Kommunismen

Warum jetzt, warum hier, warum überhaupt ein Heft zu diesem Thema?

Ein Redaktionsgespräch.

Moe: Es ist eine Frage der Dringlichkeit. Der imperial verfasste Kapitalismus produziert tagtäglich soziale und ökologische Verwerfungen, deren Folgen durch eine Vielzahl von Weltordnungskriegen eingehegt werden sollen. Der Zustand der Welt schreit förmlich nach einer anderen Form von Gesellschaftlichkeit. Es gibt - regional sehr unterschiedlich - eine starke, in sich heterogene Bewegung von Bewegungen, die sich den Zumutungen der imperialen Ordnung verweigert und widersetzt. Diese Bewegung kann man als das neue kommunistische Projekt bezeichnen. Ein Projekt, das sich Gerechtigkeit für alle - was etwas anderes ist als Gleichheit für alle - zum Ziel gesetzt hat. Es gibt also auch eine Aktualität des Kommunismus. Klar muss aber sein, dass es nicht um eine einfache Wiederaufnahme des doktrinären und autoritären Staatskommunismus gehen kann. Klar ist aber auch, dass die Möglichkeitsräume des kommunistischen Projekts historisch noch keineswegs ausgeschöpft sind. Diese auszuloten hat sich Fantômas im Editorial der Nummer eins zum Ziel gesetzt. In den darauffolgenden Ausgaben haben wir die Horizonte dieser Bewegungen aus den verschiedensten Perspektiven durchleuchtet. Insofern handelt es sich nicht um unser erstes Kommunismus-Heft. Wir bringen jetzt aber auch noch den Namen ins Spiel und rufen damit automatisch dessen Geschichte auf. Der Durchgang durch diese Geschichte ist für Linke nach wie vor notwendig. Denn auch wenn man das Scheitern aller historischen Kommunismen konstatieren muss, sind ihre Fragestellungen nicht hinfällig geworden. Eine neue kommunistische Bewegung kann sie nicht einfach verwerfen, sondern muss sie anders thematisieren und beantworten. Dazu soll dieses Heft einen Beitrag leisten.

Stefanie: Kommunismus - das ist für mich vor allem ein Wort mit vielen Fragezeichen. Der Begriff ruft wörtlich "das Gemeinsame" auf, Differenz bleibt außen vor. Was aber ist das Gemeinsame und wo kommt es an seine Grenzen? Wer hat darüber die Definitionsmacht? Jedes Nachdenken über Kommunismus, das vom Begriff ausgeht, führt deshalb direkt zur Frage nach tatsächlicher Demokratie, im Sinne der Möglichkeit, die Pluralität der Vielen in allen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen - über die Formen der ökonomischen Produktion, der sozialen Reproduktion und der Organisation der Demokratie selbst - nicht bloß zu repräsentieren, sondern ihr diese Entscheidungsprozesse in vollem Ausmaß anheim zu stellen. Und das ist letztlich nicht nur eine Frage des Begriffs, sondern betrifft auch die konkrete Geschichte und Zukunft von Kommunismus: Ruft man Kommunismus als positiven politischen Bezugspunkt auf, dann kann man sich nicht einfach auf das beziehen, was unter diesem Namen bereits Weltgeschichte geschrieben hat. Wenn Kommunismus für uns heute überhaupt noch interessant ist, dann deshalb, weil seine Realisierung noch aussteht; die Realisierung einer in der Existenz der nicht-identischen Vielen immer schon angelegten, konkreten und deshalb auch aktuell möglichen politischen und materiellen Gerechtigkeit - und eben nicht der Idealvorstellung vom glücklich-einheitlichen "Ende der Geschichte", die den einen von den anderen in Form einer "Utopie" aufgezwungen wird. Was mich interessiert: Wo lassen sich Spuren eines solchen pluralen Kommunismus finden - und verweisen diese Spuren auf eine Realität jenseits der früher real-existenten Kommunismen und diesseits der angeblichen Alternativlosigkeit des Neoliberalismus?

