Der Libyenkrieg - ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Dokumente der Verrohung: Gaddafis Tod und die Reaktionen in Deutschland

Nachdem der islamistische (unbewaffnete) Terrorist Osama Bin Laden und einige seiner Angehörigen und UnterstützerInnen am 2. Mai 2011 von einem US-amerikanischen Spezialkommando in Pakistan ermordet worden waren, habe ich abends mit meinem Jüngsten die „Logo"-Kindernachrichten (Kika/Kinderkanal) geguckt, wo die Tötung dieses „bösen Menschen" (Logo) gut geheißen wurde.

Der Jubel über diese Hinrichtungen (ohne Prozess) wird sogar schon den Kleinsten medial eingetrichtert. Es ist unglaublich! Das Menschenrecht auf Leben gilt für Terroristen und ihre Angehörigen offenbar nicht mehr. Und Kanzlerin Merkel outete sich am Tag dieser Hinrichtung als Fan der Todesstrafe: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten". (1)  

Ein kritisch-humanistischer tagesthemen-Kommentar war an diesem Tag die große Ausnahme in der deutschen Medienlandschaft.

Die Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf die Ermordung des libyschen Exdiktators am 20. Oktober 2011 sind ähnlich.

In einem auf youtube dokumentierten Video (2) kann man sehen, wie der schwer verletzte, hilflos und benommen wirkende Gaddafi kurz vor seinem gewaltsam herbeigeführten Tod von einem johlenden Mob bewaffneter Männer durch die Straßen von Syrte gezerrt und misshandelt wurde. Dieser Mensch wurde bestialisch ermordet.

Wer da kein Mitleid empfindet, dem haben 10 Jahre „Krieg gegen den Terror" und die mediale Kriegspropaganda offenbar den Verstand und das Gefühl für menschliche Würde geraubt.

Ich verabscheue alle Despoten, aber das Recht auf Würde, das Recht auf Leben und eine menschenwürdige Behandlung haben alle Menschen, auch die, die sich, wie Gaddafi und Bin Laden, schwerster Verbrechen schuldig gemacht haben. Das Recht auf Menschenwürde ist universell.

Wenn ich nun PolitikerInnen wie Merkel, Sarkozy, Berlusconi und Co. von einem großen Tag für Libyen reden höre, wird mir übel. Ausgerechnet diejenigen, die bis vor einigen Monaten den libyschen Despoten noch hofiert haben, die ihm Waffen (u.a. von Heckler & Koch) geliefert und seine Arbeit als de facto Anti-Flüchtlingskom­missar der EU geschätzt haben, reißen jetzt den Mund auf.

Die Geheimdienste der USA und Großbritanniens haben jahrelang mit dem Gaddafi-Geheimdienst kooperiert und Gefangene zum Folterverhör an die libyschen Kollegen übergeben.

Und Cameron, Sarkozy und Obama lassen sich jetzt in Libyen feiern. Dabei ist es gar nicht lange her, da hat Sarkozy den Diktator noch mit allen militärischen Ehren empfangen, um Waffen- und Atomgeschäfte zu machen. Im Herbst 2010 einigten sich beide auf eine strategische Partnerschaft zum Bau eines AKWs und der Lieferung von Kampfflugzeugen an Libyen.

„Solange mit der Akzeptanz eines Systems wirtschaftliche oder strategische Vorteile verbunden sind und solange wir unsere Waffen verkaufen und unsere Gier nach Rohstoffen befriedigen können, solange sehen wir großzügig über Men­schenrechtsverletzungen, über diktatorische Un­rechtsregimes und über Mord, Folter und Verfolgung hinweg. So haben wir Gaddafi über Jahre und Jahrzehnte mit Waffen beliefert, weil er uns im Gegenzug mit Öl versorgt und uns die Flüchtlingsströme aus Afrika vom Hals gehalten hat", so Jacob Jung am 20.11.2011 auf freitag.de.3

Der von Frankreich, Großbritannien und den USA angeführte NATO-Krieg gegen Gaddafis Truppen hatte keine „humanitären Gründe".

Die NATO-Bomben haben ganze Städte in Libyen zerstört. Nach unterschiedlichen Schätzungen sind bisher 30.000 bis 60.000 Menschen diesem „humanitären Einsatz" zum Opfer gefallen, unzählige wurden traumatisiert.

Die Gründe, warum die NATO eine Bürgerkriegspartei in Libyen massiv unterstützt hat, sind offensichtlich. Es geht nicht um die Unterstützung der arabischen Demokratiebewegungen.

Die Gründe für das Engagement sind das große Geschäft, das beim Wiederaufbau des zerstörten Landes lockt und der direkte Zugriff auf die enormen Ressourcen Libyens.

Nach Angaben französischer Medien wurden Sarkozy in Geheimverhandlungen mit dem libyschen Übergangsrat 35% der zukünftigen Geschäftsabschlüsse zugesagt.

Vor dem Krieg war Deutschland nach Italien Gad­dafis wichtigster Handelspartner. Deutsche Politi­kerInnen befürchten nun, dass sie nach der Nichtbeteiligung am Krieg, keinen angemessenen Anteil bei der Aufteilung der Kriegsbeute bekommen. Und auszubeuten gibt es in Libyen genug: Erdöl, Erdgas, Süßwasser, Uran, ...

Was können GraswurzelrevolutionärInnen tun?

Unser Ziel sollte es sein, Menschen zu unterstützen, die eine menschengerechte Welt wollen, die mit gewaltfreien Mitteln eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft anstreben. Unsere Solidarität gilt den Flüchtlingen, Deserteuren, Kriegs­dienstverweigerern und Verweigerinnen aller Seiten.

Wir wollen Sand sein im Getriebe der Macht. Und wir wollen eine Gegenöffentlichkeit schaffen, aufklären über Macht- und Herrschaftsverhält­nisse.

Im Libyenkrieg wurden sowohl von Gaddafis Schergen als auch von den Rebellen zahlreiche Menschen vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Wie jeder Krieg war auch der nun (hoffentlich) beendete ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Bernd Drücke, 23.10.2011

Anmerkungen:

1 Siehe: REGIERUNGonline - Pressestatement von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Tötung von Osama bin Laden: www.bundesregierung.de

2  Nachtrag: Auf youtube ist das Video mittlerweile gesperrt. Zu sehen ist es aber nach wie vor auf dem Blog von Jacob Jung: http://jacobjung.wordpress.com/2011/10/20/zum-tod-von-muammar-al-gaddafi-die-totungskultur-des-westens/

3 http://www.freitag.de/community/blogs/aredlin/zum-tod-von-muammar-al-gaddafi-die-toetungskultur-des-westens

Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 363, 40. Jahrgang, November 2011, www.graswurzel.net