Interview mit oppositionellen Opel-Beschäftigten
Skandal! Die amerikanische Konzernzentrale von General Motors trifft Unternehmensentscheidungen, ohne sie vorher mit der Bundeskanzlerin oder dem Opel-Chef-Betriebsrat Klaus Franz abzustimmen! Nun ist der Traum vom deutsch-kanadisch-russischen "New Opel" geplatzt. Schlimm? Nein, völlig unwichtig, sagt die Gegenwehr ohne Grenzen (GoG), eine seit bald 40 Jahren bei Opel Bochum aktive Gruppe oppositioneller Beschäftigter. Wichtiger seien ohnehin Perspektiven jenseits bloßer Standortsicherung. Per Email und Telefon sprach Jan Ole Arps mit Mitgliedern der GoG über amerikanische Kapitalisten und deutsche Betriebsräte, Protest und Co-Management und über die Notwendigkeit, sich nicht die Köpfe der Kapitalseite zu zerbrechen.
ak: Vor ein paar Wochen sah es noch so aus, als würde Opel demnächst ein kanadisch-russisches Unternehmen sein. Nun hat General Motors die Verkaufszusage zurückgezogen, und die Politik ist düpiert. Auch die IG Metall und der Opel-Betriebsrat haben ihrem Unmut über diese Entscheidung Luft gemacht. Was sagt ihr zum neuesten GM-Manöver?
GoG: Wieso? Was sollen wir dazu sagen?
Naja, die Situation hat sich verändert; es ist unklarer denn je, was mit den verschiedenen Opel-Standorten geschehen wird ...
Ich würde mal sagen: Uns ist es relativ egal, welcher Name auf unseren Arbeitsanzügen steht. Es ist uns auch egal, von welchem Konzern wir entlassen werden. Das macht aus meiner Perspektive keinen großen Unterschied. Dass 10.000 Stellen wegfallen sollen, ist ja keine neue Idee von GM, das hatte Magna ebenfalls geplant. Wenn jetzt gegen die bösen GM-Kapitalisten gewettert wird, sind das in meinen Augen vor allem antiamerikanische Sprüche. Positiv ist höchstens, dass wir auch in der Vergangenheit schon gegen GM gestreikt haben. Nach dem ganzen Hickhack der letzten Monate ist nun der Gegner wieder klarer zu erkennen.
Durch den Verbleib von Opel bei GM ändert sich also nichts?
Im Prinzip nicht. Möglicherweise sind andere Standorte von den Einschnitten betroffen, aber da kann man im Moment nur spekulieren. Ob General Motors in Zukunft wettbewerbsfähig sein wird, weiß man natürlich nicht. Aber auch Magnas Wettbewerbsfähigkeit stand infrage. Die VW-Chefetage beispielsweise hatte schon angekündigt, aus den Verträgen mit Magna auszusteigen, wenn das Unternehmen Opel übernimmt.
Jetzt arbeitet General Motors erstmal an einem Konzept, und ich kann mir vorstellen, dass sie sich dabei stark an dem von Magna orientieren werden. Schließlich ist auch General Motors auf Staatsgelder angewiesen und muss daher Papiere vorlegen, denen die Politik zustimmt. Und das wird sie auch tun, auch wenn sich Politiker wie der selbst ernannte Arbeiterführer Jürgen Rüttgers - und andere - jetzt tierisch aufregen. Aber für eine Insolvenz des Unternehmens, an dem allein in Deutschland 25.000, in ganz Europa 50.000 Arbeitsplätze hängen (plus noch mal drei- bis viermal so viele in der Zulieferung), will sicherlich kein Politiker verantwortlich sein. Weil General Motors dieses Geld haben will, reist der neue Konzernchef Henderson im Moment überall in Europa rum und macht Schönwetter.
In meinen Augen hat die GM-Entscheidung vor allem gezeigt: Die Entscheidungen werden in Detroit getroffen. Egal was deutsche Politiker davon halten.
Wenn alles beim Alten bleibt: Worüber sind die Opel-Betriebsräte und die IG Metall dann so erzürnt?
Zum einen hat die General-Motors-Entscheidung das ganze Mitbestimmungsgequatsche als Schaumschlägerei vorgeführt. All die Verzichtsversprechen, die die Betriebsräte vorab für Magna gegeben haben, sind nun hinfällig, und die Co-Manager stehen blamiert da. Die Entwicklung hat uns Recht gegeben. Wir haben ja schon immer gesagt: Verzichten bringt nichts.
Der zweite Grund ist: Die Mitbestimmer in Betriebsrat und Gewerkschaft sind der Meinung, die Opel-Krise basiere auf Management-Fehlern: einer falschen Modell-Politik, schlechten Verkaufsstrategien etc. Sie halten sich für die besseren Manager. Mit Blick auf die zehnprozentige Arbeitnehmerbeteiligung in Magnas "New-Opel"-Konzept hatten sie gehofft, einen Fuß in die Tür der Eigentumsverhältnisse bei Opel zu bekommen.
