Zehn Jahre bolivarianische Regierung
Am 2. Februar 1999 leistete Hugo Chávez Frías seinen Amtseid auf die „todgeweihte Verfassung“. Anschließend wurde diese nicht nur neu geschrieben, es hat sich auch sonst einiges in Venezuela verändert. Die Geschichte des bolivarianischen Prozesses beginnt jedoch bereits 1989 mit der gewaltsamen Niederschlagung der ersten großen antineoliberalen Revolte.
Staatstragende Jahrestage werden in Venezuela regelmäßig zelebriert. So wunderte es auch niemanden, dass die bolivarianische Regierung den zehnten Jahrestag des Amtsantrittes von Präsident Hugo Chávez feierlich begehen würde. Dass der 2. Februar 2009 jedoch kurzerhand zum Feiertag erklärt wurde, sorgte dann doch für Überraschung. Chávez gab dies erst einen Tag vorher bekannt, was vor allem bei LadenbesitzerInnen für einige Verwirrung sorgte, da sie an Feiertagen nicht oder nur beschränkt öffnen dürfen.
Diese Episode ist symptomatisch für die zehn Jahre, die Chávez nun an
der Regierung ist. Denn bei dem ambitionierten Versuch, einen
liberal-kapitalistischen, auf repräsentativer Demokratie basierenden
Staat von innen heraus zu transformieren, wird viel improvisiert. Es
sind nicht feste ideologische Konzepte, denen der bolivarianische
Prozess verpflichtet ist. Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der
in Venezuela seit 2005 debattiert wird, basiert mehr auf Prämissen und
Werten, als auf einem zuvor festgelegten Idealzustand. Hatte Chávez bei
seiner Wahl 1998 noch einen „Dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und
Sozialismus propagiert, radikalisierte sich das bolivarianische Projekt
in den letzten Jahren zunehmend.
Dass in Venezuela partizipative Demokratie mit einem sozialistischen
Projekt verbunden wird, hängt vor allem damit zusammen, dass ein
Großteil der Bevölkerung sowohl mit dem kapitalistischen System als
auch mit repräsentativer Demokratie in den letzten beiden Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts enttäuschende Erfahrungen gemacht hat.
Zehn Jahre an der Regierung zu sein ist 2009 nicht das einzige Jubiläum
für die bolivarianische Bewegung. Jenes tragische Ereignis, das heute
als der eigentliche Beginn des bolivarianischen Prozesses gilt, jährte
sich dieses Jahr zum 20. Mal: Am 27. Februar 1989 begann in Venezuela
die erste große Revolte gegen den Neoliberalismus, von der die
politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes vollends überrascht
wurden. Seit 1958 hatten die christdemokratische Copei und die
sozialdemokratische AD auf Grundlage des so genannten Paktes von Punto
Fijo im Wechsel regiert und Venezuela damit eine für Lateinamerika
untypische politische Stabilität beschert. Als der Ölpreis in den
1980er Jahren deutlich fiel, geriet Venezuela wie die übrigen Länder
Lateinamerikas in die Schuldenkrise. Massenhafte Verarmung der
Unterschichten war die Folge. Als vermeintlicher Retter in der Not
wurde Carlos Andrés Pérez, der den VenezolanerInnen als Präsident
während des Wirtschaftsbooms der 1970er Jahre in guter Erinnerung
geblieben war, 1988 ein zweites Mal zum Staatsoberhaupt gewählt. Im
Wahlkampf hatte er scharfe Kritik an den wirtschaftlichen Rezepten des
Internationalen Währungsfonds (IWF) geübt, um dann allerdings kurz nach
der Wahl die Umsetzung eines IWF-Anpassungsprogramms anzukündigen. Eine
Erhöhung der Tarife im Personenverkehr führte am 27. Februar 1989
schließlich zu spontanen Aufständen, die als so genannter Caracazo in
die Geschichte eingingen. Zahlreiche Menschen strömten von den an den
Hängen angesiedelten Armenvierteln herab in den Stadtkern von Caracas
und griffen eigenhändig nach dem Wohlstand, den ihnen die
PolitikerInnen so oft versprochen hatten. Einen Tag später fanden
Plünderungen bereits in den meisten mittleren und größeren Städten des
Landes statt. Die Polizei griff nicht ein und die Regierung zeigte
zunächst keine Präsenz. Deren hilflose Reaktion fiel dann um so
grausamer aus. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge töteten Armee und
Nationalgarde in den darauf folgenden Tagen zwischen hunderten und
tausenden Menschen. Die Vorgänge sind bis heute juristisch nicht
aufgearbeitet. In Folge der gewaltsamen Niederschlagung der
Plünderungen politisierten sich weite Teile der Bevölkerung, vor allem
in den ärmlichen barrios. Es entstanden zahlreiche selbst organisierte
Basisinitiativen wie alternative Medien, Stadtteilversammlungen und
kulturelle Gruppen.
