Die Debatte um Klimaschutz durch Tropenwaldschutz in Amazonien spaltet indigene Völker und soziale Bewegungen in Lateinamerika
REDD steht für Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Degradation. Auf der im Dezember anstehenden UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún steht REDD oben auf der Agenda. Für die einen ist REDD der Hoffnungsträger für Wald- und Klimaschutz, für andere bedeutet es die Merkantilisierung von Natur und Lebensräumen.
Die Amazonasregion ist das größte Regenwaldgebiet der Erde. Die Zukunft von REDD hängt daher entscheidend von dieser Region ab – und umgekehrt. Dort tobt um REDD ein heftiger Streit zwischen Indigenen, sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen (NRO), Gewerkschaften, Konzernen und Politik. Warum provoziert REDD so unterschiedliche Erwartungen?
Entwaldung verursacht Emissionen von Kohlendioxid – nach Schätzungen
stammen davon weltweit etwa 15-20 Prozent aus Entwaldungen. Seit dem
Stern-Report (2006) hat diese eigentlich alte Erkenntnis eine neue
Konjunktur erfahren. Die Reduzierung von Entwaldung galt von nun an als
ein Königsweg in der globalen Klimapolitik: Sie ist preiswert, relativ
schnell umzusetzen und gerät nicht in Interessenskonflikt mit den
Wachstumsambitionen der aufstrebenden Industriegroßmächte Indien und
China. Auf der Klimakonferenz in Bali 2007 wurde die Reduzierung der
Emissionen aus Entwaldung ein wichtiger Bestandteil der offiziellen
Klimaverhandlungen. Die Abkürzung REDD war geboren, und es begann ihre
rasche Karriere.
REDD hat Erwartungen geweckt, nicht zuletzt bei indigenen
Organisationen und NRO in Brasilien. Für die Befürworter ist REDD eine
einmalige Chance, eine ökonomische Basis für den Waldschutz zu
schaffen. Laut Paulo Moutinho vom Umweltforschungsinstitut Amazoniens,
IPAM, habe das im brasilianischen Amazonaswald gespeicherte
Kohlendioxid einen Wert von 500 Milliarden US-Dollar. Waldschutz könnte
so mehr einbringen als die Umwandlung des Waldes in Anbauflächen für
Soja oder Viehweiden, gar mehr als alle Entwicklungshilfegelder, die in
den letzten Jahrzehnten nach Brasilien flossen.
Zweifelsohne: Milliardenbeträge pro Jahr für den Waldschutz würden
tatsächlich die ökonomischen und sozialen Realitäten in Amazonien
radikal verändern. Es ist auch verständlich, dass solche Zahlen riesige
Erwartungen in Amazonien wecken. Organisationen der indigenen Völker
des Amazonasbeckens wie COIAB, die Kautschukzapfer (CNS), das Netzwerk
von Basisgruppen in Amazonien (GTA) und brasilianische NRO schlossen
sich einer Pro-REDD-Mobilisierung an. Wichtiger Akteur wurde das Forum
da Amazônia Sustentável, das neben den Organisationen der
Zivilgesellschaft auch Unternehmen umfasst, wie das Bergbauunternehmen
Vale oder den Aluminiumkonzern Alcoa. Diese Akteure haben sich
ausdrücklich für REDD mit Marktmechanismen ausgesprochen – und damit
erbitterte Diskussionen provoziert. Auch indigene Organisationen haben
zahlreiche Erklärungen sowohl für wie gegen REDD unterzeichnet. Die
Fronten dieser zwei Positionen, pro und contra, verhärten sich
zunehmend.
Inzwischen haben sich die Erklärungen gegen REDD mit Marktmechanismen
gehäuft. In Brasilien wurde 2009 ein offener Brief, die sogenannte
Carta de Belém veröffentlicht, die von NRO, Netzwerken aus Amazonien
und Bauernorganisationen und sozialen Bewegungen unterzeichnet worden
ist. In dieser Erklärung wenden sich die UnterzeichnerInnen explizit
gegen die Merkantilisierung von Wald. In anderen Ländern Südamerikas
verstärkte sich unter brasilianischer Beteiligung die Ablehnung von
Marktmechanismen. So haben das Sozialforum der Amerikas, der
alternative Klimagipfel von Cochabamba und die Regierung von Bolivien
Erklärungen gegen REDD mit Marktmechanismen verfasst. Auch hier war
Lobby-Arbeit wirksam. Die Regierung Boliviens war anfangs durchaus
offen für jegliche Art von REDD-Finanzierung.
