Die Tea-Party-Quittung

Das Scheitern des Obama-Projekts und die US-Zwischenwahlen 2010

in (01.12.2010)

Die US-Zwischenwahlen zeigten, wie liberal-demokratische Wahlen in Hegemoniekrisen funktionieren. Sie offenbaren eine tiefe Repräsentationskrise in einem Land, das mit einem Anstieg und einer Konsolidierung der Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau zu kämpfen hat. Dabei waren diese Wahlen im Kapitalismus aufgrund einer wegweisenden Entscheidung des relativ konservativ ausgerichteten Obersten Gerichtshofes auch kapitalistische Wahlen. Mit 4 Mrd. US-Dollar insgesamt und 400 Mio. US-Dollar undeklarierter Spenden war dies der teuerste Wahlkampf aller Zeiten. Die massive Mobilisierung großkapitalistischer Verbände wie der US-Handelskammer gegen Obama deuten daraufhin, dass die Option eines durch einen grünen New Deal initiierten Grünen Kapitalismus auf der Grundlage eines Bündnisses aus alten Fossil- und neuen, basisinnovativen grünen Industrien vorerst gescheitert ist. Nachdem die Obama-Regierung mit den Banken auch das Finanzsystem gerettet hat, sieht es so aus, als ob sie aus der Sicht des Kapitals ihre Schuldigkeit getan hat. Die Sicherung der kurzfristigen Interessen an massiven Steuersenkungen für die Vermögenden, weiteren Deregulierungen (oder verhinderten Re-Regulierungen) und Privatisierungen (insbesondere der Rentenversicherung) scheint zunächst über die langfristigen Interesse an einem stabileren Kapitalismus mit einem geschrumpften Finanzsektor gesiegt zu haben. Dabei war die von Einzelkapitalisten massiv geförderte rechtspopulistisch bis protofaschistische Tea-Party-Bewegung ein wichtiger Hebel zugunsten dieser Politik.

Die Zwischenwahlen gelten als Vorgeschmack auf die Präsidentschaftswahl 2012 und in dieser Hinsicht waren sie für die Demokraten ein mittleres Desaster, denn mit wenigen Ausnahmen verloren sie Senatoren und Gouverneursposten in allen Bundesstaaten, ausgenommen die weiterhin einigermaßen soliden demokratischen Küstenstaaten.

 

Wahlerzählungen: Rechte Mythen und Wirklichkeit

Die weitere politische Entwicklung in den USA wird nicht nur von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament abhängen, sondern auch davon, welche Wahlerzählung sich letztlich als die hegemoniale durchsetzt. Ruy Teixeira, einer der einflussreichsten demokratischen Strategen, hat die verschiedenen Deutungsmuster zusammengefasst: »Die Konservativen sagen, dass konservativ- und unabhängig-orientierte Wähler Obamas Gesundheitspolitik und das Konjunkturprogramm aus Angst vor zu viel Staat und exzessiver Ausgabenpolitik ablehnten. Die extremistischeren Elemente innerhalb der konservativen Bewegung sagen, dass Präsident Obama selbst dem durchschnittlichen Amerika fremd ist und das Land in Richtung eines ›europäischen‹ Sozialismus führt. Zentristische Kräfte, v.a. innerhalb der Demokratischen Partei, sagen, dass Präsident Obama und die Demokraten zu ›links‹ seien und es versäumt haben, mit den Republikanern effektive Kompromisse in der Wirtschaftspolitik auszuhandeln, und für die grundsätzlich moderate und mitte-rechts-orientierte Bevölkerung zu weit gegangen sind. Viele demokratische Linke sagen, dass Präsident Obama und die Demokraten in der Durchsetzung ihrer Pläne zu zögerlich vorgegangen sind, insbesondere im Hinblick auf die Krisenpolitik, die Gesundheitsreform und die Finanzmarktregulierung, und dass sie nicht in der Lage waren, die Opposition für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich zu machen. Dadurch blieb die Wirtschaftslage schlecht, genoss die konservative Rechte und die Tea Party allen Enthusiasmus und war die linke Basis demoralisiert.«1

Für die Tatsache, dass die Wahlen keine Wahl gegen die Gesundheitsreform und insbesondere keine für mehr Markt und weniger Staat waren, sprechen viele Gründe. Entschieden wurden die Wahlen insbesondere durch drei Faktoren: (1.) die wirtschaftliche Krise, (2.) die Wahlbeteiligung und (3.) die Tea-Party-Mobilisierung.

