Konfrontationen zwischen Regierung und Opposition spitzen sich zu
Die neoliberale Studierendenbewegung in Venezuela geht wieder massiv auf die Straße. Sie protestiert gegen die venezolanische Medienpolitik, die Stromknappheit sowie die Regierung an sich. Eine deutliche Abwertung der Landeswährung sorgt für weitere Kritik.
Im
Januar geht es in Venezuela immer heiß her. Dann sorgt alljährlich das
Finale der venezolanischen Baseball-Liga für Spannung in den Stadien
und vor den Fernsehgeräten. Dieses Jahr wurden jedoch nicht nur die
Finalisten aus Caracas und Valencia angefeuert. Stattdessen grölten so
manche StadionbesucherInnen laut „un, dos, tres, Chávez‚ ‘tás ponchao
(Chávez, du bist raus)“. Der Spruch, der sich auf eine Baseball-Regel
bezieht, nach welcher der Schlagmann nach dem dritten erfolglosen
Schlagversuch ausscheidet, scheint der neue inoffizielle Slogan der
Opposition in Venezuela zu werden.
Diese macht derzeit keineswegs nur im Baseballstadion von sich hören.
Vielmehr findet auf den Straßen Venezuelas seit Ende Januar ein
verstärktes Kräftemessen zwischen Opposition und
RegierungsanhängerInnen statt. Auch wenn es bei den Demonstrationen
überwiegend friedlich blieb, kam es in mehreren Städten zu
gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen oppositionellen
Studierenden und den Sicherheitskräften. Trauriger Höhepunkt war der
bisher ungeklärte Tod eines chavistischen Schülers sowie eines
oppositionellen Studierenden in der Universitätsstadt Mérida.
Bei den Protesten geht es vor allem um die venezolanische Medienpolitik
sowie die Stromknappheit im Land. Die Nationale
Telekommunikationsbehörde Conatel hatte am 21. Januar eine bereits im
vergangenen Juli angekündigte Anordnung erlassen, wonach Kabelsender,
deren Programm zu mindestens 70 Prozent aus Venezuela stammt, rechtlich
als „einheimische“ Sender gelten. Diese müssen sich im Vergleich zu den
internationalen Sendern an das „Gesetz über soziale Verantwortung in
Radio und Fernsehen“ halten. Das so genannte Ley Resorte von 2005 legt
unter anderem Richtlinien für den Jugendschutz fest, verbietet Aufrufe
zu Gewalt und schränkt die Möglichkeiten zu kommerzieller Werbung ein.
Darüber hinaus sind die Sender dazu verpflichtet, zweimal täglich die
Nationalhymne zu spielen und bis zu 70 Minuten pro Woche für
Informationen der Regierung bereitzustellen. So hat Präsident Hugo
Chávez die Möglichkeit, ausgewählte Reden durch eine so genannte cadena
(Kettenschaltung) auf allen Sendern gleichzeitig übertragen zu lassen.
Am 23. Januar wurden sechs Sender, die sich trotz der Einstufung als
einheimische Sender nicht dem Ley Resorte fügten, vorübergehend aus dem
Kabelnetz genommen. Drei der Sender sind mittlerweile wieder zu
empfangen, weil sie die erforderten Bedingungen kurz darauf erfüllten.
Die venezolanische Opposition interessiert sich aber ohnehin nur für
einen der betroffenen Sender. Denn seit dem 23. Januar sendet auch der
oppositionelle Kanal Radio Caracas de Television (RCTV) nicht mehr. Da
der Anteil venezolanischer Produktion in den vergangenen vier Monaten
bei über 94 Prozent lag, wurde der Sender als „einheimisch“ eingestuft,
weigerte sich jedoch, sein Programm an das Gesetz anzupassen. Marcel
Granier, der Direktor von RCTV, stufte das Vorgehen als „politisch
motiviert“ ein. Die venezolanische Regierung widersprach dieser
Darstellung. „Wenn wir das Gesetz anwenden, reden sie von Chávez‘
Tyrannei und der Repression der Regierung“, kritisierte der
venezolanische Präsident Hugo Chávez. Der Direktor von Conatel,
Diosdado Cabello, sagte, RCTV könne jederzeit wieder auf Sendung gehen,
sofern „sie sich an das Ley Resorte halten“. Es könne zudem „kein
Zufall“ sein, dass sich von 105 als einheimisch eingestuften Sendern
ausgerechnet RCTV nicht an das Gesetz halten wolle.
