Landbesitz von deutschen StaatsbürgerInnen steht Landreform im Weg
Paraguay verfügt über eine der ungerechtesten Landverteilungen der Welt. Die juristischen Instrumente zur Enteignung unproduktiver Ländereien sind zwar vorhanden, die Agrarreform kommt jedoch kaum voran. Auffällig ist, dass insbesondere brachliegender deutscher Landbesitz in Paraguay unter Berufung auf ein bilaterales Investitionsschutzabkommen nicht angetastet wird. Die Bundesregierung scheint das nicht zu stören.
„Fast doppelt so groß wie die
Bundesrepublik, bei nur 2,8 Millionen Einwohnern, bietet Paraguay noch
viel Raum und heißt Investoren willkommen. Wir, das große
Farm-Management-Unternehmen in Paraguay unter deutscher Leitung, helfen
dem Anleger bei seiner Investitionsentscheidung. Daher: Über uns ins
freie Paraguay". Anzeigen wie diese fanden sich in den 70er und 80er
Jahren des 20. Jahrhunderts zuhauf in deutschen Tageszeitungen. Oft
zwielichtige Unternehmen buhlten um das Geld deutscher AnlegerInnen und
boten im Gegenzug dafür Landtitel an. Sie versprachen - in kaum zu
überbietenden Euphemismen - nicht nur ein stabiles und freiheitlich
gesinntes Paraguay ohne soziale Konflikte, sondern auch ein Land, das
fernab der Konfliktzonen des Kalten Krieges ein sicheres „zweites
Standbein" für investitionswillige Deutsche bereitstelle. Die Diktatur
des deutschstämmigen Generals Alfredo Stroessner (1954-1989) galt als
verlässliches Bollwerk gegen den Kommunismus. Die guten Beziehungen zur
BRD sowie den tausenden deutschen EinwanderInnen und die versprochenen
hohen Renditen machten Paraguay zu einem attraktiven Ziel westdeutschen
Kapitals. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts hatte ein permanenter
Zuzug aus dem deutschen Reich eingesetzt, später bot das „freie"
Paraguay zahlreichen Nazis ein neues und sicheres Domizil.
Infolge der früheren Landkäufe besitzen deutsche StaatsbürgerInnen noch
immer einen beträchtlichen Teil paraguayischen Landes. Genaue Zahlen
existieren nicht, da die Nationalität der LandbesitzerInnen in den
Landtiteln nicht vermerkt ist. Viele Latifundien, die einst Deutsche
erworben haben, liegen brach. Die BesitzerInnen haben sich oft seit
Jahren nicht blicken lassen. Dennoch verhindern sie erfolgreich, dass
das entsprechende Land Kleinbauern und -bäuerinnen zur Landnutzung
übertragen wird. Dabei gehört die Landverteilung in Paraguay zu den
ungleichsten auf dem amerikanischen Kontinent. Auf ein Prozent der
LandbesitzerInnen entfallen 77 Prozent des Landes, während 40 Prozent
der unter fünf Hektar besitzenden Kleinbauern und -bäuerinnen insgesamt
nur über rund ein Prozent des Landes verfügen. Etwa 120.000 Familien -
knapp 30 Prozent der gesamten Landbevölkerung - gelten als landlos.
Zwar ist Paraguay laut Verfassung und internationalen Abkommen dazu
verpflichtet, eine Agrarreform durchzuführen und verfügt auch über die
dazu erforderlichen Institutionen, wie das Land- institut INDERT.
Dieses kann für Landbesitz, der nicht seine „soziale und öffentliche
Funktion" erfüllt, eine Enteignung veranlassen, um das Land
anschließend kleinen und mittelgroßen landwirtschaftlichen Betrieben
zur Verfügung zu stellen. Allerdings muss der aus Abgeordnetenhaus und
Senat bestehende Kongress jeder einzelnen Enteignung zustimmen. Bisher
ist kaum etwas passiert. Die Colorado-Partei, die von 1947 bis zum
diesjährigen Wahlsieg des Befreiungstheologen Fernando Lugo (siehe
Artikel in dieser Ausgabe) die Regierungen stellte, förderte als
landwirtschaftliches Entwicklungsmodell zuletzt den großflächigen Anbau
meist genmanipulierten Sojas.