Die Tiefe der hegemonialen Krise zeigt sich anhand der Wahlumfragen. Das Wall Street Journal (1.11.2010) veröffentlichte kurz vor den Wahlen eine Statistik, aus der hervorging, dass nur eine Minderheit der selbsterklärten republikanischen Wähler ihre Stimme für die Republikaner und nicht aus Protest gegen Obama oder anderen Gründen abgeben werde. So zeigen die »Exit Polls«, dass keine der beiden Parteien über ein positives Image in der Wahlbevölkerung verfügt. Tatsächlich waren die Republikaner als Partei insgesamt sogar noch unbeliebter als die Demokraten. Vor dem Hintergrund einer solch tiefen Hegemonie- und Repräsentationskrise ging die Wahlbeteiligung dramatisch zurück. Die Republikaner entschieden die Wahl mit 17% aller Wahlberechtigtenstimmen (37 von 218 Mio.) für sich. Dabei war für den Wahlsieg insbesondere die Mobilisierung der Tea Party entscheidend. Disproportional zur Allgemeinbevölkerung bezeichneten sich 40% aller Wähler als ihre Sympathisanten. Gleichzeitig blieb die demokratische Klientel zuhause. So sank bspw. der Anteil der Jungwähler, der für Obamas Wahlsieg 2008 mitentscheidend gewesen war, und die auch 2010 wieder mehrheitlich für Obama stimmten, von 18 auf 11%. Und während Obama bei den unteren Einkommensschichten noch Mehrheiten organisieren konnte, verlor er bei der weißen Arbeiterklasse an Boden. Hier hatten die Republikaner 2006 und 2008 10% Vorsprung vor den Demokraten, 2010 wuchs dieser auf 22%. Besonders stark verschoben sich die Stimmen allerdings in den mittleren und obersten Einkommensschichten zugunsten der Republikaner.

Politisch gesehen war aber nicht einmal unter der mobilisierten, überdurchschnittlich rechten Wählerklientel ein Mandat für »weniger Staat« erkennbar, wie dies von den Republikanern und insbesondere den Tea-Party-Führern behauptet wurde. Insbesondere für die Behauptung, der Wählerauftrag sei die Rücknahme der Gesundheitsreform, findet sich in den Wahlumfragen keine Basis. Nur 18% der Wähler nannte die Gesundheit als das wahlentscheidende Thema. Dabei wollten 48% der Wähler die Reform abschaffen, während 47% sie beibehalten oder ausgeweitet sehen wollten. Auch im allgemeinen Sinn war die Wahl nicht unbedingt eine für mehr Neoliberalismus. Während die allgemeine Wirtschaftslage das absolut dominierende Wahlthema war, ergaben die Umfragen, dass nur 23% der Wähler Obama die Schuld an der Wirtschaftskrise gaben, dafür aber 29% George W. Bush und 35% den Finanzmärkten (»Wall Street«). Dabei kann nur als Farce bezeichnet werden, dass eine 56 zu 42%ige Mehrheit derer, die das (Finanz-) Kapital für die Krise verantwortlich macht, republikanisch wählte. Darin kommt allerdings auch zum Ausdruck, dass Obama vor dem Hintergrund seiner Nähe zur Wall Street die gemeinsam mit Bush verabschiedete, äußerst unpopuläre Rettung der Banken politisch geerbt hat.

Auch in konkreten wirtschaftspolitischen Fragen zeigten die »Exit Polls« ein gemischtes Ergebnis. Eine der entscheidenden politischen Fragen ist der Umgang mit den Ende des Jahres auslaufenden massiven Steuersenkungen der Bush-Regierung, die vor allem die Reichen begünstigen und mit dazu beigetragen haben, dass die Vermögen in den USA so ungleich verteilt sind wie zuletzt in den 1920er Jahren. Diesbezüglich will eine Mehrheit von 52% unter den überdurchschnittlich konservativen Wählern von 2010 die Steuersenkung entweder auslaufen lassen oder nur für die Bevölkerung mit einem Einkommen unter 250.000 US-Dollar im Jahr fortgeschrieben sehen. Für eine Fortsetzung der Steuersenkungen für alle sprachen sich lediglich 39% aus. Schließlich ist unter der überdurchschnittlich konservativen Wählerschaft auch das Urteil über den neuen Staatsinterventionismus und die Konjunkturpolitik alles andere als eindeutig. Während 39% sich für den Haushaltsausgleich als Priorität aussprachen, stimmten 37% der Aussage zu, »der Staat müsse mehr Geld ausgeben, um Arbeitsplätze zu schaffen.« Dabei vertrat auch ein ganzes Drittel der republikanischen Wähler diese Position.