Der Konflikt zwischen dem ältesten venezolanischen Privatsender und der
Regierung zieht sich schon seit Jahren hin. Im April 2002 hatte RCTV
den kurzzeitigen Putsch gegen Chávez offen unterstützt. Rechtlich
belangt wurde der Kanal dafür nie. Allerdings ließ die Regierung die
offene Sendefrequenz von RCTV im Mai 2007 auslaufen (siehe LN 397/398).
Seitdem war der Kanal als RCTV International über Kabel und Satellit zu
empfangen und musste sich somit nicht mehr an die venezolanische
Mediengesetzgebung halten. Die Nichtverlängerung der offenen
Sendefrequenz wurden von Medien und Opposition damals als „Schließung
von RCTV“ und „Angriff auf die Pressefreiheit“ bezeichnet und stellte
die Geburtsstunde der neoliberalen Studierendenbewegung dar. Diese
mobilisiert seitdem regelmäßig gegen die Chávez-Regierung und
kooperiert eng mit den oppositionellen Parteien.
Bei den jüngsten Protesten thematisieren die Studierenden auch
verstärkt die Energiekrise. Aufgrund einer ungewöhnlich langen
Dürreperiode, dem in den letzten Jahren stark gestiegenen Konsum, sowie
unzureichenden Investitionen leidet Venezuela seit Monaten an
Stromknappheit (siehe LN 426). Trotz zahlreicher getroffener Maßnahmen
scheint eine Lösung des Problems kurzfristig unmöglich zu sein. Der
Pegel des Guri-Stausees, dessen Wasserkraftwerk einen Großteil des
venezolanischen Stroms produziert, sinkt weiter und könnte schon bald
eine kritische Schwelle unterschreiten. Seit Mitte Januar wird der
Strom offiziell rationiert. Das sollte zunächst auch für Caracas
gelten. Nach einer zunächst chaotischen Umsetzung hob Chávez die
Rationierung in der Hauptstadt wieder auf und bat Elektrizitätsminister
Angel Rodríguez, der die Rationierung in Caracas zu verantworten hatte,
um Rücktritt. Rodríguez hatte sein Amt im neu gegründeten
Elektrizitätsministerium erst im vergangenen Oktober angetreten. Im
Dezember schaffte es der ehemalige Gewerkschafter zwar, nach über zwei
Jahren einen einheitlichen Tarifvertrag mit den ArbeiterInnen des
Elektrizitätssektors abzuschließen. Mit der Lösung der Energiekrise
wird sich nun jedoch der bisherige Finanzminister und erfahrene
Regierungspolitiker Ali Rodríguez Araque befassen, der an die Spitze
des Elektrizitätsministeriums wechselt. Aufsehen erregte am 25. Januar
zudem der überraschende Rücktritt von Vizepräsident und
Verteidigungsminister Ramón Carrizales sowie seiner Frau, der
Umweltministerin Yubirí Ortega. Während oppositionelle Medien über
mögliche regierungsinterne Unstimmigkeiten bezüglich der Medienpolitik
spekulierten, gab Carrizales für seinen Rücktritt „rein persönliche
Gründe“ an.
Für weiteren Unmut sorgte in Teilen der Bevölkerung eine am 11. Januar
in Kraft getretene Abwertung der venezolanischen Landeswährung Bolívar.
Lag der staatlich fixierte Wechselkurs bisher bei 2,15 Bolívar pro
US-Dollar, gelten nun zwei verschiedene Kurse. Für als vorrangig
eingestufte Güter wie Lebensmittel, Medikamente, Maschinen oder Bücher
wurde der Bolívar auf 2,60 abgewertet. Dieser Kurs gilt zudem
prinzipiell für Importe der Regierung. Für private Importe „nicht
essentieller“ Güter wie elektronische Geräte, Autos oder Tabakwaren
gilt hingegen ein Kurs von 4,30 pro US-Dollar.