Sie haben auf Aufsichtsratsposten spekuliert?
Ja, klar. Als Arbeitnehmervertreter sitzen sie schon im Aufsichtsrat; nun glaubten sie, durch die Zehn-Prozent-Beteiligung noch einen weiteren Sitz zu erhalten. Aus ihrer Standort-Ideologie heraus erhoffen sie sich Einfluss auf die Sicherung der deutschen Werke in Bochum, Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern und die Möglichkeit, die (kapitalistische) Produktion "mitgestalten" zu dürfen. Sie lieben es, sich den Kopf der Kapitalseite zu zerbrechen.
Ihre Hoffnung auf Mitsprache war aber schon vor dem Platzen des Magna-Deals eine Illusion. Die Bundesregierung hat bereits im September erklärt, dass die Mitarbeiter für ihre zehn Prozent Anteile kein Stimmrecht bekommen werden, weil sie im Aufsichtsrat bereits die Hälfte der Sitze innehaben.
Im Februar wurde die geplante Erhöhung der Tariflöhne um 2,1 Prozent vom Unternehmen verschoben. Einzig im Bochumer Werk gab es über diese Frage überhaupt eine Abstimmung. Die GoG hat dazu geraten, gegen den Verzicht zu stimmen; am Ende konnte sich die IG Metall mit ihrer Empfehlung, der Verschiebung zuzustimmen, knapp durchsetzen. Wieso wurde in Bochum abgestimmt, in anderen Werken aber nicht?
Ich würde sagen, die Abstimmung geht direkt auf die Erfahrung des Streiks vom Oktober 2004 zurück. Damals plante das Unternehmen, über 4.000 von 9.600 Arbeitsplätzen abzubauen. Dagegen haben die Beschäftigten spontan die Arbeit niedergelegt, ohne Zutun der Gewerkschaften, und eine sechs Tage dauernde "Informationsveranstaltung" abgehalten. Bei diesem Streik wurde von der Bochumer Belegschaft eine Abstimmung über die Frage Weiterstreiken oder Arbeitsaufnahme erzwungen. Seitdem wird vor wichtigen Entscheidungen die Belegschaft immer befragt. Dass die Gewerkschaft uns befragt, wenn die Geschäftsleitung Verzicht abpressen will, haben wir uns erkämpft. In den anderen Werken vertreten fast einstimmige Mehrheiten im Betriebsrat eine Politik des Co-Managements. Wir sind aber überzeugt, dass auch in den drei anderen deutschen Opel-Werken viele gegen Verzicht sind. Wie viele, wissen wir natürlich nicht, denn dort werden die Kollegen nicht gefragt.
Wie wirkt sich die Streikerfahrung auf die Stimmung in der Belegschaft aus? Könnt ihr in der aktuellen Auseinandersetzung noch daran anknüpfen?
Zurzeit gibt es noch nicht viel Auseinandersetzung. Was Roland Müller-Heidenreich aus unserer Gruppe vor ein paar Monaten der SoZ gesagt hat, trifft immer noch zu: Die Leute warten ab. Natürlich gibt es die wichtigen Kampferfahrungen von 2000 und 2004. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir vor 16 Jahren, zu Beginn der "Standortsicherungsverträge", im Bochumer Werk noch mehr als 19.000 Beschäftigte waren. Heute sind wir noch 5.000. Und von denen sollten schon im Magna-Konzept noch einmal 2.000 entlassen werden. Für den Bochumer Standort ist es ein Tod auf Raten. Da stellt sich schon die Frage, mit welcher Perspektive wir kämpfen könnten. Im Moment geht es vor allem darum, wie hoch wohl die Abfindungen sein werden, wie der Sozialplan aussehen wird.
Allerdings ist die Drohung mit Arbeitskampfmaßnahmen nach wie vor wirkungsvoll, wie das Beispiel aus Spanien zeigt. Im spanischen Werk hat die Streikdrohung vor einigen Wochen dazu geführt, dass GM/Magna den angekündigten drastischen Belegschaftsabbau dort zurück genommen haben - vorerst. Das wird natürlich auch in der Bochumer Belegschaft registriert.
Mit ihrer auf die deutschen Standorte fixierten Politik haben sich sowohl die IG Metall als auch Gesamtbetriebsrat Klaus Franz nicht gerade Sympathien bei den Opel-Beschäftigten in Spanien, Belgien und England erworben. Nun hört man von Schadenfreude bei den britischen GM-Vauxhall-Beschäftigten über das Scheitern der "deutschen" Magna-Strategie . Sind Krisenzeiten schlechte Zeiten für standortübergreifende Solidarität?
Versuche, Keile zwischen die Belegschaften der einzelnen Werke zu treiben, gehen vor allem von führenden Betriebsräten aus. Bei der Demo in Antwerpen forderten die Teilnehmer aus Deutschland den Erhalt aller Opel-Standorte, auch der in den anderen Ländern. Die Kollegen der anderen Länder taten das übrigens auch. Das ist auch die allgemeine Stimmung in der Bochumer Belegschaft. Eine Zusammenarbeit mit Belegschaftsmitgliedern anderer Opel-Standorte in Deutschland oder Europa gibt es aber nicht; das sehen wir durchaus als Mangel in unserer Arbeit an.