Frauke: Wir hantieren immer wieder mit dem Begriff, beziehen uns positiv auf ihn, für einige von uns ist das die politische Identität. Allerdings habe ich als eine, die vor allem in den 1990ern politisiert wurde, zu dem Begriff mehr Fragen als Antworten. Was ist die zugrundeliegende Wahrheitsannahme? Die absolute Gleichheit aller. Das schreib ich mir gern unumwunden auf meine Fahnen. Aber: Ist nicht schon in dieser Wahrheitsannahme eine totalitäre Schließung eingeschrieben? War die totalitäre Erfahrung der real existierenden Sozialismen wirklich nur eine Frage der Praxis? Oder entsprang die Schließung schon dem Anspruch auf Gleichheit und wird jeder weitere Versuch seiner Institutionalisierung wieder zu einer Schließung führen? Wenn dem so wäre, wie wäre das zu umgehen? Es lässt sich schließlich schlecht Politik machen ohne Wahrheitsbezug und ohne Institutionalisierungsprozesse. Aber macht die Formel "alle gleich" das Kommunistischsein aus? Und ist es also eine Identitätsfrage, oder mehr als das?

Erika: Kommunismus, ein großer Begriff für was? Für eine historische Epoche, für eine philosophische Denkbewegung, für konkrete politische Praxen, die immer den Keim der großen gesellschaftlichen Veränderung in sich tragen soll(t)en. Den Praxistest im Sinne einer gerechteren Organisation von Gesellschaft haben die kommunistischen Projekte nicht bestanden. Das disqualifiziert nicht automatisch die Theorie und konkrete, lokale Kämpfe. Aber: Braucht es eine kommunistische Ideologie, um in konkreten Auseinandersetzungen mit den "Üblichkeiten von Situationen" (Alain Badiou) zu brechen? Mit anderen Worten: Ist eine kommunistische Ideologie notwendig, um eine radikale politische Praxis zu erfinden, die Keime einer anderen Ordnung in sich trägt - der Produktion, der Geschlechterverhältnisse, des Zusammenlebens?

Analysen wirken erfahrungsgemäß weniger als eine Art Gesamtkunstwerk, sondern in ihren kursierenden Versatzstücken. Zum Beispiel der Begriff der "Klasse", der ist sicher nicht obsolet, weil es keine ausgebeuteten ArbeiterInnen mehr geben würde. Aber Organisationskraft im Betrieb und im Alltag kann dieser Begriff in einer so hoch mobilisierten Gesellschaft wie der hiesigen nicht entfalten, so dass er in Auseinandersetzungen leicht zu einer Leerformel wird, die konkrete Organisationsformen verhindert statt ermöglicht. Zum Beispiel der Ausblick auf freie und gerechte Gesellschaften, nach den Erfahrungen mit Nationalstaaten zwangsläufig in globaler Dimension. Der Verweis auf diese Zukunft ist so unkonkret, dass er Platz für alle möglichen Inhalte bietet und deshalb inhaltsleer zu bleiben droht. Die machtpolitischen Tücken im eigenen Handeln können leicht übersehen werden, so dass ein substanzieller Bruch mit den bestehenden Verhältnissen eher verunmöglicht wird. Ich bin also skeptisch, zumindest was den politisch-praktischen Bezug betrifft, ob der unscharfe Begriff Kommunismus hilft, die bestehenden Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Thomas: Ich stimme Erika zu, dass der Begriff des Kommunismus dringend geschärft werden muss. Denn die logische Bestimmung durch die beiden Alten - "wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt" - muss sich in ihrer Aktualität bewähren. Das wirft uns tatsächlich auf die Zweideutigkeit der real existierenden Kommunismen zurück: den Kommunismus der drei oder meinetwegen vier Internationalen, den der antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfe des Südens und den des Mai 1968. Für eine bestimmte Zeit waren diese Kommunismen jeweils "wirkliche Bewegung" in der Einheit von Idealität und Faktizität, heute sind sie es nicht mehr. Die Unschärfe, auf die Erika verweist, hat mit diesem Verschwinden, diesem Aufhören, auch diesem Scheitern und zugleich damit zu tun, dass die gegenwärtigen "wirklichen Bewegungen" nicht so weit artikuliert sind, dass ihr besonderer Kommunismus "Partei" geworden wäre. Darunter verstehe ich jetzt keine besondere Organisation, sondern die erst noch zu konstruierende Subjektivität, die unter den heute gegebenen Bedingungen die ebenso universelle wie in sich vielfältige Erfahrung der Proletarisierung austrägt und die kommunistische Probe auf's "für alle" wiederaufnimmt. Die Unschärfe unseres Kommunismus-Begriffs belegt, dass wir hier noch nicht sehr weit gekommen sind. Das hat auch mit der jüngsten Dynamik des Kapitalismus zu tun, mit der Frage zum Beispiel, was Proletarisierung heute überhaupt heißt, und wie sich diese Frage für uns in der Dimension stellt, die Erika anspricht: Keime einer anderen Produktion, anderer Geschlechterverhältnisse, eines anderen Zusammenlebens, "als Praxis, nicht als Bekenntnis", das heißt für mich immer auch: als Frage politischer Organisation.