Kurzum, für Obama bestand also eigentlich kein Grund, vor der Rechten zu Kreuze zu kriechen. Er hätte nicht mehr zugestehen müssen, als dass es ihm bislang nicht gelungen sei, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die Welle der Zwangsversteigerungen zu verhindern und somit das grassierende soziale Elend abzumildern.

 

 

Die wirtschaftlichen Ursachen der demokratischen Wahlniederlage

Die Wahlen waren damit Ausdruck der Wut über die allgemeine wirtschaftliche Lage in den USA. Dabei hatten die Demokraten einen schweren Stand angesichts der Tatsache, dass sich in der Lebenswelt der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner in den letzten zwei Jahren wenig verändert hat. Denn die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor enorm hoch. Offiziell sind knapp 10% aller US-Amerikaner arbeitslos. Die Dunkelziffer liegt aber weit höher, da die Statistik äußerst geschönt ist. 

Daran lässt sich auch die Schwäche der (Anti-)Krisenpolitik Obamas ablesen. Sein Konjunkturprogramm fällt nicht nur von seinem Volumen, sondern auch im Hinblick auf sein Verhältnis von neoliberalen Steuersenkungen zu postneoliberalen öffentlichen Beschäftigungsmaßnahmen zur Lösung der dramatischen Arbeitsmarktlage weit hinter die Maßnahmen zurück, die Roosevelt im Rahmen der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre voranbrachte. Kurz vor dem G8-Gipfel hatte die US-Regierung mit der Unterstützung der New York Times und der französischen Wirtschaftsministerin Christine Lagarde im Kontext der Griechenlandkrise mit gutem Grund das verheerende Festhalten Deutschlands an der exportorientierten Wachstumsstrategie und das zu geringe deutsche Konjunkturprogramm kritisiert. Bei aller Berechtigung dieser Kritik gehört aber mit ins Bild, dass selbst noch das kleine Konjunkturprogramm der Bundesregierung gemessen am Wirtschaftsvolumen das der USA überstieg. Dies bedeutet, dass trotz der Ausgaben für Bankenrettungen, Steuersenkungen, Teilverstaatlichung der Automobilindustrie und Abwrackprämie sich am Elend großer Teile der Bevölkerung nichts geändert hat. Im Gegenteil: Die Armut ist rasant angestiegen.

Der Obama-Regierung blieb dementsprechend wenig übrig, als darauf zu beharren, dass man eine Krise geerbt habe, dass diese ohne das Konjunkturprogramm noch tiefer gewesen wäre, und dass es politischer Geduld bedürfe. Diese »Kommunikationsschwierigkeiten« hallten im Wahlaufruf der Times wieder: »Die Demokraten haben viel zu zögerlich darauf hingewiesen, dass sie viele wichtige Dinge in den letzten zwei Jahren getan haben. Vor allem das Konjunkturprogramm, das die Republikaner natürlich kleiner gemacht haben als es hätte sein sollen, hat das Land vor einer tieferen und noch verheerenderen Krise bewahrt (…). Die Republikaner betreiben Geschichtsklitterung. Sie behaupten, Obamas wirtschaftliche Maßnahmen seien gescheitert und hoffen, dass die Amerikaner vergessen werden, dass es Präsident George W. Bush war, der große Haushaltsüberschüsse in riesige Defizite verwandelte und dessen Regulierungsverachtung uns an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs gebracht hat.« (NYT, 1.11.2010)

 

 

Das Tea-Party-Wahlergebnis und die Republikaner

Die Kongresswahl 2010 war insgesamt ein Lackmustest für die Stärke der Tea-Party-Bewegung. Wie sehr verpflichtet die Republikaner der Tea Party sind, zeigte schon die obengenannte Wähleraufteilung. Das Abschneiden ihrer Kandidaten auf der republikanischen Plattform dürfte dabei das entscheidende Kriterium für die zukünftige Entwicklung der Republikaner und das innere Verhältnis von Tea-Party- und etablierten Kandidaten sein.

