Sexarbeit: eine globe Debatte

Themenschwerpunkteditorial iz3w 351 (Nov./Dez. 2015)

»Als Hure biete ich mehr als einen schnellen Fick oder einen Blowjob. Ich biete Akzeptanz und Offenheit, Sexunterricht und Anatomiestunden. Ich stelle einen Raum, in dem sich Leute sexy fühlen können.« Und weiter: »Für mich ist die Schaffung eines solchen Raumes ein feministischer Akt.« Dass solche Aussagen einmal in der iz3w gedruckt werden, wäre noch vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen. Wie in der gesamten linken, feministischen und antirassistischen Szene dominierte auch im iz3w-Umfeld jahrzehntelang die Ansicht, dass Prostitution einer der schlimmsten Auswüchse patriarchaler Herrschaft ist und abgeschafft werden muss. Nur so könne der sexuellen Ausbeutung von (oftmals migrantischen) Frauen und dem dominierenden Zwangscharakter von Prostitution – und im weiteren auch von Sexualität – ein Ende bereitet werden.

Diese Sichtweise ist auch heute weit verbreitet, und zwar nicht nur in Deutschland, wo sie von prominenten Feministinnen in den letzten drei Jahren vehementer denn je vorgebracht wird. Die abolitionistische Strömung, die Prostitution abschaffen will, ist weltweit vertreten. Doch ebenso global ist die in den letzten 15 Jahren entstandene Gegenströmung, die für die Ent-Stigmatisierung von Sexarbeit kämpft. Hervorgegangen ist diese Bewegung aus sozialen Kämpfen: SexarbeiterInnen -gingen vielerorts auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen und für gesellschaftliche Akzeptanz zu kämpfen. Den abolitionistischen Feminismus empfanden SexarbeiterInnen und ihre feministischen Unterstützer-Innen als bevormundend und kontraproduktiv. »Save us from our saviours«, grenzen sich beispielsweise indische SexarbeiterInnen davon ab und gründen ihre eigenen NGOs.

Organisierte SexworkerInnen betonen die Autonomie der Individuen, die beinhalten könne, sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anzubieten. Zum Ausdruck kommt diese Haltung bereits in der Begrifflichkeit »Sexarbeit«, die den Arbeits- und Dienstleistungscharakter hervorhebt. Diese Strömung leugnet die massiven Menschenrechtsverletzungen in der Branche nicht. Doch um diese zielgerichtet bekämpfen zu können, helfe die Kriminalisierung und Pathologisierung von Sexarbeit nicht – ganz im Gegenteil trage die Illegalisierung nur zur Verschlechterung der Lage von SexarbeiterInnen bei. Da die Bekämpfung von Prostitution oft auf MigrantInnen aus-gerichtet sei und häufig Ausweisungen nach sich ziehe, trage sie rassistische Züge. Die Position des sex-positive-Feminismus hebt zudem stark auf ein sexuelles Selbstbestimmungsrecht von Frauen und LGBTIQs ab, das jenseits konservativer und heteronormativer Moralvorstellungen liegt.

In unserem Themenschwerpunkt befassen wir uns in globaler Perspektive mit dem Spannungsfeld Sexualität versus Herrschaft versus Autonomie. Wir ergreifen dabei entschieden Partei für die Menschenrechte von SexarbeiterInnen – was beinhaltet, die Verletzungen dieser Rechte ausführlich zu thematisieren. Dazu gehören nicht nur alle Formen der sexuellen Gewalt und des Missbrauchs, die in der Prostitution weit verbreitet sind, sondern auch die verbreitete ethnisierend-rassistische Diskriminierung. Und es soll auch nicht geschwiegen werden über kapitalistische Verhältnisse, die Menschen zur käuflichen Ware machen.

Es geht uns also weder um die Idealisierung von Sexarbeit noch um ihre Dämonisierung, sondern um einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf die Lage von SexworkerInnen und deren eigene Vorstellungen, wie sie sich verbessern ließe. Denn eines der Grundprobleme der extrem polarisierten Debatte ist, dass allzu oft viktimisierend über SexarbeiterInnen gesprochen wird statt auf Augenhöhe mit ihnen.

Dies ist auch der Grund dafür, warum in diesem Themenschwerpunkt Original-Zitaten von Sexarbeiter-Innen ein gebührender Platz eingeräumt wird. Sie stehen anstelle von Fotos, auf die wir diesmal konsequent -verzichten. Denn bei kaum einem anderen Thema sind stereotype und klischeehafte Bilderwelten so tausendfach reproduziert worden wie bei Sexarbeit. »Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder«, lautet daher in diesem Fall unsere Maxime. Bilder hat bei diesem Thema ohnehin jede/r vor Augen. Das Kopfkino wird sich ganz von selbst einschalten.

die redaktion