legitimität seiner Regierung.
Mit dieser Herrschaftspolitik in posthegemonialen Zeiten steht Trump jedoch nicht allein. In umgekehrter Richtung profilieren sich auch Politiker*innen in Deutschland und Westeuropa auf Kosten von Trump und den USA und versichern sich und ihre Wähler*innen die eigene moralische Überlegenheit. Damit soll wohl darüber hinwegtäuscht werden, wie schal das Gerede von den ‚westlichen Werten‘ angesichts der sozialen Zerstörungen der Austeritätspolitik in Südeuropa, der NATO-Kriegspolitik oder der mörderischen Grenzpolitik der EU, inklusive des EU-Türkei-Deals gegen aus Syrien geflohene Menschen, geworden ist.
In der Tat scheint es eben ein gängiges Mittel der Politik geworden zu sein, mithilfe scharfer ‚populistischer‘ Kritik an anderen Staaten und ausländischen Politiker*innen die eigene Position zu stärken, während man zugleich – jenseits der eigenen Rhetorik und jenseits der Aufmerksamkeit der Journalist*innen und der in ständiger Empörung verharrenden sozialen Massenmedien – politics und das heißt vor allem business as usual betreibt. Trump, Merkel, Erdoğan, Kaczynski und die britischen Konservativen, die allesamt gegen die EU gewettert haben, sind sich hierbei ähnlicher, als sie glauben.
Ein gefährliches Vabanquespiel bleibt diese Praxis indes dennoch. Der ‚Brexit-Unfall‘ der britischen Tories zeigt, wie man sich auf diese Weise populistisch verzocken kann.[13] Und beim Brexit waren im Gegensatz zur laufenden, globalen Militarisierung nicht einmal Waffen im Spiel, die aus einem Krieg der Worte auch schnell einen Krieg der Waffen machen können.
Anmerkungen
[1] Die Vordenker dieser systematischen Entpolitisierung der (politischen) Ökonomie waren Friedrich August Hayek, James Buchanan sowie Milton Friedman. Ihre seit den 1940er Jahren entwickelten Ideen wurden in den 1970er Jahren zunehmend umgesetzt, etwa mit der Erklärung der Unabhängigkeit der Zentralbanken (von demokratischer Kontrolle).
[2] Vgl. hierzu ausführlich am Beispiel der USA: Solty, Ingar: Die USA unter Obama: Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise, Hamburg 2013, 15-71.
[3] Gemeint sind hier unter anderem der Arabische Frühling von 2011, der Israelische Frühling von 2011, der Wisconsin-Aufstand gegen die neuen republikanischen Gouverneure von der Tea-Party-Bewegung, die Occupy-Wall-Street-Bewegung und die Massenstreikbewegung im Niedriglohnsektor in den USA 2011 unter dem Label “Fight for 15 and a Union”, die Massenbewegungen der Indignados und anderer gegen die Austeritätspolitik der Troika in der EU 2011ff., der kanadische Ahornfrühling von 2012 und die chilenische Studierenden- und Demokratiebewegung von 2012/13. Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Is the Global Crisis Ending the Marriage of Capitalism and Liberal Democracy: (Il-)Legitimate Political Power and the New Global Anti-Capitalist Mass Movements in the Context of the Internationalization of the State, in: Lakitsch, Maximilian (Hg.), Political Power Reconsidered: State Power and Civic Activism between Legitimacy and Violence, Peace Report 2013, Berlin u.a. 2014, 161–204, www.academia.edu/5322626/Is_the_Global_Crisis_Ending_the_Marriage_of_Capitalism_and_Liberal_Democracy_Il-_Legitimate_Political_Power_and_the_New_Global_Anti-Capitalist_Mass_Movements_in_the_Context_of_the_Internationalization_of_the_State
[4] Für ihre zahlreichen Reden vor der Wall Street verdiente Clinton im Schnitt rund 225 000 US-Dollar, was es ihr zweifellos erschwerte, Volksnähe unter Beweis zu stellen.