Moe: Für mich ist ein zentrales Problem der heutigen Bewegung, was Jean-Luc Nancy als "singular plural sein" bezeichnet hat. Wie gelingt es, aus der Differenz eine Produktivkraft zu machen? Dieses Problem wirft natürlich die Frage von Gleichheit und Gerechtigkeit auf, auch in ihrer geschichtlichen Dimension. Ein entscheidendes Problem der historisch dominanten Strömungen der Linken war es, Gerechtigkeit und Gleichheit kurzgeschlossen zu haben. Man hat an der Gleichheit positivistisch Maß genommen und die ungleichen Vielen in ein Prokrustesbett gesteckt. Das Maß in der Sozialdemokratie war die sozialtechnologische Versorgung des Proleten von der Wiege bis zur Bahre. Alles war geplant, alles geordnet. Es gab keinen Raum für Dissidenz. Auch für die wichtigste Strömung des Kommunismus war der tayloristische Mensch das Maß, ein Mensch, der wie eine Maschine funktioniert. Deutlich wird dies bei Lenin und Trotzki. Beide waren zumindest zeitweise vollgesogen mit einer Fortschrittseuphorie, die ihre destruktiven Seiten leugnete: den Ausschluss all dessen, was nicht in das Raster von Ordnung und Disziplin passte. Doch ging der Kommunismus in dieser Destruktion, in diesem Ausschluss nicht auf.

Wenn wir im Horizont der neuen Bewegungen heute wieder ernsthaft über Kommunismus sprechen wollen, können wir an viele dissidente Strömungen anknüpfen. Unter dem Schutt des historischen Kommunismus gibt es vieles zu entdecken. Ich denke da nur an Benjamin und Brecht, in deren Horizont sich der Surrealismus, Bataille, die Situationisten und die diversen Strömungen der 68er bewegen. Diese gilt es dem Vergessen zu entreißen. Denn Vergessen ist konterrevolutionär, wie Walter Benjamin und Heiner Müller zu Recht feststellten. Leider wurde in den 1990er Jahren vieles vergessen.

Thomas: Ich denke, dass sich der Streit "Gleichheit oder Gerechtigkeit" logisch nicht entscheiden lässt. Ein radikaler Gerechtigkeitsanspruch bezieht sich immer auf einen einzelnen, unvergleichlichen und gerade in seiner Unvergleichlichkeit verfochtenen "Fall", Gleichheit zielt auf ein "für alle", das mehr als die Summe aller Einzelfälle ist, ohne deren Norm oder Gesetz zu sein. Wer bitteschön wollte sich hier logisch für das eine und gegen das andere entscheiden? Anders verhält es sich, wenn der eine oder der andere Anspruch in einer konkreten Situation eingefordert wird: dann muss man die logische Unentscheidbarkeit politisch entscheiden. Die Geschichte der kommunistischen Bewegung ist hier voller Ungerechtigkeiten, gegen jede einzelne bleibt ein Prozess zu führen. Andererseits kommt erst hier, im Sowohl-als-auch von logischer Unentscheidbarkeit und politischem Sich-entscheiden-müssen, der spezifisch kommunistische Gleichheitsanspruch zur Geltung, bei dem es ja eben nicht um die Gleichheit vor dem Gesetz oder unter der Norm, sondern um Gleichheit im Zugang zu und in der Verfügung über die Mittel zur Produktion des gesellschaftlichen Reichtums geht, negativ gesprochen: um Abschaffung der Ungerechtigkeit des exklusiven Eigentums an Produktionsmitteln. Der kommunistische Gleichheitsanspruch löst - was mir wichtig ist - die logische Unentscheidbarkeit nicht auf, stellt in seiner eigenen Radikalität aber jeden besonderenGerechtigkeitsanspruch vor die Wahl, ob er sich auf "seinen" Einzelfall beschränkt, oder ob er sich dem kommunistischen "für alle" anschließt. In diesem Sinn kommt dem Gleichheitsanspruch politisch der Vorrang zu, so weit stimme ich Frauke zu.

Frauke: In der Kombination "Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie" hätte ich weniger Bedenken, den Begriff Kommunismus politisch zu verwenden. Dennoch wäre mir wohler, ohne ihn auszukommen, einfach, weil aus ihm die historische Erfahrung der Totalisierung, sagen wir: "Sibirien", nicht wegzudenken ist - gerade weil "Sibirien" nicht einfach ein "Fehler" der Praxis war.