Dabei war das Wahlergebnis für die Tea Party ambivalenter als es der 40%ige Sympathisantenanteil unter den Wählern oder Rand Pauls Siegesrede, in der er von einer »Tea-Party-Sturmwelle« sprach, suggeriert. Von den insgesamt rund 500 Wahlkämpfen gab es nach Zählungen von Associated Press und New York Times 70 bzw. 138, in denen Kandidaten von der Tea Party unterstützt wurden bzw. sich zur Tea Party zählten. So gewannen ungefähr die Hälfte der Tea-Party-Kandidaten ihre Senatoren- und Gouverneursrennen in Staaten wie z.B. Indiana, Kentucky, Florida und New Hampshire, und verloren sie in Staaten wie Delaware und Nevada.

Dennoch wäre der Wahlsieg der Republikaner wohl noch höher ausgefallen, wenn die Von-Unten-Rebellion innerhalb der Republikanischen Partei nicht aussichtsreiche altgediente Republikaner durch nicht-mehrheitsfähige Kandidaten der radikalisierten Entsolidarisierungs- und Mittelschichtsbewegung ersetzt hätte. Kurzum, aus der Sicht der Tea Party sind die Aussichten auf die nächsten zwei Jahre gemischt.

Dennoch muss sich die Tea Party wenige Sorgen um eine etwaige »rechtspopulistische« Entzauberung im Parlamentsbetrieb oder innere Auseinandersetzungen zwischen protofaschistischen und republikanisch-konventionellen Elementen machen. Anders als die FDP in Deutschland muss sie sich dem unauflösbaren Widerspruch zwischen Steuersenkungs- und fiskalkonservativer Ideologie oder der Unpopularität der konkreten marktradikalen Forderungen nicht stellen, solange sie nicht an der Regierung beteiligt ist, sondern kann das politische Klima weiter durch rechtspopulistische Ressentiments vergiften. Zwar sind die Republikaner, insofern sie das Repräsentantenhaus kontrollieren und von diesem die Gesetzesinitativen ausgehen, die vom Senat ebenfalls mehrheitlich verabschiedet werden müssen und vom Präsidenten mit einem Veto belegt werden können, nun mitverantwortlich für die Verabschiedung des Staatshaushalts im kommenden Jahr. Im Rahmen der zu erwartenden republikanischen Blockadepolitik, was nichts Anderes bedeutet als fortgesetzte Krise und fruchtbarer Boden für rechtspopulistische Bewegungen, kann sich die Tea Party als dauerunzufriedene Rechtsaußenopposition gerieren, die den Austeritätsdiskurs antreibt. Dies muss sie auch, denn »mit der beflügelnden und argwöhnisch den politischen Prozess beobachtenden Bewegung im Rücken werden die neuen Parlamentarier sich sehr davor hüten, den Eindruck zu erwecken, sie seien vom Kongressestablishment kooptiert, selbst wenn dieses von ihrer eigenen Partei geführt wird.« (NYT, 4.11.2010) Dabei kann es durchaus sein, dass Kämpfe zwischen den übriggebliebenen, moderaten Republikanereliten, die der Tea Party den ausgebliebenen Sieg im Senat anlasten, stattfinden werden. Diese helfen aber letztlich nur, die Blockadepolitik zu verhärten und die Tea Party noch unkorrumpierbarer erscheinen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Schwierigkeiten, denen sich Associated Press und NYT ausgesetzt sahen, die Kandidaten der Tea Party zu zählen, darauf hindeuten, dass die Grenzen innerhalb der Republikaner fließend sind. So kommentiert Dan Amira vom New-York-Magazine (15.10.2010): »Die Tea-Partyer zu zählen, die nun Mandatsträger geworden sind, ist kein angemessener Maßstab [für den Einfluss der Tea Party im Kongress]. Faktisch muss man sich jeden Repräsentantenhausabgeordneten und Senatoren dem Tea-Party-Spektrum nahestehend vorstellen (…). Fast jeder Republikaner und sogar einige Demokraten werden die Tea Party zu unterschiedlichen Graden verkörpern. Dies gilt vor allem für diejenigen Republikaner, deren Renominierung 2012 alles andere als klar ist. In dieser Hinsicht geht der Einfluss der Tea Party im Kongress weit über die Anzahl der Tea-Party-Kandidaten (…) hinaus.«

Schließlich kann auch die Ambivalenz des Ergebnisses nicht als Entwarnung gesehen werden. Zum einen handelt es sich bei den Wahlverlierern um ihre unwählbarsten Kandidaten (z.B. Christine O’Donnell und Ken Buck). Zum anderen legten die Wahlen auch für die Tea-Party-Königin Sarah Palin, die ihre eigene Präsidentschaftskandidatur nun nicht mehr ausschließt, eine gute Grundlage. Denn viele der neugewählten Amtsträger sind ihr nun verpflichtet. Nichtsdestotrotz trägt sie den Makel, mit ihrer Unterstützung von gescheiterten Tea-Party-Kandidaten die Kontrolle des Senats durch die Republikaner verhindert zu haben.