KritikerInnen betonen, dass Marktmechanismen signifikante Summen nur
dann aufbrächten, wenn sie an eine Kompensation (sogenannte „offset“)
gebunden sind. Sprich: Verschmutzer aus dem Norden würden ihre
Reduktionsziele durch den Kauf von Kohlendioxid-Zertifikaten aus
reduzierter Entwaldung erreichen – nur um damit ihre Verschmutzung im
Norden fortzuführen. Ein solcher Mechanismus des Handels mit
Kohlendioxid-Zertifikaten existiert zurzeit allerdings nicht, der
europäische Emissionshandel erlaubt derzeit nicht den Einsatz von
Waldzertifikaten. Die klimapolitische Brisanz von REDD ist
offensichtlich: die unterlassene Reduzierung von Kohlendioxid im Norden
wird mit Walderhaltung aufgerechnet. Der notwendige Umbau der Ökonomie
des Nordens kommt damit nicht voran.
Des weiteren bedeute REDD einen schwerwiegenden Schritt zur
Merkantilisierung der Natur. „So wird eine neue Etappe der
Privatisierung der Natur beginnen, die sich in bisher nicht gekannter
Weise auf Wasser, auf Biodiversität und alles, was sich nun
‚Umweltdienstleistungen‘ nennt, ausdehnt“, so der bolivianische
Präsident Evo Morales in einer Erklärung.
Auf jeden Fall würde REDD als Marktinstrument dazu tendieren, soziale
AkteurInnen in Amazonien zu Anbietern von Dienstleistungen zu
transformieren. Ganz egal, wie man zu REDD mit Marktmechanismen steht –
die Konsequenzen einer derartigen Transformation sind zum jetzigen
Zeitpunkt kaum zu übersehen: Neue Ungleichheiten werden das soziale
Gefüge radikal verändern. Nicht alle sozialen Gruppen verfügen über
handelbares, im Wald gespeichertes Kohlendioxid – so etwa traditionelle
Fischer. Auch lassen sich die Ökosysteme Amazoniens nicht auf
Kohlendioxid reduzieren. Und trotz aller Win-win-Rhetorik, die auf den
Gewinn von REDD für die Biodiversität hinweist – auf den
Emissionsmärkten zählt das messbare Kohlendioxid. Indigene Völker und
traditionelle Waldnutzer müssen sich dann als Anbieter einer
handelbaren Dienstleistung auch gegen andere Anbieter behaupten. Dies
wird nicht ohne Abhängigkeiten von BeraterInnen zu machen sein. Bereits
jetzt ist eine neue Generation von Fachleuten in Amazonien aufgetaucht.
Sie verstehen nichts von Ökologie oder sozialen Fragen, noch weniger
vom indigenen Leben – können aber umso besser Kohlendioxid berechnen,
mit GPS umgehen und REDD-Projekte entwickeln. Neue Wörter dringen in
den Sprachschatz, wie etwa „Carbon Hunters“, die mit VertreterInnen
indigener Völker Kohlendioxid-Deals für einen freiwilligen Markt
abschließen.
Ein weiterer, sehr schwerwiegender Stein des Anstoßes bleibt die
ungenaue Definition von Wald. Bisher gilt in den Klimaverhandlungen die
sogenannte Marrakesch-Definition, die ausdrücklich Plantagen mit
einschließt. Erst Roden, dann Monokulturen anpflanzen – und dafür auch
noch Geld bekommen? Auch ungelöst ist die Frage, wie die Reduzierung
von Entwaldung mit Walderhalt in Einklang zu bringen ist. Wenn sich
REDD, wie ursprünglich gedacht, insbesondere auf die Reduzierung von
Entwaldung konzentriert, würden die bisherigen Waldzerstörer die großen
Nutznießer von REDD werden, während etwa indigene Völker, die ihren
Wald erhalten haben, weitgehend leer ausgingen. Dass ein derartig
gestaltetes REDD schwerste Legitimationsprobleme provozieren würde, ist
inzwischen auch den REDD-BefürworterInnen aufgegangen. In Brasilien hat
das IPAM einen Vorschlag entwickelt, bei dem sowohl die Reduzierung von
Entwaldung wie auch die Walderhaltung REDD-Zertifikate bekommen können.
Aber solche Vorschläge sind nicht mit dem Ergebnis von internationalen
Verhandlungen identisch.
Praktisch alle am REDD-Prozess beteiligten AkteurInnen der
Zivilgesellschaft, aber auch Weltbank, UN und viele Regierungen
betonen, dass REDD die Rechte indigener Völker und traditionelle
Waldnutzer respektieren und eventuell stärken muss. Der bisherige
REDD-Prozess lässt aber erhebliche Zweifel aufkommen, ob solche
Bekenntnisse nicht reine Rhetorik bleiben. Die freie, vorherige und
informierte Zustimmung soll Grundlage der Einbeziehung von Indigenen
sein. Aber REDD entstammt nicht dem Arsenal von Forderungen indigener
Völker. In Amazonien können wir zurzeit einen Wettkampf um Zustimmung
oder Ablehnung von REDD beobachten, bei dem Indigene und traditionelle
Nutzer eher Objekte als Subjekte sind.