1992 scheiterte Hugo Chávez, der bereits 1983 eine klandestine linke
Gruppierung in den Reihen des Militärs gegründet hatte, mit einem
Putschversuch gegen Carlos Andrés Pérez. Nach seiner Festnahme hielt er
eine kurze Rede im Fernsehen, die ihn augenblicklich im ganzen Land
bekannt machte. Darin übernahm er persönlich die Verantwortung für das
Scheitern des Putsches und sagte, die Ziele seien „vorläufig“ nicht
erreicht worden. Anschließend musste er zwei Jahre in Haft, während die
neoliberale Politik der Regierung schonungslos weitergeführt wurde.
Nach seiner Begnadigung 1994 arbeitete er landesweit an dem Ausbau
einer politischen Massenbewegung, die ihn schließlich 1998 demokratisch
an die Macht brachte. Chávez hatte es geschafft, als erster Politiker
glaubhaft die Armut und Ausgrenzung der Mehrheit der Bevölkerung auf
die politische Agenda zu setzen. Nachdem er die Wahlen mit 56 Prozent
gewonnen hatte, wurde in einem partizipativen Prozess, an dem viele
politische Basisgruppen aus dem ganzen Land teilnahmen, eine neue
Verfassung ausgearbeitet. Am 15. Dezember 1999 fand das Referendum über
die Annahme des Verfassungstextes statt, der eine deutlich
antineoliberale Stoßrichtung hatte. Bei 44 Prozent Wahlbeteiligung
stimmten etwa 72 Prozent für die neue Magna Charta.
Die traditionellen Parteien hatten sich von vornherein gegen den
Prozess der Verfassungsgebung gestellt, nominierten keine KandidatInnen
für die Verfassunggebende Versammlung und verzichteten gänzlich auf
Mitgestaltung der neuen Ordnung, deren Inkrafttreten sie damit
letztlich aber nicht verhindern konnten. Für das politische System
Venezuelas ergaben sich mit dem Übergang der vierten zur „Fünften
Republik“ gravierende Änderungen. International Aufsehen erregten vor
allem die Ausweitung der Befugnisse des Staatspräsidenten und die
gleichzeitige Schwächung der Legislative, die auf eine Kammer reduziert
wurde. Weniger wahrgenommen wurde hingegen der Ausbau von
Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung sowie die Ausweitung
der Rechte zuvor marginalisierter Gruppen wie Frauen und Indígenas.
Außerdem wurden den drei klassischen Gewalten Exekutive, Legislative
und Judikative eine vierte und fünfte hinzugefügt: die Bürgergewalt, zu
deren Hauptaufgaben die Vorbeugung, Untersuchung und Bestrafung von
Verwaltungsdelikten gehört, sowie die Wahlgewalt in Form des Nationalen
Wahlrates CNE. Ende 2000 wurden auf Grundlage der neuen Verfassung
sämtliche Ämter neu bestätigt. Hugo Chávez wurde mit fast 60 Prozent
wiedergewählt.
