Nicht alles tun

Das Buch zur Ausstellung über Kunst und Ungehorsam

Mit Server und Software konnte das Künstlerduo Christoph Wachter und Mathias Jud die Zensur im Internet umgehen. Ihr Projekt picidae (lat.: Specht) basiert auf einem einfachen Verfahren: Texte werden in Bilder umgewandelt und können so von der Zensur nicht mehr erfasst werden. Ein vieldeutiges Beispiel für kritische Kunstpraxis: Mit Bildern, die nicht zu (er-)fassen sind, herrschaftliche Maßnahmen umgehen und damit unwirksam machen.
Diese Internet-Intervention ist aber auch als solche ein gutes Beispiel. Denn sie reagiert auf sich wandelnde Bedingungen von Herrschaft. Darin war die Linke nicht immer vorbildlich. Das meint zumindest das Critical Art Ensemble, ein New Yorker Kollektiv, das an den Schnittstellen von Kunst und neuen Technologien arbeitet. Die Linke sei sich selbst oft ihr schlimmster Feind, schrieb das CAE in den 1990ern, wenn es darum geht, „die Modelle des Widerstands den veränderten Bedingungen anzupassen“. Dafür sei es nämlich höchste Zeit. Einer nomadisch gewordenen Macht sei nicht mehr auf der Straße zu begegnen, ihr müsse elektronischer Widerstand entgegengesetzt werden. Der „elektronische zivile Ungehorsam“, den das CAE vorschlägt, ist auch ein Kampf um Autonomie. Diese wird erlangt, indem man sich „vor der Obrigkeit verbirgt“ oder zum Angriff auf elektronische Machtnetze übergeht.
Ungehorsam hat innerhalb der Linken eine lange Tradition. Praktiken zivilen und sozialen Ungehorsams standen im Zentrum verschiedener Bewegungen des 20. Jahrhunderts: von der antikolonialen Befreiungsbewegung um M. K. Gandhi über die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA, den ArbeiterInnenkämpfen im Italien der 1970er Jahre und der westeuropäischen Friedensbewegung der 1980er bis zu den Tute Bianche und Disobbedienti im Kontext der gegenwärtigen globalisierungskritischen Proteste.
Das in Wien und Berlin realisierte Ausstellungsprojekt „nicht alles tun“ hat diese Geschichte(n) aufgegriffen. Insgesamt 17 künstlerische Positionen wurden zur Diskussion gestellt. Auch dafür schien die Zeit reif. Denn obwohl sich renommierte KünstlerInnen in den letzten Jahren den Fragen gewidmet haben, ob und wie Kunstpraktiken zivilen und sozialen Ungehorsam abbilden, reflektieren und selbst Teil dessen werden können, existieren dazu kaum systematische Abhandlungen.
Das Buch zu den Ausstellungen versucht, diese Lücke zu schließen. Neben theoretischen und historischen Texten zum zivilen und sozialen Ungehorsam finden sich darin die ausgestellten künstlerischen Arbeiten. Hier trifft man nicht nur auf die Theaterstücke, die die Camera Surveillance Players vor New Yorker Überwachungskameras aufgeführt haben, oder auf die kleinen Landschaften im Märklineisenbahnformat, die der in Barcelona lebende Künstler franmeana auf Stöcke montiert vor ebensolche Kameras hält, um die städtische Kontrolle mit Wald- und Wiesenansichten zu konfrontieren. Nicht nur Kontrolle und Zensur sind Themen von Ungehorsam in der Kunst, auch alltägliche Praktiken.
So bannt die Australierin Zanny Begg die Outfits von GlobalisierungskritikerInnen in Öl auf Pappe im Stil von Renaissance-Porträts und speist so Subjekte und Materialien des Widerstands wieder in die Kunst ein. An den Überlappungen von Kunstpraktiken und Aktivismus arbeitet auch die feministische Gruppe Mujeres Creando mit ihren Straßenperformances in Bolivien oder das Berliner Büro Bildwechsel mit seinen Plakaten zu den Mayday-Demos der Prekariatsbewegung.