Die Linke und die Biokrise
Das Gespenst der Biokrise geht um, auch in Europa. Aber bei der Linken in Deutschland scheint sie bisher nur als rhetorische Figur und Nebenwiderspruch angekommen zu sein. Die Frage, was genau wir ändern müssten, damit es bei endlichen Ressourcen und übernutzten Naturräumen Klimagerechtigkeit geben kann, diese Frage hat sich die Linke in Deutschland noch nicht wirklich gestellt. Denn dann landen wir bei der Erkenntnis, dass es ohne Negativwachstum, ohne eine schrumpfende Ökonomie im globalen Norden nicht geht. Nur so haben die Länder des globalen Südens eine Chance, ihre Infrastruktur und ihre Ressourcennutzung bis zur sogenannten «dignity line» auszubauen, ohne dass der Totalkollaps der Ökosphäre unvermeidlich wird. Wie genau hält es die Linke mit dem kapitalistischen Wachstumsimperativ und was haben wir jenseits der Forderung »Alles für Alle« dem herrschenden Diskurs entgegenzusetzen?
In der gegenwärtigen Wirtschaftskrise bemühen sich die Regierungen, den Rückgang der Wirtschaftsleistung zu begrenzen und mit Hilfe von Konjunkturpaketen und der Rettung von Banken möglichst schnell wieder positive Wachstumsraten herbeizuführen. Selbst der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, scheint seinen Glauben in die Selbstheilungskräfte der Märkte verloren zu haben und befürwortet staatliche Interventionen. Vergessen scheinen die Zeiten, in denen allerorts von Kürzungen der Staatsausgaben die Rede war, die vor allem zu Lasten derjenigen gingen, die auf die öffentliche Infrastruktur und sozialstaatliche Leistungen angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass die Linke die Verteilungswirkungen der Krisenbearbeitung ins Zentrum ihrer Kritik rückt. Die radikale Linke verweist darüber hinaus auf den systemischen Charakter der Krise, die Instabilität kapitalistischer Vergesellschaftung im Allgemeinen und die des Neoliberalismus im Besonderen. Eine Kritik jedoch, die lediglich die Art und Weise, wie die kapitalistische Wachstumsökonomie wieder auf einen dynamischen Pfad geführt werden soll, zum Gegenstand hat, ignoriert die voranschreitende Zerstörung der «natürlichen» Lebensgrundlagen in Folge der Produktivkraftentwicklung und der Krisenhaftigkeit der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Diese Leerstelle der Linken in der Bearbeitung der Wirtschaftskrise ist keineswegs eine Ausnahmeerscheinung, sondern Ausdruck der Weigerung, kapitalismuskritische Positionen von einem sozial-ökologischen Standpunkt aus zu entwickeln. Doch auf welchen Fundamenten könnte eine linke Wachstumskritik stehen?
Die Frage nach den Grenzen des Wachstums
Der Begriff Wachstum als Vergleichsmaßstab des volkswirtschaftlichen Outputs wurde im 20. Jahrhundert, in der Phase des Fordismus, populär. Fliessbandproduktion, Standardisierung der Produkte, technische Weiterentwicklungen und die Erkämpfung relativ hoher Löhne in Folge gewerkschaftlicher Organisierung sorgten für ein stetiges Anwachsen der Wirtschaftsleistung. Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien waren Teil der den Fordismus tragenden Kräftekonstellation, die Gesellschaften wurden darauf getrimmt durch einen stetigen Zuwachs der Wirtschaftsleistung den Systemwettbewerb zu gewinnen und Verteilungskonflikte klein zu halten. So hatten auch die ArbeiterInnen an den Früchten des Wirtschaftswachstums teil, die Monotonisierung der Arbeitsabläufe wurde durch das Versprechen auf ein ständig steigendes Konsumniveaus, welches die Eintönigkeit kompensieren sollte, mit ermöglicht. Der Sinn und Zweck des Arbeitens verlagerte sich von der produktiven Tätigkeit an sich, hin zur Erzielung eines möglichst hohen Einkommens. »Mehr ist besser« lautete die Devise.