Trotz aller Bedenken meine ich aber, anders als Erika, dass es im Politischen einen begrifflichen Bezug geben muss, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen - eben weil ein Gerechtigkeitsanspruch ohne absolute Gleichheitsannahme seine Kampfkraft verliert. Gleiches gilt für die Frage nach den Möglichkeiten des Mitregierens aller. In die Richtung weitergedacht lande ich ohne die Kombination mit Gleichheit und Gerechtigkeit bei vereinfachten Ansätzen direkter Demokratie, die allenfalls einen unzureichenden Machtbegriff haben. Der Reiz liegt trotz allem im Ensemble, in der Kombination von Gerechtigkeit, Gleichheit und Demokratie, und diese Kombination hat nun mal einen Namen: Kommunismus.

Stefanie: Genau da liegt die Unschärfe. Die durch die im Titel dieses Heftes vorgenommene Verlängerung in den Plural - Kommunismen - nicht weniger wird. Es geht uns um einen anderen Kommunismus, eben nicht um den "doktrinären und autoritären Staatskommunismus" (Moe). Dieser andere Kommunismus ist einer, so verstehe ich unsere Diskussion bis hierher, der "Gerechtigkeit für alle" und "Gleichheit" kombiniert, ohne sie kurzzuschließen. Die Frage bleibt aber: Was ist der spezifisch kommunistische Gehalt von Gleichheit und Gerechtigkeit?

Der Verweis auf die "Abschaffung der Ungerechtigkeit des exklusiven Eigentums an Produktionsmitteln" (Thomas) reicht mir nicht, denn diese Abschaffung ist im real existierenden Sozialismus oft ja gerade nicht ohne staatlich organisierten Terror ausgekommen. Auch wenn ich das Problem des Eigentums an Produktionsmitteln für elementar halte, ist doch seine Lösung keine zureichende Antwort auf die Forderung nach Gleichheit, Gerechtigkeit und nach einem gutem Leben für alle. Denn jede Enteignung von Produktionsmitteln ist notwendig eine Akkumulation gesellschaftlicher Macht, und deswegen kein Selbstläufer in Richtung Gerechtigkeit, sondern potenziell ein Prozess, der neue Herrschaftsverhältnisse installiert - wenn er nämlich die "Enteignung der Expropriateure" in Insitutionen fixiert, die die Teilhabe aller am vergesellschafteten Reichtum und Wissen blockieren.

Die Frage ist doch: Was ist die Bedingung von was? Da räume ich dem Problem "Verfügung über die Organisation des Gesellschaftlichen" den Vorrang vor dem Problem "Eigentumsform der Produktionsmittel" ein. Dass dieser Vorrang kein zeitlicher, sondern ein logischer ist, macht die Sache kompliziert. Das heißt: Die Enteignung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln ist eine notwendige Voraussetzung für radikal-demokratische Gerechtigkeit, die aber erschöpft sich nicht darin. Zugleich ist die fortlaufende, radikale Demokratisierung der Maßstab, an dem sich der Kommunismus messen lassen muss. Noch komplizierter wird es, wenn wir das Ganze, was unvermeidlich ist, im Kontext kapitalistischer Globalisierung, immaterieller Arbeit und global-elektronischer Kommunikations- und Informationsregime diskutieren. Nur frage ich mich eben, ob nicht gerade der Begriff Kommunismus angesichts dieser Kompliziertheiten eine nostalgische und deshalb wenig hilfreiche Einfachheit suggeriert, die uns letztlich nicht viel weiterhilft. Kann man ihn wirklich von allen Sehnsüchten nach einer parteiförmigen starken Hand, die den Weg in eine widerspruchsfreie goldene Zukunft weist, befreien? Und welchen Platz räumen wir dabei der Erinnerung an die Opfer des historischen Kommunismus ein?

Moe: Der kommunistische Terror war keine Verirrung, aber er folgte auch nicht zwingend aus der Logik des Kommunismus, wie uns eine totalitarismustheoretische Geschichtsschreibung Glauben machen will. Mit der Einbettung des Kommunismus in eine solche Geschichtsschreibung kann man das Denken des Kommunismus abhaken und historisch entsorgen. Der Siegesschrei vom Ende der Geschichte und der Alternativlosigkeit der heutigen liberalen Politik ertönt deshalb so laut, weil sich viele Menschen diese beschränkte Sichtweise zu eigen gemacht haben. Und auch wenn der globale Kapitalismus mit seiner Verdichtung von Raum und Zeit und seinen Weltordnungskriegen eine völlig neue Qualität hat, beginnen wir doch nicht von vorn. Wenn es gilt neue, freiere Formen von Subjektivität zu entwickeln, die mit den bisherigen Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungsdisziplinen brechen, dann müssen wir uns dieses Schatzes vergewissern.

