Here We Are!

Editorial zum Themenschwerpunkt der iz3w 352 (Januar/Februar 2016)

Refugees welcome! Mit diesen Worten setzte die flüchtlingssolidarische Bewegung ein Zeichen gegen das Ausgrenzungssystem, mit dem Geflüchtete auf dem Weg nach Europa konfrontiert sind. Selbst wenn sie das feinmaschige Kontrollsystem überwunden haben, bekommen sie in Erstaufnahmelagern, in Asylheimen oder in der Klandestinität vermittelt, nicht erwünscht zu sein. Refugees welcome: Die UrheberInnen dieser Geste der Solidarität wollten der Schaffung einer gespaltenen Gesellschaft etwas Grenzüberschreitendes entgegenhalten.

Inzwischen ist das Refugees-welcome-Emblem überall auf Stickern, Rucksäcken und T-Shirts zu sehen; selbst die BILD-Zeitung kaperte es. Der politische Impuls der Bewegung geriet im Sommer 2015 gegenüber der »Willkommenskultur« ins Hintertreffen. Familien, die ihre Spiele- und Altkleidersammlung am Tor der Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge abgeben, die vielen Freiwilligen, die mit bemerkenswertem Engagement Kinderfreizeiten, Sprachunterricht und Stillräume für Frauen eröffnen, die ÖkonomInnen, die Prognosen über die wirtschaftlichen Vorteile der Integration von Flüchtlingen in die deutsche Wirtschaft errechnen: Sie alle können mit der Geste des »Refugees welcome« ihre jeweils eigenen Vorstellungen über die Zukunft der Geflüchteten verbinden.

Angemessenes Essen, ein warmer Schlafplatz, Hygieneartikel und medizinische Notversorgung, kindgerechte Angebote sowie eine möglichst schnelle Klärung des Asylstatus: Dies sind die Dienstleistungen, die der gastfreundliche Teil der Gesellschaft für die Geflüchteten realisiert haben will. Auf dieser Liste, die sich wie das Einmaleins der karitativen Flüchtlingshilfe liest, ist das Recht der Geflüchteten auf freie Meinungsäußerung und Bewegungsfreiheit nicht zu finden. In der Unvollständigkeit der Forderungen zeigt sich die Illusion eines menschenwürdigen Daseins im Ausnahmezustand.

Der spürbare Impuls der Unterstützung für die Geflüchteten lässt aber auch hoffen. Viele Angebote wenden sich nicht nur empathisch an Flüchtlinge. Sie wollen zugleich gegen den gewaltbereiten Mob ein Zeichen setzen, gegen den von Feindbildern bestimmten Rassismus, gegen nationalistische Tendenzen, die mit Übergriffen auf MigrantInnen und mit dem Anzünden von Wohnheimen einher gehen. Doch die aus einer GastgeberInnen-Position gewährte Hilfe für Flüchtlinge beängstigt auch. Viele, die gut gemeint ihre Privilegien einsetzen, um zu helfen, wirken mit beim Einhegen und Verwalten von Menschen. Wenn staatliche Versäumnisse durch ehrenamtliche Tätigkeit aufgefangen werden und wenn an die Stelle einer gesamtgesellschaftlich vereinbarten Verantwortung paternalistisches Helfen auf eigene Kosten tritt, läuft etwas schief.

Die strukturellen Dominanzen tragen dazu bei, dass Geflüchtete und MigrantInnen als eigenständig handelnde politische Subjekte aus dem Blick geraten. Die Willkommenskultur sieht sie nicht als Personen, die sich selbst für ihre Rechte stark machen und gegenseitig unterstützen. lhre Handlungskraft wurde erst dann wahrgenommen, als zuletzt Hungerstreiks über Wochen durchgehalten, eine Schule besetzt und ein hochgerüstetes Grenzregime niedergetrampelt wurden.

»Refugees welcome« steht nicht mehr in erster Linie für den Kampf gegen die Ausgrenzung jener, die für sich das Recht realisiert haben, von einem unerträglich gewordenen Ort wegzugehen und hier zu bleiben. Umso wichtiger ist es, ihn zu re-politisieren, etwa durch den Hinweis, dass mit den Geflüchteten das Scheitern der globalen Wirtschafts- und Ressourcenpolitik, des Postkolonialismus, der Nahostpolitik, der Migrationsregime und der Klimapolitik nach Europa zurückkommt. Eine weitere solidarische Antwort auf das We Are Here der Geflüchteten wäre es, die Erfahrungen der Flucht anzuerkennen: Zuzuhören und Empathie zu zeigen für die Erlebnisse der MigrantInnen vor ihrer Entscheidung, zu gehen, und für ihre Entscheidung, hier zu bleiben.

Es geht darum, die Ankommenden als Menschen mit gleichen Rechten willkommen zu heißen, bis hin zum Recht auf Freizügigkeit und politische Teilhabe. Eine gerechte Gesellschaft sieht davon ab, willkürlich singuläre Rechte zu verteilen. Sie spaltet nicht in MigrantInnen und Flüchtlinge, in religiöse und ethnische Minderheitsangehörige, in Starke und Schwache oder in Ausreisefähige und Schutzbefohlene.

Das per Staatsbürgerschaft verbriefte Privileg, dieser Spaltung nicht ausgesetzt zu sein, eröffnet Handlungsspielräume zugunsten der Ausgegrenzten. Deshalb haben wir uns entschieden, kurzfristig einen Themenschwerpunkt über verschiedene Ansätze der Selbstermächtigung von Refugees zu erstellen. Der geplante Themenschwerpunkt über globale Müllverhältnisse erscheint im Frühjahr 2016.

Bebildert wird der Schwerpunkt mit Fotografien von der Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg. Seit Ende 2012 organisieren dort Geflüchtete trotz widriger Umstände einen selbstbestimmten Raum. Wir danken Florian Büttner für seine Fotos, die ausdrucksvolle Geschichten von Würde und Wut, aber auch Verzweiflung erzählen.

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