 

Die Tea Party in der Republikanischen Partei

Fest steht, dass die Tea Party die Republikaner nach rechts verschoben hat. Der ehemalige stellvertretende Chef-Redakteur Werner A. Perger wies in der ZEIT (1.11.2010) darauf hin, dass »dieser Wahlherbst in den USA aus Sicht der rechten Strategen nicht nur dem Befreiungskampf der ›wahren Amerikaner‹ gegen den Fremdling Obama, sondern mindestens so sehr der Säuberung der Republikanischen Partei von Verrätern und Weicheiern (diente).« Diesbezüglich ließ sich die Macht der Tea Party bereits anhand der Tatsache ablesen, dass sich führende Politiker aus dem bis dahin demoralisierten Republikaner-Establishment den ideologischen Maßgaben der Tea Party anpassten (abzulesen z.B. am marktradikalen Republikaner-Wahlprogramm »Pledge to America«) und nicht wenige dabei die populären Verschwörungstheorien der autoritären Tea-Party-Basis übernahmen.2 Tatsächlich ist es immer weniger ersichtlich, wer hier eigentlich wen führt, die Republikaner die Tea Party oder die Tea Party die Republikaner. 

Die Schwierigkeit der republikanischen Eliten scheint darin zu bestehen, sich die autoritäre Bewegung als Jungbrunnen dienstbar zu machen und diese gleichzeitig unter Kontrolle zu halten. Der republikanische Stratege Ross Douthat brachte dies in brutaler Offenheit auf den Punkt: »Die Parteiführung wird durch die Aktivisten, denen sie ihre Macht verdankt, eingeengt sein (…). In den Vorwahlen 2012 wird es wahrscheinlich eine noch stärkere Tea-Party-Rebellion gegen etablierte Republikaner geben. Dennoch glaube ich, dass das Schicksal von Sharron Angle und Christine O’Donnell (…) und Ken Buck und Joe Miller die Chancen einer reinen Tea-Party-Kandidatin wie Sarah Palin, Jim DeMint ... ganz sinken lässt, die republikanischen Präsidentschaftsvorwahlen für sich zu entscheiden (…).« (NYT, 3.11.2010)

 

Aussicht auf Clinton II? – Wie weiter mit Obama?

Das entscheidende Ergebnis der Wahlen von 2010 scheint zu sein, dass – wie ein amerikanisches Sprichwort lautet – die kapitalistische Klasse die Hand des Staates, nach der sie im Rahmen der Finanzkrise rief, nun beißt. In der New York Times (2.11.2010) wies Timothy Egan zu Recht auf das Paradox hin, »wie Obama den Kapitalismus rettete und die Zwischenwahlen verlor«: »Denn egal, was man jetzt von Präsident Obama halten mag: Faktisch hat er den Kapitalismus gerettet. Dafür hat er einen schrecklichen politischen Preis gezahlt (…). Die Tatsache, dass der Präsident sich darum kümmerte, die strukturellen Fehler eines zerbrochenen freiwirtschaftlichen Systems auszuputzen, anstatt sich um Dinge zu kümmern, die der Wähler versteht, erklärt, warum die Partei am Dienstag so viel abbekommen hat. Obama landete auf der falschen Seite verängstigter Wähler in einem Jahrzehnt verringerten Wohlstands (…). Milliarden an Profiten, ein Aufblühen der Börse, ein stabiles Bankensystem – aber keine Arbeitsplätze.« Die Frage ist, welche Handlungsoptionen Obama nach diesem Debakel und dem verspielten Vertrauensvorschuss noch bleiben und welche Schlussfolgerungen er aus der Wahlniederlage zieht. Dabei wird die Botschaft der Rechten, Obama müsse sich jetzt der Austeritätspolitik zuwenden, von zahlreichen Zentristen aus der eigenen Partei verstärkt. Die Wahrscheinlichkeit ist dementsprechend hoch, dass Obama wie seinerzeit Bill Clinton nach der vergleichbar dramatischen Zwischenwahlniederlage 19943 von der Rechten vor sich hergetrieben und bei Übernahme der neoliberalen Sprache des Gegners Einschnitte in den Sozialstaat vornehmen wird. So argumentiert z.B. der scheidende demokratische Senator Evan Bayh aus Indiana. Es ist das Verdienst des Linkskeynesianers Paul Krugman, einem der wenigen öffentlichkeitswirksamen, gemäßigten Linken, die sich offen gegen Obama gestellt haben, in seiner Wahlanalyse auf die Widersprüchlichkeit solcher Argumentationen hingewiesen zu haben: »Die Demokraten, erklärte Evan Bayh kürzlich (…) in der Times, ›haben sich übernommen, indem sie sich in einer schweren Rezession auf die Gesundheitspolitik anstatt auf die Arbeitsplatzschaffung konzentrierten.‹ (…) Diese ganze Konzentration auf das ›Konzentrieren‹ ist m.E. ein Ausdruck intellektueller Feigheit – eine Möglichkeit, Obamas bisherige Politik zu kritisieren, ohne dabei zu sagen, was man selber anders gemacht hätte. Denn sagen diese Leute etwa, dass Obama (…) ein größeres Konjunkturprogramm hätte auflegen sollen? Sagen sie, dass er gegenüber den Banken einen härteren Kurs hätte fahren sollen? (…) Obamas Problem war nicht mangelnde Konzentration, sondern mangelnder Mut...« (NYT, 4.11.2010)