Enteignungen unproduktiven Landbesitzes werden nur infolge oft
jahrelang andauernder Landbesetzungen und des Drucks von
Bauernorganisationen überhaupt debattiert. Die in den letzten Jahren
dem Kongress zur Entscheidung vorgelegten Fälle deutschen Landbesitzes
weisen eine auffällige Gemeinsamkeit auf: Der Senat lehnte die
Enteignung jedes Mal ab, nachdem das Abgeordnetenhaus diese zuvor
jeweils genehmigt hatte. Begründet wurde dies in sämtlichen Fällen mit
dem 1993 zwischen Deutschland und Paraguay geschlossenen
Investitionsschutzabkommen, das seit 1998 in Kraft ist. Dieses soll
zwar für deutsche Kapitalanlagen in Paraguay (und paraguayische in
Deutschland - sic!) rechtliche Sicherheit garantieren, Enteignungen
„zum allgemeinen Wohl und im öffentlichen Interesse" sind gegen
Entschädigung gemäß Artikel 4 (2) des Abkommens jedoch ausdrücklich
möglich. Eine von Brot für die Welt, dem Evangelischen
Entwicklungsdienst, FIAN und Misereor herausgegebene Studie von 2007
dokumentiert fünf derartige Fälle, in denen das Abkommen angewandt
wurde. Die Studie macht nicht nur deutlich, dass das
Investitionsschutzabkommen für die Interessen der deutschen
GroßgrundbesitzerInnen instrumentalisiert und missbraucht wird, sondern
auch, dass die deutsche Bundesregierung dies tatenlos in Kauf nimmt.
Rolf Künnemann, Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation für das
Recht auf Nahrung FIAN International, ist einer der MitherausgeberInnen
der Studie und übt gegenüber den Lateinamerika Nachrichten harsche
Kritik an der deutschen Regierung: „Wir werfen der Bundesregierung vor,
dass sie in Paraguay einer bestimmten, falschen Sichtweise des
bilateralen Investitionsschutzabkommens Vorschub leistet und den Senat
somit de facto daran hindert, die eigene Agrarreformgesetzgebung
umzusetzen."
Im Jahr 2000 verhinderte der Senat Paraguays beispielsweise die
Enteignung eines 694 Hektar großen Landstücks in der Verwaltungsregion
Itapúa, das von 85 landlosen Familien besetzt worden war. Das Land
erwies sich nach Prüfung als verlassen, der deutsche Eigentümer Johann
Bollmann lebte außerhalb Paraguays und hatte das beanspruchte Land seit
fünfzehn Jahren nicht mehr betreten. Dennoch wurden die Familien
mehrfach gewaltsam von dem Gelände vertrieben. Kurz vor der
entscheidenden Abstimmung im Senat tauchte ein Bevollmächtigter
Bollmanns auf und forderte die Anwendung des
Investitionsschutzabkommens. Selbst die deutsche Botschaft in Paraguay
meldete sich zu Wort. Sie sei „sehr besorgt" über die mögliche
Enteignung, die dem zwischen Deutschland und Paraguay geschlossenen
Investitionsschutzabkommen widerspreche. Der Senat lehnte die
Enteignung daraufhin ab.