Frauke: Stefanie, du fragst, ob der Begriff Kommunismus nicht eine unzulässige Einfachheit suggeriert. Wieso? Strategisch und eben nicht utopisch verwandt, markiert er konkrete Interventionen in soziale Kämpfe: als Kontrapunkt zu allen Partikularismen, in der Orientierung an dem "für alle". Das hat dann wenig Nostalgisches sondern eher was Orientierendes und Organisierendes. Ansonsten stimme ich dir zu, was die logische Priorität der "Organisation des Gesellschaftlichen" vor der "Eigentumsform der Produktionsmittel" angeht - jedenfalls solange, wie sich die Organisation des Gesellschaftlichen tatsächlich an dem "für alle" orientiert.

Denn, Moe, ich glaube, dass das Problem des Totalitarismus sehr wohl in der Logik des Kommunismus mitschwingt. Ich behaupte, dass der Kommunismus ein besonderes Problem mit der Totalisierung hat, weil es ihm eben, mit Hannah Arendt gesprochen, um die Herstellung der Gleichheit und nicht primär um die Herstellung der Pluralität geht. Und deswegen stellt sich eben doch ein spezifisch kommunistisches Demokratieproblem, und für die Analyse dieses Problems ist der Begriff des Totalitarismus hilfreich - wie reaktionär die Debatte darum auch immer gelaufen ist.

Thomas: Die Frage nach dem Verhältnis von Kommunismus und Demokratie führt in eine ähnliche Zweideutigkeit wie die von Gleichheit und Gerechtigkeit. Logisch kann beides nicht getrennt werden, politisch kann dies sehr wohl der Fall sein, schlimmer noch: war dies in der Geschichte der KommunistInnen allzu oft der Fall.

Es hilft hier allerdings nicht, sich durch die zwar unumgängliche, doch oft auch allzu billige Distanzierung eines "idealen" von den real existierenden Kommunismen davonzustehlen, denn das kommunistische Denken selbst besteht auf der Untrennbarkeit von idealem und faktischem Kommunismus, wenn es sich als Denken der "wirklichen Bewegung" versteht, "welche den jetzigen Zustand aufhebt." Gleichheit und Gerechtigkeit sind eben nicht einfach normative Begriffe oder politische Ideale, sondern selbst ein Erfahrungsgehalt, ein Erfahrungsmoment der Proletarisierung. Deshalb binden KommunistInnen die wichtigste Demokratiefrage - die Frage nach einer Demokratie, die wirklich für alle und für jedeN ist - nicht an moralische Wünschbarkeiten, sondern an eine objektive historische Frist: die Frist, die uns von der Globalisierungsdynamik des gegenwärtigen Kapitalismus und den Kämpfen um diese Dynamik eingeräumt wird. Stefanies und Moes Frage nach dem, was das Gemeinsame, das "singular plural sein", also das Kommune ist und wer darüber entscheidet, findet ihre kommunistische Antwort deshalb im Verweis auf die Faktizität eines Kampfes, der jetzt nur global gewonnen werden kann. Dieser Kampf ist dann aber ein Gemeinsames, das immer auch einschließt, was man die Machtfrage genannt hat. In Erfahrung zu bringen, was Kommunismus heute werden kann, schließt deshalb ein, in Erfahrung zu bringen, wie heute nach der Macht gefragt werden muss und wie heute um Macht gekämpft, wie man selbst Macht werden kann und wie man es gerade nicht werden will.

Um darauf zurückzukommen: Das Gemeinsame - der Kommunismus, die radikale Demokratie, das "für alle" - ist "Partei", nicht einfach im Sinn einer so oder so verfassten Organisation, sondern im Sinn einer Parteilichkeit, in der man sich mit anderen zusammenschließt und sich zugleich von anderen trennt.

Frauke: Und wie wird entschieden, wer sich wie mit welchen Mitteln von wem trennt? Genau hier liegt doch das Problem der Schließung, das anti-demokratische, das totalitäre Moment. Jede Freund-Feind-Setzung hat eine totalitäre Tendenz, und die muss so weit als irgend möglich entschärft werden. Und diesem Problem muss man sich stellen.

aus: Fantômas - Magazin für linke Debatte und Praxis/Nr. 10/Winter 06/07