Obama hat selbst schon angedeutet, dass er den Weg des Kompromisses ungeachtet der republikanischen Feindseligkeit weitergehen will. Als Politikfelder hierfür nannte er bereits kurz vor den Wahlen eine Einwanderungsreform, den Haushaltsausgleich und eine Bildungsreform. Mit vehementen Einwanderungs-, Sozialstaats- und öffentlichen Bildungsgegnern unter den Republikanern, feindseligen republikanischen Parteiführern wie dem designierten Mehrheitssprecher im Repräsentantenhaus, John A. Boehner, und dem Minderheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, sowie der autoritär-rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung außerhalb des Parlaments kann dies nur ein Kamikazekommando mit verheerenden Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere die Arbeitslosen, Unterbeschäftigten und Staatsbediensteten sein – selbst wenn Obamas Wiederwahl wie seinerzeit Clintons durch die Blockadepolitik der Republikaner und einen etwaigen Rechtsaußenkandidaten der Republikaner gesichert werden könnte. Vor diesem Hintergrund dürfte der gemäßigt-linke, ehemalige Arbeitsminister unter Clinton, Robert Reich, mit seinen Befürchtungen Recht behalten: »Clinton musste seine Führungsstärke aufgeben. Er reagierte nach der Schlappe nur noch auf das, was ihm seine Meinungsforscher sagten. Ich finde, es wäre eine Schande, wenn Obama einen ähnlichen Weg einschlagen würde. Aber seine Berater könnten meinen, dass das die einzige Möglichkeit ist, ihm die Wiederwahl zu sichern.« (Spiegel Online, 2.11.2010) Dabei spekulieren die neoliberalen »Reformer« gerade auf eine solche Konstellation, wenn z.B. der republikanische Stratege Douthat vorrechnet, welche großen neoliberalen Reformen die Folge von Konstellationen geteilter politischer Macht waren: »Meine Vorstellung von der Führung, die wir jetzt brauchen (…), impliziert harte Entscheidungen hinsichtlich sozialer Transferleistungen, eine konstruktive Erneuerung der Steuergesetzgebung und eine erfolgreiche Reform der Obama-Gesundheitsreform (…). Theoretisch kann man sich so etwas gut im Rahmen geteilter oder schnell-wechselnder Machtverhältnisse vorstellen. Faktisch haben sich alle historischen Vorbilder jener großen Reformen, die ich gerne hätte (die Reagansche Steuerreform, die Haushaltskompromisse der Clinton und Bush-Sr.-Präsidentschaft, die Reform der Arbeitslosenversicherung […]) unter solchen geteilten Machtverhältnissen vollzogen (…). Die Frage ist, ob das politische Klima schlicht zu polarisiert und die Parteien ideologisch zu gespalten sind, als dass noch einmal so etwas wie die Steuerreform von 1986 oder der Sozialhilfekompromiss von 1996 (…) dabei herausspringen kann.« (NYT, 3.11.2010) Paul Krugman scheint zu hoffen, dass es Obama auch unter den erschwerten Bedingungen eines rechtsverschobenen Parlaments noch gelingen könnte, eine linkskeynesianische Agenda voranzutreiben ( NYT, 4.11.2010). Dieser Hoffnung widersprechen aber mehrere Tatsachen, nämlich dass