Dieses imperativische «Mehr«, welches auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens basiert, hat neben der gesellschaftlichen Dimension tief greifende Auswirkungen auf die Naturverhältnisse. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen wurde zwar in den 1970er und 1980er Jahren von der Umweltbewegung thematisiert, die Frage nach den Grenzen des Wachstums aufgeworfen und in Folge dessen «Umweltthemen» in den Fokus des politischen Establishments gerückt. Allerdings wurden die ökologischen Fragen aus Sicht der Herrschenden erfolgreich «entschärft», die Grenzen des Wachstums wurden in das Wachstum der Grenzen transformiert: mit der fortschreitenden technischen Entwicklung - so die bis heute dominante Vorstellung - lässt sich der wirtschaftliche Output immer weiter steigern. Wachstumsgrenzen wachsen mit der kapitalistischen Innovationsgeschwindigkeit. Einige umweltpolitische Regelwerke, die einem fortgesetzten Wirtschaftswachstum nicht im Wege standen, wurden eingeführt, während sich die Umweltbewegung nach und nach institutionalisierte. Die hegemoniale Stellung des «Mehr ist besser» wurde erfolgreich verteidigt.
Ökonomisches Schrumpfen und Verzichtsrhetorik
Seit dem Jahr 2006 wird verstärkt über ein altbekanntes, bis dahin jedoch eher stiefmütterlich behandeltes Thema diskutiert, den Klimawandel. Eine immer wieder in die öffentliche Debatte eingeworfene Strategie, wie dem Klimawandel begegnet werden sollte, ist die Begrenzung des individuellen CO2 Budgets auf zwei Tonnen pro Kopf und Jahr. In Deutschland sind wir gegenwärtig etwa beim Fünffachen dieses Wertes angelangt. Abgesehen davon, dass die Umsetzung dieses Vorschlags nicht ohne zusätzliche Überwachungsmechanismen durchsetzbar wäre, zielt dieser Ansatz auf eine individualisierte, rein auf das Konsumverhalten ausgerichtete Problembearbeitung ab. Nicht die auf Grenzenlosigkeit ausgerichtete kapitalistische Produktionsweise wird als Ursache des Klimawandels ausgemacht, die anzugehen ist, sondern das Konsumverhalten der Einzelnen. So ist es nur folgerichtig, dass beispielsweise der weltweit wohl meistbeachtete Klimareport von Nicolas Stern Investitionen in die Erforschung «kohlenstoffarmer Produkte» und eine von oben induzierte Änderung der Konsumnormen als zentrale Pfeiler im Kampf gegen den Klimawandel ansieht. Solche Ideen stoßen bei Teilen der Klimabewegung durchaus auf offene Ohren.
Diese, auf das individuelle Konsumniveau abzielende, Debatte erinnert daran, mit welchen Argumenten unter neoliberalen Vorzeichen massiver Sozialabbau durchgesetzt wird: »Wir leben über unsere Verhältnisse, wir müssen privat für das Alter vorsorgen, wir müssen alle den Gürtel enger schnallen.«
Die Forderung nach Minuswachstum, die gleichbedeutend mit einem Rückgang des gesamtgesellschaftlichen Konsumniveaus ist, ist also durchaus problematisch. Schließlich wollen wir ganz sicher nicht in das gleiche Horn blasen wie diejenigen, die ausgerechnet denjenigen Verzicht predigen, die ohnehin zunehmend in Armut gedrängt werden.
Am heikelsten ist die Forderung nach wirtschaftlicher Schrumpfung jedoch, weil diese zunächst relativ abstrakt erscheinende Forderung auf die individuelle Ebene herunter gebrochen, zu unangenehmen Fragen führt. Wie würde sich mein/unser Lebensstil verändern müssen, wenn wir in einer klimagerechten Welt leben würden? Selbst bei der konsequenten Nutzung erneuerbarer Energieträger, die durchweg weder CO2-neutral sind, noch eine grenzenlose Energiegewinnung versprechen, ist nicht davon auszugehen, dass sich das Konsumniveau der Mehrheit der Gesellschaften des Nordens und einiger Eliten des Südens, also der globalen HochverbraucherInnen, aufrechterhalten ließe. Dies ist kein angenehmes Szenario. Kann es sein, dass auch wir Linken im globalen Norden uns recht bequem eingerichtet haben und das Credo «Mehr ist besser» erst bei sehr hohen Einkommen ablehnen?