[5] Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: „Donald Trump – ein amerikanischer Faschist? Legitimationskrise, Repräsentationskrise und rechter Populismus in den USA“, in: Sozialismus, 43. Jg., H.1/2016, S.2-7 (online: www.academia.edu/19949631/Donald_Trump_-_ein_amerikanischer_Faschist_Legitimationskrise_Repr%C3%A4sentationskrise_und_rechter_Populismus_in_den_USA_Donald_Trump_American_Fascist_Legitimation_Crisis_Representation_Crisis_and_Right-Wing_Populism_in_the_United_States_) sowie ders.: „Wie konnte der herrschende Block die Kontrolle verlieren? Zu den Ursachen des Triumphs von Donald Trump in der US-Präsidentschaftswahl“, in: Sozialismus, 43. Jg., H.12/2016, S.2-12, online: www.academia.edu/30151210/Wie_konnte_der_herrschende_Block_die_Kontrolle_verlieren_Zu_den_Ursachen_des_Triumphs_von_Donald_Trump_in_der_US-Pr%C3%A4sidentschaftswahl_How_Did_the_Power_Bloc_Lose_Control_On_the_Origins_of_Donald_Trumps_Triumph_in_the_2016_U.S._Presidential_Election_
[6] So war Außenminister Rex Tillerson von 2006 bis 2016 Geschäftsführer des Erdölkonzerns ExxonMobil, während auch Trumps Energieminister Rick Perry, früher Gouverneur von Texas, engste Kontakte mit der Erdöl- und Gasindustrie unterhält. Er gehört seit 2015 dem Vorstand von Energy Transfer Partners, einem der größten Kapitalanleger in den USA, an. Zu dem riesigen Netz aus Öl- und Gaspipelines, die der Konzern betreibt, gehört die Dakota Access Pipeline, deren legislative und politisch-polizeiliche Durchsetzung im Januar 2017 gegen den Widerstand von Ureinwohner*innen und Umweltschützer*innen zu den ersten Amtshandlungen von Trumps Regierung zählte. Trump verfügte zudem mit verschiedenen Exekutivanordnungen (vom 28. Februar, 28. März und 28. April 2017) die Rücknahme von Auflagen zum Schutz von sensiblen Wasserschutzzonen, die der Öl- und Gasförderung sowie der Verklappung von Energieindustrieabfällen in Flüssen und im Grundwasser im Weg stehen.
[7] www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2017_06/20170629_170629-pr2017-111-en.pdf
[8] Der Durchschnitt der aggregierten Werte aller wichtigen Umfrageinstitute zwischen 17. Juni und 16. August 2017 liegt laut RealClearPolitics bei 39 Prozent Zustimmung und 55,6 Prozent Ablehnung. Kein Präsident vor ihm hat so frühzeitig die 40-Prozent-Schallmauer nach unten durchbrochen.
[9] Nach Angaben einer Studie der Wirtschaftswissenschaftler Emmanuel Saez und Gabriel Zucman wuchs auch unter Obama konnten die obersten 0,1 Prozent – das sind 160 000 Privathaushalte mit einem Durchschnittsvermögen zwischen 20,6 und 72,8 Millionen US-Dollar – ihren Anteil am US-Gesamtvermögen während Obamas erster Amtsperiode nochmals von 19 auf 22 Prozent steigern, während der Anteil der untersten 90 Prozent der US-Bevölkerung unter Obama einen nochmaligen Rückgang des eigenen Anteils von 25 auf 23 Prozent erlebte (vgl. hierzu näher Emmanuel Saez u. Gabriel Zucman, „Wealth Inequality in the United States since 1913: Evidence from Capitalized Income Tax Data“, National Bureau of Economic Research Working Paper No. 20625 (October 2014), online: gabriel-zucman.eu/files/SaezZucman2016QJE.pdf).
[10] Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Exportweltmeister in Fluchtursachen: Die neue deutsche Außenpolitik, die Krise und linke Alternativen, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe Studien, Berlin 2016, www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studie_05-2016_Exportweltmeister.pdf
[11] So sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Mai 2017 in ihrer Bierzeltrede, dass „wir Europäer (…) unser eigenes Schicksal in die Hand nehmen“ müssten und fand schnell ein Echo. Bundesaußenminister und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel betonte, dass mit Trump „[d]er Westen gerade etwas kleiner“ geworden sei, weil, wie SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ihm beipflichtete, die USA unter Trump für „Isolationismus staat internationale Kooperation“ stünden. Und daraus, so die neoliberal-imperialen Kräfte weiter, leite sich eben die „neue Verantwortung“ in der Welt ab. „Wenn Amerika wackelt“, so der Bündnis 90/Die Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir, „müssen wir stehen.“
[12] Vgl. hierzu näher Solty, Ingar: Die China-Politik der USA zwischen Einbindung und Eindämmung, in: Das Argument 1-2/2012, 69–81, www.academia.edu/2532270/Die_China-Politik_der_USA_zwischen_Einbindung_und_Eind%C3%A4mmung_U.S._Foreign_Policy_Towards_China_Between_Integration_and_Containment_
[13] Zum Begriff und zur Kritik des Populismus der neoliberalen ‚Mitte‘ vgl. Solty, Ingar/Werner, Alban: Der indiskrete Charme des Linkspopulismus, in: Das Argument 2/2016, 273–285, www.academia.edu/25603685/Ingar_Solty_and_Alban_Werner_Der_indiskrete_Charme_des_Linkspopulismus_The_Indiscreet_Charme_of_Left-Wing_Populism_