Leben und Leiden eines KPD(O)-Genossen
Auch einen Monat nach seinem 120. Geburtstag erinnert sich die Linke seiner nicht: dem in Frankfurt 1985 gestorbenen Alfred Schmidt – zu dem Namen fällt manchen nur der Adorno/Horkheimer-Schüler gleichen Namens ein, ein seit 1999 emeritierte Professor in Frankfurt am Main. Jener Alfred Schmidt fehlt auch im „Lexikon linker Leitfiguren“, das Edmund Jacoby 1988 für die Büchergilde Gutenberg herausgab.
„Mein“ Alfred Schmidt, geboren am 24. November 1891, war ein kommunistischer Politiker und Gewerkschafter (VSA-Buchumschlag-Foto links: mittlere Bildreihe, zweiter von rechts). Nur an entlegener Stelle, in „Leipzigs Neue“ (jetzt nachgedruckt in „Arbeiterstimme“) war eine knappe Würdigung zum Hundertzwanzigsten zu finden.
Ich, Sohn eines Thüringer Schuhmachers, der ebenfalls noch in den neunziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts geboren war, sah in Schmidt einst einen Wunsch-Ersatzvater. Mein früh verstorbender Vater war nach Teilnahme am Ersten Weltkrieg, den er blutjung in französischen Stahlgewittern (kriegsversehrt) überlebte, in Eisenach auf der Rechten engagiert; Schmidt, ebenfalls Kind eines Schuhmachers, trat in Thüringen schon als Jugendlicher Gewerkschaft und SPD bei. Wie mein Vater arbeitete er vorübergehend als Bahnarbeiter. Aber Schmidt war links engagiert, in Spartakusbund, USPD und KPD, was ihm schon früh über zwei Jahre Haft bescherte. Von 1924 bis 1928 war er Landtagsabgeordneter in Thüringen, Vorsitzender der KPD in Erfurt, Mitglied der Unterbezirksleitung und Stadtverordneter. 1928 wurde er für die KPD in den preußischen Landtag gewählt. Wegen seiner Opposition gegen die ultralinke KPD-Politik, die für die „Revolutionäre Gewerkschaftsopposition“ und gegen die „Sozialfaschisten“ der SPD, angeblich gefährlichere Leute als die Nazis, agitierte, wurde er schon im Dezember desselben Jahres aus der KPD ausgeschlossen. In der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) avancierte er zum Mitglied von Bezirks- und Reichsleitung und nahm als deren Vertreter sein Landtagsmandat bis 1932 wahr. Zu der Zeit wirkte mein Vater in der National-Sozialistischen Kriegsopfer-Versorgung.
Es war am 3. September 1981, als ich Alfred Schmidt in Frankfurt in der Wegscheidestraße 21 zum ersten Mal besuchte – anfangs redeten wir, obwohl aktuelle soziale Bewegungen uns zusammengeführt hatten, nur über Vergangenes: über das Leben Alfred Schmidts. Das war so faszinierend, daß das Treffen am 1. Oktober 1981 von 16 bis 21 Uhr dauerte - bis der alte Genosse seine Ruhe brauchte und mich rücksichtslos-neugierigen Jungen freundlich nach Hause schickte, auf weitere Treffen vertröstend. Für eine Weile wurden daraus vierzehntägige, manchmal monatliche Treffen (mit anderen), fast immer donnerstags, und dann zu aktuellen Themen wie „Friedensbewegung“ oder „Arbeiterbewegung Solidarność in Polen“ oder seinen Schreibmaschinentexten.
Hätte ich damals ahnen können, daß ein Jahrzehnt Deutschland wieder vereinigt sein und ich selbst in Jena landen würde, so hätte unser Gespräch über Schmidts Jenaer Treffen mit Karl Korsch („ach ja, der wirre Professor“) noch viel länger gedauert...
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 leitete Alfred Schmidt die illegale Arbeit im Erfurter Unterbezirk. 1934 erste, 1935/1939 erneute Inhaftierung in den KZ Esterwegen und Sachsenhausen. 1943/44 organisierte er mit Georg Schumann den Widerstand in Leipzig, als Kohlenträger und Bauarbeiter arbeitend. 1945 wieder KPD-Mitglied, ab1946 SED. Am 1. November 1945 Landesleiter der Gewerkschaft „Nahrung, Genuß und Gaststättengewerbe“ und Zweiter Vorsitzenden dieser Gewerkschaft in der SBZ. (Vielleicht würdigt die NGG Thüringen ihn jetzt wenigstens auf ihrer Homepage – ich biete diesen Artikel an.) Wegen Kritik an der sowjetischen Besatzungs- und Reparationspolitik am 31. August 1947 abgesetzt, aus der SED ausgeschlossen und Tage später, am 6. Juli 1948, von der sowjetischen Militärpolizei verhaftet. Wegen „antisowjetischer Propaganda“ am 2. Dezember 1948 durch ein sowjetisches Militärtribunal zum Tode verurteilt. Später wurde das Todesurteil umgewandelt in die Strafe 25 Jahre Arbeitslager – so kam Schmidt ins „Vaterland aller Werktätigen“.
Mit Alfred Schmidt saß mir jemand gegenüber, den „seine Genossen“ schärfer bestraft hatten als er je für seine kommunistische Tätigkeit in der Weimarer Republik UND unter Hitler belangt worden war. Drei Regime hatten dem Freiheitskämpfer über 15 Jahre seiner Freiheit, seines Lebens geraubt. Die Entstalinisierung auf dem XX. Parteitag der KPdSU brachte auch ihm die Freiheit: Nach über acht Jahren Haft wurde er 1956 entlassen – in die Bundesrepublik Deutschland, zu seiner Frau, die 1954 die DDR verlassen hatte. Er arbeitete in den Salzgitter-Hüttenwerken und kämpfte weiterhin für Freiheit und soziale Emanzipation, seinen alten Idealen treu. Sein Zuhause, wo ich ihn in den Achtzigern traf, hatte er nach der Verrentung im „roten Hessen“ gefunden, im Milieu der Sozialdemokratie: ein Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt-Preungesheim.
Irgendwann schenkte Alfred mir die von Wolfgang Benz und Hermann Graml herausgegebenen Erinnerung von Curt Geyer: „Die revolutionäre Illusion – Zur Geschichte des linken Flügels der USPD“ (Stuttgart 1976); ein für mich wegweisendes, desillusionierendes Buch – mit den Anstreichungen Alfred Schmidts.