Die Ankündigungen der IG Metall, im Falle von Werksschließungen auf die Straße zu gehen, können jedenfalls nicht mit allzu viel Unterstützung von Opel-Belegschaften außerhalb Deutschlands rechnen.
Die gewerkschaftlichen Aktionstage sind eh nur Ventile, wo Dampf abgelassen wird. Danach geht es wieder um Standortsicherung - in Deutschland. Bei ihren Protesten müssen sich die Belegschaften aus der gewerkschaftlichen Verhandlungs- und Standortsicherungslogik befreien. Die vernünftigste Antwort auf die Pläne, ein Werk zu schließen, ist immer noch: Brocken hinschmeißen und sofort gemeinsam rausgehen.
Ihr sagt, ein Wachstum der Autoproduktion sei weder aus ökologischen noch aus sozialen Erwägungen wünschenswert. Wo seht ihr überhaupt Perspektiven für betrieblichen Widerstand in der nächsten Zeit?
Ich denke, die Krise zwingt uns, nicht nur immer wieder unsere Kritik an den bürgerlichen Verhältnissen, sondern auch unsere eigenen Vorstellungen von einer lebenswerten Gesellschaft zu formulieren. Dazu gehört auch eine Vorstellung von den Produktionsinhalten und den Produktionsmitteln, mit denen diese Dinge geschaffen werden. In unserem Fall - Opel ist bekanntlich ein Autounternehmen - heißt das, wir müssen uns Gedanken machen um gesellschaftliche Fortbewegungsmittel. Wie wollen wir uns fortbewegen, und was ist überhaupt wünschenswert? Und wie können diese Verkehrsmittel hergestellt werden? Ich glaube zum Beispiel nicht, dass man immer weiter immer mehr Autos produzieren kann. Auch keine "grünen Autos", von denen man inzwischen hört.
Sicher wird das Auto auch in Zukunft als Fortbewegungsmittel eine Rolle spielen, aber ich hoffe doch, eine zweitrangige. Und wenn, dann müssten die Überlegungen wohl eher in Richtung Elektroautos mit Solarantrieb gehen, jedenfalls, wenn man die ökologischen Probleme ernst nimmt. Hierfür müsste viel mehr Geld in die Entwicklung entsprechender Technologien gesteckt werden. Das ließe sich dann natürlich auch auf andere Fahrzeuge übertragen: Busse, Bahnen, landwirtschaftliche Fahrzeuge usw. Letztlich lässt sich ja in einer Autofabrik alles herstellen, was einen Antrieb, ein Chassis und eine Karosserie benötigt.
Mit den gegenwärtigen Verkehrskonzepten funktioniert das nicht. Autoproduktion ist auf Individualverkehr und Geschwindigkeit ausgerichtet. Das bedeutet auch, dass in Autos und bei ihrer Herstellung jede Menge Rohstoffe vergeudet werden. Wenn wir uns mit umweltschonenden Verkehrsmitteln und ressourcensparenden Produktionsprozessen auseinandersetzen, sind wir also schnell auch bei der Frage der Entschleunigung der Gesellschaft - und damit bei grundsätzlichen Fragen danach, wie wir leben wollen.
Stichwort Entschleunigung: In der Gewerkschaftslinken wird wieder über Arbeitszeitverkürzung diskutiert. Kann diese Forderung ein Weg aus der gewerkschaftlichen Defensive, auch im Betrieb, sein?
Als GoG fordern wir ja schon seit Langem die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Seit dem Kampf um die 35-Stunden-Woche gibt es eigentlich gute Erfahrungen mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Vor allem die Schichtanfangs- und Endzeiten sind dadurch etwas erträglicher geworden; und man konnte freie Tage sammeln.
Interessant ist, dass jetzt in der Kurzarbeitsphase - die noch andauert - viele Menschen im Betrieb eine Lebensqualität festgestellt haben, die sich aus dem Zuwachs an verfügbarer Zeit ergibt. Sie stellen auf einmal fest, dass Geld nicht alles ist.
Natürlich gibt es auch Leute mit größeren finanziellen Verpflichtungen, Leute, die ihr Häuschen oder ihr Grundstück abbezahlen müssen. Die sind für Arbeitszeitverkürzung nicht ansprechbar. Sie haben große Angst vor Entlassung und knüpfen ihre Hoffnung an eine Betriebsübernahme - egal wie die aussieht. Mit diesen Sorgen und Ängsten operieren die Mitbestimmer, nicht nur die herrschende Klasse. Aber Angst ist nicht nur ein lähmendes Moment. Sie kann auch unkalkulierbare Kräfte freisetzen, wie der Streik von 2004 gezeigt hat.
aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/ Nr. 544/20.11.2009