-   Obamas gemäßigt-altneoliberales Kabinett für ein solches Kunststück kaum gerüstet ist und dass zudem zentrale potenzielle Akteure einer solchen Politik, wie die ehemalige Vorsitzende des Council of Economic Advisors, Christina Rohmer, nicht mehr an Bord der Regierung sind;

-   die Tea Party mit ihrer Austeritätspolitik und dem Entsolidarisierungsdiskurs weitgehend den politischen Diskurs bestimmt;

-   die Handlungsspielräume durch die neuen Parlamentsmehrheiten stark eingeschränkt sind;

-   der Vertrauensvorschuss für eine transformative Präsidentschaft, die stets am Anfang einsetzt, verspielt worden ist;

-   Obama von Anfang an wenig von einem »ideologischen« Präsidenten an sich hatte, sondern ein »elite product of America’s elite schools« ist;4

-   es ökonomisch fragwürdig ist, ob z.B. ein Moratorium für Zwangsversteigerungen für die Regierung eine praktische Lösung sein kann, da dies eine Anpassung des Immobilienmarktes und einen drohenden Staatsbankrott zur Folge hätte. Denn der Staat ist darauf angewiesen, dass die verstaatlichten Hypotheken-Derivate (»toxic assets«) wieder im Wert steigen, um ein solches Szenario zu verhindern.

Der alles entscheidende Faktor ist jedoch, dass es trotz einiger hoffnungsvoller Ansätze wie der gewerkschaftlichen Großdemonstration »One Nation Working Together« vom 2. Oktober 2010 einen Mangel an starken sozialen Bewegungen gibt, ohne die eine von Kapitalinteressen dominierte Demokratische Partei nicht gezwungen werden kann, die von Krugman erhoffte Politik voranzutreiben – selbst wenn diese am Ende lediglich dazu führen würde, im Interesse der Aufrechterhaltung der US-Hegemonie einen Grünen New Deal durchzusetzen. Stattdessen zeichnet sich ab, dass entgegen der vom Obama-Berater Emmanuel Rahm vorgegebenen Parole, »niemals eine ernste Krise ungenutzt zu lassen«, genau dies – und zwar mit desaströsen Folgen für die mögliche politische Rehabilitierung des Staates als Alternative zur Marktanarchie und als umkämpftem Terrain einer solidarischen Ökonomie – eingetreten ist. Fast sinnbildlich ist die Tatsache, dass Rahm sich mittlerweile ebenfalls von der Obama-Regierung zurückgezogen hat.

 

Obama und die Linke

Während Obama und sein Regierungssprecher Robert Gibbs die »undankbare« (gemäßigte) US-Linke beschimpften, hat die­se den Fehler gemacht, sich nicht in einer kritisch-distanzierten Haltung zum Präsidenten zu stellen und weitergehende Forderungen an diesen zu richten. Stattdessen hat sie einen nicht-verteidigbaren Präsidenten gegen die Angriffe von rechts verteidigt. Die wenigsten Linken haben sich so wortgewaltig wie Krugman gegen Obamas Politik gestellt und gleichzeitig die Gefahr, die durch die Tea-Party-Bewegung droht, erkannt. In der Regel verhielt man sich so wie die insbesondere in der jungen Generation einflussreichen, linken Kabarettisten Jon Stewart und Stephen Colbert. Diese riefen in der Woche vor den Wahlen zu Mobilisierungsdemonstrationen auf, die sich weitestgehend als Obama-Demonstrationen entpuppten und damit gegenüber der hegemonialen Erosion des Neoliberalismus keine Rechenschaft ablegten. So stand die Großkundgebung des sich selbst als Sozialisten bezeichnenden Jon Stewart unter dem Motto »Zur Wiederherstellung der Vernunft« und richtete sich damit vor allem gegen die schrillen und aggressiven Töne der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung, ohne dabei eine politische Alternative zum Status Quo zu formulieren. Ansonsten sticht aus der Masse der nichtmarxistischen Linken lediglich Chris Hedges hervor, der als einzige Alternative gegen die »(proto-)faschistische Gefahr« eine Abkehr von der »blutleeren Sprache« der »Linksliberalen« fordert und sich nun öffentlich als Sozialist bezeichnet und die positive Rolle der Kommunisten in der US-Geschichte preist.5