In einem anderen Fall, ebenfalls im Jahr 2000, stand die Enteignung von
Land in der Verwaltungsregion Ñeembucú an. Auf 1.669 verlassenen Hektar
hatten sich bereits seit 1996 etwa 100 zuvor landlose Familien
niedergelassen. Als Besitzer des Latifundiums entpuppte sich der von
Interpol wegen Betrugs gesuchte Joachim Leske, der Paraguay nach dem
Ende der Stroessner-Diktatur den Rücken gekehrt hatte. Der Senat lehnte
die Enteignung im Juni 2001 zunächst ab, woraufhin die auf dem
Grundstück lebenden Familien brutal vertrieben sowie ihre Häuser und
Ernte zerstört wurden. Zahlreiche Personen wurden verletzt, darunter
Frauen und Kinder. Nachdem die betroffenen Familien das Grundstück
daraufhin mehrfach neu besetzten und vertrieben wurden, kam es 2005 zu
einem weiteren Versuch der Enteignung. Kurz vor der entscheidenden
Abstimmung forderten einige Mitglieder des Senats die polizeiliche Akte
sowie die Nationalität Leskes an. Als sich herausstellte, dass Leske
die schwedische, nicht aber die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt,
stimmte der Senat einstimmig für die Enteignung. Die 100 Familien
durften bleiben, weil das von ihnen beanspruchte Land nicht einem
Deutschen gehörte.
Der Fall der indigenen Gemeinschaft Sawhoyamaxa führte 2006 sogar zu
einer Verurteilung Paraguays vor dem Interamerikanischen Gerichtshof
für Menschenrechte. Die über 400 Personen umfassende Gemeinschaft
beanspruchte ihr traditionelles Land von gut 14.000 Hektar im
Chaco-Gebiet. Da sich das Landstück im Besitz des deutschen
Großgrundbesitzers Heribert Rödel befindet, lehnte der Senat im Februar
2003 eine Enteignung ab. Rödel besitzt in ganz Paraguay etwa 120.000
Hektar Land, davon alleine 60.000 im Chaco. Auf Initiative der
Sawhoyamaxa landete auch dieser Fall schließlich vor dem
Menschenrechtsgerichtshof, der Paraguay am 29. März 2006 unter anderem
dazu verurteilte, das beanspruchte Land innerhalb von drei Jahren an
die indigene Gemeinschaft zu übergeben. In Bezug auf das
Investitionsschutzabkommen stellte das Gericht fest, dass dieses „keine
Rechtfertigung für einen Verstoß gegen staatliche Verpflichtungen aus
der Amerikanischen Menschenrechtskonvention"dar-stelle. Passiert ist
bisher nichts, die Frist zur Umsetzung des Urteils läuft 2009 ab.
„Solange hier keine Änderung erfolgt, muss sich die Bundesregierung
unter anderem vorhalten lassen, dass sie mitschuldig ist an den
fortdauernden Todesfällen unter den Kindern der Indígenas, die im Elend
am Straßenrand neben ihrem Land leben und sterben müssen", sagt
Künnemann dazu. Deutschland verletze dadurch den Pakt über
Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, der unter anderem die
Verpflichtung enthält, in Zusammenarbeit mit Paraguay das Recht der
Unterernährten und Landlosen auf Nahrung zu gewährleisten. FIAN
forderte von der Bundesregierung bereits mehrfach ohne Erfolg, durch
eine diplomatische Note an Paraguay klar zu stellen, dass das
Investitionsschutzabkommen der Enteignung deutschen Landbesitzes nicht
entgegensteht. „Die Regierung weigert sich weiterhin, mit einer Note
zur Klärung beizutragen ohne dafür überzeugende Gründe vorzubringen",
resümiert Künneman. „Vielleicht sind ihr die Interessen deutscher
Spekulanten in Paraguay wichtiger als die grundlegenden
Menschenrechte." FIAN jedenfalls werde weiterhin Druck ausüben.
Ob sich bezüglich der Konflikte um deutschen Landbesitz unter dem neuen
Präsidenten Fernando Lugo etwas grundlegend ändern wird, ist fraglich.
Der linke ehemalige Bischof setzt sich zwar für eine Agrarreform ein,
verfügt aber im Senat über keine eigene Mehrheit.
Wie deutscher Landbesitz in Paraguay effektive Hungerbekämpfung
verhindert. Eine Studie von Brot für die Welt, eed, FIAN und Misereor;
November 2007. Die Studie kann von den Internetseiten der beteiligten
Organisationen frei heruntergeladen werden.
Text: Tobias Lambert
Ausgabe: Nummer 408 - Juni 2008