In kurzer Zeit hat eine erstaunliche Aktivität von finanzierten
Pro-REDD-Aktivitäten im Amazonasgebiet um sich gegriffen, die um
Zustimmung zu REDD buhlen – „Readiness for REDD“ heißt daher auch die
aktuelle Phase. Diese Prozesse sind nicht ergebnisoffen, sondern eher
Propagandaveranstaltungen. Ihnen fehlt das dialogische Element, das
auch Grundsatzdiskussionen zu REDD zulassen müsste. Dessen ungeachtet
hat sich in den offiziellen Vorverhandlungen weitgehend die Überzeugung
etabliert, dass REDD in drei Phasen implementiert werden soll: Die
„Readiness for REDD“ soll in eine zweite Phase fondsfinanzierter
REDD-Programme auf nationale Ebenen überleiten. Erst in der dritten
Phase soll ein Emissionsmarkt mit Kompensationen („offsets“) einbezogen
werden. Denn Kompensationszahlungen wird nur der leisten, der zu
weitgehenden Reduktionszielen („caps“) verpflichtet ist. Das politische
Umfeld für solche Reduktionsziele – und seien sie auch durch „offsets“
verwässert – ist zurzeit schwierig. Der in Aussicht gestellte
millardenschwere Emissionsmarkt mit Waldzertifikaten könnte sich also
auch als große Illusion erweisen.
Klar aber ist: Ein marktorientiertes REDD spaltet jetzt schon indigene
Völker und soziale Bewegungen in Südamerika. REDD wird damit zu einem
Testfall für eine marktorientierte Wendung in der internationalen
Klima- und Umweltpolitik. Ob die marktkritischen Positionen ausreichend
Überzeugungskraft gewinnen, um den Readiness-Prozess zu stoppen oder zu
beeinflussen? Fatal wäre es jedenfalls, wenn durch nicht abgesicherte
Hoffnungen auf Milliardenbeträge eine Zustimmung zu Marktmechanismen
erkauft würde.
DER DIESJÄHRIGE „KLIMA“-GIPFEL Vom 29. November bis 10. Dezember findet in Cancún die so genannte COP16 statt Im Jahre 1992 wurde die Klimarahmenkonvention auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von den meisten Staaten unterschrieben – gleichwohl finden sich in ihr keine Durchsetzungsmechanismen, so dass sie als rechtlich nicht-bindend einzustufen ist. Als allgemeines Ziel gibt sie aber vor, die Treibhausgase in der Atmosphäre zu reduzieren, um dergestalt die menschengemachten Einwirkungen auf das Klima zu begrenzen. Die Unterzeichnerstaaten treffen sich jedes Jahr auf der Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties – COP), dem so genannten Weltklimagipfel. So wurde beispielsweise 1997 im japanischen Kyoto das gleichnamige Protokoll verabschiedet, das neben anderem den Emissionshandel begründete. Letztes Jahr in Kopenhagen sollte ein Nachfolgevertrag für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll unterzeichnet werden. Der damalige Versuch scheiterte, nun wird ein erneuter Versuch im mexikanischen Cancún unternommen. Neben dem Streit um die jeweiligen Reduktionsverpflichtungen bei Treibhausgasen geht es um Fragen der Finanzierung, dem Recht auf Entwicklung im Süden – und um ökologische Schulden und historische Verantwortung des Nordens. Und es geht auch nicht zuletzt um die Möglichkeiten, Wälder als Kohlenstoffspeicher anzurechnen und damit die Kategorie „Wald“ zu kommodifizieren – im Rahmen des so genannten REDD (siehe Artikel von Thomas Fatheuer in dieser Ausgabe). Camila Moreno von der brasilianischen NRO Terra de Direitos aus Curitiba brachte es im Gespräch mit LN bereits im Vorfeld des Gipfels von Kopenhagen Ende 2009 auf den Punkt: „Mit REDD wird die Kommodifizierung der Wälder angestrebt. Was aber dahinter steckt, ist mehr: Für das Kapital und die Regierungen geht es darum, den Übergang zu schaffen vom Fossilkapitalismus zum Grünen Kapitalismus – ohne die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in Gefahr zu bringen“. Dementsprechend sei Kopenhagen auch kein Klimagipfel, sondern: „ein reiner Finanz- und Energiegipfel“, so Moreno. Was für Kopenhagen galt, gilt auch für Cancún. Christian Russau |
Ausgabe: Nummer 438 - Dezember 2010