Die eigentliche sozialistische/marxistische Linke hat konkrete Alternativen zur Nutzung des neuen Staatsinterventionismus für eine postneoliberale Politik formuliert und dabei die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt gestellt. Hierzu gehören die Verstaatlichung der Banken und ihre Verwandlung in öffentliche Dienstleistungsunternehmen. Die Alternative zur »Hands-Off«-Verstaatlichung der kriselnden Automobilindustrie durch die Obama-Regierung war die Verwandlung der verstaatlichten Automobilunternehmen in ökologisch-nachhaltige Transportunternehmen des 21. Jahrhunderts. Dabei war das Vorbild die Art und Weise, wie Roosevelt diese Unternehmen im Rahmen der Kriegsmobilisierung nach 1939/40 umstrukturierte. Die Alternative zur neoliberalen Steuersenkungspolitik im Rahmen des Konjunkturprogramms waren öffentliche Beschäftigungsprogramme, die in der Lage gewesen wären, die arbeitsmarktpolitische Krise mit der ökologischen Krise zu verbinden und die öffentliche Infrastruktur zu verbessern, die Isolierung der energieverschwendenden Häuser als einem der wesentlichen Faktoren des Klimawandels voranzutreiben etc. Dieser sozialistischen Linken mangelte es aber an einer schlagkräftigeren gesellschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung, selbst wenn es beachtliche Kandidaturen von Drittparteikandidaten gab.

Die Gewerkschaftsbewegung sah sich vor diesem Hintergrund in dem alten Dilemma gefangen, sich angesichts der zunehmenden Bedeutung von sekundären Ausbeutungs- und Enteignungsformen (wie z.B. Rentenkürzungen, Studiengebührenerhöhungen etc.) sowie der politischen Erschwerung des ökonomischen Klassenkampfes zähneknirschend durch politische Lobbyarbeit in den Wahlkampf einschalten zu müssen und dadurch wichtige Ressourcen von den notwendigen Organisierungsbemühungen abzuzweigen. So verwendeten die Gewerkschaften aus der berechtigten Angst vor den Republikanern 200 Mio. US-Dollar für den Wahlkampf und die mehr oder weniger direkte Unterstützung der Demokraten, obwohl Obama entgegen seinem Versprechen keine Anstalten gemacht hat, die gewerkschaftliche Organisierungsarbeit durch den Employee Free Choice Act zu erleichtern. Zu den antigewerkschaftlichen republikanischen Gesetzesinitiativen, die dies veranlassten, gehörten dabei eine, die den Employee Free Choice Act im Grunde genommen für gesetzeswidrig erklären will, sowie eine weitere, die es den Gewerkschaften erschweren soll, ohne die ausdrückliche Genehmigung jedes einzelnen Mitglieds Gelder für politische Kampagnen zugunsten der Demokraten aufzuwenden (NYT, 1.11.2010).

Die neuen Bedingungen der linken Defensive auf allen Ebenen – in den Betrieben und auf der politischen Bühne – sind dabei Wasser auf die Mühlen der Tea-Party-Entsolidarisierungsbewegung, deren radikalste Elemente drauf und dran sind, zusammen mit den sozialpolitischen auch alle anderen Errungenschaften der »bürgerlichen Zivilisation« fortzureißen.

 

 

1 Teixeira, Ruy/Halpin, John (2010): Election Results Fueled by Jobs Crisis and Voter Apathy Among Progressives. Center for American Progress. Online: http://www.americanprogressaction.org/issues/2010/11/election_analysis.html

2 Vgl. dazu näher Ingar Solty: Die Tea Party und der hilflose Antifaschismus des Blocks an der Macht, in: Sozialismus, 11/2010.

3 Die Demokraten verloren seinerzeit zwar beide Kammern des Kongresses und nicht nur das Repräsentantenhaus, gleichzeitig sind die Verluste in letzterem 2010 noch dramatischer als 1994.

4 Cohen, Roger (2010): Get Bold, Barack, in: NYT, 1.11.; vgl. auch die treffende Charakterisierung in: Tariq Ali (2010): The Obama Syndrome, Verso, London.

5 Vgl. Chris Hedges (2010): The Death of the Liberal Class, New York.