Die folgenden Jahre waren durch politische Instabilität und
wirtschaftliche Probleme geprägt. Statt mit verfassungsgemäßen Mitteln
Einfluss auf die Politik zu nehmen, sahen Opposition und private Medien
ihre Rolle darin, Chávez um jeden Preis wieder aus dem Amt des
Staatspräsidenten zu vertreiben. Die Proteste kulminierten in dem
Versuch, Chávez durch einen Putsch loszuwerden. Durch gezielte
Falschinformationen und geschickt zusammengeschnittene Aufnahmen
erweckten die privaten Fernsehkanäle am 11. April den Anschein, die
Regierung ließe auf oppositionelle DemonstrantInnen schießen. Daraufhin
stellten sich Teile des Militärs gegen Chávez und erwirkten seine
Verhaftung. Nach 48 Stunden kehrte Chávez an die Macht zurück, nachdem
seine AnhängerInnen selbst organisiert gegen den Putsch mobilisiert
hatten sowie Chávez-treue Teile des Militärs wieder umschwenkten.
Zum Jahreswechsel 2002/2003 versuchte die Opposition erneut, Chávez
durch einen zweimonatigen Unternehmerstreik zu stürzen. Dieser legte
zeitweise die komplette Erdölindustrie lahm und brachte dem Land hohe
finanzielle Verluste ein. AnhängerInnen des Präsidenten gelang es
schließlich jedoch, die Erdölanlagen und Computersysteme eigenhändig
wieder in Betrieb zu nehmen. Erst danach begann die Opposition, von der
in der Verfassung enthaltenen Möglichkeit eines Abberufungsreferendums
gegen den Präsidenten Gebrauch zu machen. Auch damit hatte sie jedoch
keinen Erfolg. Bei 70-prozentiger Wahlbeteiligung sprachen sich im
August 2004 schließlich 60 Prozent der WählerInnen für Chávez‘ Verbleib
im Amt aus.
Danach wurde es ruhiger um die Opposition, die sich innerlich
zerstritten und ohne Vision für das Land präsentierte. Bei den
Regionalwahlen im Oktober 2005 konnte sie gerade einmal zwei
Gouverneursposten für sich verbuchen. Im Dezember 2005 erklärten die
wichtigsten Oppositionsparteien drei Tage vor den Parlamentswahlen
deren Boykott, obwohl der Nationale Wahlrat nahezu alle ihre
Forderungen im Vorfeld erfüllt hatte. War die Entscheidung die Wahlen
zu boykottieren bereits damals umstritten, sehen die meisten
OppositionspolitikerInnen sie mittlerweile als schwerwiegenden
strategischen Fehler an. Erst der Totalausfall der Opposition und die
Übernahme der Kontrolle bei dem staatlichen Ölkonzern PDVSA nach der
gescheiterten Erdölsabotage, ermöglichte es der bolivarianischen
Regierung Politik zu machen, statt fortwährend die Angriffe auf die
öffentliche Ordnung abzuwehren.
So begannen die erfolgreichen Sozialprogramme, die bis weit über die
Landesgrenzen Venezuelas hinaus bekannt sind, erst 2003. Bis heute
stellen die so genannten misiones neben der politischen Partizipation
der Bevölkerung einen der wesentlichen Legitimitätspfeiler des
bolivarianischen Prozesses dar. Sie wurden außerhalb der herkömmlichen
Institutionen gegründet und existieren in Bereichen wie Gesundheit und
Bildung, Ernährung, Kultur, Wissenschaft, Umwelt, Obdachlosigkeit und
Wohnraum. Zwar gibt es an den Programmen auch Kritik. So stagniert das
Gesundheitssystem nach einem anfänglich rasanten Ausbau. Die
Bildungsmöglichkeiten wurden von der Alphabetisierung bis zur Gründung
bolivarianischer Universitäten zwar ebenso rasant ausgeweitet. Dem
hinkt die qualitative Verbesserung jedoch weit hinterher. Dennoch
sorgten die misiones für eine starke Verbesserung der Grundversorgung
der Bevölkerung. Auch die meisten wirtschaftlichen Indikatoren
verbesserten sich seit 2002 deutlich. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs in
gut sechs Jahren um fast 100 Prozent. Die Ungleichheit in der
Einkommensverteilung hat sich deutlich verringert. Die Armut ging laut
der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal)
zwischen 2002 und 2007 von über 50 auf 28 Prozent zurück; laut dem
venezolanischen Statistikinstitut fiel sie 2008 weiter auf nunmehr 24,5
Prozent.