Sollten wir, angesichts der Gefahr, wir könnten uns der »Verzichtsrhetorik« schuldig machen, die Finger von Wachstumskritik und der Beleuchtung gesellschaftlicher Naturverhältnisse lassen und weiterhin getreu des Mottos «Alles für alle» Politik machen? Ganz sicher nicht. Der Klimawandel, das Artensterben, die Ausbreitung von Wüsten, Wasserknappheiten und viele andere Krisensymptome sind Ausdruck der voranschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und des Ökosystems, auf das wir alle angewiesen sind. Diese destruktiven Entwicklungen sind in erster Linie auf den Wachstumsimperativ, den in den kapitalistischen Verhältnissen angelegten Zwang zur Akkumulation von Kapital, zurückzuführen. Die ökologisch vermittelten Krisensymptome sind auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen, besitzen jedoch eine eigene Dynamik, die von der kapitalistischen Logik negiert wird. Die »Natur« wird den kapitalistischen Interessen gemäß zugerichtet, die Umweltpolitik bewegt sich bis heute immer im Rahmen des ökonomisch »vertretbaren«; daran ändert der Einwand, dass »Natur« gesellschaftlich konstruiert ist, gar nichts. Im Gegenteil, oft genug handelt es sich bei diesem Einwand um den Versuch, gerade von Linken, sich den Fragen nach einem sorgsamen Umgang mit der Biosphäre, von der wir ein Teil sind, nicht zu stellen.
Die Politik des Klimawandels
Der Klimawandel sorgt bereits heute für eine Zuspitzung sozialer Auseinandersetzungen. Im globalen Süden werden die Lebensbedingungen breiter Massen immer prekärer. Die politische Bearbeitung des Klimawandels, beispielsweise durch die flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls und im besonderen des Clean Development Mechanism verschlimmern die »natürlichen« Auswirkungen des Klimawandels. Unter dem Deckmantel einer sauberen Entwicklung werden Indigene von ihrem Land vertrieben, um Platz für Windparks zu schaffen oder Staudammprojekte zu realisieren. Eine linke, internationalistische Perspektive kann nicht einfach die katastrophalen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums und die Krisenhaftigkeit der gesellschaftlichen Naturverhältnisse ignorieren.
Wie also könnte eine Perspektive aussehen, die weder eindimensionaler individualistischer Verzichtsrhetorik, wie sie viele konsumkritische Ansätze vertreten, das Wort redet, noch die Naturgebundenheit unseres Daseins außer acht lässt? Während Marx die ungebremste Produktivkraftentwicklung begrüßte, weil sie seiner Einschätzung nach die Möglichkeiten einer revolutionären Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse erhöhte, hat der Lauf der Geschichte diese Hoffnung widerlegt. Die Linke hat weder ein Transformationsprojekt, noch eine Utopie, wie eine postkapitalistische Gesellschaft aussehen könnte.
Um dies zu ändern, müssen wir anfangen über gesellschaftlicher Alternativen im Hier und Jetzt nachzudenken. Das muss auf zwei Ebenen geschehen: Einmal müssen wir radikal unsere Vorstellungen von Arbeit und Produktion in Frage stellen, etwa in der Autoindustrie. Dafür müssten neue Verkehrskonzepte jenseits des Autos als individuellem Fortbewegungsmittel erarbeitet und umgesetzt werden Gleichzeitig ginge kein Weg vorbei an radikaler Arbeitszeitverkürzung, bedingungslosem Grundeinkommen und einer Umwertung und Umverteilung von Lohnarbeit und anderen Formen von Arbeit; eine Diskussion, die Feministinnen schon in den 1980ern forcierten, und die jetzt wieder an Aktualität gewinnt. Schon an diesem einen Beispiel ist zu sehen, dass Klimagerechtigkeit ohne den völligen gesellschaftlichen Umbau nicht zu haben ist. Dieser Umbau kann aber nur funktionieren, wenn sich auch auf der Mikroebene etwas ändert: Food-Coops, Formen des kollektiven Wohnens und Arbeitens, Kämpfe gegen Autobahnbau und für autofreie Städte, Kollektivierung und Dezentralisierung von Produktionsprozessen und die Aneignung und Dezentralisierung der Energieproduktion, was einen Kampf gegen die großen Energieproduzenten einschließt. Diese Initiativen erproben Alternativen zu individualisierten Lebensentwürfen und Konsumzwang und fordern die bestehenden Verhältnisse heraus. Um ein ganz anderes Ganzes zu erkämpfen, muss die Linke in den Industrieländern die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Naturverhältnissen angehen und sich offensiv und kreativ mit progressiven wachstums- und konsumkritischen Ansätzen beschäftigen.
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