Mit der Abwertung will die Regierung die Binnenwirtschaft stärken und
die Exportfähigkeit des Landes erhöhen. Durch den neuen Kurs sollen
venezolanische Waren im Ausland billiger werden, während sich Importe
aus dem Ausland verteuern. Kurz- und mittelfristig sind somit
Preissteigerungen zu erwarten. Dabei verzeichnete Venezuela im
vergangenen Jahr bereits eine Inflation von 25,1 Prozent. Diese lag
zwar unter den 30,9 Prozent, die im Jahr 2008 erreicht wurden. Doch die
venezolanische Wirtschaft schrumpfte im vergangenen Jahr erstmals seit
Jahren um 2,8 Prozent und befindet sich damit in einer so genannten
Stagflation. Da aber private Unternehmen aufgrund der Devisenkontrollen
bereits zuvor häufig US-Dollar auf dem Schwarzmarkt hinzu kaufen
mussten, um Waren zu importieren, ist der tatsächliche Anstieg des
Preisniveaus kaum vorherzusagen. Zuletzt musste man auf dem
Schwarzmarkt etwa sechs Bolívares pro US-Dollar zahlen. Die staatlichen
Einnahmen aus dem Erdölverkauf werden sich hingegen verdoppeln, da die
Erdölexporte in US-Dollar abgerechnet werden. Als erste Maßnahme zur
Stärkung der Binnenwirtschaft legte Chávez einen Sonderfonds für
Industrieinvestionen auf, um kleine und mittlere Unternehmen zu
stärken.
Obwohl VertreterInnen der Opposition seit Jahren darauf hinweisen, dass
eine Abwertung nötig sei, hagelte es Kritik. Die Maßnahme sei „gegen
die einfachen Leute gerichtet“, sagte Oppositionspolitiker Antonio
Ledezma. Die Regierung wolle im Jahr der Parlamentswahlen ihre Ausgaben
steigern, um Wählerstimmen zu gewinnen.
In der Tat ist die Abwertung alternativlos. Durch die im Vergleich zu
den USA als Land der Ankerwährung US-Dollar wesentlich höheren
Inflationsrate in Venezuela, wurden Importe in den vergangenen Jahren
relativ billiger, während sich die Exporte verteuerten. Dies bedeutete
faktisch eine Subventionierung der Importe, die nicht zuletzt der
kaufkräftigen Mittel- und Oberschicht zugute kam. Zudem ist dies für
eine angestrebte Diversifizierung der auf den Erdölexporten basierenden
Wirtschaft kontraproduktiv.
Dennoch sind manche Befürchtungen der Opposition kaum aus der Luft
gegriffen. So werden die zu erwartenden Preissteigerungen
wahrscheinlich die Lebenshaltungskosten für die ärmere Bevölkerung
erhöhen, auch wenn die Grundversorgung stark subventioniert wird. Auch
ist ein gespaltener Wechselkurs geradezu prädestiniert für Korruption.
Da staatliche Importe prinzipiell zu einem Kurs von 2,60 getätigt
werden, können durch ein Umdeklarieren von Gütern immense
Mitnahmeeffekte entstehen. In den 1980er Jahren, als der Kurs bereits
schon einmal gespalten war, richtete dies einen Schaden von geschätzten
60 Milliarden US-Dollar an.
Aufgrund der zu erwartenden Preissteigerungen für importierte Waren kam
es kurz nach der Ankündigung verstärkt zu Käufen von Elektronikgeräten.
Da viele Läden ihre zum alten Wechselkurs importierten Produkte trotz
Verbots mit deutlichen Preissteigerungen versahen, ließen die Behörden
einige Geschäfte vorübergehend schließen. Die
kolumbianisch-französische Lebensmittelkette Éxito wurde zudem wegen
zahlreichen Gesetzesbrüchen wie Spekulation und Hortung von
Lebensmitteln gegen Entschädigung zwangsverstaatlicht. Die Regierung
will nun das staatliche Versorgungsnetz von Lebensmitteln ausbauen.
Oppositionelle Analysten frohlocken bereits, ein Staatsbankrott sei
aufgrund des staatsdirigistischen Kurses unvermeidbar. Ähnliche
Kommentare sind allerdings bereits seit Jahren zu vernehmen.
Der Präsident des Unternehmerverbandes Fedecamaras, Noel Álvarez,
sprach sich auf RCTV am 13. Januar offen für eine „militärische Lösung“
aus. Wenngleich nach dem erfolgreichen Putsch in Honduras diese Idee
wieder an Brisanz gewinnt, scheint das Augenmerk der
Oppositionsparteien derzeit aber auf die Parlamentswahlen im kommenden
September gerichtet zu sein. Wie genau die Opposition den Spruch
„Chávez, du bist raus“ in der Realität umsetzen will, lässt somit einen
gewissen Interpretationsspielraum zu.
Ausgabe: Nummer 428 - Februar 2010