Bei der Bewältigung der Mammutaufgabe einer jeden Rentenökonomie
konnten hingegen kaum Fortschritte verzeichnet werden. Weder konnte die
Abhängigkeit vom Erdöl reduziert werden, noch hat sich hinsichtlich der
Transformation hin zu einer produktiven und solidarischen Wirtschaft
Grundsätzliches getan. Neben der Verstaatlichung von
Schlüsselindustrien experimentiert die Regierung mit der Förderung
unterschiedlicher solidarischer Unternehmensformen wie Kooperativen
oder selbst- und mitverwalteten Betrieben. Die Ansätze werden vielfach
gelobt, an der Umsetzung mangelt es in der Realität jedoch gehörig.
Viele vermeintlich solidarisch strukturierte Unternehmen funktionieren
zum Beispiel nicht oder nutzen gar die staatliche Förderung, um weiter
privatwirtschaftlich zu arbeiten. Entstanden ist eine Mischwirtschaft,
die zahlreiche Probleme aufweist. Die zahlreichen wirtschaftlichen
Schutzmaßnahmen, wie Preiskontrollen für bestimmte Lebensmittel oder
die Kontrolle des Kapitalverkehrs und Wechselkurses, haben ebenfalls
oft ambivalente Effekte. Privatpersonen tricksen etwa die staatliche
Devisenzuteilung aus, in dem sie zum offiziellen Wechselkurs erhaltene
US-Dollar aus dem benachbarten Ausland in Venezuela für den doppelten
Preis auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Unternehmer behaupten, es lohne
nicht mehr zu produzieren, schmuggeln ihre Waren über die Grenze nach
Kolumbien oder horten nicht verderbliche Produkte wie Milchpulver und
spekulieren auf eine offizielle Preiserhöhung. Die Produktion von
Lebensmitteln ist in den letzten Jahren zwar gestiegen, der Konsum
jedoch ebenfalls, so dass immer noch 70 Prozent der Lebensmittel
importiert werden. Die Agrarreform kommt nicht so recht voran und wird
von der Großgrundbesitzerelite gewaltsam torpediert. Über 200
bäuerliche AktivistInnen wurden in den letzten Jahren gezielt ermordet,
ohne das auch nur ein einziger der häufig bestens dokumentierten Fälle
zu einer Verurteilung geführt hätte. Die Justiz ist in Venezuela
traditionell nicht nur schwach, sondern in vielen Fällen auch korrupt
und wird nach wie vor von einflussreichen Eliten kontrolliert. Der
Oberste Gerichtshof TSJ entscheidet in den großen politischen Fragen
zugunsten des chavismo, für große Teile des Justizsystems gilt dies
ausdrücklich nicht.
Als derzeit wichtigstes Projekt beim Aufbau einer partizipativen und
protagonistischen Demokratie entstehen seit April 2006 landesweit
Kommunale Räte als Bündelung der vielfältigen sozialen, kulturellen und
politischen Basisinitiativen. Die Räte entscheiden basisdemokratisch
über die Verwendung der vom Staat transferierten Geldmittel. Sollte
sich dieses Experiment kommunaler Demokratisierung erfolgreich
entwickeln, könnte es die Art und Weise wie in Venezuela Entscheidungen
getroffen werden, durchaus langfristig verändern. Dennoch sind zu Recht
Vorbehalte angebracht. Die Kommunalen Räte stehen derzeit
institutionell in direkter Verbindung mit dem Präsidenten und sind
somit von der Zusammenarbeit mit BürgermeisterInnen und GouverneurInnen
zunächst einmal unabhängig. Das hat seine Gründe, denn nicht alle
chavistischen PolitikerInnen sind damit einverstanden, Kompetenzen
zugunsten einer Vertiefung der partizipatorischen Ansätze abzugeben und
finanzielle Mittel weiterzuleiten, von der Opposition ganz zu
schweigen. Die Abhängigkeit von der staatlichen Exekutive ist dennoch
allenfalls als Übergang vertretbar. Auf Dauer ist Autonomie für den
Aufbau paralleler, selbst verwalteter Strukturen wichtiger.
Seit 2008 finden dieser für den chavismo typische Konflikt zwischen
Basisdemokratie und Hierarchisierung auch innerhalb sich festigender
Parteistrukturen statt. Im März 2008 entstand nach einer fast
einjährigen Gründungsphase die Vereinte Sozialistische Partei
Venezuelas (PSUV). Trotz zahlreicher Konflikte zwischen FunktionärInnen
und Parteibasis überstand die PSUV erfolgreich eine Reihe von internen
Wahlen und konnte sich bei ihrer ersten Wahlteilnahme im November 2008
als mit Abstand stärkste Partei etablieren.
Wie in Zukunft mit den vielen Widersprüchen umgegangen werden soll,
bleibt offen. Nach der deutlichen Wiederwahl im Dezember 2006, als
Chávez gut 63 Prozent der Stimmen erhielt, scheiterte er ein Jahr
später mit einer umfassenden Verfassungsreform knapp an den Wahlurnen.
Drei Millionen chavistische WählerInnen blieben zu Hause. Vor allem die
wenig partizipative Art und Weise, wie die Reform durchgesetzt werden
sollte, stand in der Kritik. Die insgesamt 69 Artikel umfassende Reform
war zudem äußerst komplex: Sie sollte Venezuela als „sozialistischen
Staat“ festschreiben und enthielt sowohl Artikel, die den Präsidenten
weiter gestärkt hätten, als auch solche, die die partizipative
Demokratie ausweiten sollten. So hätte die Verfassungsreform den
Kommunalen Räten auch einen Anspruch auf einen Teil des staatlichen
Haushalts verschafft.
Auf Grundlage der geänderten Verfassung hätte Chávez die ihm bereits im
Januar 2007 für 18 Monate gewährten Sondervollmachten nutzen können, um
Dekrete zur beschleunigten Transformation des wirtschaftlichen und
politischen Systems zu erlassen. Diese Transformation von oben blieb
aus. Anfang 2008 reagierte Chávez auf die Niederlage beim Referendum
und kündigte an, künftig das Tempo der politischen und ökonomischen
Reformen zu drosseln, ohne jedoch die Entwicklung eines Sozialismus des
21. Jahrhunderts aus den Augen zu verlieren.
Bei den darauf folgenden Regionalwahlen im November 2008 konnte die
Opposition immerhin fünf Staaten gewinnen und freundet sich verstärkt
mit dem Gedanken an, den Kampf gegen Chávez in Zukunft an den Wahlurnen
zu führen. Die 1999 noch abgelehnte Verfassung dient ihr heute selbst
als Referenzpunkt. Nach dem jüngsten Referendum am 15. Februar dieses
Jahres, bei dem das Recht auf unbegrenzt häufige Kandidaturen für alle
gewählten Ämter in die Verfassung aufgenommen wurde (siehe Artikel in
dieser Ausgabe), bleibt ihnen ein Wahlkampf gegen Chávez 2012
allerdings nicht erspart.
Neben der langfristigen Demokratisierung der Wirtschaft und des
politischen Systems gehören heute vor allem der sinkende Ölpreis und
die Lösung der Alltagsprobleme zu den Herausforderungen für den
bolivarianischen Prozess.
Eine Inflationsrate von etwa 30 Prozent, die bei Lebensmitteln noch um
ein vielfaches höher liegt, ineffiziente Verwaltung und hohe
Korruption, mangelhafte Müllentsorgung oder Kriminalität gehören zu den
Hauptsorgen vieler VenezolanerInnen. Sollte es der Opposition gelingen,
einige dieser Probleme in den von ihr regierten Staaten und Munizipien
wirksamer anzugehen als chavistische PolitikerInnen, hätte sie erstmals
überzeugende politische Argumente zur Hand. Immer wieder darauf
hinzuweisen, dass sich nahezu alles im Land zum Schlechten gewendet
habe, nimmt ihnen die Mehrheit der Bevölkerung schon lange nicht mehr
ab. Und so blieb der Opposition auch bei den Feiern zum Amtsjubiläum
von Chávez wie erwartet mal wieder nur die gut einstudierte
Statistenrolle. Es gebe gar nichts zu feiern, ließen die meisten ihrer
SprecherInnen verlauten.
// Tobias Lambert
Text: Tobias Lambert
Ausgabe: Nummer 417 - März 2009